Darf der das?

1. Wer muss grundsätzlich die Kosten tragen, wenn es aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie aktuell zu einer Überschreitung der Lieferfrist und Verspätungsschäden kommt? Sowohl nach dem deutschen als auch nach dem internationalen Straßentransportrecht haften der Frachtführer und der Fixkostenspediteur unabhängig vom eigenen Verschulden für einen Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Guts in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung oder durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht. Gleiches gilt für den Spediteur im Selbsteintritt und den Sammelladungsspediteur. Im nationalen Verkehr ist die Haftung von Spediteur und Frachtführer wegen Lieferfristüberschreitung nach HGB auf das Dreifache der vereinbarten Fracht begrenzt, im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr muss der Frachtführer nach CMR den einfachen Betrag der Fracht erstatten. Eine höhere Haftung kommt nur bei qualifiziertem Verschulden in Betracht. Detlef Neufang, Geschäftsführer des Bundesverbands Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), und Rechtsanwalt, betont, dass transportrechtliche Schadenersatzansprüche auch in der Corona-Krise nur unter bestimmten Bedingungen wegfallen: Laut dem Handelsgesetzbuch (§ 426 HGB) ist der Frachtführer beziehungsweise Spediteur von der Haftung befreit, soweit der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist auf Umständen beruhen, die er auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Er trägt dabei die Beweislast, dass er mit der notwendigen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat. "Ob ein Auftragnehmer für einen Verspätungsschaden während der Coronavirus-Pandemie aufkommen muss, der einem Auftraggeber entstanden ist, kommt auf den Einzelfall an. Die Corona-Pandemie muss ursächlich für die Lieferfristüberschreitung gewesen sein. Ferner kann es auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung und des Transportbeginns ankommen", erklärt der Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. Sei bereits beim Vertragsabschluss oder vor Beginn der Tour aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus mit Beschränkungen bei der Güterbeförderung zu rechnen gewesen, könne sich der Auftragnehmer später nicht generell auf eine Haftungsbefreiung berufen. "Wer einen Auftrag angenommen hat, als es schon Tausende Infizierte gab, und damals um die Hemmnisse in den betroffenen Regionen gewusst hat, der muss für die Überschreitung einer vereinbarten Lieferfrist möglicherweise geradestehen", sagt Neufang. 2. Wann gilt eine Einschränkung des Güterverkehrs als höhere Gewalt, und in welchen Fällen können sich derzeit Transport- und Logistikdienstleister deswegen auf Haftungsbefreiung berufen? "Epidemien und deren Auswirkungen etwa in Form von behördlichen Schließungen gefährdeter Einrichtungen oder staatlich angeordneten Sperrungen bestimmter Regionen oder Grenzen können grundsätzlich als höhere Gewalt oder unabwendbares Ereignis gelten", sagt Rechtsanwalt Detlef Neufang. Entscheidend sei, ob sich dies schadensursächlich ausgewirkt habe. Außerdem gibt es in vielen Verträgen, die auf den aktuellsten Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp 2017) basieren, entsprechende Klauseln. Leistungshindernisse, die nicht dem Risikobereich einer Vertragspartei zuzurechnen sind, befreien die Vertragsparteien für die Dauer der Störung und den Umfang ihrer Wirkung demnach von den Leistungspflichten. In solchen Fällen gibt es auch keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Lieferfristüberschreitungen. "Es ist dennoch in jedem Einzelfall zu prüfen, wie sich die Corona-Krise tatsächlich auf einen Transport ausgewirkt hat. Bei Streitigkeiten müssen Gerichte klären, ob ein unabwendbares Ereignis vorgelegen hat", erklärt Neufang. Nicht jede Einschränkung des Güterverkehrs in der aktuellen Pandemie sei höherer Gewalt geschuldet. "Wenn aber ein Lkw eines Frachtführers bei der Ausführung eines Transportauftrags nach Polen zum Beispiel wegen völlig unvorhersehbarer Schwierigkeiten an der Grenze, die auf neuen politischen Vorgaben beruhen, 20 Stunden warten muss und deshalb ein entsprechender Verspätungsschaden eintritt, greift der gesetzliche Haftungsausschluss des Frachtführers", sagt der Rechtsexperte des BWVL. 3. Welche Maßnahmen schreibt das Transportrecht vor, wenn sich abzeichnet, dass Güterbeförderungen wegen des Coronavirus nicht wie geplant möglich sind? Wenn ein Beförderungs- oder Ablieferungshindernis nach Übernahme des Guts erkennbar wird, muss