E-Commerce: Amazons Offensive

Von Büchern über Streaming-Abos, Cloud-, Server- und Payment-Lösungen bis hin zu Massagesesseln und Windeln - auf Amazon kann man fast alles kaufen. Und die pandemiebedingten Lockdowns haben das Wachstum des US-Giganten zusätzlich angekurbelt. "Amazon ist längst nicht mehr nur ein Handelsunternehmen, sondern ein umfassendes Ökosystem", sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. Pandemie spielte Amazon in die Hände Weltweit 1,6 Millionen Mitarbeiter und 470 Milliarden Euro Umsatz allein im vergangenen Jahr sprechen eine deutliche Sprache. "Die Geschwindigkeit, mit der Amazon selbst auf diesem hohen Niveau wächst, ist gigantisch", erklärt der E-Commerce-Experte. So sei allein in Deutschland der Umsatz des US-Konzerns im ersten Pandemiejahr 2020 um 36 Prozent auf 45 Milliarden Euro Umsatz geklettert. "Amazon hat in 2020 satte fünf Prozentpunkte im gesamten deutschen Onlinehandel dazugewonnen und damit binnen eines Jahres seinen Marktanteil auf 53 Prozent gesteigert. Und in 2021 stieg er nochmals um drei Prozentpunkte auf 56 Prozent", betont Hudetz. Die Zeit der Pandemie, in der es viel um verlässliche Produkt-Verfügbarkeiten gegangen ist, hat dem Wachstum des Unternehmens also klar in die Hände gespielt. "Amazon konnte da seine ganze Größe und Stärke in der Logistik ausspielen. Mit "Amazon Global Logistics" (AGL) prescht der E-Commerce-Riese weiter vor und baut nun im Speditionsgeschäft ein neues Geschäftsfeld auf. Welche Pläne das Unternehmen hier verfolgt, wird nicht wirklich gesagt. Nur so viel: Amazon Global Logistics sei ein grenzüberschreitender End-to-End-Transportdienst, erklärt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage, der gegründet worden sei, um Verkaufspartnern (Händler, die ihre Produkte über den Amazon-Marktplatz vertreiben - Anm. der Redaktion) dabei zu helfen, die Produkte von ihren Ursprungsorten dorthin zu bringen, wo ihre Kunden sind. Und dafür werde Amazon auf sein globales Logistiknetz zurückgreifen, das aus Frachtflugzeugen und Seeschiffen bestehe, die von Partnerunternehmen betrieben werden. Das sei aber etwas anderes als die eigene Flugzeugflotte Amazon Air. Ziel ist die gesamte Logistikkette "Amazon versucht die Punkt-zu-Punkt-Logistik in die Hand zu bekommen, sprich die gesamte Logistikkette vom Hersteller bis zum Endverbraucher - so wie es die Reedereien derzeit auch versuchen", erklärt Stefan Seils, Geschäftsführer der Hamburger Bursped-Spedition, den Amazon-Vorstoß. Denn "je mehr Teile ein Unternehmen in der Lieferkette in der Hand hat", erklärt er, "desto leichter wird ihm sein Kunde auch den Rest geben, weil dieser so völlige Transparenz in seiner Lieferkette hat". Dies sei der strategische Hintergrund. Außerdem gehe Amazon immer auf die Geschäfte los, wo es Bedarf sehe, etwa weil die Qualität fehlt, die Preise zu hoch sind oder Kapazitäten fehlen. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Was das Ganze brisant macht: "Amazon ist eine Art Hybrid: Es ist Händler, Spediteur und Carrier in einem", erklärt Logistikexperte Steffen Wagner von KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (siehe Kasten rechts). Außerdem kenne es das Verhalten der Endkunden und könne darüber ableiten, wie sich deren Bestellverhalten und damit künftige (vorgelagerte) Lieferketten entwickeln werden. Das klassische Gefüge in der Logistik, also Spediteure, Carrier und Händler, wird durch Amazon ausgehebelt. Kein Wunder, dass in der Speditionsbranche - insbesondere bei kleineren und mittelständischen Speditionen - vielerorts die Alarmglocken schrillen. Denn bislang organisieren insbesondere sie für kleinere Handelsunternehmen, die über den Amazon-Marktplatz ihre Produkte vertreiben, deren Beschaffungslogistik und -verkehre. Eben aber in dieses Geschäftsfeld schiebt sich Amazon mit seinem Angebot. Offenbar auch mit Discountpreisen. Sind die Frachtraten, die das Handelsblatt nennt, so korrekt, wird es brenzlig. Demnach habe Amazon, heißt es da, die am Spotmarkt üblichen Frachtraten für seine Marktplatz-Händler massiv unterboten. Die Rede ist von 7000 US-Dollar zu sonst 14.000 US-Dollar. Und mit solchen Konditionen, so viel steht fest, wird auf Dauer kaum ein Marktteilnehmer mithalten können. Zusätzliches Ungemach droht im Transportgeschäft. Denn auch in dieses Geschäftsfeld strebt Amazon - sogar mit eigenen Kapazitäten - und hat dafür das "Amazon Freight Partner Programm (AFP)" aufgelegt. Das bestätigt ein Sprecher auf Anfrage. Der Plan dahinter: Das Unternehmen unterstütze damit Unternehmer, die sich im Transportgewerbe selbstständig machen wollen, etwa über das Angebot von Leasing-Lkw und Schulungen. Einsteigen könne jeder - auch ohne Logistikerfahrung, wirbt das Unternehmen auf der Website zu dem AFP-Programm (freightpartner.amazon.de/marketing). Die Anlaufkosten liegen bei 25.000 Euro, und ein Unternehmer könne ohne Anzahlung von gebrandeten Lkw profitieren. Unternehmern, die zehn bis 15 gebrandete Lkw in Betrieb nehmen, könnten ein Umsatzpotenzial von 1,0 bis 1,6 Millionen Euro pro Jahr erzielen. Wettbewerber durch Einkaufsmacht Wie viele Transporteure Amazon bereits über das neue Programm geworben hat, sagt das Unternehmen nicht, geschweige denn wie viele schon hierzulande für Amazon mit eigenen Kapazitäten fahren. Sicher ist nur: Das Unternehmen breitet sich im Transport- und Speditionsmarkt aus und wird über die Bündelung der Frachtmengen seiner Marktplatzteilnehmer und einer damit einhergehenden weiteren Einkaufsmacht zunehmend zum Wettbewerber für Transporteure und Spediteure. Dass das gefährlich für diese werden kann, zeigen erste Reaktionen aus dem Handel zu AGL: "Für Händler ist der Amazon-Marktplatz, vor allem das neue AGL-Angebot, sehr attraktiv, es ist im Grunde ein Rundum-sorglos-Paket", urteilt zum Beispiel E-Commerce-Experte Hudetz: "Ein Händler muss Amazon nur noch die Ware zur Verfügung stellen, und Amazon macht alles andere." D. h. Amazon listet heute schon deren Produkte ein, verkauft sie unter seinem Namen, lagert die Waren in den meisten Fällen in seinen Logistikzentren ein und stellt die Waren den Endkunden zu. Und mit AGL funktioniere das Ganze auch international. Auch Ulrich Binnebößel, Abteilungsleiter vom Handelsverband des Deutschen Einzelhandels, betont: "Aus Handelssicht wäre dieses Angebot auf der ersten Meile, gerade auf interkontinentalen Destinationen wie aus Asien, für Händler aus Kostenerwägungsgründen zu prüfen." Amazon verfüge bereits für die eigenen Produkte über entsprechende Lieferstrukturen und -beziehungen zu See- und Luftfracht-Carriern. "Wobei neben einer möglichen Kostenersparnis auch andere Kriterien in der Logistik eine Rolle spielen, wie etwa gewachsene Strukturen mit langjährigen Lieferanten, Speditions- und Logistikpartnern sowie deren Services." Preiskrieg schadet allen "So gesehen ist mir wegen Amazon nicht bange", zeigt sich Bursped-Geschäftsführer Seils selbstbewusst. "Wir machen ja als kleiner Mittelständler alles das, was die