Angst vor dem Coronavirus

Was die Finanzkrise vor zehn Jahren nicht geschafft hat, schafft möglicherweise nun Covid-19, wie das Coronavirus offiziell heißt: Die rätselhafte Lungenkrankheit zwingt immer stärker die Weltwirtschaft in die Knie. Auch in Troisdorf bei Bonn sind die Auswirkungen des Coronavirus angekommen. "Im Import aus China kommt deutlich weniger rein, im Vergleich zum Januar sank die Tonnage um 30 Prozent", beklagt Andreas Schlimgen, Geschäftsführer von Schlimgen Logistics Solutions. Sein Betrieb ist direkt am Flughafen Köln/Bonn angesiedelt und lebt stark vom Luftfrachtumschlag; durch seine Lagerhallen wandert alles vom Laptop über Handyhüllen bis zu Pharmaprodukten. "Rund um das chinesische Neujahrsfest Ende Januar herrscht immer Flaute, doch dieses Jahr fehlt das Wiederankurbeln danach völlig", stellt der Speditionschef fest. Während der Import lahmt, stapeln sich in der Exporthalle die Paletten. "Die ersten Kunden suchen andere Wege, um die Fracht Richtung China abzutransportieren, unter anderem kommt vermehrt die Bahn über die neue Seidenstraße zum Einsatz", beobachtet er. Jeder Spediteur, der eigene Slots oder Frachtkapazitäten hat, sei jetzt im Vorteil. Noch zeigt sich Schlimgen gelassen. Alarmstimmung herrsche noch nicht. "Aktuell haben wir noch genug zu tun." Dennoch, die Lage verschärft sich. Der Coronavirus beeinträchtigt bereits die logistischen Ketten weltweit. Das Grundproblem ist die Lage in China selbst: Nach dem Ausbruch des Virus hatte die Regierung die Neujahrsferien kurzerhand verlängert, um weitere Ansteckungen zu verhindern. Seit 10. Februar versuchen die Unternehmen in China, die Produktion wieder hochzufahren. Der Neustart wird jedoch dadurch behindert, dass viele Arbeitnehmer, die ihre Ferien außerhalb ihrer Heimatregion oder im Ausland verbracht haben, zwei Wochen in Quarantäne müssen. Luftfrachtraten explodieren Viele Firmen konnten deshalb ihren Betrieb noch nicht wieder aufnehmen - mit drastischen Folgen: Berichten zufolge sind die Containerschiffe von China nach Europa mangels Ware nur zu 35 Prozent voll - eine nie da gewesene Situation. Apple hat schon vor einem Umsatzrückgang gewarnt, weil nicht genug IPhones zur Verfügung stehen. Nissan und Hyundai mussten mangels Zulieferteilen Werke schließen, Fiat-Chrysler erwartet Produktionsstörungen in Europa. Auch nahezu alle deutschen Speditions- und Logistikdienstleister spüren bereits die Auswirkungen des Coronavirus. "Das Volumen sowohl im Export als auch im Import ist stark nach unten gegangen", berichtet Reto Junginger, Geschäftsführer bei Emons Air & Sea, München. Er tauscht sich ständig mit seinen Kollegen in China aus, was aber dadurch erschwert wird, dass auch sie teilweise noch in Quarantäne sind. Größtes Problem derzeit ist der gestörte Luftverkehr: So hat die Lufthansa-Gruppe alle Passagierflüge nach Peking und Shanghai bis Ende März eingestellt. Damit fällt zugleich die wichtige Belly-Kapazität der Passagiermaschinen weg. Frachtflugzeuge starten nur noch eingeschränkt. "Die Luftfrachtraten sind zum Teil um das 25-Fache angestiegen - und da ist noch kein Ende in Sicht", sagt Junginger. Bei der Seefracht sei die Entwicklung noch nicht so gravierend, doch auch hier rechnet er mit steigenden Raten und Engpässen beim Equipment. Was für Gegenstrategien sind kurzfristig möglich? Hongkong wird noch regelmäßig angeflogen, es läge also nahe, Transporte dorthin umzuleiten. Junginger winkt indes ab. "Waren von dort mit dem Lkw ins Mainland zu