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Bei vielen Spediteuren herrscht aktuell Ausnahmezustand. Sie müssen Neukunden abweisen. Die eigenen Lkw sind permanent unterwegs und auf dem Spotmarkt sind Kapazitäten nur noch zu überhöhten Preisen zu bekommen. Auf innerdeutschen Relationen lag das Verhältnis von Fracht zu verfügbarem Laderaum Ende Juli bei 80 zu 20, so das Transportbarometer der Frachtenbörse Timocom. Im Vorkrisenjahr 2019 waren Angebot und Nachfrage um diese Jahreszeit noch ausgeglichen. Wie können Frachtunternehmen jetzt ihre Kapazitäten ausdehnen? Noch nicht alle Möglichkeiten ausgereizt Viele Betriebe drehen an der Schraube "Arbeitszeit". Bei manchen Dienstleistern wird seit Mai auch samstags ganztägig gefahren. Einige haben die Schichten um eine Stunde verlängert. Um Stillstandszeiten zu vermeiden, wendet man teilweise das Prinzip Staffellauf an: Ein Fahrer übernachtet entlang der Strecke im Hotel und übernimmt die Tour von einem Kollegen, wenn dessen Ruhezeit beginnt. Das funktioniert natürlich nur mit ausreichend Personal - und wenn der Kunde die Mehrkosten trägt. Mitarbeiter werden über Boni zum Aushelfen in anderen Abteilungen animiert. Bislang waren solche Maßnahmen nur von Paketdiensten bekannt. Trotzdem sind die Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt. "Werden Sie beim Be- und Entladen flexibler", regt Jürgen Fedrowitz, Unternehmensberater aus Gladbeck, an. Spediteure könnten ihre Kunden dazu animieren, ihre Lager auch nachts zu öffnen. Alternativ könne der Fahrer den Lkw samt Ladung nachts beim Empfänger abstellen, sodass der morgens gleich entladen kann. Damit die Maßnahmen nicht übertrieben werden, ist es wichtig, die Zukunft im Blick zu behalten. "Ein Schlüssel sind Informationen", sagt Daniel M. Giel, Inhaber des Beratungsunternehmens "Die Speditionsexperten" aus Köln. Er empfiehlt den Dienstleistern, noch regelmäßiger mit den Kunden zu sprechen, um so zu erfahren, mit welcher künftigen Nachfrage diese rechnen. Einige Branchen (Lebensmittel, Automobil) gewähren Geschäftspartnern schon Einblick in die internen Planzahlen, in vielen Branchen jedoch fließen die Informationen eher zäh. Berater Giel glaubt, dass mehr Verlader aktuell bereit sind, ihre Dienstleister mit Nachfrageprognosen zu versorgen. Daneben sollten alle Spediteure die Wirtschaftsprognosen im Blick behalten. Hier bieten sich zum Beispiel der Ifo-Geschäftsklimaindex an oder die Prognosen der Verlader und Dienstleister aus dem VerkehrsRundschau-Index (www.verkehrsrundschau-plus.de/kennzahlen). Dazu sollte jeder Betrieb jetzt eine Auftragsprognose für die kommenden Monate erstellen. Auf der Basis von Daten aus den Vorjahren lässt sich erkennen, zu welchem Zeitpunkt üblicherweise ein Nachfragehoch droht. Der Steuerberater zum Beispiel kann eine solche Vorhersage aus den Buchhaltungsdaten erarbeiten. Weiß der Spediteur, welches Transportvolumen auf ihn zukommt, kann er entsprechende Reservekapazitäten vorhalten. "Das wird von den Verladern zunehmend auch bezahlt", so Giels Erfahrung. Die Umsetzung in der Praxis: Der Spediteur stellt jeden Monat ein Frachtraumvolumen x bereit. Wird es nicht komplett abgerufen, erstattet der Verlader zum Beispiel 70 Prozent der Kosten. "Lassen Sie sich eine bestimmte Auslastung vertraglich zusichern", empfiehlt Giel. Man muss Kunden auch aussortieren Besonders wichtig im Boom ist, die Kapazitäten optimal einzusetzen - und zwar für die richtigen Kunden. Berater Giel rät, eine ABC-Analyse durchzuführen. A-Kunden sind solche, die hohe Deckungsbeiträge einbringen und regelmäßig Volumina nachfragen. B-Kandidaten erteilen zwar nur sporadisch Aufträge, dafür in großem Umfang. In die Kategorie C fallen kleine Kunden, die ständig feilschen. "Wer in der jetzigen Lage versucht, die Preise zu drücken, sollte aussortiert werden", findet Giel. Natürlich kann eine solche Bereinigung der Kundendatei schmerzhaft sein, zum Beispiel, wenn man sich von einem langjährigen, treuen Kunden trennen muss. Experten warnen jedoch vor unnötiger Treue. Droht Lagerfläche knapp zu werden, hilft es, die einzelnen Posten unter die Lupe zu nehmen: Welche Waren wird der Kunde in den kommenden Wochen benötigen - und was lagert womöglich noch viele Monate? Güter, die nicht unmittelbar gebraucht werden, sollten zu anderen Standorten, wo noch Platz ist, verschoben werden. Im Notfall können die vorhandenen Lagerplätze durch ein Lagerzelt auf dem Hof erweitert werden. Geschickter jedoch ist, Ladungen bei fremden Anbietern unterzustellen. Etliche Plattformen im Internet helfen, Lagerfläche zu finden, zum Beispiel logivisor.com, spacefill.de oder expozed1.de. Gerade in Boomzeiten kann es sich lohnen, mit anderen Dienstleistern vor Ort zu kooperieren. Bilden mehrere Betriebe einen Personalpool, können Firmen, die noch unter der Corona-Flaute leiden, ihre Fahrer an befreundete Unternehmen ausleihen. Ein Beispiel: Ein Spediteur, der auf Getränkelogistik spezialisiert ist und im Winter weniger zu tun hat, hilft dann einem Kollegen aus der Lebensmittellogistik, bei dem das Geschäft traditionell vor Weihnachten brummt. Die Kunden müssen natürlich über die Kooperation informiert werden. Auch in der Rekrutierung lohnt sich eine solche Firmenkooperation. Berater Giel zum Beispiel betreut die Transportunion, einen Zusammenschluss aus 25 Logistikunternehmen. Um Kosten zu sparen, entsenden die Mitglieder jeweils einen Personaler zu Jobmessen, der dann alle Firmen vorstellt. Wichtig ist, es in der aktuellen heißen Phase nicht zu übertreiben. Jetzt zum Beispiel hektisch neue Fahrzeuge anzuschaffen oder Personal einzustellen, kann sich rächen, wenn der Corona-Rückstand aufgeholt ist und sich die Transportvolumina wieder normalisieren. Experten raten dazu, den Fuhrpark so zu dimensionieren, dass er zu einem durchschnittlichen Auftragsvolumen passt. Was darüber liegt, sollte mit Subunternehmern oder Anmietung von Fahrzeugen abgefedert werden. Sonst steht die heute angeschaffte Zugmaschine womöglich 2022 ungenutzt auf dem Hof. Das Gleiche gilt fürs Personal. Es könne sinnvoll sein, jetzt Fahrer "auf Vorrat" einzustellen, sagt Berater Fedrowitz, aber eben nur punktuell. "Schauen Sie sich an, wo Sie vor Corona standen. Auf diese Kapazität sollten Sie hinarbeiten - plus ein leichtes Wachstum." Die Frage ist natürlich, wie viele Fahrer überhaupt noch zu bekommen sind. Die Einschätzung von Fedrowitz: Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig, aber wer mit einem vernünftigen Schichtsystem und Topentlohnung lockt, kommt immer noch an Leute. Der Berater regt an, über den Boom hinaus die Arbeitgeberwerbung zu verstärken. "Bleiben Sie aktiv, um attraktiv zu bleiben." Mehr zum Thema unter #Unternehmensfuehrung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen und eine dadurch bedingte hohe Nachfrage sorgen für volle Auftragsbücher bei den Logistikdienstleistern. Vielfach stoßen diese an ihre Kapazitätsgrenzen. Was Spediteure tun sollten, damit ihnen lukrative Geschäfte jetzt nicht entgehen. Schnell mehr Platz: Die Halle auf den Hof verlagert Um starke Volumenschwankungen besser abfedern zu können, hat Hellmann einen zentralen Ablauf verändert: In der Bielefelder Niederlassung wurde der Sendungseingang vom -ausgang getrennt. In die Umschlaghalle kommen jetzt nur noch Sendungen, die auch am selben Tag wieder das Haus verlassen. Terminsendungen dagegen werden nach dem Eingangsscan in einer Hofbrücke deponiert, die für den jeweiligen Abfertigungstermin reserviert ist.Durch dieses Vorgehen wird das Geschehen in der Halle übersichtlicher. Die Suchzeiten sinken, versehentliche Beschädigungen durch Staplerverkehr werden vermieden. In der aktuell hektischen Lage hat sich das neue Verfahren bewährt. Trotz allem habe man noch Kapazitäten, heißt es. Christian Hellmich, Leitung Systemverkehre, fasst den neuen Prozess so zusammen:"Wir haben die Halle auf den Hof verlagert." Der Platz dort - er reicht für 115 Wechselbrücken - ist noch nicht ausgereizt. Zweimal am Tag bietet die Umschlaghalle einen ungewohnten Anblick: Um 9.00 und um 21.00 Uhr ist sie komplett leer. Hellmann hat diese Prozesse auch in anderen Standorten erfolgreich umgesetzt."Dafür müssen natürlich die baulichen Voraussetzungen vorhanden sein, etwa genug Platz auf dem Hof", erklärt Speditionsleiter Michael Brockmeyer. Constantin Gillies

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