Dunkle Wolken über dem einstigen Hoffnungsträger

Als hätte die Türkei nicht schon genügend Sorgen, musste sie in der letzten Woche eine weitere Niederlage einstecken: Die UEFA hat die Fußball-Europameisterschaft 2024 nicht an die Türkei vergeben, sondern an den Mitbewerber Deutschland. Eine Randnotiz, sicher. Oder doch nicht? Denn so, wie die UEFA sich für das nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich stabilere Deutschland entschieden hat, so agieren momentan auch viele Investoren. Sie zögern mit Investitionen oder überlegen sogar, sich aus dem Land zurückzuziehen. So hegt der Oldenburger Energiekonzern EWE Pläne, sein Türkei-Geschäft aufzugeben, wo man seit 2007 Erdgas anbietet. Laut Medienberichten sind die Gespräche der Elektronikhandelskette Media Markt Saturn über einen Einstieg beim türkischen Konkurrenten Teknosa auf Eis gelegt. Das sei auch die Konsequenz aus der derzeitigen wirtschaftlichen Lage in der Türkei. Die Beispiele zeigen, dass die Wirtschaft auf die Entwicklung der Märkte reagiert. Seit dem Militärputsch am 15. Juli 2016 kommt die Türkei nicht zur Ruhe. Vorher wurden Unternehmen nicht nur vom hohen Wirtschaftswachstum angezogen, sondern viele sahen die Türkei auch als ideales Sprungbrett in den ebenfalls wirtschaftlich vielversprechenden Mittleren Osten. Nach dem Aufstand waren es vor allem politische Maßnahmen, die das Land erschütterten. In diesem Jahr kommt es dann knüppeldick: der Absturz der türkischen Lira, stark steigende Preise, Sanktionen durch die USA und Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank erschütterten das Vertrauen vieler Investoren und Anleger. "Die hohe Inflation drückt auf die Stimmung in der türkischen Wirtschaft und führt zur Zurückhaltung bei den Konsumenten", sagt Thu Lan Nguyen, Währungsanalystin bei der Commerzbank. Eine weitere Folge sei eine Kapitalflucht, weshalb es zu Liquiditätsengpässen kommen könne. Außerdem gibt es massive Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank. "Die Erhöhung der Leitzinsen von 17,75 Prozent auf 24 Prozent war ein erster Schritt in die richtige Richtung", sagt Nguyen, um jedoch gleich einzuschränken: "Das ist noch nicht ausreichend. Solange Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Zentralbank kritisiert und versucht, Einfluss auf ihre Geldpolitik zu nehmen, wird die Wirtschaft kein Vertrauen fassen." Eine schwierige Gemengelage, in der sich der einstige Hoffnungsträger befindet. Die Logistikdienstleister, die aus Deutschland den Sprung in die Türkei gewagt haben, haben dies nicht bereut. Bislang zumindest nicht. So ist Dachser mit der Entwicklung der Landverkehre in der Türkei seit dem Start 2015 mehr als zufrieden. Inklusive Luft- und Seefrachtgeschäften konnte das Tochterunternehmen Dachser Turkey 2017 den Umsatz um fast 50 Prozent auf über 15,3 Millionen Euro erhöhen. 2018 jedoch sind solche Wachstumszahlen nicht mal ansatzweise zu erwarten. "Während im Landverkehr aufgrund der starken Liraverluste die Nachfrage nach Importen seit Mai stark abgenommen hat, verzeichnen Luft- und Seefrachtorganisation weiterhin eine relativ stabile Entwicklung", sagt Wolfgang Reinel, Geschäftsführer für europäische Logistik bei Dachser. Aufgrund des Währungsrisikos müssen alle importierenden Betriebe Maßnahmen zur Liquiditätssicherung ergreifen. Als Konsequenz arbeiten sie überwiegend mit nationalen statt internationalen Dienstleistern zusammen. Trotzdem hält Reinel die