Aufbruch in eine neue Dimension

Kein Zweifel, die Digitalisierung war der prägende Trend auf der Messe Transport Logistic. Kaum ein Aussteller, der sich diesem Thema nicht widmete; kaum ein Messegespräch, in dem dieses Wort nicht zur Sprache kam. Andererseits wäre es aber falsch, würde man die vier Tage in München nur durch die Datenbrille Revue passieren lassen. Denn auch links und rechts von der Digitalisierung hatte die Messe Neues zu bieten. Und welche wichtige Rolle reale Prozesse nach wie vor spielen, dafür waren nicht zuletzt die Zahlen ein Indiz, die die Messe München verkünden konnte. Die machten nämlich deutlich, wie wichtig Marktplätze wie eine Messe nach wie vor sind - trotz digitaler Plattformen im Internet. Denn es ist tatsächlich gelungen, die Grenze von 60.000 Besuchern zu überschreiten. 60.726 Besucher aus 123 Ländern zählte der Veranstalter. Das ergibt ein sattes Plus von 9,5 Prozent gegenüber der letzten Veranstaltung im Jahr 2015. Auch bei den Ausstellerzahlen vermeldete die Messe einen neuen Rekord: Auf einer Fläche von 115.000 Quadratmetern präsentierten sich 2162 Unternehmen, das sind 5,4 Prozent mehr als 2015. Damit waren neun Messehallen ausgebucht. Der Veranstalter muss sich für 2019 Gedanken machen, erstmalig mit zehn Hallen an den Start zu gehen. Wenn man fragt, woher dieses Wachstum kommt, lautet eine Antwort: Es handelt sich um eine boomende Branche. Negative Stimmen waren während der Messe so gut wie gar nicht zu hören. Ekol investiert in Iran Ein Beispiel für die gute Konjunktur sind die Expansionspläne der türkischen Spedition Ekol. "Wir werden in Iran ein neues Logistikzentrum bauen", kündigte Ekol-Chef Ahmet Musul auf der Messe an. "Iran ist für Europa eines der wichtigsten Länder", begründete er das Engagement. Zudem baut Ekol sein Intermodal-Netz weiter aus, in Deutschland, aber auch darüber hinaus. So ist Anfang April erstmals ein Zug von China nach Ungarn gefahren: "Wir wollen künftig zweimal die Woche eine Verbindung anbieten", sagte Musul. Auch bei TX Logistik (TXL) sind alle Weichen in Richtung Wachstum gestellt. Der Mutterkonzern - die italienische Güterbahn Mercitalia - will kräftig zulegen. "Bis 2026 wollen wir unseren Umsatz von derzeit einer Milliarde Euro verdoppeln", kündigte Marco Gosso, CEO der Mercitalia Logistics, an. Ein ehrgeiziges Ziel, bei dem die in Deutschland ansässige Tochter TXL eine wichtige Rolle spielen soll. "Nach einiger Zeit der Konsolidierung befinden wir uns mit einem neuen Management wieder auf Expansionskurs", sagte Mirko Pahl, Vorstandsvorsitzender der TXL. Demnach wird nicht nur in den angestammten Märkten wie "intermodal" und "maritim" ein Wachstum angestrebt, sondern auch in anderen Segmenten wie Chemie- oder Stahltransporte per Bahn sowie auf anderen Korridoren, zum Beispiel nach Osteuropa. Aber auch ein Sorgenkind wie DB Cargo schwenkt auf einen Expansionskurs ein. "Wir wollen ab 2018 in Deutschland über den Markt wachsen und langsam verlorene Marktanteile zurückgewinnen", sagte Vorstandsvorsitzender Jürgen Wilder in München. Konkret hofft die Schienengüterverkehrssparte der Deutschen Bahn (DB) auf Marktanteilsgewinne von zwei bis drei Prozent pro Jahr in Deutschland und Europa. Gelingen soll dies durch mehr Pünktlichkeit, eine höhere Produktivität sowie neue Produkte im Rahmen der Digitalisierung (siehe Kasten Seite 20). Eine Folge dieser Digitalisierung ist, dass mit diesen neuen Möglichkeiten die Akteure sich stärker miteinander vernetzen. Dabei arbeiten auch Konkurrenten enger