Das ist ausgemachter Blödsinn

Sie haben Klavier und Schlagzeug studiert und sind heute Firmenchef der Noerpel- Gruppe. Hat man es als Musiker in der Speditionsbranche leichter? (lacht) Als Musiker lernt man Menschen zuzuhören. Wenn man jahrzehntelang sein Gehör sensibilisiert hat, nimmt man Dinge vielleicht anders wahr. Das hilft mir in meiner Position als Unternehmenschef. Hilfreich für unser Stückgutgeschäft war auch, dass ich vor meiner heutigen Aufgabe einige Jahre bei German Parcel (GP) tätig war, bevor wir unsere GP-Gesellschafteranteile verkauft haben. Denn bei den Themen "IT" und "Industrialisierung der Prozesse" waren die Paketdienste, behaupte ich, damals weiter als die Stückgutspeditionen. Dazu kommt, dass ich sehr gerne mit Menschen arbeite, was in unserer Branche sehr wichtig ist. Wir verkaufen ja keine Produkte, sondern sind Dienstleister. Wie viel Umsatz und Ertrag hat Ihr Unternehmen in diesem Jahr erwirtschaftet? Wir werden 2015 knapp 300 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. Die Integration von Ascherl haben wir gut verdauen können. Unsere Umsatzrendite hat aufgrund des Zukaufes nicht gelitten. Die Ergebnisse sind in toto vernünftig. Die Umsatzrenditen in der Speditionsbranche sind generell sehr eng. Wenn man da zwischen zwei und drei Prozent liegt, ist das schon sehr gut. Auf Dauer sind diese Margen aber nicht ausreichend - vor allem, wenn man den starken Investitionsbedarf für IT und Gebäude in unserer Branche sieht. Rein organisch hätten Sie dieses Wachstum also wohl nicht geschafft. War das der Grund für Ihre massiven Zukäufe in den vergangenen Jahren wie Ascherl und Kentner? Das ist richtig. Wir wussten von Anfang an, dass Noerpel mit seinen damals drei Standorten in der Gemenge-Lage mit DSV, Kühne + Nagel sowie Geis auf Dauer nicht überleben würde. Deshalb haben wir uns im süddeutschen Markt über Zukäufe verstärkt. Wir wollten dadurch unersetzbar werden. Unser Ziel: Egal, was passiert, das Unternehmen Noerpel muss die Nummer eins in Süddeutschland sein. Das haben wir sehr konsequent umgesetzt. Außerdem hat dies unterm Strich, denke ich, für ein vernünftiges Kräfteverhältnis in unserer Stückgut-Kooperation IDS Logistik gesorgt. Ist der Integrationsprozess Ihrer Zukäufe nun abgeschlossen? Noch nicht. Integration bedeutet für mich nicht in erster Linie das Umstellen von IT-Systemen oder administrativen Tätigkeiten. Entscheidend ist, dass sich die Mitarbeiter zu unserem Unternehmen zugehörig fühlen. Erst dann ist für mich der Integrationsprozess abgeschlossen. An welchen Standorten sehen Sie da noch Optimierungspotenzial? Wir schreiben an allen acht Standorten schwarze Zahlen - mit Ausnahme eines einzigen. Welcher das ist, möchte ich nicht sagen. Dort werden wir aber mit gezielten Maßnahmen in die Gewinnzone kommen. Unsere zentrale Vertriebsabteilung wird dort zum Beispiel bei Preisgesprächen unterstützen. Dort werden wir zudem das Chartergeschäft ausbauen und vieles mehr. Aber das braucht Zeit. Die Zeit haben wir. Abgesehen davon haben wir bereits operativ Synergien durch eine stärkere Zusammenlegung der Aktivitäten gehoben. In welchen Bereichen konkret? Unter anderem haben wir die Export-Hauptlauf-Verkehre an den Standorten zusammengelegt. Konkret bedeutet das: Ascherl in München ist nun die Plattform für alle Export-Verkehre nach Italien, Österreich sowie Osteuropa unserer Noerpel-Häuser. Wir erhöhen damit massiv