Entsorgung gerät ins Stocken

Kundenservice ist für den Containerdienst Bühler eine Selbstverständlichkeit. Gerne bezeichnen sich die 15 Mitarbeiter des in Plüderhausen ansässigen Unternehmens als "Full Service Team", das von der Sperrmüllentsorgung über Wohnungsräumungen bis zum Asbestabbau alle branchenüblichen Dienstleistungen anbietet. In den letzten Wochen musste der Entsorgungsfachbetrieb jedoch eine Ausnahme machen. "Seit Anfang Oktober nehmen wir keine HBCD-haltigen Abfälle mehr an", sagt Prokuristin Heike Bühler. "Weil die Müllverbrennungsanlagen in unserer Region die Stoffe nicht mehr entsorgen, mussten wir zu dieser Maßnahme greifen." Das schwäbische Unternehmen steht mit diesem Vorgehen nicht allein da. Zahlreiche andere Entsorgungsfachbetriebe müssen gewerbliche Kunden derzeit abweisen. "Eine solche Situation hat es seit über zehn Jahren nicht gegeben", sagt Thomas Totzek, Geschäftsführer des Containerdiensts Dreieich bei Frankfurt. "Wir können nur hoffen, dass sich die Lage rasch beruhigt." "Klare Fehlentscheidung" Beide Unternehmen haben auf die jüngsten Nachrichten erleichtert reagiert: Die Umweltminister von Baden-Württemberg und Hessen, Franz Untersteller und Priska Hinz, haben angekündigt, dass sie die Verbrennung von HBCD-haltigen Mischabfällen unter bestimmten Auflagen weiterhin genehmigen werden. Beide Politiker reagierten auf einen Beschluss der Landesumweltministerkonferenz von 2015, den ihr sächsischer Kollege Thomas Schmidt als "klare Fehlentscheidung" wertet. Denn die Änderung der Abfallverzeichnisverordnung (AVV), die Gegenstand dieser Konferenz war, macht vielen Entsorgungsfachbetrieben und ihren Kunden zu schaffen. Weil seit 1. Oktober 2016 HBCD als gefährlicher Abfall eingestuft wird und getrennt von anderem Müll entsorgt werden muss, weigern sich zahlreiche Müllverbrennungsanlagen, Styropor mit diesem krebserregenden Stoff anzunehmen. Hierfür müssten sie erst eine besondere Genehmigung beantragen, argumentieren die Betreiber. Letzte Woche hatte dann auch das Landesamt für Umwelt in Bayern in Abstimmung mit dem dortigen Umweltministerium die Entsorgung von HBCD-haltigen Dämmstoffen erleichtert. Der Verband der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS) sieht darin nur eine kurzfristige Entspannung, aber keine dauerhafte Lösung. Vor allem Entsorgungsfachbetriebe mit Kunden in der Bauwirtschaft stöhnen. Wo Gebäude abgerissen oder erneuert werden und alte Platten gegen neue auszutauschen sind, fallen HBCD-haltige Abfälle an. Bei vielen Bauunternehmen und ihren Entsorgern stapeln sich jetzt alte Dämmplatten. Vor diesem Szenario hatte die Entsorgungsbranche gewarnt. Weil außerdem HBCD-haltige Platten laut AVV nicht mehr mit den übrigen Bauabfällen recycelt werden dürfen, steigen die Abfallmengen insgesamt an. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) spricht von jährlich "mehreren 100.000 Tonnen" Müll, die zusätzlich anfallen, und bereitet Bauherren schon mal auf 240 Millionen Euro Mehrkosten für erhöhte Abfallpreise vor. "Jede Dämmplatte, die vor 2014 verbaut worden ist, enthält HBCD", urteilt Werner Baumann, Geschäftsführer der Entsorgergemeinschaft Regionaler Wirtschaftsverkehr (EGRW). Lage je nach Bundesland unterschiedlich Jetzt fordern BDE und EGRW die Bundesländer auf, dem Beispiel von Baden-Württemberg und Hessen zu folgen und die Verbrennung von HBCD-haltigen Mischabfällen weiterhin zu genehmigen. Sachsen will auf der nächsten Umweltministerkonferenz am 1. und 2. Dezember