Der Kampf gegen die Wartezeiten

Staus verursachen Ärger. Nichts geht voran. Dazu die Ungewissheit, wie lange es noch dauert, und nicht zuletzt gilt: (Warte-)Zeit ist Geld. Gerade in der Logistik. Da ist es egal, ob es einen Stau auf der Straße oder an der Rampe gibt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Spediteure und Transportbetriebe kennen das Probleme seit Jahren. Viele Verlader hingegen haben dem Ärgernis nur bedingt Beachtung geschenkt. Vor allem, wenn sie nicht der Auftraggeber des Transports waren. Doch zeichnet sich ein Wandel ab. Immer mehr Unternehmen aus Industrie und Handel registrieren, dass solche Wartezeiten Ineffizienzen verursachen, für die am Ende auch sie zur Kasse gebeten werden. Auch im Stahlwerk im Duisburger Norden von ThyssenKrupp Steel Europe (TKSE) gibt es immer wieder Wartezeiten. Mit einer Fläche von fast zehn Quadratkilometern und einer jährlichen Produktion von 12 Millionen Tonnen Stahl ist dieser Standort das größte Werk von TKSE. Tore sechs und sieben sind die Haupttore für den Lkw-Verkehr. Darüber laufen Lkw-Transporte von Stahl oder Schrott, Fahrten für die Nebenprodukte wie Kalk, Sand und Schlacke und Verkehre der auf dem Gelände angesiedelten Partnerunternehmen. Aber auch viele Mitarbeiter nutzen diese Tore. Da gibt es schon mal Tage, an denen sich der Stau erst nach mehr als drei Stunden auflöst. Ursprünglich war für die Organisation am Eingangstor der Werkschutz verantwortlich. Doch die Logistiker bei TKSE konnten mit ihren Argumenten überzeugen, dass es nicht nur um Themen der Sicherheit ging, sondern auch um Logistikprozesse. Logistik gewinnt Einfluss Daher hat das Team um Projektleiter Bert Kloppert und Koordinator André Alberti vor vier Jahren die Verantwortung für den Umbau der Tore bekommen - in Abstimmung mit dem Werkschutz und anderen an so einem Großprojekt Beteiligten im Werk. "Wir von der Stahllogistik hatten uns bis dahin um den Frachteinkauf gekümmert, um die Ladestellen, aber nicht um die Prozesse im Vorfeld. Das ist jetzt anders", sagt Kloppert. Eine Änderung, die für Spediteure Hoffnung schafft. Denn damit besteht die Aussicht, dass An- und Abfahrt künftig zeitsparender erfolgen. Zumal die Planungen bei TKSE vorsehen, dass die Veränderungen weit über die reine Torabwicklung hinausgehen. Ausgangspunkt waren zunächst mal die Prozesse am Tor. Die Logistiker machten eine Bestandsaufnahme: Eine Verkehrszählung im November 2014 ergab, dass in einer Woche 14.000 Lkw die beiden Tore passierten. Tendenz steigend. Hinzu kamen nochmals an den beiden Toren jeweils 38.000 Pkw und Zweiräder pro Woche und knapp 2000 Kleintransporter an Tor sechs und 1300 Kleintransporter an Tor sieben. Lkw-Fahrer am Werktor müssen nachweisen, dass sie einen Transportauftrag abzuwickeln haben. Für die Stahllogistik, also vor allem für den Transport von Coils, gibt es standardisierte Abfertigungsdokumente. Für alle anderen Lkw-Transporte, und die beziffert Kloppert auf etwa 50 Prozent, gelten andere Verfahren. Der Abgleich erfolgt häufig mit Lieferpapieren, für die es Mehrfachdurchschläge gibt. In der Vergangenheit gab es 68 verschiedene Abfertigungsprozesse. "Künftig streben wir nur noch fünf an. Das fördert die Transparenz und erleichtert die Arbeit für den Werkschutz, für unsere Mitarbeiter, die Spediteure und die Fahrer enorm", nennt Kloppert ein Ziel, das mit dem neuen Torkonzept verbunden ist. Im Rahmen der Neustrukturierung ist das Tor sechs neu konzipiert worden. Pförtnergebäude und Schranken an der Zufahrt wurden abgerissen und befinden sich künftig weiter im Werksgelände und damit hinter den Abstellplätzen für die Lkw. Somit wurden abgestellte Lkw, die die Zufahrt blockieren, als wesentliche Stauursache beseitigt. Dann gibt es künftig fünf statt bislang nur zwei Waagen, die im Selbstabfertigungsbereich integriert sind. "Hier besteht zudem die Möglichkeit, die Kapazitäten zu erhöhen, weil wir über zwei Spuren mit wechselnder Richtung verfügen", sagt Alberti. Auch bei Tor sieben gibt es zwei neue Waagen und Terminals. Hinzu kommt ein neuer Autohof an der Hubertusstraße, von beiden Toren weniger als einen Kilometer