Eine Hochburg der Chemielogistik

Wenn von der Bedeutung des Güterverkehrs die Rede ist, wird gerne das Bild von den Adern bemüht, die den Körper mit dem lebenswichtigen Blut versorgen. Bei einem Chemiewerk in der Nähe von Marl ist das keine hohle Phrase, sondern Realität. 100.000 Euro Verlust - pro Tag Das Werk wird zu 90 Prozent via Pipeline versorgt. Der Rest kommt per Binnenschiff aus den ARA-Häfen (Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam). Bei der Lieferung handelt es sich um Rohstoffe, die notwendig sind für die Produktion der Endprodukte. Da die Lagerhaltung teuer ist, reicht der Bestand gerade mal für vier bis fünf Tage. Ein vollständiger Stopp des Binnenschifftransports durch Streiks oder Niedrig- oder Hochwasser kann die Produktion gefährden. Und dann wird es so richtig teuer: Ein Stillstand der Produktion in dem Werk erzeugt Verluste in Höhe von 100.000 Euro - pro Tag. Dies ist nur ein Beispiel aus der Studie "Chemielogistik im Ruhrgebiet", von der ChemSite-Initiative in Auftrag gegeben und von der Kompetenzgruppe Chemielogistik erstellt, einem Team aus Wissenschaftlern verschiedener Institutionen. Ziel der Studie ist es unter anderem, die Bedeutung der Chemielogistik für das Ruhrgebiet aufzuzeigen. So stellen die Experten fest, dass sich im Ruhrgebiet über 60 große Chemieunternehmen angesiedelt haben, die jährlich jeweils mehr als 50 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften und auf eine leistungsfähige Logistik angewiesen sind. 24.000 Menschen arbeiten in der Chemie- und Mineralölindustrie an den Standorten Marl, Gelsenkirchen, Oberhausen, Castrop-Rauxel, Bergkamen, Hamm und Rheinberg. "5000 Mitarbeiter sind in der Chemielogistik beschäftigt. Das ist eine beachtliche Zahl", sagt Professor Carsten Suntrop, einer der Autoren der Studie. Entsprechend viele Güter lässt die Chemieindustrie im Ruhrgebiet transportieren: 60,5 Millionen Tonnen chemieaffine Güter waren es 2013, die in dieser Region ihren Quell- oder Zielort hatten. 37 Prozent davon entfallen auf Transporte innerhalb von Nordrhein-Westfalen. 20 Prozent kommen aus dem Rest der Republik oder werden dort hingeliefert. Der Anteil ausländischer Transporte beträgt 43 Prozent, wobei die Niederlande, Belgien und Frankreich bevorzugte Liefer- und Abnehmerländer sind. 27 Prozent der Tonnage per Binnenschiff Die Studie hat noch weitere Besonderheiten für das Ruhrgebiet ermittelt, zum Beispiel die besondere Bedeutung der Binnenschifffahrt im Modal Split. 27 Prozent der Gesamttonnage chemischer Güter (ohne Pipelines) übernimmt dieser Verkehrsträger in der Region. Bundesweit beträgt sein Anteil in der Chemie nur 11 Prozent. Dafür hat die Bahn einen schwereren Stand. Nur 13 Prozent aller chemischen Güter werden im Ruhrgebiet auf der Schiene befördert, in Deutschland beträgt dieser Wert 21 Prozent. Die Nummer eins ist allerdings mit 60 Prozent der Lkw. "Die Petrobasischemie ist im Ruhrgebiet besonders stark vertreten. Die Unternehmen benötigen viele Rohstoffe, die aus Übersee über die Seehäfen Antwerpen und Rotterdam vor allem per Binnenschiff ins Ruhrgebiet gelangen", erklärt Suntrop. Dies erklärt auch die Wichtigkeit der Pipelines. "Deren Bedeutung muss man ebenfalls hervorheben", sagt Suntrop. Konkrete Angaben zu den Mengen, die im Ruhrgebiet über unterirdische Röhren ankommen beziehungsweise weiterversendet werden, gibt es nicht. Aber Unternehmen wie BP oder die PRG Propylenpipeline Ruhr schleusen jährlich Hunderttausende Tonnen durch und in das Ruhrgebiet. Vonseiten der in der Studie befragten Chemieunternehmen und -logistiker wird kaum