"Der Kampf ist eröffnet"

Einen Container von Hongkong nach Hamburg zu buchen ist bald so einfach wie eine Zugfahrt innerhalb Deutschlands. So könnte man, sehr vereinfacht formuliert, das Versprechen der neuen Internetplattform "FreightHub" zusammenfassen. Wie eine Spedition - nur eben digital Ein Verlader braucht in dieser Plattform nurmehr Start- und Zielort einzugeben und wenige Sekunden später erhält er etliche Angebote namhafter Reedereien wie zum Beispiel Maersk oder Hamburg Süd auf den Bildschirm. Dann muss er nur noch eins anklicken und der Container ist so gut wie unterwegs - ohne zusätzliche Telefonate und Faxe. Sogar der Nachlauf wird von der neuen Plattform auf Wunsch ebenfalls organisiert. Dass alles so schnell und bequem geht, erreicht FreightHub durch maximale Digitalisierung. "Heute sind 80 Prozent der Abläufe in einer Spedition noch manuell und 20 Prozent automatisiert. Das wollen wir umdrehen", sagt Ferry Heilemann, Gründer des Unternehmens mit Sitz in Berlin (siehe Kasten Seite 22). Der 30-Jährige gehört zusammen mit seinem Bruder Fabian zu den Superstars der deutschen Internetwirtschaft. Ihr letztes Unternehmen "Daily Deal" hatten die Heilemanns vor einigen Jahren für 114 Millionen Dollar an Google verkauft, dann wieder zurück gekauft und letztlich an die Mensch-Danke GmbH verkauft. Nun nehmen sie den Logistikmarkt ins Visier. "Wir sind eine Spedition - nur eben komplett digital", erklärt Heilemann. Mit dieser Vision sind die Berliner Brüder nicht alleine. Ein weiteres Internet-Schwergewicht hat die Logistik entdeckt: Rocket Internet, die Start-up-Schmiede der Samwer-Brüder, bekannt durch ihre Beteiligung am Versender Zalando. Der Konzern hat mit InstaFreight im August auch eine Online-Spedition gestartet. Versender können hier Transporte (Voll-/Teilladungen sowie Stückgut) mit ein paar Klicks buchen, das Ganze sei "so einfach wie Online-Shopping", verspricht die junge Firma auf ihrer Webseite. Entscheidender Unterschied des Angebots zu einer klassischen Frachtenbörse: Der Verlader schließt einen Vertrag mit InstaFreight ab und das heißt, die Online-Spedition garantiert die Durchführung des Transports. Derzeit befindet sich die Neugründung in der Testphase: Die Website läuft schon und das Unternehmen führt bereits Transporte durch. Weitere Auskünfte werde man in einigen Wochen zum offiziellen Start erteilen, sagte die Geschäftsführung auf Anfrage der VerkehrsRundschau. Preis-Vorschlag per Algorithmus Auf die Idee mit der Online-Spedition ist Rocket Internet nicht als Erster gekommen. Die ebenfalls in Berlin ansässige Firma Überland verfolgt das Konzept bereits seit Anfang des Jahres. Auf der Plattform lassen sich mit ein paar Klicks Transportaufträge einstellen und anders als klassische Frachtenbörsen spricht Überland dann aktiv die registrierten Transportunternehmer an. "Grundvoraussetzung ist nur ein Android-Smartphone", erklärt Geschäftsführer Stefan Dörfelt. Um den Rest kümmert sich seine Online-Spedition: Sie schlägt per Algorithmus einen Preis vor und rechnet ihn mit dem Auftraggeber ab. Darüber hinaus bietet sie digitale Zusatzdienste an, zum Beispiel zur Sendungsverfolgung. Wenn sich der Lkw des Dienstleisters seinem Ziel nähert, erhält der Kunde ein Avis (die Überland-App erfasst die Position des Fahrzeugs). Vieles am Geschäftsmodell von Überland klingt nach dem Taxidienst Uber, aber anders als der will die Online-Spedition nicht nur ein Markt für schnelle Einmaltransporte sein. "Bei uns überwiegen regelmäßige Aufträge", so Dörfelt. So einfach wie ein Online-Date Wir bringen euch schnell neue Aufträge - mit diesem Versprechen umgarnen die jungen Wilden die Frachtführer. Ein Brancheninsider zieht sogar den Vergleich mit der Kennenlern-Plattform "Tinder": Hier können die Nutzer mit einem Wischen übers Display einen kontaktbereiten Single annehmen oder ablehnen. Genauso einfach soll der Transportunternehmer bald zur nächsten Ladung kommen. Zudem versprechen die Online-Speditionen, sich um den Papierkram und die Abrechnung zu kümmern, sodass der Dienstleister nach spätestens 72 Stunden das Geld auf dem Konto hat. Obendrein kostet die Registrierung auf den Plattformen nichts. Die Botschaft lautet: "Ihr müsst nur noch fahren". Aber wollen das die Transportdienstleister überhaupt? Wo bleibt das unternehmerische Moment, wenn der Auftrag per App kommt und der Preis von einer Maschine festgelegt wird? Stefan Dörfelt kann diese Bedenken verstehen, wendet aber ein: "Drei von vier Unternehmen in der Branche haben weniger als zehn Mitarbeiter. Hier ist Fahren die Kernkompetenz." Wer größer sei und selbst Kunden akquirieren könne, für den sei Überland vielleicht nicht das Richtige. Marktkenner