Freuen sich über den Boom, können aber keine ...

Freuen sich über den Boom, können aber keine Engpässe erkennen: Hermann Grewer (links) und Karlheinz Schmidt Vita Prof. Karlheinz Schmidt, geboren am 6. Januar 1952 in Königstein/Taunus, hat seine berufliche Laufbahn 1977 begonnen als Referent in der Grundsatzabteilung des BDF, der später umbenannt wurde in BGL. Danach war er Leiter verschiedener Abteilungen des BDF und schließlich Geschäftsführer. Seit 1995 ist er Hauptgeschäftsführer des Verbandes, dem über seine 20 Landesverbände derzeit 11.000 Unternehmen angehören. Schmidt ist verheiratet und Vater einer Tochter und eines Sohnes. Wenn es die Zeit zulässt, verreist er gerne in die Berge oder fotografiert. Vita Hermann Grewer, geboren am 6. Juni 1943 in Braunschweig, ist seit zwölf Jahren Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). 1995 übernahm er das Amt des verstorbenen Klemens Weber. Grewer, verheiratet und Vater zwei erwachsener Töchter, ist Inhaber der Spedition Grewer in Gelsenkirchen. Der bekennende Schalke-04-Fan hat Ende 2006 einen Teil seines Unternehmens an die Spedition Hoyer und Schmidt verkauft. Sein derzeitiges Unternehmen verfügt über 30 Fahrzeuge. Mehr Zeit für seine Hobbys (Isetta, Motorrad fahren) hat er jedoch auch nach dem Verkauf nicht, weil er nach wie vor Geschäftsführer der veräußerten Unternehmensteile ist. Doppelspitze seit zwölf Jahren: Hermann Grewer und Karlheinz Schmidt Harmonisierung noch möglich Exklusiv-Interview mit der BGL-Spitze Hermann Grewer und Karlheinz Schmidt: Wie der BGL doch noch die Harmonisierung erreichen will, warum dem Transportgewerbe der Super-GAU droht und weshalb der Verband nichts vom Masterplan Güterverkehr und Logistik hält. Wenn die PKW-Fahrer über eine Maut die Infrastruktur mitfinanzieren würden: Käme das nicht wie gerufen? Grewer: Das kann man so nicht sagen. Die Einführung einer PKW-Maut wäre aber weniger ein Tabuthema, wenn die LKW-Maut so eingeführt worden wäre, wie dies verkündet wurde: Nämlich Umfinanzierung von der Steuerfinanzierung auf Nutzergebühren, wobei die Mautgelder laut Gesetz 1:1 in die Infrastrukturfinanzierung fließen sollten. Die Realität ist eine andere. Schmidt: Solange der Bund einen Beitrag aus allgemeinen Haushaltsmitteln in die Verkehrsinfrastruktur investiert, wird jede Mauteinführung oder -erhöhung dazu führen, dass der Zuschuss des Finanzministeriums zurückgeht. Und wer das Feilschen um die so genannte Teilprivatisierung der DB AG nachrechnet, der begreift, dass die 4,7 Milliarden Euro, die heute noch für die Straße im Haushalt stehen, sich schnell dem Wert null nähern werden. Und dann wird sich die Frage der PKW-Maut und eine Ausdehnung der LKW-Maut besonders laut stellen. Wenn die Bahnprivatisierung kommt, kommt also auch die PKW-Maut? Schmidt: Wenn die Teilprivatisierung nicht aus Haushaltsmitteln finanziert wird, dann kommen nur neue Sonderabgaben des Kraftverkehrs infrage, und da steht als Allererstes die PKW-Maut. Wieso werden zusätzliche Gelder benötigt, wo doch die Bahn mit dem Börsengang neue Mittel einsammeln will? Schmidt: Kapitalteilprivatisierung bedeutet doch nur einen Tropfen auf den heißen Stein, was den Zufluss von Finanzmitteln bei der Bahn betrifft. Die wahren Haushaltsrisiken entstehen aus festzuschreibenden Bundeszahlungen für die Erhaltung des Netzes, Investitionszusagen sowie die Finanzrisiken der Länder für Bestellungen im ÖPNV. Addiert man alle bekannten und angedachten Zahlungsverpflichtungen der öffentlichen Auftraggeber/des Staates, entsteht ein zusätzlicher Finanzbedarf, der den Großteil der bisherigen Straßenetatmittel beansprucht. Da die Finanzpolitik für den Verkehrshaushalt „kein frisches Geld“ parat hat, wird „wie schon immer“ nach Ansicht vieler Verkehrspolitiker die Straße für die Schiene die Zeche