Kritik am Zustand der Infrastruktur geäußert. "Mit der derzeitigen Situation zeigen sich die Unternehmen im Großen und Ganzen zufrieden", sagt Suntrop. Die Schleusen seien ein Nadelöhr, zumal viele mittlerweile renovierungsbedürftig seien. "Aber es funktioniert", sagt Suntrop. Auch über die Höherlegung von Brücken werde gesprochen, um eine Lage Container mehr über die Kanäle transportieren zu können. "Keiner hat jedoch Angebot und Bedarf mal gegenübergestellt und damit konkrete Zahlen über die Notwendigkeit einer Anhebung vorgelegt", so der Mitautor. Aber die derzeitige Zufriedenheit dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen großen Bedarf an der Instandhaltung der Verkehrswege gebe. "Das Ruhrgebiet will nicht meckern und stellt fest: Heute ist alles gut. Aber die Infrastruktur muss auch erhalten werden", fasst Suntrop die Umfrageergebnisse zusammen. Vorbildcharakter, wenn Taten folgen Eine wichtige Rolle spielen auch die Kommunen. "Die wissen um die Bedeutung der Genehmigungsprozesse und die Kritik daran", sagt Suntrop. Er appellierte an die Beteiligten, stärker zusammenzuarbeiten, zum Beispiel in der Frage der Flächenauslastung oder der Verbesserung der Planungsprozesse. "Nur so lässt sich die nächste Stufe der Optimierung erklimmen", sagt der Chemielogistikexperte. Immerhin, die Studie zeigte nicht nur die Leistungsfähigkeit der Chemielogistik im Ruhrgebiet auf, sondern deckte auch die Schwachstellen auf und wies auf notwendige Maßnahmen hin. Hat also diese Studie einen Vorbildcharakter für andere Logistikregionen in Deutschland? "Das ist dann der Fall, wenn es der Region gelingt, Plattformen zu bilden und in konkrete Maßnahmen investiert wird", sagt Suntrop. Dann hätte sich die Studie gelohnt. Daher lautet sein Aufruf an die Beteiligten: "Lasst Taten folgen." Mehr zum Thema im Dossier "Logistikregion NRW" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Studie Chemielogistik im Ruhrgebiet Die Studie hat die ChemSite-Initiative - das Chemie- und Kunststoffcluster im Ruhrgebiet - in Auftrag gegeben. Sie ist gegen eine Schutzgebühr in Höhe von 250 Euro erhältlich bei ChemSite, 02366/10980. cd Kostenanalyse in der Chemielogistik Logistikkosten: Bis zu zwölf Prozent an den Gesamtkosten Wenn von der Bedeutung der Logistik die Rede ist, dann misst diese sich auch an dem Anteil der Logistikkosten an den Gesamtkosten. Die Studie hat zur Berechnung die Daten verschiedener Chemieunternehmen erhalten und die Logistikkosten ermittelt. "Es handelt sich immerhin um reale Zahlen, allerdings keine, die repräsentativ sind beispielsweise für die gesamte Chemiebranche", schränkt Studienautor Carsten Suntrop ein.Die Experten beziffern den Anteil der Logistikkosten an den Gesamtkosten auf drei bis zwölf Prozent. Die Rohstoffkosten betragen 60 bis 80 Prozent, die Produktionskosten 10 bis 15 Prozent."Da ist der Anteil der Logistikkosten ein Brocken, der deutlich macht, wie bedeutsam die Logistik ist", sagt Suntrop.Auch die Logistikkosten selbst sind nochmals aufgeschlüsselt worden. Der größte Anteil fällt auf den Transport mit 76 Prozent. Eine wichtige Rolle spielt die Lagerung mit 14 Prozent. Jeweils fünf Prozent entfallen auf Disposition und Sonstiges. Der Umschlag ist mit zwei Prozent der kleinste Posten.Bei den Transportkosten werden die Kosten für die Straße mit 58 Prozent am höchsten angesetzt. Dann folgt die Bahn (25 Prozent), obwohl das Binnenschiff (15 Prozent) deutlich mehr Güter befördert. Ein Zeichen, wie kostengünstig der Transport über die Wasserstraßen ist. cd

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