der Frachtführer beziehungsweise Spediteur den Absender und/oder Empfänger darüber informieren und sich Weisungen einholen. "Zum Beispiel sollte er anrufen, wenn es wegen eines kilometerlangen Staus an der Grenze erst mal nicht weitergeht und es sich um eine zeitkritische Lieferung handelt", erklärt Detlef Neufang. Der Auftraggeber kann dann verlangen, dass der Frachtführer das Gut nicht weiterbefördert oder es an einem anderen Bestimmungsort, an einer anderen Ablieferungsstelle oder an einen anderen Empfänger abliefert. "Entstehen durch die Ausführung einer Weisung weitere Kosten, kann der Frachtführer vom Auftraggeber danach Ersatz für die insoweit entstandenen Aufwendungen und eine angemessene Vergütung verlangen", sagt der Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht. 4. Dürfen Auftraggeber und Absender coronabedingt Frachtverträge kündigen, wenn etwa Aufträge wegbrechen oder sie von behördlichen Schließungen betroffen sind? "Auftraggeber und Absender können grundsätzlich jederzeit den Frachtvertrag kündigen, ohne dass es eines besonderen Grundes bedarf", sagt Rechtsanwalt Detlef Neufang. Das regelt § 415 HGB. Der Frachtführer hat demnach in einem solchen Fall auch Rechte. Entweder verlangt er dann die vereinbarte Fracht, das etwaige Standgeld sowie zu ersetzende Aufwendungen unter Anrechnung dessen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder anderweitig erwirbt. Oder er verlangt ein Drittel der vereinbarten Fracht - die sogenannte Fautfracht. In der Corona-Krise dürfte es allerdings zu Diskussionen kommen, wer die Gründe für eine Kündigung des Frachtvertrags zu vertreten hat und ob danach Ersatzansprüche bestehen. Beruht die Kündigung auf Gründen, die dem Risikobereich des Frachtführers zuzurechnen sind, kann dieser hinterher kein Geld verlangen. "Zum Beispiel, wenn ein Transportunternehmer mangels betrieblicher Kapazitäten oder wegen bestimmter Organisationsdefizite die vereinbarte Leistung nicht erbracht hat", sagt Neufang. Ist die Kündigung weder vom Frachtführer noch vom Auftraggeber zu vertreten, hilft möglicherweise das Bürgerliche Gesetzbuch weiter: "Nehmen wir an, ein Betrieb ist coronabedingt durch hoheitliche Anordnung geschlossen worden, dann könnte das einen Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeuten." Hier komme es allerdings auf den Einzelfall an, ob Ansprüche gegen eine Vertragsseite bestehen. 5. Kann ich als Transport- und Logistikdienstleister wegen gestiegener Mehraufwendungen in der Corona-Krise höhere Preise oder Zuschläge verlangen? "Der Frachtführer kann nicht generell vom Auftraggeber nachträglich einen höheren Preis für einen Transport verlangen, weil der betroffene Lkw zum Beispiel stundenlang in einem vorhersehbaren Stau an der deutsch-polnischen Grenze gestanden hat", erklärt Detlef Neufang. War dieses Problem bereits vor oder bei Vertragsabschluss bekannt, sollten die Wartezeiten bereits eingepreist sein. Solche Kosten fallen nach seiner Aussage in den Risikobereich des Auftragnehmers, der diese bei Abschluss des Frachtvertrags in einem gewissen Umfang einkalkulieren müsse. Auch Mehraufwendungen zum Beispiel wegen der Anschaffung von Handschuhen, Mundschutz und anderen Hygieneartikeln für das Personal können demnach nicht eins zu eins an den Verlader weitergegeben werden. "So ein 'Corona-Zuschlag' bedeutet eine einseitige Vertragsänderung und ist deshalb unzulässig", erläutert der Rechtsanwalt. Anpassungen oder Ergänzungen bestehender Verträge müssen beide Parteien einvernehmlich vereinbaren. Schließlich fallen derartige coronabedingte Kosten regelmäßig auch beim Auftraggeber an. Mehr zum Thema finden Sie unter #Logistikrecht www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Wenn der Güterverkehr durch die Corona-Krise ins Stocken oder Stehen gerät, führt das oft zu Diskussionen unter den Beteiligten in der Lieferkette: Wer muss die Mehrkosten tragen, wer haftet, und wann darf sich ein Betrieb womöglich auf höhere Gewalt berufen? Fachanwalt Detlef Neufang schafft Rechtssicherheit. Buchtipp Haftung und Versicherung Wer haftet wofür und in welcher Höhe? Was ist gesetzlich vorgesehen, was kann vereinbart werden? Schadensfälle lassen sich nie ausschließen. Das Handbuch "Haftung und Versicherung" erläutert unter anderem, wie Transport- und Logistikunternehmen die Schadensbearbeitung möglichst effektiv abwickeln.Das Fachbuch stammt aus dem Verlagshaus Heinrich Vogel, in dem auch die Verkehrs-Rundschau erscheint.Online bestellen unter: heinrich-vogel-shop.de

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