befördern, ist schwierig, weil viele Fahrer in Quarantäne sind." Über andere Umwege China anzufliegen, bringe auch nichts, da der innerasiatische Flugverkehr zum Erliegen gekommen sei. Tatsächlich sind derzeit viele Flüge zwischen China und Japan, Taiwan sowie Südkorea ausgesetzt. Dienstleister können im Prinzip aktuell nur abwarten, die Verlader sind schon eher am Zug. "Viele probieren, die Produktion für China hinten anzustellen", beobachtet Junginger. Große Firmen, etwa aus der Automobilindustrie und deren Zulieferer, versuchen, verstärkt auf Lieferanten in anderen Ländern auszuweichen. Sollte das Virus seine störende Wirkung länger entfalten, könne eine Folge sein, dass Firmen ihre Standorte langfristig wieder stärker auf mehrere Länder verteilen. Denkbar sei auch, dass manche vom Just-in-time-Prinzip abrücken, so Junginger. "Die Diskussion läuft, ob es nicht wieder Sinn machen könnte, eigene Bestände aufzubauen." Das erfordere aber große Investitionen, und ob man diese Kehrtwende mache, hänge davon ab, wie gravierend die Krise werde. Gezieltes Krisenmanagement aufbauen Tatsächlich haben vergangene Ausnahmesituationen von 9/11 über SARS bis Brexit gezeigt, dass die Entscheider oft ein kurzes Gedächtnis haben. Sobald sich die Lage entspannt und die Logistik wieder rundläuft, verschwinden Pläne für Puffer-Lager und dergleichen schnell wieder in der Schublade. Dabei raten Experten den Firmen dringend, sich besser auf Ausnahmesituationen vorzubereiten, vor allem durch den Aufbau eines professionellen Risiko- und Krisenmanagements. Dazu gehört es, sich die Kundenstruktur anzuschauen und gefährliche Abhängigkeiten von bestimmten Verkehrsträgern und Relationen zu identifizieren. Zudem sollten Alternativpläne für den Fall bereitliegen, dass bestimmte Verkehrsmittel ausfallen. Ein einfaches Beispiel: Wer nur Seefracht nach China abwickelt, sollte sich parallel dazu mit der Abfertigung von China-Zügen beschäftigen, um im Notfall schnell umschalten zu können. Denn eines ist sicher: Das Coronavirus wird nicht die letzte Störung dieser Art sein, und durch die steigende Vernetzung der Weltwirtschaft verschärfen sich die Folgen einer Krise in Zukunft tendenziell. Aktuell beschäftigt alle indes nur eine Frage: Wie lange hat das Virus die Weltwirtschaft im Griff? Wirken die Gegenmaßnahmen der chinesischen Regierung, und gelingt es ihr, die Zahl der Neuinfektionen zu senken, oder werden noch mehr Regionen "angesteckt"? Selbst wenn der Virus unter Kontrolle gebracht wird, rechnen Logistiker nicht mit einer schnellen Erholung. "Dann gäbe es zunächst weiter Kapazitätsengpässe. Aus so einem Tal kommt man nicht schnell raus", meint Luftfrachtprofi Schlimgen. Reto Junginger von Emons Air & Sea warnt ebenfalls vor zu schnellem Aufatmen. "Selbst wenn bis Mitte März alles unter Kontrolle ist, können wir den wirtschaftlichen Schaden nicht mehr aufholen." Worst-Case-Szenario wäre ein Anhalten der Krise. Das ausfallende China-Geschäft könne man nicht über andere Relationen auffangen, meint Schlimgen. "Ich möchte noch nicht über Kurzarbeit oder Ähnliches nachdenken." Experten warnen bereits vor drastischen Folgen, sollte der Virus nicht gestoppt werden. Das britische Analysehaus Oxfordeconomics hat seine Wachstumsprognose für das Jahr 2020 bereits auf 2,3 Prozent gesenkt - das gilt auf globaler Ebene schon als Rezession. Gerade in der Exportnation Deutschland geht die Angst vor wegfallendem Auslandsgeschäft um; der ZEW-Index, ein führendes Stimmungsbarometer der