Der Zwang zur Größe

Auf den ersten Blick könnten sie nicht unterschiedlicher sein: hier der diplomatische 59-jährige Andreas Jäschke, der seit 2005 die Kooperation Vernetzte-Transport-Logistik (VTL) führt, neben ihm der 63-jährige Geschäftsführer Hubert Staroske der International Logistik Network (ILN), der gerne kein Blatt vor den Mund nimmt, und schließlich der kühle Analytiker Jens Bottenhorn, der mit 33 Jahren Geschäftsführer der Kooperation Systemtransport auf Rädern (Star) ist. I Im März nun gelang den drei Machern eine kleine Sensation: Ihre drei Speditionsverbünde beschlossen eine strategische Allianz. Besiegelt wurde das Ganze feierlich auf der Messe Transport Logistic im Mai mit einer Unterschrift unter den gemeinsamen Kooperationsvertrag. Damit bündeln die drei Speditionsverbünde und deren Systempartner ab sofort ihre Aktivitäten und treten auf dem Markt gemeinschaftlich auf. Sowohl die drei Stückgutnetze als auch ihre Partner werden aber weiter rechtlich eigenständig am Markt agieren. Eine starke gemeinsame Marke mit gemeinsamer Systemzentrale steht nicht an. Erklärte Ziele seien vielmehr ein Mehr an Netzsicherheit sowie deutliche Wettbewerbsvorteile durch die operative Zusammenarbeit, wie die drei Geschäftsführer Bottenhorn, Jäschke und Staroske im Gespräch mit der VerkehrsRundschau betonen. So umfasst das gemeinsame Speditionsnetz, auf das alle Mitglieder ab sofort operativ zugreifen können, insgesamt 426 Partnerbetriebe (316 nationale und 110 internationale) sowie ein jährliches Volumen von 3,55 Millionen Sendungen mit 1,22 Millionen Tonnen Gesamttonnage (siehe Kasten Seite 20). Als Notgemeinschaft wollen die drei Geschäftsführer ihr neues Miteinander aber nicht verstanden wissen, eher als "Notwendigkeit", insbesondere aufgrund des seit Jahren anhaltenden Preis- und Wettbewerbsdrucks im deutschen Stückgutmarkt. "Für unsere Systempartner wird es immer schwieriger, solide Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Von hohen Gewinnen will ich gar nicht sprechen", sagt Jäschke. Das Mengenvolumen im deutschen Stückgutmarkt sei zwar da, aber es gebe einfach zu viele Anbieter. "Und die Big Boys nutzen ihre Marktmacht, um über den Preis Mengen zu generieren", so der VTL-Mann. "Priorität hat es für uns deshalb, die Wettbewerbsfähigkeit eines jeden unserer Systempartner zu erhalten", sagt Staroske klipp und klar. "Zudem wollen wir unsere Dienstleistungen auch bei einem Depotausfall zuverlässig und lückenlos erbringen können - Stichwort Netzwerk-Sicherheit und -Stabilität." So sollen künftig die Kooperationsmitglieder, zum Beispiel bei Insolvenz eines Partners, auch auf Speditionen der beiden anderen Netze zugreifen können. Unliebsame Überraschungen wie der unerwartete Aufkauf des Cargoline-Partners Spedition Balter im April durch den System-Alliance-Gesellschafter Raben Group, die Cargoline erfahren musste, will man so durch die gemeinsame Allianz vermeiden. Heterogene Produktionsabläufe glätten Damit dies aber nicht Lippenbekenntnisse bleiben, haben die drei Geschäftsführer in ihrem Kooperationsvertrag einen straffen Zeitplan vereinbart, der sieben Hauptpunkte umfasst. Dazu zählen unter anderem, die Netzwerkdichte zu optimieren, die gegenseitige deutsche Postleitzahlen-Abdeckung zu sichern sowie gemeinsame Umschlagstandorte zu nutzen. Um Organisation und Abwicklung zu vereinfachen, wollen die Partner zudem