zusammen. So war zu hören, dass in einem Verbund verschiedener Seehäfen Antwerpen und Hamburg dazu beitragen, dass der Datenaustausch zwischen allen Akteuren besser funktioniert. Ein anderes Beispiel: Die Tochter der DB, DB Schenker, arbeitet mit einem Lkw-Hersteller zusammen, um das Thema Platooning voranzutreiben - also die Bildung von (Lkw-) Zügen auf der Straße zu forcieren (siehe Kasten unten). Aber auch andere Initiativen wurden auf der Messe bekannt. So will der Ladungsverbund Elvis mit "Fuel Net" ein flächendeckendes Hoftankstellennetz errichten, wie Elvis-Vorstand Jochen Eschborn gegenüber der VerkehrsRundschau ankündigte. "Jeder zweite Elvis-Partner hat eine Hoftankstelle", sagte er. Bislang seien dies lokale Lösungen, die dem einzelnen Partner nichts bringen. Die Idee sei nun, aus diesen Hoftankstellen ein Netzwerk aufzubauen, auf das künftig alle Elvis-Partner, aber auch Dritte, über Elvis-Tankkarten bargeldlos zugreifen können. Das Pilotprojekt soll im Juni 2017 abgeschlossen sein. Starten wird das Netz zunächst mit mindestens 80 Partnern. Der Treibstoffeinkauf wird zentral über die Elvis AG erfolgen. "Zwei bis drei Cent Ersparnis je Liter" sind über das Hoftankstellennetz laut Eschborn drin. Ein Projekt, das ohne digitale Instrumente kaum möglich wäre. Trotzdem wird der Digitalisierung noch zu wenig Beachtung geschenkt. "Die Unternehmen müssen auch in die Digitalisierung investieren, damit Deutschland Logistikweltmeister bleibt und um die Prozesse an die Bedürfnisse von Industrie 4.0 anzupassen", appellierte Ivo Körner, Präsidiumsmitglied im deutschen Verkehrsforum und Geschäftsführer des Bereichs Vertrieb Branchenkunden der IBM in Deutschland, im Rahmen der Veranstaltung "Standortfaktor Digitalisierung". Noch sei aber der Mittelstand, mahnte Körner, viel zu zögerlich bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. "Es braucht nicht immer die 100-Prozent-Lösung, um mit der Digitalisierung anzufangen", ermutigte auch Ulrich Wrage, Vorstand des IT-Dienstleisters Dakosy, die deutschen Logistiker zu mehr Risikobereitschaft. Noch mehr Effizienz in der Organisation Was deutsche Unternehmen von den Neugründern aus dem US-amerikanischen Silicon Valley lernen können, wurde auf einem von der Logistics Alliance Germany (LAG) organisierten Forum diskutiert. "Um im Digitalzeitalter bestehen zu können, muss jedes Unternehmen ein Stück weit Software-Unternehmen werden", brachte Ryan Petersen, Geschäftsführer der in San Francisco ansässigen Onlinespedition Flexport, die Neuerungen auf den Punkt. Er höre zwar von Logistikern immer wieder, dass sie so kleine Margen haben und deshalb nicht in Software investieren könnten. "Aber gerade weil Sie kleine Margen haben, müssen Sie in Software investieren", erklärte Petersen. Wenn zehn Beteiligte einen Transport per E-Mail und Telefon organisieren, könne das nur unwirtschaftlich sein. Man brauche ein System, in dem die Beteiligten mit wenigen Klicks den Prozess abbilden können. "Und wenn Sie das nicht können, wird Ihnen jemand, der es kann, das Geschäft wegnehmen", warnte er. Andreas Schmitz von Schmitz Cargobull glaubt dagegen nicht, dass sich die Logistikfirmen in Sachen Digitalisierung von Software-Start-ups abhängen lassen. "Die Logistik hat sich immer wieder neu erfunden, das zeichnet sie aus", betonte der Vorstandsvorsitzende. Sie sei sogar Vorreiter in Sachen Digitalisierung gewesen: "Bei FedEx standen schon in den 1990er-Jahren riesige Screens, auf denen Sendungen getrackt wurden." Was Unternehmen von den