sehen das ähnlich. "Die unternehmerische Freiheit von selbstfahrenden oder kleinen Transportunternehmen ist auch ohne die Plattformen recht eingeschränkt, da sie häufig im Festcharter von größeren Speditionen eingesetzt sind", sagt Konstantin Schüßler, Geschäftsführer der Wilhelm Schüssler Spedition aus Heppenheim. Neue Plattformen als Chance Die meisten Experten räumen den Neugründungen gute Erfolgsaussichten ein. "Es wird Bereiche der Logistik geben, die sich so abbilden lassen", sagt Christian Becker, von der Unternehmensberatung Miebach Consulting, Frankfurt. Er sieht in den neuen Plattformen eine Chance für alle Marktteilnehmer: Kleine Transportdienstleister bekommen die Möglichkeit, zusätzliche Aufträge zu generieren und ihren Fuhrpark besser auszulasten. Klassische Speditionen können die Plattformen nutzen, um bei Auftragsspitzen an zusätzliche Fahrer-Kapazitäten zu kommen. "Das ermöglicht in Zukunft neue Geschäfte, die man ohne die Plattform nicht machen könnte", urteilt Becker. Dass die neuen Netz-Speditionen überall für Begeisterung sorgen werden, erwartet er allerdings nicht. Becker hat den Start einer Auftragsplattform in der KEP-Branche begleitet und kennt die Widerstände. "Bei so etwas zeigt die jüngere Generation immer ein größeres Interesse." Die Älteren dagegen hätten zum Beispiel weniger Lust, sich den strengen Prozeduren und Kontrollen zu unterwerfen, die bei der reinen Geschäftsabwicklung via Internet üblich sind. Wer gewinnt, wer verliert Allerdings treten die Speditionen 2.0 gegen mächtige Gegner an. Beim Branchenriesen Kühne + Nagel zum Beispiel können die Kunden ebenfalls per Internet buchen (über das Portal FreightNet) und DB Schenker hat unlängst den Start seines eigenen Auftragsportals mit dem Namen Drive4Schenker angekündigt. Wer wird das Geschäft machen - Start-ups oder Etablierte? Beide Seiten haben ihre Stärken und Schwächen: Die Newcomer gehen Logistik unvoreingenommen an und wissen, wie man die Dinge schnell und komfortabel via Internet regelt. Andererseits kommen sie häufig aus dem Konsumentengeschäft, das mit dem B2B-Umfeld in der Logistik nicht zu vergleichen ist. Der Vorteil der Etablierten liegt darin, dass sie schon große Auftragsvolumina mitbringen; dafür tun sie sich schwer damit, "coole" Webseiten zu bauen. Wer am Schluss letztlich die Nase vorne haben wird, mögen nicht einmal Marktkenner prognostizieren. "Sicher ist nur, dass der Kampf eröffnet ist und es einen starken Konzentrationsprozess geben wird", fasst Miebach-Berater Becker zusammen. Wer wird davon profitieren, wenn die Vermittlung von Transporten wirklich bald ins Netz wandert? Zum einen die Verlader, die leichter buchen können und durch die höhere Transparenz vermutlich geringere Raten zahlen. Zum anderen kleine Transportbetriebe, die sich bisher mit der Kundenakquise schwergetan haben. Und wer verliert? "Große Speditionsunternehmen ohne eigenen nennenswerten Fuhrpark", meint Spediteur Schüßler. Sein Argument: Diese Betriebe profitierten im Moment noch davon, dass der Markt der Frachtführer so stark fragmentiert und intransparent sei. Internetplattformen dagegen würden Transparenz schaffen und reine Mittler zunehmend überflüssig machen. Den Teufel im Detail bändigen Dass eine Online-Spedition in Zukunft ähnlich große Marktanteile erobern wird wie Uber auf dem Taximarkt (in den USA rund 50 Prozent), scheint jedoch unwahrscheinlich. Dafür ist das Transportgeschäft einfach zu komplex, wie jeder Spediteur aus seinem Alltag weiß: Da geht es um Abholzeiten, Ladehöhen, Gabelstapler und viele Kleinigkeiten, die sich eben nicht (immer) über Internetformulare abwickeln lassen. Deshalb lautet die Kernfrage: Werden die jungen Wilden in der Lage sein, den Teufel im Detail zähmen? Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Trends www.verkehrsrundschau.de/dossiers Kommentar Eva Hassa, Redakteurin VerkehrsRundschau Klassische Mittler unter Druck Die Start-up-Szene hat die Transport- und Logistikbranche als Spielfeld für sich entdeckt. Fast täglich gründen sich derzeit neue Internetplattformen, die Versender und Transporteure zusammenbringen wollen. Und wegen des billigen Geldes sind Investoren bereit, in solche Lösungen zu investieren. Speditionen, als klassische Mittler des Transports, setzt dieser Trend unter Druck. Höchste Zeit also, dass sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen und sich hier von Start-ups nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Für Transportbetriebe birgt der Trend dagegen durchaus Mehr-Volumen. Andererseits wird das Transportgeschäft wohl noch anonymer und preisintensiver.Kontakt: eva.hassa@springer.com

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