Großen nicht machen." Zudem sei Amazon bislang nicht in der Stückgutverteilung aktiv. Über die dafür erforderliche Netzwerkstruktur mit Verteilstützpunkten verfüge das Unternehmen einfach noch nicht. Naiv ist Seils aber nicht. "Gefährlich wird es für uns mittelständische Spediteure, wenn Amazon seine eigenen Versorgungs- und Nachschubverkehre immer besser organisiert - vielleicht sogar mit eigenen Transportkapazitäten - wie jetzt mit dem neuen Amazon Freight Partner Programm angekündigt." Fracht sei nun mal preissensibel. "Wenn also Amazon-Freight-Partner-Lkw, wie heute schon fallweise, Amazon-Ware vom Hamburger Hafen ins Amazon-Logistikcenter in Winsen fahren und nach der Entladung leer zurückfahren", erläutert der Geschäftsführer, "können Warenversender, die auf dieser Strecke liegen, natürlich mit entsprechend niedrigen Preisen Tonnage vergeben." Amazon arbeite sich also immer weiter vor. "Und je engmaschiger sein Transportnetz wird, desto mehr steigt in unserem Gewerbe der Preisdruck." Jedem Auftraggeber müsse aber auch bewusst sein, gibt er zu bedenken, "dass er sich in hohe Abhängigkeit begibt, wenn er sein komplettes Logistik-Know-how aus der Hand gibt. Ab einem gewissen Punkt kann Amazon dann jeden Preis diktieren." "Speditionen müssen AGL trotzdem ernst nehmen", betont Kornelia Reifenberg, Partner der Strategie- und Marketingberatung Simon-Kucher & Partners in Bonn. Als Amazon vor Jahren in den deutschen Paketmarkt eingestiegen ist, hätten dies viele unterschätzt. "Diesen Fehler dürfen Speditionen jetzt nicht wiederholen. Denn Amazon ist sehr effizient und sehr schnell. Wenn das Unternehmen etwas vorhat, sich ein Ziel setzt, setzt es dies auch um." "Der größte Fehler, den Speditionen jetzt machen können, sind proaktive oder reaktive Preissenkungen, um ihre Kunden zu halten", warnt sie. Dies entfache nur einen Preiskrieg, bei dem am Ende alle verlieren - Amazon könne nun mal jeden Preis mitgehen. Stattdessen sollten sich Spediteure ganz klar im Markt positionieren: "Wer bin ich, welches Alleinstellungsmerkmal habe ich, welche Zielgruppe will ich erreichen und mit welchem Angebot?" Stets mit dem Ziel vor Augen, Partner erster Wahl für den Kunden zu werden. Vor allem aber gelte: "A und O ist die Digitalisierung." Mehr zum Thema finden Sie unter #Amazon www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Amazon will nun auch ins Speditionsgeschäft einsteigen und hat dafür das Geschäftsfeld"Amazon Global Logistics" (AGL) gegründet. Ein Vorstoß, der in der Speditionsbranche mit gemischten Gefühlen beobachtet wird, auch weil viele bislang die Beschaffungslogistik für Amazon-Händler organisieren. "Das klassische Gefüge in der Logistik wird ausgehebelt": Steffen Wagner, Partner und Head of Transport & Leisure der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG Amazon startet mit Amazon Global Logistics ins Speditionsgeschäft. Wie gefährlich ist das?In erster Instanz wird AGL wohl kleine und mittelständische Speditionen treffen, die die Beschaffungslogistik kleinerer Händler bislang managen. Je mehr Volumen Amazon aber von diesen abzieht, desto stärker wird seine Einkaufsmacht gegenüber Carriern. Spätestens dann wird AGL ein veritabler Wettbewerber auch für die großen Logistiknetze. Das Bemerkenswerte dabei ist aber, dass Amazon das klassische Gefüge im Logistikmarkt durcheinanderbringen kann.Wie das?Vereinfacht formuliert gibt es bislang Spediteure, Carrier und Händler. Die Händler nutzen die Spediteure und diese kaufen