+++ Redaktioneller Hinweis: Diese Meldung wurde am 28.05.2021 aktualisiert. +++
Amsterdam. In dem Schadenersatzprozess gegen das Lkw-Kartell hat das Bezirksgericht Amsterdam am 12. Mai 2021 eine Entscheidung zugunsten der Kläger gefällt. Das Gericht machte deutlich, dass es sich beim Verhalten der Hersteller um ein schwerwiegendes Preiskartell handelt. Die Argumentation der Hersteller, es habe sich nicht um Preisabsprachen, sondern um Informationsaustausch gehandelt, ließen die niederländischen Richter nicht gelten.
Die Hersteller hatten eine Abweisung aller Klagen beantragt und behauptet, es sei zu keinem Schaden für die Käufer gekommen, weil es sich bei den Absprachen lediglich um aus Sicht der Hersteller irrelevante Bruttopreise gehandelt habe. Daher hätte es auch nicht zu einem Preisanstieg für Lkw kommen können.
Käufer und Leasingnehmer schadenersatzberechtigt
Das Gericht folgte nun in der Entscheidung den ökonomischen Gutachten der Kläger, die die Auswirkungen des Kartells und den Zusammenhang zwischen Bruttopreislisten und von den Unternehmen gezahlten Preisen darlegten. Außerdem bestätigte das Gericht, dass neben den Käufern auch Leasingnehmern Schadenersatz zustehen kann. Zudem käme in Betracht, dass wegen Nachlaufeffekten auch Fahrzeuge betroffen sind, die noch nach Ende des Kartells im Jahr 2011 angeschafft wurden.
Aussichten für Geschädigte verbessert
Das Urteil könnte wegweisend für die Lkw-Kartell-Klagen in den Niederlanden sein, die mehr als 400.000 Lkw betreffen. „Die Aussichten der Lkw-Abnehmer, einen erheblichen Teil ihrer Kauf- und Leasingraten zurück zu erhalten, haben sich damit nochmals verbessert“, sagt Michael Gramkow, Vorstand der Unilegion Truck Claims Stiftung, die die Interessen von mehr als 500 Unternehmen im Wege einer Sammelklage in den Niederlanden vertritt. Je nach Fahrzeug könnten den Betroffenen nach Angabe von Unilegion Schadenersatzansprüche von über 10.000 Euro zustehen. Geklagt wird in den Niederlanden, weil dort die Prozessbedingungen für Sammelklagen besser sind.
In den Niederlanden droht die Verjährung
Alle Betroffenen, die noch Ansprüche in den Niederlanden geltend machen wollen, mahnt Michael Gramkow zur Eile: „Lkw-Abnehmer, die sich der Sammelklage noch anschließen wollen, sollten umgehend aktiv werden. Eine Teilnahme ist noch bis Mitte Juni 2021 möglich.“ Dann droht die Verjährung der Ansprüche in den Niederlanden.
Durchsetzung in Deutschland noch möglich
Doch wie sieht es in Deutschland aus? „Nach deutschem Recht können Ansprüche noch bis Jahresende durchgesetzt werden“, sagt Dr. Guido Belger, Leiter der Abteilung für Rechts- und Versicherungsfragen beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). „Es dürfte allerdings möglich bleiben, auch später noch Ansprüche gegen Scania geltend zu machen, da die Verjährung gegen Scania gehemmt ist. Das Unternehmen hat nämlich Rechtsmittel gegen die Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission eingelegt. Scania könnte dabei auch für Lkw von anderen Herstellern in Anspruch genommen werden, denn es haftet, wie es juristisch heißt, „gesamtschuldnerisch“ für den ganzen durch das Kartell entstandenen Schaden“, so Belger weiter.
Nach Einschätzung von Belger ist für deutsche Betroffene ein Vorgehen in Deutschland vorteilhaft: „Die deutschen Gerichte sind deutlich schneller als die niederländischen. So gibt es in Deutschland schon mehr als 100 Urteile zum Lkw-Kartell, in den Niederlanden unseres Wissens nach bislang kein einziges. Deswegen hat dieses niederländische Urteil für Deutschland nur untergeordnete Bedeutung, da hier bereits der Bundesgerichtshof vor wenigen Monaten letztinstanzlich das Gleiche entschieden hat, wie jetzt erstinstanzlich das Bezirksgericht Amsterdam.“
Prozessrisiko und Kosten im Blick behalten
Lkw-Käufern, die sich noch der Sammelklage in den Niederlanden anschließen, oder in Eigenregie klagen wollen, rät Belger: „Generell sollte man bei jedem Prozess auch das Risiko und die Kosten im Blick behalten, die sowohl bei einem positiven als auch bei einem negativen Ausgang entstehen können.“
In Deutschland sind rund 400 Schadenersatzklagen gegen das Lkw-Kartell anhängig. Das größte Verfahren begann im Oktober 2019 in München, es geht um 827 Millionen Euro Schadenersatz für 85.000 womöglich zu teure Lastwagen. Die Verfahren werden sich voraussichtlich noch jahrelang hinziehen.
Zwischen 1997 und 2011 hatten sich Daimler, Iveco, DAF und Volvo/Renault über Preise abgesprochen. Im Sommer 2016 erhielten sich dafür eine Rekordgeldbuße der EU-Kommission in Höhe von fast vier Milliarden Euro. (ir)