Start-ups aber lernen müssten, so Schmitz, sei Entscheidungen schneller zu treffen. Man müsse nach dem Trial-and-Error-Prinzip mehr ausprobieren. Auch der 3-D-Druck hatte es den Unternehmen angetan - so der Eindruck auf der Messe. Ob Bayernhafen, 24plus, Group7 - sie alle und noch mehr Anbieter präsentierten sich auf der Messe mit 3-D-Druckern. So kann sich 24plus-Geschäftsführer Peter Baumann vorstellen, dass daraus ein Geschäftsmodell für die Partner seines Speditionsverbundes wird. Hubert Borghoff, Head of Logistics von Group 7, ist sogar davon überzeugt, dass die CO2-Bilanz dank 3-D-Druck deutlich besser ausfallen könnte. Wolle ein Kunde etwa den Prototyp eines Produkts präsentieren, der zu Hause auf dem Schreibtisch liege, während er selbst sich am anderen Ende der Welt befinde, so müsse das Objekt nicht per Express-Zustellung hinterhergeflogen werden, sondern könne vor Ort per 3-D-Drucker produziert werden. Für die Serienproduktion sei der 3-D-Druck gleichwohl nicht geeignet. Dem Thema "automatische Avisierung" widmet sich IDS Logistik. So entwickelt die Stückgutkooperation aktuell ein Internetportal, mit dem die Partner den Avisierungsprozess künftig effizienter gestalten wollen, kündigte IDS-Geschäftsführer Michael Bargl gegenüber der VerkehrsRundschau an. "Für 16 bis 17 Prozent unserer B2B- und B2C-Zustellungen müssen wir mit den Empfängern telefonisch Zustelltermine vereinbaren. Das entspricht täglich IDS-weit bis zu 10.000 bis 12.000 Telefonaten", erklärte er. Mit dem neuen Internetportal, auf das auch die Empfänger zugreifen können sollen, lasse sich dieser Avisierungsprozess schneller gestalten. Völlig verabschieden wird sich IDS aber nicht vom Telefon: Empfänger, die telefonisch den Zustelltermin vereinbaren wollen, können dies weiterhin tun. Nicht alle machen auf Digitalisierung Auch wenn auf der Messe anscheinend kein Weg am omnipräsenten Thema Digitalisierung vorbeiführte, haben ihn viele, vor allem kleine und mittelständische Transportunternehmen, noch nicht gefunden. "Transporteure tun in Sachen Digitalisierung oft gar nichts", lautete die Erkenntnis von Jens Zeller, Geschäftsführer der BPW-Telematiktochter Idem Telematics, aus seinen Standgesprächen. Das würde sich mit aktuellen Marktforschungsergebnissen decken. Laut einer Berg Insight-Studie seien nur zehn Prozent der Trailer und 25 Prozent der ziehenden Einheiten mit Telematik ausgestattet. Zeller riet: "Sie müssen nicht unbedingt alles sofort implementieren, sie können das auch peu à peu machen - aber fangen sie mit irgendetwas an." Als Gründe für das Zögern auf dem Weg Richtung Digitalisierung nannte Zeller die Sorge vor dem, was auf die Unternehmen zukommt, und ein zu unübersichtliches Angebot an Lösungen und Ansätzen. Aber wenn sich die Branche tatsächlich auf dem Weg in eine "digitale Revolution" befindet, wie die Messe München als Fazit der Veranstaltung verkündet, dann verwundert diese Unübersichtlichkeit nicht. Denn eine Revolution verläuft selten in geordneten Bahnen. Und vielleicht kann ja die nächste Transport Logistic vom 4. bis 7. Juni 2019 für mehr Ordnung sorgen. Mehr zum Thema im Dossier Transport Logistic www.verkehrsrundschau.de/dossiers Zahlreiche neue Kooperationen Teamarbeit gefragt Hände schüttelnde Partner hatten auf der Transport Logistic Konjunktur. Hier die Highlights neu verkündeter Partnerschaften:-> Luftfracht: Die arabische Fluggesellschaft Emirates und die luxemburgische Frachtfluggesellschaft Cargolux haben eine Kooperation verkündet. Damit kommt es zum ersten Mal zu einem Bündnis zwischen einer global tätigen Fluggesellschaft und einer auf Fracht spezialisierten Airline.