Brücke in den Mittleren Osten und nach Asien

Ein Absatzmarkt mit 78 Millionen Menschen, davon die Hälfte jünger als 30 Jahre. Eine Wirtschaft, die Mitte der 2000er-Jahre mit mehr als 8 Prozent pro Jahr wuchs und damit eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt war. Eine Regierung, die Milliarden in Straßen, Flughäfen und Bahntrassen investiert. Und zudem gute Verbindungen in den Nahen und Mittleren Osten: Die Türkei galt lange als das Wachstumsland schlechthin in Europa. Dann kam es allerdings zu politischen Unruhen im Land und auch die Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak hinterließen Spuren. Infolgedessen stockte das Wachstumstempo. "Nur" noch drei Prozent sollen es in diesem Jahr werden. Russland ist ein wichtiger Partner "Die politischen Konflikte in der Region machen sich bemerkbar", sagt Ahmet Cetinkaya, Manager Türkei bei Germany Trade & Invest (GTAI). Denn Syrien und vor allem auch der Irak (2014 noch Platz zwei der Hauptabnehmerländer der Türkei) sind wichtige Handelspartner. Stark betroffen ist die Türkei zudem vom Ukraine-Konflikt. Aus keinem Land bezieht die Türkei so viele Waren wie aus Russland. Und selbst im Ranking der größten Abnehmerländer stand Russland 2014 auf Platz sieben. "Dennoch ist die Türkei immer noch ein Boomland, gerade in der Transport- und Logistikbranche", sagt Cetinkaya. Dazu tragen die immensen Anstrengungen des Landes bei, die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen. Im Fokus der Öffentlichkeit steht der Bau des dritten Flughafens in Istanbul, der zumindest kurzfristig zum größten Flughafen der Welt werden soll. 2020 sollen alle Landebahnen verfügbar sein, 2017/2018 soll aber bereits der Teilbetrieb aufgenommen werden. Doch es gibt zahlreiche weitere Infrastrukturvorhaben: So soll das Autobahn- und Schnellstraßennetz bis 2018 um 7000 Kilometer wachsen. Zahlreiche Häfen in der Türkei wollen ihre Kapazitäten ausdehnen: Im Hafen von Mersin ist eine Erweiterung von 1,8 Millionen TEU (20-Fuß-Standardcontainer) auf 2,6 Millionen TEU geplant, und auch die Häfen in Ambarli, Izmir und Iskenderun investieren in neue Kapazitäten. Hinzu kommen Neubaustrecken und Modernisierungen im Schienennetz. Für den Schienengüterverkehr ist das Marmaray-Projekt zwischen Halkali (Istanbul) und Gebze über 76 Kilometer von besonderem Interesse. Damit wird das europäische Bahnnetz mit den nahöstlichen und asiatischen Schienenwegen verbunden. Zugute kamen der Türkei bei diesen Projekten die stabilen Mehrheitsverhältnisse in der Regierung. Die als wirtschaftsfreundlich geltende Partei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verfügte bislang über die absolute Mehrheit. "Das hat die Durchsetzung von großen Verkehrsinfrastrukturvorhaben wie den Bau des Flughafens, aber auch von Atomkraftwerken erleichtert", sagt Cetinkaya. Jetzt hat die AKP weniger als 260 von 550 möglichen Parlamentssitzen und ist zu einer Koalition gezwungen. Stefan Iskan, Logistikprofessor an der Hochschule Ludwigshafen, sieht die Türkei weiterhin auf Wachstumskurs in der Wirtschaft wie auch in der Logistik. "Die Ukraine-Krise kommt der Türkei sogar zugute, weil viele Unternehmen von Investitionen in Russland jetzt Abstand nehmen und die Türkei als Alternative für Investitionen in Betracht ziehen", lautet seine Einschätzung. Selbst die Unruhen in Syrien und im Irak deutet er positiv: "Trotz der Kriege wird ein Wachstum von drei Prozent erzielt, wovon andere europäische Länder nur träumen können. Das zeigt doch, welches Potential in diesem Markt steckt." Das Logistikmarktvolumen beziffert er auf 39 Milliarden Euro (2013). Damit liegt die Türkei in Europa zusammen mit Polen auf Platz acht. Bei DHL Express teilt man die Einschätzung von Iskan und schätzt die Wachstumschancen höher ein als die Risiken. "Wir werden 50 bis 60 Millionen Euro in unser neues Hub am neuen Flughafen Istanbul investieren", kündigte Markus Reckling, Managing