Der Modemarkt sortiert sich neu

So sieht wohl ein Traumstart aus: Rund vier Wochen nach seiner Gründung konnte das neue Unternehmen BLG Sports & Fashion Logistics bereits den ersten neuen Großkunden präsentieren. Seit 1. August wickelt die Deutsche Bahn (DB) den Verkauf und Versand von Berufskleidungen für ihre rund 40.000 Mitarbeiter über den Newcomer ab. "Wir organisieren den gesamten E-Commerce", sagt Thomas Krüger, Geschäftsführer des im Juli von BLG Handelslogistik und Motex gegründeten Gemeinschaftsunternehmens (siehe Kasten Seite 26). Die Fashion-Logistiker übernehmen nicht nur Lagerung, Kommissionierung und Versand der bestellten Kleidung. Sie betreiben den gesamten Online-Shop inklusive Call Center und Rechnungsstelle, führen die Mitarbeiterkonten, übernehmen Vorfinanzierungen sowie Qualitätskontrollen und wickeln Retouren ab. Onlinehändler machen Druck Mit solchen Full-Service-Angeboten will das neue Gemeinschaftsunternehmen von BLG und Motex den nationalen und internationalen Fashion-Logistikmarkt aufmischen. Beide Gesellschafter sind gut aufgestellt. Die von der Handelskette Adler gegründete Motex hat sich vor allem als Spezialist für hängende Ware einen Namen gemacht und zahlreiche Zusatzleistungen für die Bearbeitung und Aufbereitung von Textilien für den stationären Einzelhandel entwickelt. BLG Handelslogistik verfügt dank Kunden wie Tchibo über Erfahrung in der Logistik von Online-Shops und hat zudem in vielversprechenden Marktnischen Fuß gefasst. So betreut die Frankfurter Niederlassung seit Jahren den Arbeitskleidungsspezialisten Engelbert Strauss. Zudem hat das Unternehmen logistische Lösungen für Accessoires wie Brillen entwickelt. Mit internationalen Konkurrenten wie Logwin und DHL kann der Newcomer also vom Start weg auf Augenhöhe mitspielen. Der gezielte Zukauf der BLG wird den Fashionlogistik-Markt also kräftig durcheinander wirbeln, der seit Jahren massiv in Bewegung ist. Immer kürzere Saisonzyklen und immer häufigere Kollektionswechsel stellen die Marktteilnehmer vor Herausforderungen und damit auch deren Logistikdienstleister. Logistische Mehrwertdienste wie das Anbringen von Labels, Sicherungsetiketten und Preisschildern sind längst selbstverständlich geworden, zunehmend werden auch Bügeln und Nähen gewünscht. Zunehmend gefordert sind zudem Lösungen, die die Retouren möglichst schnell in den Markt zurückbringen. Vor allem die Online-Händler machen hier Druck, weil sie mit Rückläuferquoten von über 50 Prozent zu kämpfen haben. Zudem wünschen sie sich möglichst späte Cut-Off-Zeiten - bis mindestens 20 Uhr. Denn viele Endkunden bestellen erst nach Feierabend im Internet, wollen aber ihre Produkte möglichst schon am Folgetag haben. Auch der stationäre Handel schraubt seine Anforderungen hoch. "Manche Kunden wünschen für Filialen in hochfrequentierten Stadtgebieten mittlerweile Nachschublieferungen auf Same-Day-Basis", erzählt Dirk Evers, Geschäftsführer von Logwin. Andere wollen fertig verpackte Einzelwaren, die für Online-Kunden verschickt werden. DHL registriert zudem eine verstärkte Nachfrage nach Cross-Docking-Lösungen. "Viele stationäre Händler lassen die Ware verkaufsfertig in die Läden liefern", sagt ein Sprecher. Widersprüchliche Signale Solche und andere Anforderungen will auch die neue BLG-Motex-Gemeinschaftsfirma problemlos stemmen. Doch die Rechnung des Newcomers geht wohl nur auf, wenn weitere Hersteller und Händler ihre Logistik auslagern. Und genau hier registrieren Experten widersprüchliche Signale. "Wir können die Entwicklungen im Markt nicht über einen Kamm scheren", sagt Lothar Hättich. Geschäftsführer von Pierau Planung in Hamburg. Während einige Hersteller und Händler weiterhin Outsourcing planen, gehen andere genau den umgekehrten Weg und holen ihre vor wenigen Jahren ausgelagerten Dienstleistungen in ihren Betrieb zurück. Am meisten Aufsehen erregten in den vergangenen Jahren Adidas und Zalando. Der Sportartikelhersteller betreibt sein neues Logistikzentrum mit 55.000 Quadratmetern in Osnabrück in Eigenregie. Und auch der Online-Riese setzt in seinem in 2014 eröffneten Logistikzentrum in Erfurt auf Eigenregie. Beide Standorte ersetzen kleinere Zentren, die bislang von externen Logistikdienstleistern betrieben wurden. So zog Adidas 2014 aus der BLG-Niederlassung Emmerich aus, während Zalando im gleichen Jahr den von Docdata betriebenen Standort in Großbeeren aufgab. Der Online-Händler hat dank dieser Entscheidung mit Erfurt nach eigenen Angaben die Lagerhaltungskosten um rund 30 Prozent gesenkt. Hersteller Adidas, der im Moment vor allem mit Sport Fashion wachsen will, darf sich möglicherweise über noch größere Einsparungen freuen. Da