Fachkräftemangel: Lkw-Fahrer zu alt für Deutschland

In Kürze Es ist ein Dilemma: Ein serbischer Fahrer will in Deutschland arbeiten, aber dieses Vorhaben wird ihm von Anfang an schwer gemacht. Für das deutsche Recht ist er zu alt und das, obwohl er noch fast zwei Jahrzehnte fahren könnte. Braucht es ein generelles Umdenken? Die Spedition Raff aus Weilheim (an der Teck) teilt ihr Schicksal mit etlichen anderen Marktbegleitern in Deutschland: Sie sucht nach Lkw-Fahrern. Vor knapp zwei Jahren schien sich ein Glücksgriff anzubahnen, denn ein bereits bei ihnen angestellter Fahrer berichtete, dass ein Freund aus Bosnien gerne in Deutschland Lkw fahren würde. Also kontaktierte die Spedition besagten Mann namens Mile Topic, welcher sich schließlich um eine Anstellung bewarb. Zu diesem Zeitpunkt, im August 2021, wussten sie noch nicht, welche Hürden auf sie zukommen würden. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Geschäftsführerin Rebecca Raff beim Treffen mit der VerkehrsRundschau (VR). Denn: Die Behörden machten es ihr denkbar schwer, Mile Topic überhaupt nach Deutschland zu bringen. "Er musste insgesamt zehn Mal bei der deutschen Botschaft vorstellig werden, weil angeblich immer irgendwelche Papiere gefehlt haben", erzählt Raff. Zum Hintergrund: Topic wohnt zwar in Bosnien, ist aber serbischer Staatsbürger und kann deshalb nicht ohne Weiteres in Deutschland arbeiten. Oft, so Raff, seien die Probleme vermeintliche Kleinigkeiten gewesen, wie zum Beispiel eine fehlende zweifache Ausführung eines Dokuments. Neuer Führerschein nötig? Nach Monaten der Behördengänge zeigte sich das ganze Ausmaß: Topic müsse den deutschen Führerschein machen, das verlange die deutsche Botschaft in Serbien. Zudem benötige er einen Deutschkurs. All diese Punkte hakten die Raffs unermüdlich ab, organisierten eine Fahrschule im Wohnort und sogar einen Dolmetscher, damit er die Grundqualifikation absolvieren konnte. Nachdem alle Nachweise vorhanden waren, durfte Topic einreisen - für vorerst sechs Monate. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Spedition bereits eineinhalb Jahre um die Anstellung des Mannes bemüht und etliche Nachweise unterschrieben, um die Einreise zu ermöglichen. "Dann gab es die nächste Überraschung", berichtet Raff. Denn die zuständige Ausländerbehörde in Esslingen erklärte, Topic brauche gar keinen neuen Führerschein und dürfe direkt anfangen zu arbeiten. "Da waren wir eigentlich ganz froh", so die Geschäftsführerin. Doch die Freude währte nur kurz. Zu Beginn des Jahres stand die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von Mile Topic an. Diese wurde allerdings abgelehnt, ganz zur Verwunderung von Raff: "Herr Topic ist über 45 Jahre alt und muss deshalb laut der Behörde mindestens 4015 Euro brutto im Monat verdienen, um nicht im Rentenalter als armutsgefährdet zu gelten." Dieses Geld zahlt ihm die Spedition zwar, allerdings nur, wenn alle Spesen dazu-gerechnet werden. "Über 4000 Euro als reines Bruttoentgelt können wir nicht bezahlen", gibt sie zu. Zur Not geht es vor Gericht Mile Topic befindet sich seither in einer Schwebephase zwischen "keine Aufenthaltsgenehmigung", aber noch nicht mit einem Ausreisegesuch versehen. "Er wird nun erst einmal weiter bei uns arbeiten, auch wenn wir nicht wissen, wie lange noch", sagt Raff. Die Geschäftsführerin will weiter um seinen Verbleib kämpfen, notfalls auch vor Gericht: "Es kann doch nicht sein, dass wir alle händeringend nach Fahrern suchen und dann an der Bürokratie scheitern. Abgesehen davon, dass Herr Topic einen Beitrag zum deutschen Bruttosozial-produkt leistet und genauso wie jeder andere auch seine Steuern zahlt, hat er überhaupt kein Interesse, nach der Rente in