Deutscher Logistik-Kongress

Deutscher Logistik-Kongress „Die Wachstumsampel steht auf grün“ Unter dem Motto „Impulse, Ideen, Innovationen“ fand zum 30. Mal der Deutsche Logistik-Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Berlin statt. Ein Kongress, der vielen Logistikern Hoffnung, aber auch etliche Hausaufgaben auf den Weg gab. Dreißig Jahre – und kein Ende in Sicht: Der Deutsche Logistik-Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL) ist und bleibt das wichtigste Event der Logistikbranche. So viel stand für die Teilnehmer nach drei Kongresstagen wieder fest. Nirgendwo sonst, so die einhellige Meinung, ist das Netzwerken in der Branchen-Community einfacher. Fast schon ein Running-Gag auf den Fluren die Frage: „Und wie viele Male waren Sie schon auf dem Logistikkongress?“ „Ganz wie auf einem Klassentreffen sei es eben immer in Berlin“, formuliert es ein hochrangiger Kühne+Nagel-Manager, dem die Äußerung dann doch zu privat schien und der deshalb lieber nicht genannt werden will. Soweit zur Stimmung auf dem 30. Deutschen Logistik-Kongress, zu dem nach Angaben des Veranstalters rund 3200 Teilnehmer aus 40 Ländern gekommen waren – aus Industrie, Handel, Logistikdienstleistung und Wissenschaft. Sie alle wurden freudig eingestimmt von Raimund Klinkner, Vorsitzender des Vorstandes der BVL, der den Besuchern in seiner Eröffnungsrede zurief: „Die Trendwende in der Wirtschaft ist da. Die Wachstums-ampel steht auf grün. Die Jahre 2013 und 2014 werden sehr gute Logistikjahre werden.“ Insgesamt werde die Logistikbranche in diesem Jahr, so Klinkner, den Rekord-Gesamtumsatz von 2012 nochmals toppen. Die BVL rechne für das laufende Jahr sogar mit einem Branchenumsatz von insgesamt 230 Milliarden Euro. Das sind nochmals zwei Milliarden Euro mehr Umsatz als im vergangenen Jahr. Rund 2,85 Millionen Menschen sind damit aktuell in der Logistik tätig – die Anzahl verteilt sich zur Hälfte auf Logistikdienstleister sowie auf die Logistikabteilungen der Industrie. Auch für das kommende Jahr rechnet Klinkner wieder mit Zuwächsen zwischen einem und drei Prozent beim Umsatz. Klinkner stützt sich damit insbesondere auf den BVL-eigenen Logistikindikator, der „deutlich über dem normalen Bereich und damit deutlich im expansiven Bereich“ liege und zudem deutlich steige. Als entscheidenden Grund für seine Zuversicht nannte der BVL-Vorsitzende vor allem, dass die Erwartungen der Logistikindustrie seit 2,5 Jahren erstmals wieder steigen und damit über den Gesamterwartungen der Wirtschaft liegen. Klinkner wörtlich:„Dies ist ein ganz wichtiger Indikator für einen bevorstehenden Aufschwung.“ Vier provokante Zukunftsthesen Das macht Hoffnung, darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die weltwirtschaftliche Lage fragil ist und wohl auch bleiben wird. Das zeigte die Podiumsdiskussion „Weltwirtschaft 2025 – Chancen und Herausforderungen“ mit namhaften Vertretern aus der Industrie- und Logistikbranche. „Momentan leben wir in einer ‚Vuco-Welt“‘, einer Welt, die volatil, unsicher, komplex und ambigue (= mehrdeutig) sei, führte Moderator Paul Laudicina von A.T. Kearney aus. Umso schwieriger sei es, sagte er, eine zutreffende Voraussage für die Zukunft der Weltwirtschaft zu treffen. Gleichwohl wagte der Unternehmensberater einen Blick nach vorne. Unter den Schlagworten Pegasus, Phoenix, Sphinx und Hydra zeichnete er vier provokante Zukunftsszenarien – von positiv bis eher negativ –, die laut einer A.-T.-Kearney-Studie die globale Wirtschaft im Jahr 2025 prägen und sich damit zukünftig auch auf die Produktion und Transportströme auswirken könnten. Als Anhänger des optimistischen Szenarios Pegasus bekannte sich Amadou Diallo, CEO von DHL Freight: Er sieht die Wirtschaft in den USA und Europa auf einem Weg der Erholung. Deren Stärke treibe die Wirtschaft weltweit und stütze darüber hinaus die Wirtschaft in den Schwellenländern, führte er aus. Saori Dubourg, Bereichsleiterin bei BASF, und Steve Filipov, Geschäftsführer des Baumaschinenherstellers Terex, neigten dagegen einer Mischform der beiden Zukunftsszenarien Phoenix und Sphinx zu, wobei laut Phoenix die Wirtschaftsentwicklung in Europa und den USA bis 2018 eher enttäuschend verlaufen und von einer hohen Volatilität gekennzeichnet sein wird. Erst dann komme es zu einer Neuorientierung und einem starken Wachstum der Weltwirtschaft. Dem Sphinx-Modell zufolge könnte es zudem zunehmend zwischen Ländern zu Spannungen kommen: einerseits den Ländern, die sich dem internationalen Wettbewerb stellen und an