er von Osnabrück aus nicht nur Online-Kunden, sondern Einzel- und Großhändler beliefert, kann er dank dieser Cross-Channel-Logistik zusätzliche Synergiepotenziale realisieren. Und genau bei diesem Thema sieht Lothar Hättich, Geschäftsführer der Pierau Unternehmensberatung, die vielleicht größte Herausforderung für die Fashion- und Textillogistik. "Viele Unternehmen werden prüfen, ob sie ihre Multi-Channel- Logistik, die drei oder vier Vertriebswege unterstützt, zur Cross-Channel-Logistik verzahnen können", sagt der Marktkenner. Vor allem große Markenartikler würden derzeit solche Konzepte durchrechnen, weiß er. Viele haben in ausgesuchten Cityund Einkaufslagen eigene Stores gegründet und für diese eine besondere Lieferlogistik entwickelt. Wenn sie auch für die übrigen Vertriebswege eigene Logistikstandorte führen und auch noch unterschiedliche Dienstleister engagiert haben, rechnen sich Cross-Channel-Lösungen mit nur einem Standort erst recht. Hier wäre dann ein Dienstleister für alle Vertriebswege verantwortlich. Und wer diese Abhängigkeit nicht wünscht, muss sich fast zwangsläufig für ein Insourcing entscheiden. Genau dies hat jetzt Gerry Weber getan. "Wir können mit Insourcing am meisten Einfluss auf unsere Prozesse nehmen", sagt Jürgen Dietsch, Projektchef des Marktriesen. Ab Dezember 2015 wird im westfälischen Halle ein neues weitgehend automatisiertes Logistikzentrum mit 76.000 Quadratmetern Nutzfläche fünf bisherige Standorte ersetzen. Das Nachsehen haben Meyer & Meyer sowie zwei weitere Dienstleister, die vier der fünf Lager bewirtschaften. Sie werden in Zukunft als Transportdienstleister für Gerry Weber tätig sein. Ansonsten begründet der Markenhersteller seine Maßnahmen mit Argumenten, wie sie viele Online-Firmen vorbringen. Da sie mit ihrem Qualitäts-, Liefer- und Retourenmanagement im ständigen Kontakt mit dem Endkunden stehen, müssen sie auf ihre Logistik jederzeit zugreifen können, heißt es dort. "Die Logistik für Fashion-Artikel steht vor ähnlichen Herausforderungen wie die Logistik für Frischeprodukte", sagt Dietsch. "Beide müssen auf neue Anforderungen des Markts schnell und flexibel reagieren." Bleibt die Frage, ob die Verlader jede Logistikdienstleistung stemmen können. Vor allem in der ungeliebten Retourenlogistik sind wohl externe Lösungen weiter gefragt, die zurückgeschickte Artikel möglichst schnell für den neuerlichen Verkauf aufbereiten. Der Fulfillment-Dienstleister Docdata hat seinen 2013 gegründeten Retouren-Hub im westpolnischen Swiebodzin nun auf 5000 Quadratmeter erweitert. 200 Mitarbeiter können laut Unternehmensangaben im Drei-Schicht-Betrieb monatlich über eine Million Artikel prüfen, reinigen, reparieren und zurückschicken. "Wir sehen in Schwergewichten wie Zalando unsere wichtigste Zielgruppe", sagt ein Firmensprecher. Auch die neue BLG-Tochter arbeitet an standardisierten Lösungen, die Retouren möglichst vor Neuwaren in den Markt zurückbringen. "Ein solcher Schritt muss in ein logistisches Gesamtkonzept integriert werden", sagt BLG-Logistiker Krüger. Genau hier wittert das neue Gemeinschaftsunternehmen seine Chance im Markt. Denn auch Verlader, die an ihrem Outsourcing festhalten oder Services neu auslagern wollen, schrauben ihre Anforderungen hoch. So wünschen sie Lösungen für Verbraucher, die online bestellen und im stationären Handel abholen (Click & Collect). Wenn möglich soll die Ware noch am gleichen Tag eintreffen. "Die Verlader benötigen dafür moderne IT-Lösungen, die in Echtzeit eine Übersicht über alle Bestände und Kundentransaktionen ermöglichen", sagt Hättich. Regelmäßig müssen sie erleben, dass Endkunden Artikel ordern, die nicht mehr im Lager, aber in einzelnen Shops vorrätig sind. Als erster Dienstleister hat hier Logwin reagiert. Das weltweite IT-System "Lots" enthält nun ein Tool, das Warensendungen zwischen den einzelnen Shops ermöglicht. "Der Kunde kann jederzeit auf Knopfdruck den aktuellen Order- und Sendungsstatus abrufen", verspricht Geschäftsführer Ewers. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Kontraktlogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Veranstaltungs-Tipp Fachkonferenz B2C: Logistikprozesse im Umbruch Immer mehr Endverbraucher bestellen ihre Produkte im Internet und lassen sich diese nach Hause liefern - Stichwort Privatkundenlogistik (B2C). Das wirkt sich massiv auf Speditions- und Logistikdienstleister aus. Welche Trends und Neuheiten sich abzeichnen, zeigt die Konferenz"B2C-Logistikprozesse im Umbruch" der VerkehrsRundschau am 15. September in Düsseldorf. Weitere Informationen online unter www.verkehrsrundschau.de/events. eh

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