unsere Abfahrtsfrequenz. Damit bieten wir unseren Kunden nochmals deutlich bessere Laufzeiten für die jeweiligen Länder an. Umgekehrt ist der Noerpel-Standort in Ulm nun Plattform für unsere Export-Verkehre nach Frankreich, Spanien und England. Und über unsere Standorte in Ravensburg, Villingen-Schwenningen und Freiburg werden künftig alle Noerpel-Standorte ihre Schweiz-Verkehre abwickeln, während wir Ascherl in Hamburg sukzessive zur Skandinavien-Plattform ausbauen werden. Apropos Hamburg: Dort haben Sie soeben die Stückgutsparte von Rapid gekauft. Was planen Sie in Norddeutschland? Rapid macht rund sechs Millionen Euro Umsatz im Jahr. Ohne die Rapid-Sendungen könnten wir in Hamburg keine weiteren täglichen Begegnungsverkehre aufbauen. Dafür hätten die Sendungsmengen von Ascherl Hamburg alleine nicht ausgereicht. Das war der Grund für Rapid. Waren Sie überhaupt einmal so weit, einen Standort nach dem Aufkauf zu schließen? Das würde ich nie tun, da hängen Arbeitsplätze dran. In solchen Fällen muss man darum kämpfen, dass der Standort erhalten bleibt und mehr Geschäft ranschaffen. Das ist unsere ureigene Management-Aufgabe. Steht jetzt die Noerpel-Gruppe oder planen Sie noch weitere Zukäufe? Es gibt schon noch Unternehmen, die für uns interessant und wichtig wären. Welche Standorte reizen Sie da konkret? Sie setzen mich mit Ihren Fragen unter Druck (lacht). Aber Spaß beiseite: Schauen Sie sich in Süddeutschland die Landkarte von Freiburg nach Passau an, da können Sie unsere Noerpel-Standorte mit einer Stecknadel markieren. Und überall da, wo wir noch nicht sind, gibt es Fantasie. Verdichten kann man überall. Wie sähen denn die idealen Unternehmen aus, die Sie gerne übernehmen würden? Da gibt es viele Firmen, zum Beispiel Betriebe, die im Teil- und Komplettladungsgeschäft tätig sind. Dieses Geschäft passt gut zu uns. Es gibt auch Unternehmen, die sich ausschließlich auf Logistik spezialisiert haben, aber keinen Netzanschluss haben. Attraktiv für uns sind zudem Betriebe mit viel internationalem Geschäft, aber auch Netzwerk-Anbieter. Wie viel Investitionsvolumen haben Sie für Übernahmen eingeplant? Das planen wir nicht. Das wird jedes Mal situativ entschieden. Wir haben uns zum Beispiel bei Ascherl gewünscht, dass wir dort dabei sein dürfen, wenn das Unternehmen verkauft wird. Selbst Ascherl war aber nicht geplant. Es steht uns ja immer genügend Investitionsvolumen zur Verfügung, weil wir jeden Euro Gewinn, den wir machen, im Unternehmen lassen. Woher haben Sie das Geld für diese Zukäufe? Im Markt hält sich hartnäckig die Aussage, Noerpel kaufe im Auftrag von DSV und Kühne + Nagel Mittelständler. Ist das so? Nein, das ist ausgemachter Blödsinn! Wenn DSV und Kühne + Nagel kaufen wollen, brauchen sie dafür doch uns nicht! Das sind Milliarden-Konzerne. Können Sie sich vorstellen, dass Klaus-Michael Kühne zu seinem Vorstand geht, dem Geld gibt, damit dieser uns beauftragt, für Kühne Firmen zu kaufen? Das ist abstrus. Solche Spekulationen gibt es, weil viele meinen, Unternehmenskäufe seien teuer. Das ist aber nicht so. Wenn Mittelständler verkaufen, dann, weil sie keinen Nachfolger haben. Sie wollen, dass ihr Unternehmen fortbesteht und ihre Mitarbeiter den Arbeitsplatz behalten. Und als Stefan Noerpel-Schneider sichere ich ihnen beides zu. Beispiel Kentner: Wir haben keinen einzigen Arbeitsplatz in Heidenheim abgebaut. Ein Konzern würde das nicht tun. Der würde