entfernt. Der Autohof bietet Platz für 34 Lkw. "Zum einen wollen wir vermeiden, dass Lkw-Fahrer auf dem Werksgelände übernachten", sagt Kloppert. Das sei immer wieder mal vorgekommen. "Wir haben bei unseren Verkehrszählungen festgestellt, dass pro Tag immerhin mehr als 80 Lkw länger als acht Stunden im Werk waren", ergänzt Alberti. Zum anderen ist dieser Parkplatz für Lkw gedacht, die deutlich vor ihrem Zeitfenster oder am Vorabend am Werk ankommen, oder für Fahrer, die ihre gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit einlegen wollen. "Es gibt im Umkreis von zehn Kilometer keinen Autohof. Deshalb parken einige Lkw sogar auf den Standstreifen der Autobahnen", sagt Kloppert. Auf dem Autohof wird es verschiedene Angebote für die Fahrer geben: sanitäre Anlagen, Duschen, einen Kiosk und WLAN. Zudem werden Terminals errichtet, über die sich die Fahrer in der Leitzentrale anmelden können. So ist eine schnellere Abwicklung am Tor möglich. Die Veränderungen bei TKSE gehen also weit über die Maßnahmen bei den Toren hinaus. Sie betreffen die Logistikprozesse. So muss künftig jeder Fahrer, der auf das Werksgelände will, einmal im Jahr eine Sicherheitsgrundunterweisung durchlaufen. Darin wird dem Fahrer unter anderem erklärt, wie er sich in einem Notfall auf dem Werksgelände zu verhalten hat, welche besonderen Verkehrsregeln dort gelten und welche persönliche Schutzausrüstung er benötigt. "Dazu wird es im Abfertigungszentrum fünf Terminals geben, an denen man diese Unterweisung machen kann", sagt Kloppert. Die Fahrer können die Unterweisung aber auch zu Hause oder in der Spedition am Computer machen. Ab Oktober wird die Unterweisung zur Pflicht. Es kommen weitere Veränderungen auf die Spediteure und Fahrer zu. So wird es einen neuen Torkontrollschein geben, der die Prozesse vereinfachen soll. Darauf ist ein QR-Code vermerkt, mit dem es dann keine Zweifel mehr geben soll, ob jemand eine Zugangsberechtigung hat oder nicht. Der Auf dem Schein befindet sich auch eine Transportnummer. Außerdem kann der Spediteur vorab über ein Logistik-Web-Portal seinen Transport anmelden, die Transportdaten um den Fahrernamen und das Kennzeichen ergänzen und so einen Torkontrollschein erzeugen. Diese Daten kann er dem Fahrer entweder auf Papier oder per Smartphone beziehungsweise Tablet mitgeben. Der Vorteil: Die erforderlichen Informationen liegen alle frühzeitig vor, es gibt keinerlei Missverständnisse und der Einlass- und Kontrollprozess geht schneller. "Dieser Torkontrollschein soll wie ein Laufzettel funktionieren. Damit wollen wir den physischen Transport mit dem IT-System verknüpfen", sagt Alberti. Das bedeutet, dass der Schein auch bei der Be- oder Entladung im Werk sowie bei der Ausfahrt vorgelegt wird. So ist nachvollziehbar, ob alles ordnungsgemäß abgewickelt wurde. Bei der Ausfahrt übernimmt der Fahrer die Verwiegung wieder selbst und bekommt seine Lieferpapiere am Terminaldrucker ausgedruckt. Ausnahme: Die Ware ist für den Export bestimmt. Ein solches System aufzubauen, "ist IT-technisch nicht einfach gewesen", sagt Kloppert. So arbeitet allein TKSE mit 600 Speditionen zusammen, die auf dieses Verfahren vorbereitet werden mussten. Dazu wird es im Herbst auch noch entsprechende Informationsveranstaltung für die Unternehmen geben. Zudem sollen den Fahrern verschiedene Services an die Hand gegeben werden, um die Prozesse schneller abzuwickeln. Dazu gehört eine Fahrer-App, die es im November geben soll. Der Fahrer sei damit nicht nur in der Lage, selbst seinen Torkontrollschein zu erzeugen, wenn er die Daten von seinem Unternehmen zur Verfügung gestellt bekommt. "Er kann in der App auch eingeben, wo und dass er jetzt losfährt. Damit können wir seine Route berechnen und abschätzen, wann er hier ankommt und ob er sein Zeitfenster erreicht", sagt Alberti. "Wenn das eingespielt ist und zuverlässig läuft, können auch die Vorbereitungen zur Verladung schon früher gestartet werden", nennt Kloppert einen weiteren Vorteil, der die Prozesse beschleunigen soll. Neues Navigationssystem im Werk Diese Daten werden dann in ein Verkehrsleitsystem integriert. Auch für das Werk selber