bei den Carriern ein. Jedes Glied in dieser Lieferkette verdient seine Marge. Je nach Verfügbarkeit von Kapazitäten schlägt das Pendel dabei einmal mehr zu den einen oder den anderen aus. Amazon ist hingegen eine Art Hybrid: Es ist Händler, Spediteur und Carrier in einem. So konnte Amazon als einer der wenigen in der Pandemie - trotz gestörter Lieferketten - die angebotenen Produkte halbwegs verfügbar halten. Zudem kennt es das Verhalten der Endkunden und kann darüber ableiten, wie sich deren Bestellverhalten und damit künftige (vorgelagerte) Lieferketten entwickeln werden. Sprich: Das klassische Gefüge in der Logistik, also Spediteure, Carrier und Händler, wird durch Amazon ausgehebelt. Ein Verschwimmen der Grenzen zumindest zwischen Carriern und Spediteuren beobachten wir im Übrigen derzeit auch bei großen Reedereien, die über Mega-Transaktionen gezielt in die Abdeckung der gesamten Lieferkette einsteigen.Wird Amazon also zum Gamechanger in der Speditionsbranche?Im Moment eher nein. Dafür ist der Markt noch zu stark fragmentiert. Zum ernsthaften Wettbewerber für Speditionen entwickelt sich Amazon aber sehr wohl. Und in der Paketzustellung auf der ersten Meile ist das Unternehmen ja bereits erfolgreich aktiv. eh Der Mittelstand muss verstärkt in die Digitalisierung investieren: Willem van der Schalk, Präsident des europäischen Spediteursverband Clecat Dass Amazon jetzt auch als Spediteur in der Seefracht einsteigen will, hat so manchen Akteur nicht nur aufgeschreckt, sondern nahezu erschreckt. Reedereien bevorzugen GroßversenderFür Willem van der Schalk, Präsident des europäischen Spediteursverband Clecat und Vorsitzender des Fachausschusses Seehafen- und Seeschifffahrtspedition – KDS – im DSLV (Bundesverband Spedition und Logistik), kam dieser Schritt nicht überraschend. „Der Schritt ist eine logische Schlussfolgerung aus dem, was die Reedereien mit ihren Initiativen provoziert haben“, sagt van der Schalk. Laut dem ehemaligen Geschäftsführer der Hamburger Spedition A.Hartrodt Deutschland hätten die Reedereien die mittelständischen Seefrachtspeditionen in den teuren Spotmarkt gedrängt,indem sie deren Kontrakte gekündigt hätten, um aus Effizienzgründen nur noch mit Großkunden zusammenzuarbeiten.Doch das heißt laut van der Schalk nicht zwingend, dass die Seefrachtspediteure ihr Geschäft verlieren. „Amazon wird vorwiegend den Konsummarkt bedienen und weniger das B-to-B-Segment“, sagt der Clecat-Präsident. Er rät mittelständischen Spediteuren, dass sie ihre Dienstleistung gegenüber ihren Kunden, den Importeuren, stärker herausstellen, und nennt die Verzollung als ein Beispiel. Auch das logistische Know-how vieler Mitarbeiter im Mittelstand sei ein Vorteil gegenüber Amazon. Ein Paket zu verschicken sei etwas anderes als einen komplexen Seetransport zu organisieren. „Aber es sind Investitionen in die Digitalisierung notwendig. Die Logistikprozesse müssen von einem reibungslosen Datenfluss begleitet sein“, skizziert van der Schalk die Anforderungen auch an die kleinen und mittelständischen Spediteure. Für die sei es eine große Herausforderung, die dafür notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen. Generell sieht er in der Seefrachtspedition die Entwicklung einer Konsolidierung: „Angesichts der mit der Digitalisierung verbundenen Kosten werden sich einige kleinere und mittlere Speditionen die Frage stellen: Tue ich mir das an oder steige ich nicht doch lieber aus?“ cd

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