zum Beispiel die Buchhaltung, das Fuhrparkmanagement oder die IT an andere Standorte verlagern oder zentral bündeln. Wir machen das nicht. Wie verkaufswillig sind überhaupt derzeit mittelständische Transport- und Speditionsunternehmer? Es gibt viele Unternehmer, die Nachfolger suchen oder finanzielle Probleme haben. Wir zum Beispiel erhalten jeden Monat mindestens zwei bis drei Verkaufsangebote. Viele Firmen machen für uns aber keinen Sinn, weil sie in Gebieten unserer IDS-Partner liegen. Es gibt Verträge, die jeder IDS-Partner aus Gründen unserer Netzwerk-Sicherheit unterzeichnet hat. Das hat mit Franchise-Schutz zu tun. Was zum Beispiel Hellmann und Raben machen, ist bei IDS strengstens verboten. Apropos Raben Group: Wie gefährlich ist es für Sie, dass Raben soeben Ihren IDS-Partner Weisshaupt in Albstadt gekauft hat? Raben dringt damit ja in Ihr "Revier" in Süddeutschland. Das ist alles klar geregelt. In der zweiten Märzwoche 2016 endet die Zusammenarbeit von Weisshaupt mit IDS Logistik. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft bei System Alliance und im IDS-Netz ist keine Option. IDS wird Albstadt, wie es aussieht, auch mit keinem neuen Partner besetzen. Stattdessen werden sich DSV und unser Unternehmen darauf verständigen, dass wir den größeren Teil des Weisshaupt-Geschäfts nach Villingen-Schwenningen holen und von dort aus das IDS-Netz bedienen. Und wenn die Raben Group tatsächlich ein eigenes Stückgutnetz in Deutschland aufzieht? Natürlich entsteht der Eindruck, dass Raben ein eigenes Netzwerk aufbauen will. Den gleichen Eindruck hat man aber auch von Hellmann Worldwide Logistics. Da die beiden System-Alliance-Gesellschafter sind, ist diese Entwicklung für die anderen System-Alliance-Mitglieder sicher beängstigend. Die Frage, die sich stellt, ist: Mit welchen anderen Partnern wollen die verbleibenden System-Alliance-Mitglieder ihr Netz auffüllen? Die Lücken wären enorm. Würde dieses Szenario eintreten, käme es dann in den anderen Kooperationen, zum Beispiel in der CargoLine oder bei 24plus, zu massiven Unruhen. Verträgt der deutsche Stückgutmarkt überhaupt noch ein weiteres Netz? Es gibt jetzt schon Überkapazitäten. Mit jedem neuen Anbieter würde sich der Wettbewerbsdruck weiter verschärfen. Und ob Raben oder Hellmann diesen Weg wirtschaftlich überleben würden, ist auch nicht gesagt. Denn für ein eigenes Netz in Deutschland braucht es ausreichend Volumen: sowohl im Ein- als auch im Ausgang. Wie attraktiv ist für Sie als regionaler Mittelständler angesichts solcher Szenarien überhaupt noch das Stückgutgeschäft? Der deutsche Stückgutmarkt bleibt für mich ein Wachstumsmarkt. Denn die Sendungsmengen legen weiter stetig zu. Was ist Ihr Plan B, wenn sich Kühne + Nagel und DSV, die wie Sie auch Gesellschafter des Stückgutverbundes IDS sind, nun doch entscheiden, ihr eigenes Netz in Deutschland aufzuziehen? Darüber mache ich mir keine Gedanken. Zumal die Gesellschafterverträge mit IDS so lange Kündigungsfristen haben, dass ausreichend Zeit für einen Plan B wäre. Sich vorher verrückt zu machen, bringt nichts. Zumal es für solche Bestrebungen im Moment keinerlei Anzeichen gibt. Warum sollte zum Beispiel Kühne + Nagel in Deutschland mit aller Gewalt ein eigenes Netz aufziehen, in einem Markt, der nicht einmal die entsprechenden Renditen hergibt? Wäre denn Noerpel im Fall der Fälle im Zusammenspiel mit den anderen mittelständischen