MAN TGX: Die Entdeckung der Drehzahl

Aus "Efficient-Cruise" wird "Predictive-Drive": Letztere Bezeichnung steht für den neu abgestimmten GPS-Tempomaten, den MAN für die TGS- und TGX-Modelle des aktuellen Modelljahres 2024 anbietet und der mit manchem bisher geltenden Grundsatz aufräumt. Denn bislang galt an Steigungen die Devise, den höchstmöglichen Gang so lange wie möglich zu halten, woran sich die Programmierungen der automatisierten Schaltgetriebe aller Hersteller penibel halten - zumindest sofern kein Overdrive-Schongang im Lkw verbaut ist. Denn niedrige Drehzahlen bedeuten niedrige Verbräuche. Predictive Drive verfolgt an mancher Stelle dagegen eine andere Strategie, die laut den MAN-Verantwortlichen für ein weiteres Prozent weniger Spritverbrauch gut sein soll. Bewusst höhere Drehzahlen Was das neue GPS-System besser kann als sein Vorgänger: abwägen, was es vor jeder zu überwindenden Steigung aufs Neue macht. Und zwar unter besonderer Berücksichtigung des Verbrauchskennfeldes der D26- oder D38-Reihensechszylinder. Auf Deutsch heißt das: Predictive Drive ist in der Lage, zu berechnen, in welchem Drehzahlbereich die vorausliegende Steigung mit dem aktuellen Gewicht des Lastzuges am sparsamsten zu absolvieren ist. Und da kann es eben sinnvoller sein, die Drehzahl bereits am Fuße der Steigung auf diesen berechneten Wert zu erhöhen und in diesem bergauf zu fahren, sich so aber eine weitere Rückschaltung sparen zu können. Das Ganze wäre ohne einen weiteren Kniff allerdings kaum sparsamer, und der liegt in der dynamischen Drehmomentanpassung. Das System berechnet nämlich auch die Höhe des Drehmoments, das für die ökonomische "Besteigung" des Berges optimal ist, und stellt es entsprechend zur Verfügung. Klingt kompliziert und ist es teilweise auch, deshalb dieser zusammenfassende und erklärende Satz: Anstatt wie bisher eine Steigung mit vollem Drehmoment auf Biegen und Brechen mit niedriger Drehzahl plus späterer Rückschaltung zu erkämpfen, ist es oftmals sinnvoller, diese mit höherer Drehzahl, dafür aber mit niedrigerem Drehmoment zu überwinden. Wobei man davon in der TGX-Kabine nur bedingt etwas mitbekommt. Was weniger an der Geräuschdämmung des schweren Lkw-Modells aus München liegt, die wir weiterhin als verbesserungswürdig erachten. Geändert hat MAN zum neuen Modelljahr allerdings die Ansicht im Zentraldisplay. Ist die aktuelle Strecke vom Kartenmaterial inklusive Höhenprofilen abgedeckt, und das war zumindest während unserer Testfahrten nahezu immer der Fall, wechselt das System rechts auf ein grünes "D" (englisch für "drive", übersetzt Fahrmodus) und blendet die eben noch zu erkennende Anzeige des aktuellen Fahrgangs aus. Keine Ganganzeige mehr So lässt sich nur noch am Drehzahlmesser links und am Verbrennungsgeräusch des D26 erahnen, dass man gerade nicht mehr im zwölften Gang unterwegs ist. Wer es genauer wissen will, kann entweder am rechten Lenkstockhebel kurz auf den manuellen Modus tippen, in dem der aktuelle Gang nach wie vor zu sehen ist. Oder er/sie wechselt in einen anderen Ansichtsmodus, inklusive Ganganzeige für die Armaturen, der sich in den Weiten der Möglichkeiten des Zentraldisplays versteckt. Bevor Sie nun entsetzt weiter blättern, schnell unser Eindruck: Bereits nach wenigen Kilometern haben wir die Ganganzeige kaum noch vermisst. Denn offen gesprochen kann es der Person hinter dem Lenkrad heutzutage herzlich egal sein, welche Fahrstufe das intelligente automatisierte Getriebe aktuell bemüht. Zumal man durch die höheren Drehzahlen subjektiv das Gefühl vermittelt bekommt, schneller unterwegs zu sein als bei 900 Touren im Drehzahlkeller. Letzterer ist aber auch mit dem neuen System längst nicht Geschichte, denn an den meisten Bergen kommt Predictive Drive weiterhin zu dem Schluss, dass die Strategie "Gang halten" aktuell die beste ist. Was im Hinblick auf die 2650 Newtonmeter Drehmoment, welche die 540-PS-Einstellung des D26-Motors, die MAN jüngst klammheimlich nachschob, wenig verwundert. Auf der anspruchsvollen Landstraßenetappe kommt das Mittel der frühen Drehzahlerhöhung dafür umso häufiger zum Einsatz. Wem das alles trotzdem nicht passt, kann das System zwar nicht mehr übersteuern, weil Predictive Drive auch im Fahrpedal-Modus aktiv bleibt. Zumindest wenn die Fuhrparkleitung nichts anderes bestellt, lässt es sich aber abschalten, indem man von "Efficiency" oder "Efficiency+" über den Drehschalter am rechten Lenkstockhebel in einen anderen Fahrmodus wechselt, auch wenn das hinsichtlich der Ökonomie sicher keine gute Idee ist. Beim Überholen kein Eingriff Apropos wechseln: Für Überholvorgänge hat MAN eine weitere sehr praxisnahe Neuerung im Programm. Über den Seitenassistenten erkennt die Software, dass sich der MAN gerade auf der linken oder mittleren Spur befindet. Hier verkneift sich der neue GPS-Tempomat dann jeglichen Eingriff. Die nervigen Situationen, bei denen man gerade die Kabine des Überholten passiert hat, bevor der GPS den Lkw topografiebedingt ausbremst, sind so Geschichte. Am Ende seiner Laufbahn befindet sich der MAN-eigene D26-Sechszylinder mit seinen 12,4 Litern Hubraum. Noch in diesem Jahr wird der, von Scania entwickelte, 12,7 Liter große Konzerndiesel in den TGX finden, hier "D30" genannt. Auch mit diesem neuen Motor wird das Predictive-Drive-System kombinierbar sein und dort regelmäßig mit der Devise "Gang halten" brechen.

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