Risiken im Landverkehr für geringer, weil hier vor allem kleine und mittlere Unternehmen Kunden sind. Für 2019 erwartet Dachser Turkey eine "leicht rückläufige und weiter unruhige, volatile Marktentwicklung", so Reinel, als Folge der rückläufigen Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Widersprüchliche Meldungen kommen von den türkischen Verkehrsunternehmen mit Deutschland-Präsenz. So spricht die Münchener Spedition GND, Deutschland-Tochter des türkischen Straßengütertransportriesen Tetnak Group, von aktuell rückläufigen Transportvolumina in die Türkei. Jeden Werktag organisiert GND Verkehre an den Bosporus und nach Anatolien. Rund 60 Züge und 100 Trailer stehen hierfür zur Verfügung. "Als Folge des Währungsverfalls können sich viele Verbraucher Waren aus dem Westen offenbar nicht mehr leisten", sagt Ahmet Özcan, stellvertretender Niederlassungsleiter in München. An eine Reduzierung der täglichen Abfahrten denkt man bei GND jedoch vorerst nicht. Weniger Lkw-Ladungen in die Türkei Ein anderes Bild zeichnet Ceba Logistics in Augsburg. Jede Woche fahren bis zu 30 Lkw auf Balkan-Routen oder mit Fähren ab Triest in die Türkei. Der Dienstleister hat derzeit vor allem Mühe, Rückladungen in der Türkei zu finden. "Viele Kunden engagieren als Folge der Währungskrise lieber einheimische Transportunternehmen", mutmaßt ein Mitarbeiter in der Augsburger Zentrale. Als Konsequenz akquirieren die Subunternehmer verstärkt Ladungen auf dem Balkan. Die Exportverkehre aus Deutschland florieren hingegen unverändert. Offenbar können die Kunden der Verlader weiterhin in harten Euro zahlen. Allen kritischen Stimmen zum Trotz baut die österreichische Rail Cargo Group (RCG) bestehende Linienverkehre für Container sogar aus. Ab November will sie die Hinterlandverkehre von Triest nach Wels von sieben auf zehn hochfahren. Über Triest werden Türkei-Sendungen abgewickelt. Die Linienverkehre für den türkischen Dienstleister Ekol und dessen Fährtochter halten die Österreicher stabil. Weit weniger tut sich auf dem Landweg. Weiterhin verkehren wöchentlich zwei Ganzzüge vom Istanbuler Terminal Halkali nach Neuss. Außerdem haben die Österreicher 2018 neue Linienverkehre von Triest nach Giengen und Sopron in Westungarn aufgenommen. Stephan Schierke, bei Arvato SCM Solutions für Osteuropa-Geschäfte verantwortlich, vergleicht die Türkei mit Russland. "Für solche Schwellenländer muss die Logistikwirtschaft Geduld mitbringen", kalkuliert er immer auch Rückschläge ein. Jetzt hofft er, dass die Geschäfte wie in Russland bald wieder anziehen. 2012 hat die Bertelsmann-Tochter in Istanbul ihr erstes Logistikzentrum eröffnet und sich auf E-Shop-Lösungen mit Fulfillment-Logistik konzentriert. Während der letzten Jahre haben sich die Geschäfte am Bosporus laut Spierke "hervorragend" entwickelt. 2017 fuhr Arvato einen Umsatz im mehrstelligen Millionenbereich ein. Auch für 2018 rechnet das Unternehmen mit einem kräftigen Wachstum; für 2019 wird jedoch infolge von schwacher Lira und Inflation ein kräftiger Dämpfer erwartet. DHL mit neuem Logistikzentrum in Izmir Ein Dienstleister, der mit der Türkei viel vorhat, ist DHL. Allein für die Straßenfrachttochter DHL Freight kündigte der Global Player 2014 100 Millionen Euro Investitionen bis 2019 an. Vorläufiger Höhepunkt war in diesem Jahr die Eröffnung eines 38.000 Quadratmeter großen Logistikzentrums nördlich von Izmir. Weitere Investitionen sind vorerst nicht geplant. Am