Director von DHL Express in der Türkei, gegenüber der Verkehrs-Rundschau an. Die Türkei ist ein wichtiger Eckpfeiler der Strategie von DHL. Denn der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt, dass sich der Anteil der sogenannten Emerging Markets am Gesamtumsatz des Konzerns von derzeit 22 Prozent auf 30 Prozent im Jahr 2020 erhöht. Neben China und Indien gehört auch die Türkei dazu. Drehkreuz Istanbul statt Leipzig Schon heute spielt der türkische Markt für DHL-Express eine wichtige Rolle: "Wir transportieren pro Tag durchschnittlich 17.000 Sendungen, zwei Drittel davon aus der Türkei heraus und ein Drittel hinein", sagt Reckling. Die Vision hinter dem neuen Hub auf dem Istanbuler Flughafen ist die Entwicklung eines Brückenkopfes für den Nahen und Mittleren Osten. Gehen derzeit Sendungen in diese Region über das Hub in Leipzig, ist künftig vorstellbar, dass Istanbul zum Drehkreuz wird. Während also DHL kräftig in der Türkei investiert, dreht die Spedition Emons ein kleineres Rad - aber nicht minder geprägt von Wachstum. Während bei DHL-Express Türkei etwa 1000 Personen arbeiten, sind es bei Emons sechs, wobei die Niederlassung in Istanbul auch erst 2012 gegründet wurde. Mittlerweile bietet die Spedition mit zwei wöchentlichen Verbindungen eine feste Stückgutrelation zwischen der Türkei und Deutschland an, dazu kommen zahlreiche Teil- und Komplettladungstransporte. "Wir waren anfangs skeptisch und befürchteten, dass der Markt instabil sein könnte", sagt Wilbert Herff, Area Manager Central Europe. "Doch im Rückblick haben wir nur gute Erfahrungen gemacht." Emons wickelt das Geschäft ausschließlich mit türkischen Frachtführern ab. Diese würden in der Regel mit Jahresverträgen ausgestattet, wobei die Frachtraten immer wieder variieren würden, was die Kalkulation laut Herff erschwert: "Die durchschnittliche Rate für einen Transport aus Deutschland in die Türkei kann unterjährig zwischen 30 und 35 Prozent schwanken, das muss man einkalkulieren." Der Emons-Manager sieht es als nahezu unumgänglich an, einen einheimischen Partner hinzuzuziehen, wenn man in der Türkei eine Niederlassung gründen will. Auch die Gründung einer Dependance sei nicht so ganz einfach. Unter anderem seien dafür zahlreiche Dokumente erforderlich, deren Übersetzung ins Türkische nur von ganz bestimmten Büros akzeptiert werde. Ein weiteres Problem in der Türkei - da sind sich Reckling und Herff einig - ist derzeit die Wechselkursproblematik. Die Einnahmen, die die Niederlassungen in türkischen Lira erzielen, sind nach dem Transfer in Euro nicht mehr so üppig. Und auch die Verzollung ist mit Aufwand verbunden - ein Grund, weshalb das Land 2014 beim Logistics Performance Index der Weltbank nur auf Platz 30 liegt - nach Rang 27 zwei Jahre zuvor. Türkei Länderportrait* - Fläche: 814.578 Quadratkilometer (Deutschland: 357.168)- Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP): 2013/2014/2015 in Prozent 4,1/2,9/3,1- BIP/Kopf in US-Dollar (2013): 10.482 (44.999)- Einwohner in Millionen: 77,7 (80,8)- Arbeitslosenquote 2014 in %: 9,9 (6,7)- Inflationsrate 2014 in %: 6,2 (0,9)- Bruttostaatsverschuldung in % des BIP 2014: 25,5- Hauptstadt: Ankara- Religion: mehrheitlich Muslime (99 %)- Regierungsform: Republik/ parlamentarische Demokratie*in Klammern: Zahl für Deutschland (Quelle: GTAI, Auswärtiges Amt) Die Serie Länder mit Potenzial Wenn es um Staaten geht, die als Wachstumsmärkte gelten, werden oft Länder wie China, Indien oder Bulgarien genannt. Unsere Serie lässt den Blick an den Rand der EU schweifen und stellt eher unbekannte Länder vor. Wir gehen auf deren Stärken und Schwächen ein und geben Hinweise, worauf zu achten ist, wenn man hier Fuß fassen will. Nach Marokko (VR 43/2014), Kasachstan (VR 47/2014), Russland (VR 4/2015), Tunesien (VR 8/2015), Weißrussland (14/2015), Saudi-Arabien (19/2015) und Türkei folgt Ägypten (VR 28/2015). cd

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