ihre operativen Prozesse, Software, Produkte und Abrechnungsstrukturen langfristig angleichen. Hinzu kommt neben der Bündelung nationaler und europäischer Mengen auch die Synergienutzung einer gemeinsamen Gestaltung von Aus- und Weiterbildung. Sieben Arbeitskreise mit Vertretern aus den jeweiligen Kooperationen wurden dafür gegründet. Bis Ende November sollen ihre Vorschläge vorliegen, Ende Dezember will man diese bewertet und priorisiert haben und dann die definierten Maßnahmen zeitnah gemeinschaftlich umsetzen. Und zwar so schnell wie möglich, betont Staroske: "Nicht reden, sondern machen." Das sei die Devise, die man beherzigen wolle. Der Teufel steckt im Detail Was aber sprach gerade für das Miteinander ILN, Star und VTL? Während Jäschke und Staroske hier insbesondere die menschliche Komponente herausstreichen ("Die Chemie unter uns passte einfach"), nennt Bottenhorn ganz pragmatische Gründe. Im Gegensatz zu größeren Mittelstandskooperationen wie Cargoline, die im Wesentlichen Direktverkehre realisieren, seien der Systemansatz und die Art der Sendungsabwicklung bei VTL, ILN und Star sehr ähnlich, sagt er. Jeder von ihnen verfolge den Ansatz, die Produktionsgebiete für die einzelnen Systempartner relativ klein zu halten, um eine hohe Fahrzeugauslastung zu gewährleisten. Das sei eine wichtige Gemeinsamkeit. Zudem sei die durchschnittliche Betriebsgröße der einzelnen Systempartner in den drei Kooperationen ähnlich, betont der Geschäftsführer von Star. Gleichwohl dürfte auch hier der Teufel, wie so oft, im Detail stecken. Denn noch sind die Produktionsabläufe in den einzelnen Netzen heterogen, wie Branchenkenner wissen. So wickelt VTL bislang 9 Prozent seiner jährlich 1,52 Millionen Sendungen im Direktverkehr ab und zieht 91 Prozent über das Zentralhub in Fulda. Bei ILN werden dagegen die Verkehre über 24 Transshipmentpoints (TSP) gezogen. Und bei Star werden 13 Prozent der Sendungen über das Zentralhub in Homberg gezogen, während 87 Prozent der Sendungen über Direktverkehre an die Empfangsspeditionen gehen. Wie man dies in Zukunft glätten will, um möglichst kostenoptimale Produktionsstrukturen zu schaffen, wisse man noch nicht, hier befänden sich die Arbeitsgruppen in der Diskussion, räumt Jäschke ein. Noch sei es daher verfrüht, über künftige Produktionsabläufe und Prozesse zu sprechen, sagt er. Entscheidend für ihn: "Stückgut funktioniert stets über Bündelung; über das Gesetz der großen Zahlen." Wie man die Mengen in der künftigen operativen Zusammenarbeit der Netze dann bündele, ob über TSP, über Regionalhubs (Rub) oder über ein Hub, sei für ihn zunächst nachrangig. Entscheidend sei nur die Bündelung, betont er, damit die Systempartner eine größere Auswahl haben, wie sie ihre Hauptläufe künftig besser optimal auslasten können. Niedrigere Kosten dank Bündelung Und im internationalen Geschäft sei es letztlich ähnlich, betont der VTL-Geschäftsführer. Hier sei es bislang so, dass Mitgliedsfirmen in den jeweiligen Verbünden fallweise mit langjährigen Partnern arbeiten. Diese müsse man sich nun genau ansehen - in Hinblick auf Qualität, Sendungsmengen und DV-Ausstattung. Denn Ziel sei auch hier die Bündelung der Sendungsmengen von und nach Europa sowie die Verdichtung der Netze und eine erhöhte Abfahrtsdichte in Europa. Dass dies nicht alles ohne Reibungsverluste innerhalb der Systeme vonstattengehen wird, ist den drei