-> Zertifizierungen: Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS) arbeiten ab sofort bei der Überprüfung von vertrauenswürdigen Frachtführern zusammen. Durch die gegenseitige Anerkennung von überprüften Unternehmensdaten bei Qualified Carrier (DQS) und Trusted Carrier (BGL) wollen beide für mehr Transparenz sorgen.-> Frachtenbörsen: Unter dem Namen"Qualis Logistics" hat Wtransnet eine neue Premium-Frachtenbörse gegründet. Dafür haben der spanische Anbieter und die DQS eine Kooperation beschlossen. Zu der neuen Plattform sollen ausschließlich Transporteure Zugang erhalten, die ihre Zuverlässigkeit in einem Zertifizierungsaudit nachgewiesen haben. Dafür werde der Zertifizierer DQS die Frachtführer prüfen.-> Autonomes Fahren: DB Schenker und MAN haben einen Kooperationsvertrag zur Erprobung der Platooning-Technologie und Entwicklung von Hightech-Trucks unterzeichnet. Damit arbeiten erstmals ein Logistikkonzern und ein Fahrzeughersteller gemeinsam an der Entwicklung vernetzter Lkw-Kolonnen. DB Schenker will die MAN-Lkw-Kolonnen ab Frühjahr 2018 über mehrere Monate im realen Straßenverkehr auf dem"digitalen Testfeld Autobahn" auf der A 9 testen. Eine Sondergenehmigung macht dies möglich.ag/eh Digitalisierung bei Bahn und Häfen Schiene muss aus ihrem "Schönheitsschlaf" erwachen Auch bei den anderen Verkehrsträgern spielte das Thema Digitalisierung eine wichtige Rolle. Vor allem gibt es da noch einen großen Nachholbedarf im Vergleich zur Straße, da waren sich die Akteure einig."Es wird Zeit, dass die Schiene aus ihrem hundertjährigen Schönheitsschlaf erwacht", hieß es bei einer gemeinsamen Präsentation von SNCF Logistics und Traxens. Die beiden Unternehmen stellten ihren "Digital Freight Train" vor. Dieser digitale, smarte Güterzug soll den Schienenverkehr revolutionieren. In einem ersten Schritt ermöglicht das System die Kontrolle der Bremsen per App. Sensoren entlang des Zuges kontrollieren diese auf Funktionalität und senden das Ergebnis an den Zugführer. Eine manuelle Kontrolle jeder einzelnen Bremse werde so erspart. Bis 2018 sollen weitere Komponenten das System ergänzen, etwa die Kopplung der Waggons. Kunden können sich zudem jederzeit über den aktuellen Verbleib ihrer Güter informieren lassen.Auf dem Weg zum Ziel, eine "digitale Güterbahn" zu werden, setzt auch DB Cargo auf neue Technologien. So sollen bis 2020 40.000 Güterwagen im Einsatz sein, die mit Stoß-, Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren ausgestattet sind und die Transporte transparenter machen. Über 1,5 Milliarden Euro will DB Cargo bis 2022 in den Schienengüterverkehr investieren, davon sind alleine 400 Millionen Euro für die Digitalisierung vorgesehen.Auch die maritime Wirtschaft arbeitet mit Hochdruck an der Digitalisierung der Prozesse. Die größeren Hafengesellschaften in Hamburg und Bremerhaven vertrauen dabei eher namhaften IT-Dienstleistern. Dakosy ist es im Hafen Hamburg zum Beispiel nach eigenen Angaben inzwischen gelungen, 2500 Unternehmen auf einer Plattform zu verbinden. Andere setzen auf eigene Software-Lösungen - zum Beispiel im Hafen Lübeck. Damit die maritime Wirtschaft bei der zunehmenden Vernetzung mithalten kann, bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen. Dazu gehöre etwa der Ausbau der digitalen Infrastruktur in Häfen, betonte Dakosy-Vorstand Ulrich Wrage. ag/jt/sno

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