über LKW- und PKW-Maut zahlen müssen. Seit Jahren kämpft der BGL für die Harmonisierung, die die Politik im Rahmen der Einführung der LKW-Maut versprochen hat. Doch passiert ist bislang wenig. Ist das Versprechen endgültig gebrochen? Grewer: Nein, jedenfalls jetzt noch nicht. Ein erster Schritt ist immerhin getan. Die vollständige Harmonisierung in Höhe von 600 Millionen Euro kann jedoch nur mit dem Bundesfinanzminister realisiert werden, weil die Umfinanzierung von Steuern auf Gebühren in das horizontale Steuerrecht eingreifen muss. Derzeit finden Gespräche zwischen Verkehrs- und Finanzpolitikern statt. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden zeigen, ob die Harmonisierung politisch begraben wird. Ich denke, bis Ende des Jahres werden wir zumindest eine Richtung wissen. Was kann Bundesfinanzminister Steinbrück, was Kollege Tiefensee nicht kann? Schmidt: Ohne die Finanzpolitik ist Minister Tiefensee „machtlos“. Der BGL hat fünf ganz bewusst exemplarisch gewählte Möglichkeiten aufgezeigt, wie man die horizontale Besteuerung ändern und im Gegenzug die Maut erhöhen könnte. Dazu gehört die Fortsetzung des Innovationsprogramms in anderem Gewand: Jeder, der Fahrzeugneuinvestitionen tätigt und einen Veräußerungsgewinn erzielt, dürfte nach dem BGL-Vorschlag einen Teil des Gewinns des Altfahrzeugs steuerfrei behalten. Das entspräche einem Sonderbonus bei der Finanzierung neuer Fahrzeuge. Könnten mit diesen Entlastungsmöglichkeiten die noch fehlenden 450 Millionen Euro abgedeckt werden? Grewer: Ja, wenn man alle Vorschläge verwirklicht, könnte man sogar eine größere Summe darstellen. Beim Verkehrsminister haben wir auch eine positive Reaktion auf einen Teil unserer Vorschläge bekommen. Jetzt geht’s darum, ob die Finanzpolitik mitmacht. Das Transportgewerbe hat derzeit alle Hän- de voll zu tun. Geht es den Fuhrunternehmen so gut wie schon lange nicht mehr? Grewer: Die Branche ist trotz guter Beschäftigung dabei, lediglich ihre Ertragslage zu konsolidieren. Das geht nun einmal nur im Aufschwung der Wirtschaft, wenn keine Überkapazitäten am Markt dazu führen, dass jede Ladung zu jedem beliebigen Preis unterzubringen ist. Hat sich der Boom auch positiv auf die Erlöse ausgewirkt? Grewer: Wenn die Preise anziehen, bedeutet dies nicht notwendigerweise „Extra-Gewinne“. Denn nicht nur mit der Konjunktur geht es bergauf, sondern auch mit den Kosten. Wichtige Kostenfaktoren, wie Kraftstoffe und Personal, zeigen „trabende Inflationstendenzen“. Es war aber immerhin möglich, mit Verladern über Preise zu sprechen und kostenbedingte Angleichungen vorzunehmen. Sollten die Betriebe die Gunst der Stunde nutzen und sich jetzt neue LKW zulegen? Grewer: Sie sollten das sehr vorsichtig in Bereichen tun, in denen der Markt nachhaltige Beschäftigungsmöglichkeiten bietet. Kapazitäten werden, das zeigt die Zulassungsstatistik, nur dann aufgestockt, wenn zukunftsträchtige Aufgaben winken. Unterschiedliche Stimmen hört man zum Thema Fahrermangel. Gibt es in Deutschland einen Engpass oder nicht? Grewer: Wir haben europaweit Fahrerknappheit. Zusätzlichen Bedarf gibt es vor allem bei den schnell wachsenden internationalen Verkehren. Woher die Fahrer dafür kommen, war nach der Osterweiterung zunächst noch zweitrangig, jetzt sind die neuen Potenziale erschöpft. Ist eine Ursache des Fahrermangels, dass Fahrer zu wenig verdienen? Grewer: Das Problem ist mehr als eine Frage der Bezahlung. Der Beruf des Kraftfahrers ist im Laufe der Jahrzehnte unattraktiv geworden, weil er im Fokus der öffentlichen Kritik steht und die Auftraggeber nicht den Wert der Fahrerleistung gebührend schätzen. Besserung der Situation verspreche ich mir aus der Fahrerausbildung, damit der Beruf attraktiver wird und die Qualität steigt. Aber auch die wirtschaftliche Situation spielt eine Rolle. Im