wird es ein neues Navigationssystem für die Fahrer geben. Damit soll zum einen vermieden werden, dass sich die Fahrer verfahren, was in dem riesigen Werksgelände immer wieder passiert. Zum anderen lässt sich mit der App und einem GPS-System ermitteln, wo sich die Fahrzeuge befinden. TSKE erhofft sich somit einen besseren Überblick über die ankommenden, vor dem Werk wartenden und im Werk befindlichen Lkw. Vor allem für die Transporte zwischen den Werken sei das ein Vorteil. Denn auch in den anderen Werken von TKSE sollen diese Maßnahmen umgesetzt werden. Die Zwischenwerksverkehre spielen eine beachtliche Rolle, weil es beispielsweise in Duisburg Schwelgern einen werkeigenen Binnenhafen gibt, in dem Coils verladen werden. Eine Sonderregelung ist für Express- und Paketdienste geplant. Derzeit gibt es Überlegungen, diese Transporte komplett über ein altes Tor zu leiten und in dessen Nähe ein kleines Magazin zu errichten, wo die Sendungen abgeholt werden können. "Die Fahrer der Paketdienste wechseln häufig und stehen unter Zeitdruck. Da ist bereits eine Sicherheitsunterweisung sehr aufwendig", zeigt Kloppert Verständnis für die Dienstleister. In Summe ein sehr hoher Aufwand, den TKSE betreibt. Zahlreiche Mitarbeiter sind an der Umsetzung beteiligt, dazu kommen Baumaßnahmen, neue IT-Strukturen, eine neue App, die Entwicklung und Installation des Torleitsystems: Das alles kostet Geld. Wenn Kloppert bei den Investitionen von "mehreren Millionen Euro" spricht, ist das eine nachvollziehbare Angabe, wenn auch keine sehr genaue. Aber mehr will er dazu nicht sagen, wie auch nicht zu den erhofften Einsparungen. "Aber klar ist: Wir machen das hier nicht zum Selbstzweck", sagt der Logistikexperte. Ein wichtiger Grund sei das Thema Sicherheit. Da habe es in der Vergangenheit einige Lücken gegeben, die wollte und musste man schließen. "Ein zweiter Punkt ist die Eigentumssicherung", erwähnt Kloppert ein bislang ausgeklammertes Thema. Immer wieder würden beispielsweise Werkzeuge, Ersatzteile oder Kupfer geklaut. "Und der dritte Punkt ist die Prozesssicherheit. Bislang haben die Abläufe nicht dem Niveau der heutigen Zeit entsprochen", bekennt er. Hier gebe es einen Nachholbedarf hinsichtlich Standardisierung und Digitalisierung: "Mit den jetzt eingeleiteten Maßnahmen machen wir einen großen Sprung nach vorne und werden sehr gut für zukünftige Anforderungen gerüstet sein." Druck auch durch Fahrerengpass Und nicht zuletzt haben er und seine Kollegen aus der Logistik auch das Ziel, sich als ein "guter Verlader" darzustellen. "Wir sind darauf angewiesen, dass wir immer ausreichenden Laderaum mit einer guten Transportqualität angeboten bekommen", sagt Kloppert. Derzeit bestehe daran zwar kein Mangel. "Aber in Zukunft wird der Fahrer ein Engpass werden", ist er sich sicher. Daher legt er Wert auf eine verlässliche Abfertigung, damit der Spediteur seine Touren zuverlässig planen kann. Lob haben er und sein Team von den Spediteuren bereits erhalten, als die Maßnahmen im letzten Jahr vorgestellt wurden. Kritik kam kaum, Kloppert fällt nur die Bemerkung der Spediteure "das wurde aber Zeit" ein. "Damit haben sie ja auch nicht unrecht. Aber ein solches Projekt in einem Konzern umzusetzen, das geht nun mal nicht von heute auf morgen", erwidert er darauf. Auch wenn die meisten Maßnahmen in Duisburg sich kurz vor dem Abschluss befinden, gibt es für Kloppert und sein Team noch viel zu tun: "Ein heißer Herbst?" "Ja, so kann man es formulieren", sagt Kloppert, zeigt sich aber zuversichtlich. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Zahlen zu TKSE 76 Millionen Tonnen Transportvolumen ThyssenKrupp Steel Europe ist der größte Stahlhersteller Deutschlands. 2016 betrug der Umsatz 7,6 Milliarden Euro - 12 Prozent weniger als 2015. Dabei wurde ein EBIT von 316 Millionen Euro (- 39 Prozent) erwirtschaftet. Das größte Werk des Konzerns befindet sich in Duisburg. Insgesamt befördert der Konzern pro Jahr 76 Millionen Tonnen Güter per Bahn, Binnenschiff und Lkw. Das Einkaufsvolumen in Transport und Logistik beträgt 335 Millionen Euro. cd

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