An erster Stelle steht der Erhalt

Interview An erster Stelle steht der Erhalt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer muss künftig mit deutlich weniger Geld auskommen. Im Interview erklärt der CSU-Politiker, warum Erhalt der Verkehrswege wichtiger ist als Neubau und warum eine weitere Mauterhöhung nicht infrage kommt. Herr Ramsauer, welches sind Ihre drei wichtigsten verkehrspolitischen Ziele für die verbleibende Legislaturperiode? Peter Ramsauer: In den nächsten 15 Jahren wird der Verkehr in Deutschland erheblich zunehmen. Vor allem auf den Straßen und im Güterbereich. Diesen Zuwachs zu bewältigen wird wohl die größte verkehrspolitische Herausforderung sein. In den kommenden dreieinhalb Jahren werde ich wichtige Weichen stellen und diese zentrale Aufgabe angehen. Was heißt das konkret? Wir müssen in den möglichen Spielräumen neu bauen und zugleich in den Sub-stanzerhalt unserer Infrastruktur investieren. Außerdem müssen wir die verschiedenen Verkehrsträger noch besser miteinander verzahnen. Nur so können wir mehr Effizienz erzielen. Und – als dritten Punkt – müssen wir unsere verkehrswirtschaftlichen, deutschen Belange stärker in der Welt artikulieren. Von welchen deutschen Belangen sprechen Sie hier? Ein Beispiel ist der Druck aus der Golfregion im Bereich der Luftfahrt. Hier könnten sich ganze Drehkreuze verlagern. Oder der europäische Eisenbahnverkehr – auch hier müssen wir als Nation immer ganz vorne dabei bleiben. Deshalb war für mich völlig klar, dass ich bei einem Aufkauf von Arriva durch die Deutsche Bahn grünes Licht geben würde, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zum Beispiel muss der Heimatmarkt Deutschland immer das Hauptaugenmerk der Bahn bleiben. Welche Hindernisse stehen Ihnen bei der Umsetzung dieser Ziele im Weg? Was den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur betrifft, sind es zwei Dinge: Die Finanzierung und die Akzeptanz vor Ort. Das sind die beiden entscheidenden Faktoren. Und das gilt eigentlich für jeden Verkehrsträger – ob Straße, Schiene, Wasserstraße oder der Luftbereich. Sie sind jetzt fast neun Monate im Amt. Was hat bei Ihrer verkehrspolitischen Arbeit bisher nicht so funktioniert, wie Sie sich es gewünscht hätten? Mich ärgert, wie zögerlich die Europäische Union das Thema Vulkanasche angeht. Bei einheitlichen Standards sind wir zum Beispiel noch längst nicht am Ziel. Deshalb mache ich auf europäischer Ebene Druck. Mit der EU-Kommission sind wir ebenso im Gespräch wie mit wichtigen Partnerländern – England und Frankreich etwa. Hier können wir eine Menge bewegen, da sich gerade kleinere Länder sehr, sehr stark an Deutschland orientieren. Von uns wird eine Art Leitfunktion erwartet. Und was ist Ihnen seit Oktober gut gelungen? Ganz spontan drei Dinge: Ich glaube, dass wir im Bereich der Bahn sehr viel Zukunftsweisendes geschafft haben. Hier habe ich auch persönlich eine Menge Zeit investiert. Es ging vor allem um die bahnpolitische Philosophie und natürlich auch um die Neubesetzung der Leitungsfunktionen. Das neue Trio heißt jetzt Felcht-Grube-Ramsauer. Erfolgreich hat mein Ministerium beispielsweise auch die Vulkanasche-Krise bewältigt. Mit der Marschroute: Die Sicherheit von Passagieren muss an erster Stelle stehen. Und als dritten Punkt sehe ich die bisherigen