die neuen Herausforderungen einer globalen Wirtschaft anpassen und andererseits den Ländern, denen dies nicht gelingt. An das Eintreten des Hydra-Szenarios glaubte indes keiner der Experten. Es sieht insbesondere im Nahen Osten eine zunehmend katastrophale Entwicklung voraus, sowohl in sozialer, politischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht, die zu einer Art 100-jährigem Krieg mit terroristischen Aktivitäten führen könnte. Die Hydra könnte eine weltweite Stagnation und Rezession der Wirtschaft zur Folge haben. Viel realistischer sei es, glaubt Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass das asiatische Modell Chinas scheitere. Joffe wörtlich: „Wir haben das alles bei Japan schon erlebt.“ Das Wachstum in China werde auf Normal bis null schrumpfen. Soweit zu den großen Fragen der Weltwirtschaft, die derzeit alle Unternehmen umtreiben. Die Frage, die sich die Logistiker stellten: Welche Herausforderungen kommen damit auf die Logistik- und Lieferketten in Zukunft zu? Vor allem aber, wie sind sie gerüstet? Fest steht: Deutschlands drittgrößte Branche hat tatsächlich Nachholbedarf. In der Logistikbranche fehlen offenbar die Innovationen. Zu diesem Schluss gelangt eine Mitglieder-Befragung der BVL, die ebenfalls auf dem Kongress präsentiert wurde. Zwar haben der Studie zufolge 81 Prozent der Befragten erkannt, dass Innovationen in der Logistik „eine herausragende Rolle“ spielen. „Für viele Unternehmen sind Innovationen in den kommenden Jahren sogar wichtiger als die Globalisierung“, führte BVL-Vorstand Klinkner aus. Doch ihren Worten lassen die Logistiker offenbar zu wenig Taten folgen: Nicht einmal ein Prozent ihres Umsatzes geben Transport- und Logistikunternehmen für das Thema aus. „Die genaue Zahl kennen wir zwar nicht“, räumte Klinkner ein, „aber unsere Schätzung liegt deutlich unter einem Prozent“. Zum Vergleich: Automobilkonzern Volkswagen investiert jährlich rund vier Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Klinkners Appell an die Branche: Jedes Unternehmen im Bereich Logistik sollte deshalb „ein Prozent des Umsatzes in Innovationen investieren, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Ein Appell, der rechtzeitig kommt, denn auf Wirtschaft und die Logistik warten gewaltige Hausaufgaben – Stichwort E-Commerce, das schon heute Strukturen in den Lieferketten auf den Kopf stellt. Treiber der Lieferkette sind, wie etliche Vorträge zeigten, immer weniger die Produzenten, sondern vielmehr Handel und nicht zuletzt die Endverbraucher. Eine Entwicklung, die maßgeblich von US-Handelsriesen wie Amazon, Ebay, Google & Co getrieben wird, aber auch zunehmend von den großen Paketnetzen wie Deutsche Post DHL und DPD. Zentrale Herausforderungen Kein Wunder, dass der just zum Logistikkongress verkündete Deal „Ebay kauft den britischen Sameday-Delivery-Spezialisten Shutl“ die Logistiker elektrisierte. Ob dieser jüngste Aufkauf dem Trendthema „Heute bestellt – heute geliefert“ – Stichwort Sameday Delivery –, aber tatsächlich auch in Deutschland zum Durchbruch verhelfen wird, wie manche Logistikdienstleister erwarten, bleibt abzuwarten. Während dieses Segment etliche als „hochinteressantes Geschäftsfeld“ sehen, winken andere vorerst ab – mit der Begründung: Das Ganze sei nur eine „Seifenblase“, die sich sehr schnell in Luft auflösen könnte. Wirklich dringlich stehen derzeit noch andere Themen auf der Agenda in den Unternehmen. Das zeigten die Ausführungen von Robert Handfield, Professor of Supply Chain Management an der North Carolina State University. Er präsentierte die wichtigsten Ergebnisse der BVL-Studie „Trends und Strategien in der Logistik und im Supply Chain Management“. Als Themen sieht er demnach in den Unternehmen: Weiterer Ausbau von Netzwerken mit horizontalen und vertikalen Allianzen, Zunahme an Komplexität durch Kundenerwartungen, Kostendruck und Marktvolatilität, verstärkter Einsatz moderner Technologien, insbesondere im Zusammenwirken von IT und Logistik und schließlich aktiver Umgang der Unternehmen mit Regularien und Risiken. Ein Dauerbrenner in den Unternehmen bleibt hingegen das Thema „Liefertermintreue in der Logistik“ (siehe auch VerkehrsRundschau 42/2013). „Die Liefertermintreue ist für uns die wichtigste Kennzahl“, betonte beispielsweise Joachim Hug, Leiter Supply Chain bei Carl Zeiss Vision, auf dem Kongress. Deshalb wird bei dem Hersteller von Brillengläsern die Liefertermintreue täglich gemessen. 