Freibrief für Schummler?

In angespannter Atmosphäre gehen die Gespräche zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über die ab 2017 vorgeschriebene Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns in die Endphase. Die Gewerkschaften beklagen eine nur halbherzige Kontrolle des Mindestlohns und streiten mit den Arbeitgebern darüber, ob die diesjährigen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst sowie in der Metall- und Elektrobranche berücksichtigt werden sollen. Höherer Mindestlohn erwartet Am 28. Juni will die Mindestlohnkommission eine Empfehlung an Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) beschließen. Nach dem derzeitigen Verhandlungsstand steigt der Stundensatz für etwa 4,1 Millionen Beschäftigte zum 1. Januar um 27 Cent auf 8,77 Euro. Die Gewerkschaften bestehen auf einem um zehn Cent höheren Mindestlohn. "Wir erwarten, dass die in diesem Jahr abgeschlossenen Tarifverträge mit in die Berechnung kommen", betonte Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Es könne nicht sein, dass die Erhöhung nur deswegen nicht besser ausfalle, weil die Auszahlung der Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst sich verzögere. Tariferhöhungen werden aber erst berücksichtigt, wenn sie ausgezahlt werden. Aus dem Statistischen Bundesamt heißt es, die beiden Tariferhöhungen würden erst mit den Juli-Gehältern wirksam, seien im regulären Wert noch nicht drin. Arbeitgebervertreter Reinhard Göhner erklärte, das Statistische Bundesamt entscheide, welche Tarifabschlüsse im Juni 2016 noch in den Tarifindex einflössen. Gewerkschaften: Zu wenig Kontrollen Verärgert sind die Gewerkschaften auch über aus ihrer Sicht zu laxe Kontrollen. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass es 2015 nur noch rund 400.000 Prüfungen der zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) gegeben hat. Das war fast ein Drittel weniger als im Vorjahr, obwohl der Mindestlohn von 8,50 Euro seit Jahresbeginn 2015 gezahlt werden muss. Das Bundesfinanzministerium begründet die gesunkenen Kontrollzahlen mit einem "Strategiewechsel hin zu risikoorientierten Prüfungen zu einer verbesserten Effektivität bei der Schwarzarbeitsbekämpfung". So stieg die ermittelte Schadenssumme 2015 auf fast 820 (Vorjahr 795) Millionen Euro. Die Summe der Geldbußen fiel aber auf 43,4 (46,7) Millionen Euro. "All die Unternehmen, die sich um den Mindestlohn herummogeln, haben 2015 einen Freibrief gehabt", kritisiert Körzell. Doch gibt es noch einen weiteren Grund für die halbherzigen Kontrollen des Mindestlohns. Im vergangenen Jahr wurden 470 Mitarbeiter der Zollverwaltung wegen der Flüchtlingskrise vorübergehend an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundespolizei abgeordnet. "Die Zollverwaltung kommt damit wie andere Verwaltungen auch ihrer gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung nach". Zwischen 2017 und 2022 sollen jedoch 1600 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßt, dass die Fahnder jetzt gezielter vorgehen, statt sich auf Fahrerbefragungen zu stützen. Die Regierungsantwort zeige, dass es im Transport- und Logistikgewerbe keine massenhafte Schwarzarbeit gebe, betonte Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt. Völlig unzureichend seien aber nach wie vor die fehlenden Kontrollmöglichkeiten gegenüber gebietsfremden Anbietern und die Durchsetzung von Bußgeldern. Ob diese in den osteuropäischen Staaten vollstreckt würden, sei fraglich, meinte Schmidt. "Trotz des Mindestlohngesetzes hat sich am Sozialdumping auf deutschen Straßen nichts geändert". Regionale Unterschiede Aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass 2015 im Transport- und Logistikbereich 3400 Arbeitgeber überprüft wurden. Spitzenreiter ist Bayern mit 777 Kontrollen, in Sachsen-Anhalt waren es gerade einmal 29. Bundesweit wurden 96 Verfahren eingeleitet. Nordrhein-Westfalen und Bayern mit 24 beziehungsweise 20 Verfahren waren besonders im Visier der Bundesfinanzdirektion, in Rheinland-Pfalz war es nur ein Betrieb. 2015 wurden vom Transportgewerbe 6640 Euro an Geldbußen und Verwarnungsgelder erhoben. Insgesamt wurden von der FKS 2847 Ermittlungsverfahren wegen möglicher Gesetzesverstöße eingeleitet. jök

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