Haushaltsplanungen 2011. Bei allem Ärger über jede Million, die der Finanzminister einem nicht mehr gibt, ist es gelungen, einen vernünftigen Verkehrsetat aufzustellen. Sie sind mit dem Anspruch in die Haushaltsverhandlungen gegangen, mindestens zehn Milliarden Euro im Verkehrsbereich zu behalten. Warum ist Ihnen dies nicht gelungen? Der Bundesfinanzminister wollte, dass ich wesentlich mehr Geld spare. Doch einschneidende Kürzungen im Verkehrsbereich konnte ich verhindern. Das Ergebnis liegt knapp unter zehn Milliarden Euro. Ich finde, ein Abschlag von einem Zehntel ist bei Betrachtung der politischen Realitäten ein guter Erfolg. Wie geht es nach 2011 weiter? Kommen noch härtere Einschnitte für den Verkehrsbereich? Die Sparvorgaben bis 2014 liegen auf dem Tisch. Doch ich erwarte, dass die Wirtschaft schneller anzieht und damit bekommen wir in der Regierung mehr Spielraum, ohne den Pfad der Haushaltskonsolidierung zu verlassen. Nach dem Ende der Konjunkturpakete bleiben für den Straßenbau kommendes Jahr rund 4,8 Milliarden Euro übrig. Das kann nicht mehr für alle Projekte reichen. Niemand darf sich beschweren, dass die Extragelder aus den Konjunkturprogrammen auslaufen. Es war von Anfang an klar: Das war eine begrenzte Hilfe für zwei Jahre. Wir müssen jetzt mit dem zurechtkommen, was wir tatsächlich zur Verfügung haben. Mein Ministerium arbeitet derzeit an einer Prioritätenliste. Das wird ein Maßstab für unsere Entscheidungen werden. Verzichten Sie künftig auf teure Neubauten, um den Erhalt zu gewährleisten? Erstes Kriterium ist der Erhalt. Ich sehe mit großer Sorge den Zustand vieler Straßen, nachdem fast zwei Jahrzehnte lang die Instandhaltung der Verkehrswege vernachlässigt wurde. Wenn die Politik nicht handelt, sind immense Folgekosten unausweichlich. Wir investieren aber auch in Neu- und Ausbauprojekte. Gibt es Projekte, die Sie auf jeden Fall durchziehen? Es gibt solche strategisch wichtigen Projekte. Ein Beispiel ist die Autobahn A 8 zwischen Stuttgart und Ulm mit dem Albaufstieg. Bei der Schiene sind das die Hafenhinterlandverbindungen wie die Y-Trasse. Wir brauchen gute Verkehrswege, um als Volkswirtschaft nicht den Anschluss zu verlieren. Für mich zählen auch der Bau des Jade-Weser-Ports sowie der Ausbau von Unterelbe und Unterweser zu den strategischen Projekten. Wenn moderne Schiffe nur noch teilabgeladen die deutschen Häfen anlaufen können, dann haben wir die Zukunft verschlafen. Wie wollen Sie diese Projekte finanzieren? Zur Finanzierung müssen wir teilweise auf neue Quellen zurückgreifen. Ich will die öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) vorantreiben. Haushaltsexperten kritisieren ÖPP als verkappte Staatsverschuldung. Hier gibt es unterschiedliche Ansichten. Der Bundesrechnungshof sieht ÖPP als Belastungen für die Zukunft. Ich sehe eher die Vorteile. Die Bagger können schneller anrücken und die Straßen bauen – und das ist mein Hauptkriterium. Ich entlaste mein Budget, aber verzichte im Gegenzug für eine Zeit lang auf einen Teil der Mauteinnahmen. Diese Abwägung muss ich mit meinen Fachleuten treffen. . Wie viel Geld können Sie durch ÖPP überhaupt einnehmen? Die ersten vier Projekte hatten ein Volumen von 1,1 Milliarden Euro, die nächsten acht ein Volumen von 1,5 Milliarden Euro. Hier bereitet mein Haus derzeit