Wirtschaft, brach zuletzt ein. Ob das Virus schnell abklingt oder die Wirtschaft in langes Siechtum stürzt - Logistiker werden ihre Schlüsse ziehen. "Man sollte stärker links und rechts von der Luftfracht schauen", meint Schlimgen. Seine Spedition organisiert auch See- und Landtransporte und bietet Services für E-Commerce-Anbieter. Schlimgen prüft auch, "strategische Überlegungen" vorzuziehen. "Vielleicht braucht es manchmal solche Warnschüsse, um neue Geschäftschancen aufzutun?" Mehr zum Thema finden Sie unter #Epidemien www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Ausbreitung von Covid-19, wie das Coronavirus offiziell heißt, zwingt Unternehmen weltweit zum Handeln. Denn mit den steigenden Infektionszahlen kommt es auch zu vermehrt Produktionsausfällen und Lieferengpässen. Auch die Logistik leidet unter dem Virus . Coronavirus: Was Firmenchefs jetzt tun sollten Prüfen Sie, ob in Ihren Verträgen eine Klausel zu höherer Gewalt enthalten ist. Höhere Gewalt bedeutet: Ein nicht zu verhindernder Umstand, in diesem Fall die Seuche, macht die Erfüllung eines Vertrags unmöglich. Kann ein Spediteur zusätzliche Aufwendungen (etwa Lagerkosten) nicht vermeiden, muss diese der Auftraggeber tragen. Unter Umständen kann ein Vertrag sogar aufgrund höherer Gewalt gekündigt werden. Benachrichtigen Sie Kunden, die etwa von Verzögerungen betroffen sind. Sonst können Sie sich später nicht auf höhere Gewalt berufen. Diskutieren Sie gemeinsam Maßnahmen, um Nachteile abzumildern. Wenn Sie einen Sitz in China haben, können Sie sich von den Behörden dort ein sogenanntes Force Majeure Certificate ausstellen lassen, das das Einwirken von höherer Gewalt beweist. Diese Bescheinigung können Sie dann Ihren Kunden vorlegen (mehr Infos unter ccpit.org). Um das Höhere-Gewalt-Zertifikat zu bekommen, müssen Sie Unterlagen vorlegen, etwa Bescheinigungen über Verspätungen oder Annullierungen von Flügen. Bewahren Sie alle Dokumente auf, die Sie rund um das Thema Coronavirus von Ihren Geschäftspartnern bekommen. Bedenken Sie: Unter Umständen müssen Sie später beweisen, dass eine Störung unvorhersehbar war und die Folgen von Ihnen nicht hätten verhindert werden können. Sollten Sie keine höhere Gewalt geltend machen können, ist es dennoch möglich, einen Vertrag mit einem chinesischen Verlader anzupassen oder aufzulösen. Lassen Sie von Ihrem Rechtsanwalt prüfen, ob ein sogenannter Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt. Bevor Sie zum jetzigen Zeitpunkt Mitarbeiter nach China entsenden, sollten Sie sich die aktuellen Einreisebindungen durchlesen. Sie sind unter tinyurl.com/corona-einreise auf Englisch einsehbar. Prüfen Sie, wann Ihre Geschäftspartner in China wieder ihre Arbeit aufnehmen dürfen. Dazu erteilen die jeweiligen Provinzen Auskünfte (mehr Info unter china.ahk.de/coronavirus-updates). Unter www.verkehrsrundschau-plus.de fasst die VerkehrsRundschau in einem Blog topaktuell die wichtigsten Meldungen rund um das Coronavirus zusammen, die das Transport- und Logistikgewerbe betreffen. Welche Fluglinien wann wieder ihre Verbindungen nach China aufnehmen, können Sie nachlesen: tinyurl.com/corona-fluege. Informationen über Seefrachtverbindungen geben die Reedereien. Allgemeine Infos geben die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Beijing (china.ahk.de) sowie die Handelskammer der EU in China (europeanchamber.com.cn). cg Quellen: WZR, Starke, Delegation der Deutschen Wirtschaft in Beijing

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