98 Prozent der individuell hergestellten Brillengläser will das Unternehmen pünktlich ausliefern, so das Ziel, und bei den lagerhaltigen Brillengläsern 99 Prozent aller Lieferungen. „Die Verfügbarkeit ist ein extrem hohes Ziel“, betonte auch Sascha Menges, Vorstand Produktion und Logistik bei dem Hersteller von Rasen- und Gartenpflegeprodukten, der schwedischen Husqvarna AB. Für Saint Gobain Isover G+H hat die Verfügbarkeit der Ware sogar so eine hohe Bedeutung, dass das Unternehmen täglich entsprechende KPI (Key Performance Indicators) zur Liefertreue und Lieferfähigkeit erhebt, wie Martin Krumhaar, Direktor Logistik von Saint Gobain Isover, in Berlin ausführte. Alles in allem – ein Jubiläumskongress, der bewies: Der Deutsche Logistikkongress wird auch in den kommenden Jahren wichtige Trends in der Branche begleiten, fallweise auch setzen und alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette zusammenbringen – so wie dies eben Klassentreffen können: auf eine familiäre, zuweilen kontroverse, aber auch eine inspirierende Weise. ❙❚■ Birgit Bauer, Michael Cordes, Eva Hassa Die Logistikbranche macht laut BVL in diesem Jahr einen Rekordumsatz von 230 Milliarden Euro „Jedes Unternehmen sollte ein Prozent seines Umsatzes in Innovationen investieren“ Raimund Klinkner, Vorsitzender des Vorstands der BVL Die Liefertermintreue ist für viele Unternehmen die wichtigste Kennzahl Verkehrssysteme zukunftsfähig gestalten Abgestimmt: Fondslösung für Infrastruktur schaffen Mit einem verkehrsübergreifenden Rundumschlag geläufiger Forderungen eröffnete Dieter Schweer, einer der Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Fachsequenz des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin „Verkehrssysteme zukunftsfähig gestalten.“ „Manche in der Politik setzen auf Verteuerung, Verzicht und Dirigismus. Das ist der falsche Weg“ lautete die Kernaussage des „bunten Straußes an Forderungen“, wie es der Präsident des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Adalbert Wandt, bezeichnete. Darunter auch: mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur. Dass die erheblich unterfinanziert ist, darüber herrscht bei den Verkehrspolitikern aller Couleur schon lange Einigkeit. Während der Diskussion von Vertretern aus Wirtschaft und Politik erklärte Thomas Jarzombek (CDU), Mitglied des Verkehrsausschusses, man rede über drei Milliarden Euro pro Jahr, die es gelte zu decken. Das sei die wesentliche Aufgabe der Verkehrspolitik für die nächsten Jahre, so Jarzombek. „Ich höre positive Signale vom Bundesfinanzminister“, gab er an und bescheinigte damit der Verkehrspolitik vom Start weg bereits bessere Perspektiven als in den vergangenen Jahren. Für eine verlässliche überjährige Finanzierung mittels einer Fondslösung sprach sich Sören Bartol, Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der SPD-Fraktion, ebenso aus wie Jarzombek. „Es ist unser gemeinsames Ziel, diesen Fonds zu schaffen“, so der CDU-Politiker. Es sei ein gutes Zeichen, dass die Verkehrspolitiker bereits vor den ersten Koalitionsgesprächen das gleiche Interesse hätten, erklärte er. Zur Finanzierung sprach sich Bartol dafür aus, eine Hälfte aus dem Steuertopf zu generieren, die andere aus der Mauterhöhung. Als „Rumgeeiere“ bezeichnete Frank Dreeke, Vorstandsvorsitzender der BLG, das Hin und Her um die Verkehrsprojekte. „Die Wirtschaft hat klare Projekte dargestellt, die finanziert werden müssen“, gab er zu bedenken. Hier könne man sich hinsetzen und kalkulieren, man müsse sich nur einmal dazu bekennen, forderte er. Insgesamt war der Diskussion anzumerken, dass die Lage sich im Vergleich zu der vor der Wahl nicht grundsätzlich verändert hat. Lediglich die Höhe dessen, was für die Verkehrsinfrastruktur zusätzlich eingespeist werden soll, ist jetzt greifbarer: Die beiden Politiker sprachen zumeist von drei, manchmal auch von vier Milliarden, die es gelte, aufzubringen. Über das „wie“, darüber gibt es immer noch Diskussionen. Einen zusätzlichen Aspekt brachte CDU-Politiker Jarzombek ins Spiel: Man müsse sich anschauen, wie viel überhaupt verbaut worden sei und wie viel verbaut werden könne. „Ansonsten landen die Mittel im Haushalt und werden nicht für den Verkehr angespart.“ Beim Lang-LKW behält die Union ihre Haltung bei: „Ohne den Lang-LKW wird es mit uns keine Koalition geben“, so Jarzombek. „Man muss ihn in einen Regelbetrieb überführen“, forderte er und charakterisierte den Lang-LKW als „sanftes“ Verkehrsmittel: „Man hört und riecht nichts, er ist nur ein wenig länger. Wir schonen die Straßen, es gibt weniger Abrieb und das spart richtig Geld.“ bb