Der Pillen-Klick

Was wird aus dem Geschäft mit den Pillen per Mausklick? Diese Frage stellt sich die Pharmabranche seit einigen Monaten - und mit ihr die Logistiker. Der Grund: Vergangenen Oktober hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ausländische Versandapotheken rezeptpflichtige Medikamente mit Rabatt anbieten können. Dadurch würden stationäre deutsche Apotheken benachteiligt, befand Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Er will daher den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ganz verbieten. Doch sein Vorstoß ist umstritten, selbst innerhalb der großen Koalition. Zuletzt berieten CDU und SPD die Sache in einer Spitzenrunde am 30. März - ohne Ergebnis. Derzeit sieht es nicht danach aus, als würde sich vor der Bundestagswahl noch etwas bewegen. Und selbst wenn sein Verbot käme, könnte das der junge Markt vermutlich verkraften. Denn ein Großteil ihres Geschäfts machen Versandapotheken mit Arzneimitteln, die man ohne Rezept bekommt, den sogenannten Overthe-Counter(OTC)-Produkten, etwa Hustenbonbons und Kopfschmerztabletten. Online-Apotheken und ihre Transportdienstleister können also weiter mit steigenden Umsätzen rechnen. Wobei es vor allem die Großen der Branche mit deutschlandweitem Netz sind, die profitieren. DocMorris zum Beispiel arbeitet mit DHL und Hermes zusammen, bei gekühlter Ware mit Trans-o-flex. "Bei Sonderlösungen sind auch örtliche Kuriere im Einsatz - zum Beispiel, wenn etwas besonders dringend benötigt wird", sagt Matthias Stromberg, Vice President Operations bei DocMorris im niederländischen Heerlen. Fokus auf Mehrwert-Services Zu den mittelgroßen KEP-Diensten, die für sich den Pharmamarkt erschlossen haben, gehört GO Express & Logistics. "Für uns sind grundsätzlich alle Arzneimittel interessant", sagt Martina Baerecke, Prokuristin des Unternehmens. GO ist seit Jahrzehnten für Kunden aus dem Gesundheitssektor tätig. Klassische Versandapotheken sind aktuell nur vereinzelt darunter. Das liegt daran, dass die versendeten Arzneien, oft OTC-Produkte, teure Logistiklösungen nicht rechtfertigen. Solche Aufträge gehen daher nicht selten an große Konkurrenten. Bei GO konzentriert man sich auf Services, die die Großen nicht bieten können. "Sie können eine Sendung bei uns mitunter bis 22 Uhr abholen lassen und bekommen sie am nächsten Morgen um acht Uhr zugestellt", so Baerecke. Die gesetzlichen Hürden Daneben hat sich GO auf Logistiklösungen für sensible und teure Arzneimittel wie Zytostatika (Krebsmedikamente) spezialisiert. Baerecke stellt aber klar: "Den reinen Transport zu bieten reicht nicht." Der Expressdienst bestückt auf Wunsch Regale in Kliniken, liefert Produkte bis zur OP-Schleuse oder erbringt technische Zusatzservices. Das kann heißen, den Rollator aus dem Sanitätshaus nicht nur anzuliefern, sondern beim Kunden auch aufzubauen. "Sie müssen sich stets fragen 'Wo können wir Kunden einen Mehrwert liefern?'", sagt Baerecke. Großes Thema für alle Transportdienstleister im Pharmasektor ist die Good Distribution Practice (GDP). Diese Leitlinie wurde 2013 von der EU formuliert, um sicherzustellen, dass Arzneimittel auf dem Transportweg nicht durch unsachgemäße Behandlung Schaden nehmen. Sie enthält einen Strauß von Vorgaben: Wer GDP-konform arbeiten will, muss Hygienevorgaben einhalten, Fahrer und Subunternehmer im Umgang mit Arzneimitteln schulen und vor allem Risikomanagement betreiben. Betriebe werden dazu verpflichtet, Risikoquellen im Vorhinein zu erkennen und möglichst auszuschließen. Sollte es dennoch zu Störfällen kommen, müssen sie dokumentiert und die Ursachen abgestellt werden. "Diese Denkweise war für viele KEP-Dienste zunächst neu", sagt GO-Prokuristin Baerecke. Sie selbst hat die Umsetzung der GDP in ihrem Haus gesteuert. Das Projekt hat über ein Jahr in Anspruch genommen. An dieser Arbeit dürfte wohl kaum ein KEP-Dienst, der im Pharmasektor tätig sein will, vorbeikommen. Denn die Verlader legen großen Wert darauf. "Die Fahrzeuge müssen GDP-konform nach DIN Spec 91323 sein und über eine qualifizierte Temperaturmessung verfügen. Zudem erwarten wir eine elektronische Übermittlung der Messdaten", so beschreibt Marc Muschkeit von Meljo Network Logistics die