EU-Dumpingwettbewerb war es Unternehmen immer weniger möglich, ad-äquate Löhne zu zahlen. Qualifiziertes Fahrpersonal wird deshalb für die Auftraggeber und die Transportunternehmen teurer werden, wenn wir das gesamte Umfeld von der Fahrerrekrutierung bis hin zur leistungsgerechten Bezahlung sehen. Schmidt: Wenn man es genau nimmt, haben wir eine halbe Generation bei der Nachwuchsrekrutierung verloren. Denn heute sind nur noch 2,5 Prozent der LKW-Fahrer unter 25 Jahre alt. Und in den nächsten zehn Jahren geht ein Drittel unserer Fahrer in den Ruhestand. Momentan kommen wir gerade noch klar, aber in drei, vier, fünf Jahren werden Fahrer unter Status-quo-Bedingungen unbezahlbar. Es wird also, wenn das Gewerbe genau wie der Werkverkehr nicht massiv in Ausbildung und Mitarbeiterwerbung investiert, einen Super-GAU geben. Zur Vermeidung dieses Szenarios werden zum Beispiel die Straßenverkehrsgenossenschaften zusammen mit den Verbänden Bildungs- und Personalrekrutierungsprogramme aufbauen. Zurück zu den Löhnen: Die Fahrergehälter werden also steigen. Grewer: Die werden mit den Qualitätsanforderungen steigen, natürlich. Aber wenn sie flächendeckend – nicht nur in Deutschland – steigen, dann wird die Wirtschaft diesen Mehraufwand im Preis wiederfinden. Wenn gleichmäßig höhere Qualität benötigt und etabliert wird, dann wird diese zu einer Verteuerung des Faktors Arbeit führen. Mehr Qualität in der Fah-rerdisposition verteuert die Logistik aber nur bedingt, wenn gleichzeitig an neuen optimierten Lösungen gearbeitet wird. Gibt es noch Einsparpotenziale? Schmidt: Selbstverständlich. Viele Verlader können vor allen ihre Rampenabläufe noch so ändern, dass ein Teil der Arbeitszeit, die der Fahrer bisher wartend an den Rampen verbracht hat, künftig zur Bereitschaftszeit wird; indem man ihm etwa sagt: Mach Pause und komm in einer halben Stunde wieder. Grewer: Die Handelsketten in Deutschland und Europa sollten sich auch nichts vormachen. Wenn sie sagen, wir zahlen keine Wartezeiten an den Rampen, dann zahlen sie diese zwar nicht expressis verbis auf der Rechnung, aber sie sind irgendwo in der Kalkulation enthalten. Diese Potenziale gilt es zu heben. Ist es gelungen, die mit den Fahrpersonalregelungen verbundenen Mehrkosten weiterzugeben? Grewer: Wir sind mitten in den Gesprächen. Klar ist aber, dass wir die Kosten so weit weitergeben müssen, wie keine Verbesserung der logistischen Ablauforganisation zur Prozessoptimierung führt. Schmidt: Im Gegensatz zu früheren Jahren sind die Kosten Gegenstand der diesjährigen Verhandlungen, und, wie wir hören, laufen diese Gespräche relativ gut. Denn viele Verlader wollen sich Laderaum sichern und haben deshalb zum Teil darauf verzichtet, mit der Ausschreibung zu „drohen“. Schließlich wissen sie, wenn sie ausschreiben, könnte es sein, dass die Preise sogar noch steigen und die Qualität nicht gesichert ist. Was erwartet sich das Transportgewerbe vom Masterplan Güterverkehr und Logistik? Grewer: Kurz und knapp: Nichts Neues. Wir haben uns dazu natürlich geäußert. Aber ich habe den Eindruck, man hat sich viele Argumente nach dem Motto „hier rein und da raus“ durch den Kopf gehen lassen. Schmidt: Derzeit finden sich immer noch die alten Ideologien, ohne wirklich neue Konzepte: Schwerpunkt ist die Strategie, Güterverkehr zu vermeiden und den unvermeidbaren Teil auf Schiene und Schiff zu verlagern. Was ist daran neu? Solange Politik mit ideologischen Scheuklappen betrieben wird und sich nicht an der Re-alität orientiert, ist von dem Masterplan außer den berühmten Seifenblasen nicht viel zu erwarten. ❙❚■ Michael Cordes, Rudolf Gebhardt Halten nichts vom Masterplan Güterverkehr und Logistik: H. Grewer und K. Schmidt mit den VR-Redakteuren R. Gebhardt (links) und M. Cordes

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