Ziel, "Markt- und Qualitätsführer im Straßentransport der Türkei" zu werden, hält DHL fest. "Mit seinen jungen und qualifizierten Arbeitskräften kann die Türkei sich als regionales logistisches Drehkreuz etablieren", versichert ein Sprecher. Keine großen Einbußen im Transport kann Ahmet Karakas erkennen. Karakas ist Transportexperte bei der Industrie- und Handelsverband TOBB. Laut den offiziellen Zahlen sind zwischen Januar und August 2018 nur leichte Rückgänge beim Wert der grenzüberschreitenden Warensendungen zu beobachten. Nahezu konstant sind diese Zahlen für den Handel zwischen Deutschland und der Türkei. "Aber eine endgültige Aussage lässt sich erst treffen, wenn die Jahreswerte für 2018 vorliegen", zeigt sich Karakas zurückhaltend. Die Wirtschaftsprognosen für die Türkei fallen jedenfalls nach wie vor verhältnismäßig gut aus. "Wir gehen in diesem Jahr von einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 4,7 Prozent aus", sagt Nguyen. 2019 sollen es dann aber nur noch 1,2 Prozent mehr werden. "Das ist keine Rezession", sagt die Commerzbank-Finanzanalystin, "aber es fühlt sich so an, weil es 2017 noch 7,4 Prozent Wachstum gab." Befürchtungen, der Abwärtstrend könnte auch negative Folgen für die deutsche Wirtschaft haben, schiebt sie einen Riegel vor: "Die Türkei liegt in der Rangliste der deutschen Exportmärkte nur auf Platz 16." Der Anteil an den gesamten deutschen Warenexporten betrug damit gerade einmal 1,7 Prozent. Einen Aufschwung in der Luftfracht und damit im Transport könnte sich mit dem neuen Flughafen in Istanbul ergeben. 2014 wurde mit dem Bau begonnen. Für den 29. Oktober 2018 ist die Einweihung geplant. Mit sechs Start- und Landebahnen auf 9000 Hektar soll er der größte Flughafen der Welt werden. Anders als bei der Vergabe der Fußball-EM hat hier die Türkei eindeutig die Nase vorne. Denn wann der Berliner Flughafen in Betrieb geht - dessen erster Spatenstich erfolgte bereits 2006 -, ist noch völlig offen. ...... Türkei Zahlen und FaktenFläche:783.562 Quadratkilometer (km2 ) (Deutschland: 357.386 km2 )Einwohner:80,8 Mio. (D: 82,52 Mio.)Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP):- 2015: 6,1 % (D: 1,7 %)- 2016: 3,2 % (D: 1,9 %)- 2017: 7,4 % (D: 2,2 %)- 2018 (Schätzung): 4,7 (D: 1,7 %)- 2019 (Schätzung): 1,2 (D: 1,9 %)BIP/Kopf (in USD, 2017):10.597 (D: 44.595)Export (2017):157,0 Mrd. Dollar (+ 10,2 %)Import (2017):233,8 Mrd. Dollar (+17,7 %)Inflation (in Prozent):- August 2018: 17,9; September 2017: 11,2Arbeitslosigkeit (in Prozent):- April 2018: 9,6 (April 2017: 10,5)Jugendarbeitslosigkeit (in Prozent):- April 2018: 19,8 (April 2017: 16,9)Beschäftigte im Logistiksektor:400.000Internationaler Straßengüterverkehr:Zahl der Unternehmen: 2000Lkw: 55.000cd Logitrans 2018 Impulse durch den neuen FlughafenVom 14. bis 16. November findet in Istanbul die Logitrans statt. Organisiert wird die jährlich stattfindende Messe von EKO MMI Fuarcilik, einem Joint Venture der Messe München und EKO Fair."Die Ausstellerzahl ist auf dem Niveau des Vorjahres", sagt Robert Schönberger von der Messe München. Er rechnet mit 150 Ausstellern (2017: 150) aus etwa 20 (24) Ländern. Auch die deutsche Beteiligung ist konstant (2017: 17 Aussteller auf 169 m2 , 2018 bis dato 15 Aussteller auf 173 m2 ). "Wir spüren ein großes Interesse am Luftfrachtbereich, gefördert von der Eröffnung des neuen Flughafens in Istanbul", sagt Schönberger. cd

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