Geschäftsführern bewusst. Jäschke wörtlich: "So lange die Produktion und Ertragssituation in den Depots unserer Partner nicht negativ tangiert wird, herrscht eitel Sonnenschein. Kommt es aber zu Veränderungen zum Beispiel in Zuständigkeiten und Postleitzahlen-Gebieten, fangen die Diskussionen an." Richtig sei aber auch, ergänzt Bottenhorn, dass von der Zusammenarbeit langfristig jeder Systempartner profitieren werde: einerseits durch niedrigere Kosten dank besserer Mengenbündelung, andererseits vor allem durch ein Mehr an Netz-Sicherheit und -Stabilität. "Und Kunden haben dadurch die Gewissheit", bringen es Jäschke und Staroske auf den Punkt, "dass sie die individuelle, hochqualitative und flexible Dienstleistung des Mittelstands weiter in Anspruch nehmen können". Im Klartext: "Auftraggeber sind künftig nicht gezwungen, nur mit den Big Boys im Stückgutgeschäft zu arbeiten." "Die Mittelstandskooperationen müssen im Stückgutgeschäft stärker zusammenrücken, um die Netze stabil zu halten." Davon ist auch Jörn Peter Struck, Geschäftsführer der Speditionskooperation Cargoline, überzeugt. Als Grund nennt er: Für viele Speditionen sei das Stückgutgeschäft nicht die Kernkompetenz, sondern das Teil- und Komplettladungs- sowie Lagerlogistikgeschäft. "Viele Betriebe schreiben in der Stückgutverteilung rote Zahlen, weil ihnen dafür die Menge fehlt und die Stoppdichte in der Region häufig gering ist." Massive Verschiebungen im Markt Im Fall ILN, Star und VTL sei eine Kooperation der Kooperationen also genau der richtige Weg, sagt Struck. Derartig vernetzte Kooperationen können durch eine einheitliche IT Synergien heben oder beispielsweise im Nahverkehr die Eingangssendungen mehrerer kleinerer Partner in der Region bündeln und über einen starken Partner abwickeln. Dieser profitiere so von gesunden Sendungsstrukturen und könne damit selbst in der häufig unrentablen Zustellung von Eingangsstückgut Geld verdienen. Zudem könne im Falle des Marktaustritts eines der Partner relativ einfach das Mitglied der anderen Kooperation einspringen - Stichwort Netzsicherheit. Darauf verweist Marktkenner Christian Kille, Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Dass eine solche Konstellation funktionieren kann, zeige das Beispiel der Speditionsverbünde 24plus und Online Systemlogistik, die vergangenen November ihre strategische Allianz beschlossen und dadurch wichtige Vorteile generieren (siehe Kasten Seite 20). "Die Kooperationen werden durchlässiger - es wird immer schwieriger, ein Netz geschlossen zu halten. Aus früheren Mitbewerbern werden Partner", bringt Struck die Entwicklung auf den Punkt. Welche strategischen Allianzen konkret in absehbarer Zukunft anstünden, sagt er nicht. Den Bedarf würden aber alle verspüren. Denn letztlich gehe es für jede Spedition darum, ihre Kostenstrukturen zu optimieren. Gerade im Nahverkehr, insbesondere bei der Zustellung von im Internet bestellten Sendungen an Endempfänger (Stichwort B2C-Geschäft), sieht der Cargoline-Geschäftsführer noch Potenzial für weitere Allianzen. Aber auch im europäischen Stückgutmarkt wird es in den kommenden Jahren in den Speditionsnetzen und -verbünden zu massiven Verschiebungen und Allianzen kommen, schätzt Berater Knut Heymann (siehe Interview): "Der Konzentrationsprozess wird sich in diesem Segment deutlich beschleunigen. Sieben bis acht Speditionsnetze reichen für den europäischen