die Ausschreibungen vor. Das sind zusammengerechnet 2,6 Milliarden Euro. Bei meinem Jahresbudget für Straßenbau von derzeit knapp fünf Milliarden Euro ein schöner Betrag. Das Transportgewerbe fürchtet, die versprochenen 600 Millionen Euro Mautharmonisierung könnten dem Sparzwang zum Opfer fallen. Besteht diese Gefahr? Wir haben dem Gewerbe einen Ausgleich für die Einführung der LKW-Maut versprochen. Das wollen wir auch weiterhin einhalten. Derzeit werden die zur Verfügung stehenden Gelder vom Gewerbe jedoch nicht voll in Anspruch genommen. Das Problem ist aber erkannt. Das Bundesamt für Güterverkehr versucht nun die Anträge schneller zu bearbeiten. Sprechen Sie auch mit Kanzlerin Angela Merkel über Verkehrspolitik? Ja sicher, wir tauschen uns immer wieder aus. Aus ihrer Zeit als Bundesumweltministerin hat sie einen guten Bezug zu Verkehrsthemen. Sowohl der Kanzlerin als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble sind die ökonomische Bedeutung der Verkehrspolitik bewusst. Schäuble ist ein brillanter Ökonom. Er weiß, welche unmittelbaren Bremswirkungen weitere Einschnitte bei den Investitionen haben. Und er sieht die langfristigen Risiken, die die Vernachlässigung des Erhalts der Infrastruktur hätten. Wird der Finanzminister gütig nicken, wenn Sie – wie von Ihnen schon versprochen – die schon von Ihrem Vorgänger Wolfgang Tiefensee festgelegte Mauterhöhung für Euro-3-Nutzfahrzeuge zum 1. Januar 2011 wieder zurücknehmen? Wolfgang Schäuble wird sagen, damit musst Du selbst zurechtkommen. Das muss ich also in meinem eigenen Etat verkraften. Einen Teil der wegfallenden Einnahmen kann ich auffangen, indem die Ausweichverkehre auf vierspurigen Bundesstraßen bald erfasst werden. Über diese Maut-Ausweitung war das Speditionsgewerbe nicht erfreut. Haben Sie damit nicht das von Schwarz-Gelb verfügte Mautmoratorium gebrochen? Nein, das lasse ich nicht gelten. Das Mautmoratorium gilt weiterhin. Von einem Bruch kann man nur dann sprechen, wenn wir die Mautsätze für Euro-3-Fahrzeuge erhöhen würden, wie es die jetzige Gesetzeslage vorschreibt. Ich habe im Sinne des LKW-Gewerbes entschieden und auf etwa 83 Millionen Euro verzichtet. Ich sehe die Nöte des Gewerbes also ganz genau. Kommt denn die Ausweitung der LKW-Maut auf vierspurige Bundesstraßen schon im kommenden Jahr? Wir sind gerade dabei, die rechtlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen zu klären. Ziel ist es, die LKW-Maut Anfang 2011 wirksam werden zu lassen. Ein sehr ehrgeiziges Ziel, denn es existieren doch ernste rechtliche Bedenken. Ja, das ist ein ehrgeiziges Ziel. Bei der vorliegenden Haushaltslage muss ich aber aufpassen, dass die Kasse stimmt. Mit jedem Monat, den wir hier verlieren, geht auch Geld verloren, das ja ungeschmälert in die Verkehrsinfrastruktur hineinfließen könnte. Rechnen Sie damit, dass die erweiterte Maut-Erhebung europaweit ausgeschrieben werden muss? Wir befinden uns in der Phase der technischen, organisatorischen und rechtlichen Prüfung. Ich gehe derzeit jedoch nicht von einer europaweiten Ausschreibung aus. Ist damit zu rechnen, dass die LKW-Maut über die vierspurigen Landstraßen hinaus auf weitere Bundesstraßen ausgeweitet wird? Dieses Thema steht nicht zur Debatte. Jeder rechnet damit, dass die Maut-Grenze irgendwann von heute 12-Tonnen-Fahrzeugen auf 7,5 oder sogar 3,5 Tonnen abgesenkt wird. Wann wird dies kommen? Es wird in dieser Legislaturperiode keine weitere Erhöhung oder Ausweitung der LKW-Maut geben. Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit die PKW-Maut zur Diskussion gestellt, mussten aber mit Blick auf den Koalitionsvertrag dieses Thema doch wieder zurück-stellen. Warum tun sich FDP und CDU bei diesem Thema so schwer? Hier gehen die Meinungen weit auseinander – sowohl in der CDU als auch in der FDP. Das Thema ist politisch und fachlich noch unreif. Aber die CSU hält die Einführung einer PKW-Maut doch nach wie vor für überlegenswert, oder? Die CSU hat am 18. Dezember 2006 dazu einen bis heute nicht revidierten Parteivorstandsbeschluss gefasst. Damals ging es darum, den Tanktourismus in den Grenzregionen zu reduzieren. Die Mineralölsteuer sollte dafür deutlich abgesenkt und im Gegenzug eine PKW-Vignette eingeführt werden. Eine Thema also für die nächste Legislaturperiode? Jetzt gehen wir erst einmal die Dinge für diese Legislaturperiode an. Sind Sie für die Einführung einer PKW-Maut in den kommenden zehn Jahren? Ich werde nicht orakeln. Was in zehn Jahren ist, kann noch keiner verlässlich vorhersagen. ❙❚■ Sebastian Bollig, Andre Kranke, Jörg Kürschner Gespräch im Ministerbüro: Peter Ramsauer stellt sich den Fragen der VerkehrsRundschau-Redakteure (v. l.) Jörg Kürschner, Sebastian Bollig und Andre Kranke Bei der PKW-Maut sitzt Ramsauer zwischen allen Stühlen: Kanzlerin Angela Merkel lehnt die PKW-Maut ab, in den Ländern gibt es viele Befürworter Vita Peter Ramsauer wurde am 10. Februar 1954 im oberbayerischen Traunwalchen geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre promovierte Ramsauer 1985 an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Parallel machte er eine Lehre zum Müller, die er 1977 als Geselle abschloss. 1980 legte Ramsauer die Meisterprüfung ab. Er ist Inhaber des Familienunternehmens Ramsauer Talmühle aus Traunwalchen. Politisch war Ramsauer früh aktiv. Er gilt als einer der Mitbegründer der Schülerunion in Bayern im Jahr 1972. Seit 1990 sitzt er als direkt gewählter Abgeordneter für die CSU im Bundestag. 2005 bis 2009 war er Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, seit 2008 ist er stellvertretender Parteichef. Im Oktober 2009 übernahm er in der schwarz-gelben Koalition das Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. sb Standpunkte Herr Ramsauer, sind Sie für oder gegen ...  Sind Sie für eine Ausweitung der LKW-Maut auf das gesamte Bundesstraßennetz?  Geben Sie Straßenerhalt Vorrang gegenüber dem Neubau?  Sichern Sie dem Gewerbe weiterhin das Geld aus der Mautharmonisierung zu?  Verkehr bewegt jeden Menschen – muss der Verkehrsminister deshalb auf Volkes Stimme hören? Interview Peter Ramsauer verteidigt die Ausweitung der LKW-Maut auf Bundesstraßen Interview Glossar Öffentlich-private Partnerschaft Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) –oft wird der englische Begriff public private partnership (PPP) verwendet – bezeichnen die Vorfinanzierung öffentlicher Straßen durch Privatunternehmen. Im Gegenzug überlässt der Staat den Unternehmen für einen festgelegten Zeitraum die Einnahmen aus dem Betrieb. Im Straßenbau ist dies die LKW-Maut oder bei einigen Tunnelprojekten eine Durchfahrtsgebühr. sb