Anforderungen. Die Hamburger Firma ist deutschlandweit in der Pharmalogistik tätig und arbeitet mit Dienstleistern unterschiedlicher Größe zusammen, bis hin zum Kleinunternehmer mit fünf bis zehn Fahrzeugen. Zertifikate spielen bei der Auswahl der Dienstleister eine Rolle, doch angesichts der unübersichtlichen Vielfalt auf dem Markt ist ihre Aussagekraft begrenzt. "Im Zweifel machen wir eine Eigenvalidierung", so Muschkeit. Ähnlich geht DocMorris vor. "Wir testen die Qualität und schicken auch regelmäßig verdeckte Testpakete los", so Manager Stromberg. Um die Orientierung etwas zu erleichtern, bietet der Branchenverband BdKEP übrigens zusammen mit dem Anbieter DQS seit letztem Jahr ein eigenes Zertifikat für KEP-Dienste, die im Pharmasektor aktiv werden wollen. Ein strittiger Punkt in der Pharmalogistik bleibt die Temperaturführung. Üblicherweise unterscheidet man hier drei Korridore: Tiefkühlung, dann Kühlung zwischen zwei und acht Grad sowie den sogenannten Ambientbereich, also Raumtemperatur zwischen 15 und 25 Grad. Viele Pharmahersteller bevorzugen inzwischen aktiv temperierte Transporte für alle Sendungen. Dafür müssen die Dienstleister viel investieren, da nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Umschlagplätze auf konstanter Temperatur gehalten werden müssen. Trans-o-flex kündigte schon an, weiter in sein Ambient-Netz zu investieren. Nicht alle KEP-Dienste folgen aber diesem Beispiel. "Die GDP fordert, dass die Lager- und damit die Transporttemperatur den Arzneimittelangaben entsprechen muss", so Baerecke. Aus ihrer Sicht wäre gegebenenfalls auch ein Korridor von zwei bis 25 Grad Celsius möglich. Automatisch thermisch abgesichert GO befördert Arzneimittel derzeit in passiv gekühlten Versandgebinden. Da die Transportzeiten extrem kurz sind, funktioniert diese Methode problemlos. Konzeptionell hat sich GO schon mit der aktiven Temperaturführung befasst. Baerecke wendet indes ein: "Die Erfahrung zeigt, dass die individuelle Abstimmung zwischen Hersteller und Logistikdienstleister oft zu stabileren Prozessen führt als vielleicht eine pauschale aktive Temperaturführung." Marc Muschkeit von Meljo sieht das ähnlich: "Entscheidend ist, dass die Kundenanforderung eingehalten wird." Wie das in der Praxis geht, zeigt DocMorris. Um Ware auch ohne aktive Kühlung stets im richtigen Temperaturkorridor zu halten, hat der Marktführer eine Inhouse-Lösung entwickelt: Eine spezielle Software behält die Wettervorhersage sowie die Adresse des Bestellers im Blick. Deutet sich an, dass die Ware auf der Strecke im unklimatisierten Fahrzeug zu heiß werden könnte, wird das Paket mit Kühlelementen thermisch abgesichert. "Das ist aber nur an einer überschaubaren Zahl an Tagen im Jahr nötig", so Logistiker Stromberg. Wie entwickelt sich das Pharmageschäft für KEP-Dienste weiter? Marktkenner zeichnen ein positives Bild. Es wird allgemein mit steigenden Transportmengen gerechnet, vor allem auf der letzten Meile, also etwa von der Apotheke zum Kunden. Gebremst wird das Wachstum derzeit nur von den komplizierten Abläufen. Meldet ein Dienstleister zum Beispiel, dass die Temperatur im Fahrzeug längere Zeit über 25 Grad gelegen hat, muss dies dem Arzneimittel-Hersteller mitgeteilt werden. Der wiederum ist verpflichtet zu bewerten, ob dadurch ein Schaden entstanden ist. Der Aufwand verursacht hohe Kosten. "Wirtschaftlich wird das Geschäft erst, wenn es einen vollelektronischen Prozess gibt", meint Muschkeit von Meljo. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Experten-Tipp Was Pharmafirmen von KEP-Dienstleistern erwarten - Fahrzeuge, die konform mit der Leitlinie DIN Spec 91323 sind- elektronische Übertragung der gemessenen Temperaturdaten- regelmäßige Schulungen von Fahrern (auch bei Subunternehmern)- ein Zertifikat, das die GDP-Konformität des Betriebs bescheinigt (Hinweis: Dabei ist nicht zwingend ein neues Zertifikat nötig, die GDP-Konformität kann auch im Rahmen einer ISO-Zertifizierung nachgewiesen werden)- Arbeit nach standardisierten Vorgaben (Standard Operating Procedures, SOP)- Einhaltung der Vorschriften zu Hygiene (Beispiel: Reinigungspläne) und Sicherheit (Beispiel: Fahrzeug immer abschließen)- ein betriebliches Risikomanagement cg