Stückgutmarkt völlig aus", glaubt er. Zum Vergleich: Heute, zeigt eine Studie des Fraunhofer SCS, sind es europaweit an über 3000 Standorten 37 Unternehmen und Kooperationen, davon 13 Anbieter mit Sitz in Deutschland. Veranstaltungs-Tipp Fachkonferenz B2C: Logistikprozesse im Umbruch Immer mehr Endverbraucher bestellen ihre Produkte im Internet und lassen sich diese nach Hause liefern. Das wirkt sich massiv auf Stückgutspeditionen aus. Was sich für diese ändert, wie sie bei Ausschreibungen zum Zug kommen und wie sich Wettbewerber positionieren, zeigt die Konferenz"B2C: Logistikprozesse im Umbruch" der VerkehrsRundschau am 15. September 2015 in Düsseldorf. Infos unter www.verkehrsrundschau.de/events. eh Allianz von 24plus und Online Systemlogistik "Wir haben die Feuertaufe erfolgreich bestanden" Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg - das beweisen die beiden mittelständischen Stückgutverbünde 24plus und Online Systemlogistik. Als Geschäftsführer Peter Baumann von 24plus und Geschäftsführerin Sandra Bugiel von Online Systemlogistik vergangenen November eine strategische Allianz verkündeten, sorgte dies für Aufsehen. Denn zum ersten Mal kam es im deutschen Stückgutmarkt zu einer Kooperation der Kooperationen.Natürlich gab es im Markt auch Bedenken. "Die Produktionssysteme passen nicht zusammen", raunten Branchenkenner seinerzeit. So gehen bei 24plus über 80 Prozent der Sendungen via Direktverkehr und nur 20 Prozent über Hubs an Empfangsspediteure, und bei Online Systemlogistik ist es nahezu umgekehrt. Sprich: Das kann nicht gut gehen.Und es klappt doch, ziehen Peter Baumann und Sandra Bugiel nach sieben Monaten Zusammenarbeit zufrieden Bilanz. Erstes und unmittelbares Ziel der Allianz sei es ja gewesen, die Netze gegenseitig zu schützen, wenn ein Partner kurzfristig herausbricht - ob durch Aufkauf, Insolvenz oder weil er die Nachfolge nicht regeln konnte, sagt Baumann. Dieser "Ernstfall" kam zwar schneller als erwartet, als Anfang Juni bei Online Systemlogistik kurzfristig ein Partner ausschied. "Wir haben diese Feuertaufe erfolgreich bestanden. Unser Notfall-Programm hat funktioniert. Das läuft", freut er sich.In der zweiten Ausbaustufe ihrer Allianz sei es nun vorstellbar, führt Bugiel aus, sukzessive Systempartner im europäischen Ausland aufzuschalten, die beide Kooperationen bedienen. So werde am 15. Juli der 24plus-Partner Lagermax in Tschechien auch an das Online-Systemlogistik-Netz angeschlossen werden. Ganz nach dem Vorbild Belgiens, wo ebenfalls der Online-Partner Jet Logistics für beide Kooperationen tätig ist. Und in der dritten und letzten Ausbaustufe ist es das erklärte Ziel von Bugiel und Baumann, die Prozesse und Regelwerke bei 24plus und Online Systemlogistik zu vereinheitlichen und aufeinander abzustimmen. "Jeder Partner soll letztlich, unabhängig davon, in welchem Netz er arbeitet, mit den gleichen Qualitäts-Standards und Prozessen seine Sendungen abwickeln können", nennt Baumann die langfristige Zielrichtung. Das sei die Hauptarbeit, an der die Gremien und Arbeitskreise beider Speditionsverbünde derzeit arbeiteten. "Viel Fleißarbeit ist das. Oft steckt der Teufel auch im Detail - gerade in der IT", räumt er ein. Bereut haben er und Bugiel ihre Entscheidung aber nicht. Im Gegenteil, gut und richtig sei diese gewesen, betonen sie einmütig. eh

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