Testfahrt: V8 gegen Sechszylinder

Wer Scania sagt, hat wahrscheinlich vorrangig das V8-Logo vor dem inneren Auge. Der prestigeträchte Achtzylinder genießt unter den Fans der Marke schließlich echten Kultfaktor – neben den eigentlichen Leistungsdaten des Aggregats sicher auch ein Verdienst von langjährigem und geschicktem Marketing. Erst recht, seitdem der schwedische Hersteller der einzige europäische Lastwagen-Bauer ist, der überhaupt noch die Option auf einen V8 bietet. Aber: Auch Scania-Kunden müssen wirtschaftlich agieren, weshalb der kürzlich eingeführte „Super“-Reihensechs- zylinder mit 12,7 Litern Hubraum dem Achtender mittlerweile deutlich auf die Pelle rückt. Kann es der „kleine“ Bruder am Ende gar besser als der V8, oder steht Letzterer weiterhin als Fels in der Brandung für souveräne Kraftentfaltung und entspanntes Fahren? Fragen, auf die dieses markeninterne Duell auf den winterlichen Straßen Norwegens Antworten liefern soll. Zudem tritt der neue DC13-Sechszylinder siegeswillig in seiner stärksten Variante an. 560 PS und beeindruckende 2800 Newtonmeter Drehmoment ab frühen 900 Touren wirft das Aggregat ins Rennen, das verspricht souveräne Power. Nur zur Einordnung: Der „kleine“ Scania bietet damit bereits deutlich mehr Leistung, als mancher europäischer Wettbewerber überhaupt im Programm hat. Angesichts der für deutsche Augen beeindruckenden Kipper-Konfigurationen, in der beide Testfahrzeuge antreten, werden wir diese Kraft auch brauchen. Beiden 6x4-Fahrgestellen folgt ein dreiachsiger Kippanhänger. Satte 50 Tonnen bringen die beiden Züge jeweils auf die Waage. Wer sich übrigens über die auffällig langen Deichseln der Trailer wundert: Diese sind laut dem mitfahrenden Scania-Instruktor weniger einer brückenschonenden Lastverteilung geschuldet, sondern dem Vorteil, dass die norwegischen Kipper-Fahrer ihren Zug auf diese Weise so einknicken können, dass das Abkippen der Fracht nach hinten auch funktioniert, ohne den Anhänger vorher umständlich abkuppeln zu müssen. In Skandinavien scheint auf den Baustellen deutlich mehr Raum für solche Manöver gegeben zu sein, als das bei uns meist der Fall ist … Seinen Anspruch als „V8-Schreck“ kann der 560er-Super auf den topografisch anspruchsvollen Straßen Norwegens unterstreichen. Wenn wir mal ganz ehrlich sind, braucht niemand mehr Leistung – selbst mit 50 Tonnen im Genick. Zu keinem Zeitpunkt haben wir das Gefühl, untermotorisiert unterwegs zu sein. Den längsten und steilsten Berg auf der norwegischen Nationalstraße absolviert der Sechszylinder souverän mit 50 km/h bei unaufgeregten 1400/min. Dabei hält sich der Reihensechser soundtechnisch stets zurückhaltend im Hintergrund, reagiert aber jederzeit willig wie spontan auf Gaspedalbefehle. Das macht ihn klar zum überzeugenden Vertreter der Vernunft.Der V8 entwickelt einen unvergleichlichen Sound Da drängt sich die Frage auf, was der V8 eigentlich noch besser können soll. Er tritt in der mittleren Version mit 590 Pferdestärken an, sein nomineller Leistungsvorteil ist so groß damit nicht. Anders beim Drehmoment, wo der Achtender mit seinen 3050 Newtonmetern schon einen deutlicheren Vorsprung geltend macht. Alle nominellen Papierwerte rücken mit dem Dreh am Zündschlüssel allerdings in den Hintergrund. Denn schon im Leerlauf lässt der V8 keinen Zweifel aufkommen, was seine Berufung ist – abgesehen von souveräner Kraftentfaltung: Emotionen transportieren. Dafür haben die Sounddesigner in Södertälje den Klang der acht Töpfe in den vergangenen Jahrzehnten zur Perfektion getrieben. Dem kehligen Grollen kann sich kaum ein fahrzeugbegeisterter Zuhörer entziehen und er klingt nicht nur für die Fans der Marke wie Musik in den Ohren. So hofft man direkt, die Steuerungselektronik der Opticruise-Schaltbox möge den Drehzahlbereich oberhalb von 1500 Touren möglichst oft freigeben – was mit 50 Tonnen Gesamtgewicht auch tatsächlich öfter der Fall ist. Erst dann nämlich entfaltet sich das V8-Klangspiel in seiner vollen Dramatik, was der Person hinter dem Lenkrad das akustische Gefühl vermittelt, die Power dieses Scania wäre nahezu unendlich. Da wir aber eben nicht im Topmodell mit 770 PS, sondern „nur“ im 590er sitzen, bewegt sich das Leistungsplus, rein rational gesehen, eher im zu vernachlässigenden Bereich. Den erwähnten Messberg überwindet der V8 mit Tempo 55 km/h bei 1500 Touren, also gerade einmal um fünf km/h schneller. Was dagegen auf ebener Strecke auffällt: Der volumige V8 ist und bleibt ebenfalls der Meister des Drehzahlkellers. Den beherrscht der „Super“-Sechszylinder zwar auch, er nutzt den Bereich unterhalb von 1000/min aber meist nur im Overdrive-Modus der zwölften Fahrstufe. Der wird vorrangig in leichten Gefällen aktiv, wodurch das in beiden Scania verbaute G33-Getriebe den letzten Tropfen Diesel sparen will. Beim V8 besucht die Nadel des Drehzahlmessers dagegen sogar beim Beschleunigen regelmäßig die 800-Touren-Marke. Und das, ohne dass das 16,1 Liter große Aggregat in irgendeiner Weise angestrengt wirken, geschweige denn störende Vibrationen entwickeln würde. Was der V8 aber entwickelt, sind Emotionen, und das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum Scania seinen Achtzylinder tapfer weiter über jede neue Schadstoffnorm hinweghebt – Stichwort Fahrermangel. Tolle Fahrzeuge helfen, tolle Fahrer/ -innen langfristig ans Unternehmen zu binden, und der Scania V8 steht bei der Fahrerschaft eben hoch im Kurs. Das ist manchem Transportunternehmen mehr wert als der letzte Tropfen Spriteinsparung. Wer darauf Wert legt, kommt bei Scania am „Super“-Sechszylinder nicht vorbei, hier hat der V8 klar das Nachsehen. Zusätzlich verbessert der „Sechser“ die Gewichtsbilanz des Greifs um 350 Kilogramm und dürfte zusätzlich in der Anschaffung ein paar Euro sparen, auch wenn Scania hier keine konkreten Zahlen nennt. Und mal ehrlich: 560 PS sind ebenfalls ein Brett! Noch gar nicht so lange her, dass man mit solcher Power der absolute König auf europäischen Autobahnen war. Wenn nur der Sound nicht so brav wäre! (jb)

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