Deutschland zu bleiben." Das bestätigt der 48-Jährige auch im Gespräch mit der VR. Seine Familie sei in Bosnien, dort habe er über ein Jahrzehnt in die Rentenkasse eingezahlt. Er besitzt, so sagt er, eine Eigentumswohnung und sei nur zum Arbeiten in Deutschland. "Für Herrn Topic wäre es ja auch ein Minus-geschäft, zur Rente im teuren Deutschland und noch dazu weg von seiner Familie zu bleiben", erklärt seine Chefin. Doch ihre Gesuche, die sie inzwischen auch an die Lokalpolitik übermittelt hat, blieben bislang unerhört. Amt fordert mehr Nachweise Die VR hat das in diesem Fall zuständige Landratsamt Esslingen um ein Statement gebeten. Darin wird seitens einer Sprecherin auf die geltende Gesetzeslage verwiesen. Übersetzt man das Beamtendeutsch, gibt es folgenden Sachverhalt: Herr Topic ist über 45 Jahre alt und muss deshalb ein Gehalt verdienen, das mindestens 55 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung abdeckt. Zudem kann Topic Nachweise über eine angemessene Altersvorsorge einreichen; etwa eine Eigentumswohnung oder bestehende Rentenansprüche in seinem Heimatland. Sollten diese ausreichen, geht das Landratsamt Esslingen von einer raschen Erteilung seiner Aufenthaltserlaubnis aus. Das Problem: Der Wert seiner Bezüge oder der Wohnung in Bosnien wäre auf den deutschen Markt übertragen äußerst gering. Auch das Bundesinnenministerium (BMI), das für die Zuwanderung von Fachkräften zuständig ist, hat sich auf eine Anfrage der VR zurückgemeldet. So teilte ein Sprecher mit, dass kein Bedarf gesehen werde, die bisherige Regelung zu ändern. Herr Topic sei womöglich für die Rente auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen. Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme gelte es aber zu vermeiden. Eine Pattsituation Auch müsse man davon ausgehen, dass er während seiner Arbeitszeit in Deutschland persönliche und andere Bindungen eingeht, die "sein Interesse, in den Heimatstaat zurückzukehren, erheblich mindern" würden. Zwar sei es generell möglich, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bis zur Rente auszustellen, allerdings dürfte es danach schwierig werden, unter Umständen eine Ausweisung durchzusetzen, da nur das Angewiesensein auf staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt für sich keinen Grund darstelle. Was also sollten Unternehmen wie die Spedition Raff in so einem Fall unternehmen? Der Sprecher des BMI erklärt, dass sich Arbeitgeber, die wissen, dass sie das Mindestgehalt nicht zahlen können, bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte auf jüngere Bewerber konzentrieren sollten. So entsteht eine Pattsituation - mit Verständnis für beide Seiten. Die Spedition Raff braucht dringend Fahrer wie Mile Topic. Gleichzeitig gehört es aber auch zur Aufgabe des BMI, Altersarmut zu verhindern. Das reine Lippenbekenntnis, Deutschland zur Rente wieder verlassen zu wollen, reicht da logischerweise nicht aus. Dennoch greift die Lösung des BMI, Unternehmen sollten sich auf jüngere Ausländer konzentrieren, zu kurz. So verschenkt man in diesem Fall womöglich bis zu 20 wertvolle Jahre, die ein Mann wie Topic arbeiten könnte. Zudem fehlen nach wie vor Ansätze, junge Menschen in Deutschland für den Beruf zu begeistern - man ist auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Unternehmer wie Rebecca Raff sind am Ende die Leidtragenden. Inzwischen hat sie ehemalige Fahrer aus dem Ruhestand zurückgeholt, die den Betrieb am Laufen halten. Dass das nicht lange gut geht, wissen alle. Wie es mit Mile Topic weitergeht, weiß dagegen keiner. Als Lkw-Fahrer wird er vermutlich immer einen Job finden. Wenn nicht in Deutschland, dann eben woanders.

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