in Berlin einen Antrag für eine bundesweit einheitliche Regelung stellen. "Wir wollen endgültige Rechtssicherheit herstellen", versichert Umweltminister Schmidt, der 2015 mit drei weiteren Landesministern gegen die Klassifizierung als "gefährlicher Abfall" gestimmt hatte. Der Beifall der Entsorgungswirtschaft ist Schmidt gewiss. "Der föderale Flickenteppich, der drohte, kann überwunden werden", freut sich BDE-Präsident Peter Kurth. Auch die Anlagenbetreiber werden aufatmen. Jede Verbrennungsanlage darf gefährliche Abfälle nur auf Basis von Abfallschlüsselnummern entsorgen. Dem Branchenverband ITAD zufolge hat nur eine Handvoll Anlagen, vor allem in Nordrhein-Westfalen, eine Freigabe für HBCD-haltige Dämmstoffe. Auch in Niedersachsen ist die Lage vergleichsweise entspannt. Das Umweltministerium in Hannover hatte bereits im Juli allen Müllverbrennungsanlagen die Abfallschlüsselnummer zugewiesen. Anlagen in anderen Bundesländern müssten diese Nummer nach geltendem Recht erst beantragen, die Genehmigung kann sich Wochen hinziehen. Auch großen Entsorgern bereitet das Thema HBCD Kopfschmerzen. "Wir nehmen solche Abfälle nur noch an einzelnen Standorten an und empfehlen den Kunden, dafür Zwischenlager anzulegen oder Baumaßnahmen zu verschieben", sagt Michael Schneider, Sprecher von Remondis. Am liebsten würde der Branchenriese HBCD-Platten weiterhin mit anderem Bauabfall entsorgen. Denn die Entsorgungspreise sind dramatisch gestiegen. Dem BDE zufolge verlangen die Verbrennungsanlagen bis zu 7000 Euro pro Tonne. Jetzt wartet die Branche gespannt auf die Konferenz der Umweltminister Anfang Dezember. Wenn diese an der Einstufung von HBCD-haltigen Dämmplatten als gefährlichen Abfall festhalten, hat dies Konsequenzen. So müssten die Platten vom Elektronischen Abfallnachweisverfahren (EANV) erfasst werden. "Viele Kunden sind hierauf nicht vorbereitet", fürchtet Baumann. Weil die meisten Verbrennungsanlagen ohnehin ausgelastet sind, könnten deren Betreiber nach Einschätzung des EGRW-Chefs weiter an der Preisschraube drehen. Heißes Thema Styropor Wenn überhaupt eine Entsorgung möglich ist, bleibt den Entsorgungsbetrieben ein letzter Ausweg. Sie können Dämmplatten als Beseitigungsabfall deklarieren und dem Landratsamt oder der Kommune andienen. "Die zuständige Körperschaft ist dann gesetzlich verpflichtet, diesen Abfall zu entsorgen", sagt Baumann. Bislang ist allerdings noch kein Unternehmen diesen Weg gegangen. Mit ganz anderen Problemen haben die Anlagenbetreiber zu kämpfen. Sie müssen in ihren Verbrennungsöfen wegen der übergroßen Hitze, die Styroporabfälle mit anderen gefährlichen Abfällen mischen. Wegen ihrer Volumina und leichten Gewichte zieht sich die Entsorgung von Dämmplatten deshalb hin. "Pro Tag kann nur eine sehr begrenzte Menge solcher Abfälle verbrannt werden", warnt ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn. Eine alternative Entsorgungstechnologie gibt es bislang jedoch nicht. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Entsorgung" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Weltweites Verbot Besonders besorgniserregend Wegen hoher Umwelt- und Gesundheitsschädlichkeit wurde Hexabromcyclododecan (HBCD) 2008 in die internationale Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe (SVHC) aufgenommen. 2013 hat die UNO ein weltweites Herstellungs- und Anwendungsverbot für das Flammschutzmittel verhängt. Die Maßnahme gilt seit 2014. Für Dämmplatten gibt es eine EU-weite Ausnahme bis August 2017. bot