IDS-Gesellschaftern in der Lage, ein flächendeckendes Netz in Deutschland aufzuziehen? Ja. Das würden wir hinbekommen. Wobei ich denke, dass IDS derzeit die stabilste unter allen deutschen Mittelstandskooperationen im Stückgutmarkt ist. Abgesehen davon war und ist die Strategie unseres Unternehmens, Noerpel als Nummer eins in Süddeutschland zu positionieren. Wenn es unerwarteterweise zu Veränderungen käme, wären wir sicher auch für andere ein interessanter Partner in der Region. Was tun Sie, um mit Noerpel in diesem Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können? Rund 50 Prozent unseres Umsatzes machen wir schon heute mit Teil- und Komplettladungen - davon ist rund die Hälfte international. Parallel werden wir an allen unseren Standorten die Produkte "Teil- und Komplettladung" und "Logistik" stärker verkaufen. Dafür stellen wir im Ladungsgeschäft unter anderem verstärkt Muttersprachler in der Disposition ein. Sie kennen die Anforderungen ihrer Märkte am besten. Von welchem wirtschaftlichen Szenario gehen Sie da in Deutschland im kommenden Jahr aus? Die Prognosen unserer Kunden sind sehr zuversichtlich. Keiner rechnet mit Auftragsrückgängen. Jeder hat volle Auftragsbücher. Jeder rechnet mit Wachstum - trotz der Krisen, die es weltweit gibt. Die deutsche Wirtschaft ist derzeit extrem optimistisch! Welche Ziele haben Sie Ihren Mitarbeitern für 2016 gesetzt? Wir rechnen im kommenden Jahr mit fünf bis sechs Prozent mehr Umsatz, rein operatives Wachstum. Zudem stellen wir alle unsere Standorte im kommenden Jahr auf die Speditionssoftware von Anaxco um. Start ist im Juni 2016 in Villingen-Schwenningen. Das Projekt soll in 18 Monaten abgeschlossen sein. Zudem haben wir aktuell SAP in der Finanzbuchhaltung und im Controlling bei Ascherl in München eingeführt und werden zudem in 2016 in ein gezieltes Weiterbildungsprogramm für unsere Mitarbeiter investieren. Wo sehen Sie in Ihrem Betrieb darüber hinaus noch Rationalisierungspotenzial? An der Kostenschraube kann man immer drehen. Nie aber beim Personal! Viel größere Effekte hat man, wenn man Transporte zusammenlegt, etwa im Hauptlauf. Wir schauen immer auf alles, was fährt - sehr vereinfacht formuliert. Ein zentraler Frachteinkauf ist für uns aber kein Thema. Jeder Standort soll eigenständig und eigenverantwortlich arbeiten können. Diese Eigenverantwortung ist unser Erfolgskonzept. Wir geben aus dem Controlling nur die Benchmark-Zahlen vor und die Mitarbeiter vor Ort entscheiden, wie sie die Zahlen erreichen. Menschen müssen von sich heraus wollen. Mit Druck passiert gar nichts. Mal unter uns: Wie gehen Sie mit einem unmoralischen Angebot eines polnischen Transporteurs um, das aufgrund der osteuropäischen Fahrer deutlich unter dem Preis liegt, den Ihnen ein deutscher mit deutschen Fahrern bietet? Wenn es so etwas gäbe, würden wir darüber nachdenken. Logisch. Nicht alle Transporte erfordern hohe Qualifikationen der Fahrer, zum Beispiel im Standard-Teil- und Komplettladungsgeschäft. Wegen ein paar Cent würde ich aber nie einen Transportunternehmer austauschen. Schnell einen Billigunternehmer zu beauftragen, ist nicht meine Sache. Und in welchem Bereich sehen Sie das größte Wachstumspotenzial für Noerpel? Wachstumspotenzial sehen wir in unserem angestammten Transport-, Kontraktlogistik- und Stückgutgeschäft. Noerpel ist Allrounder. Das werden wir auch bleiben.

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