Mit "E" in die Ferne

In Kürze Weniger die Technik des Volvo FH Electric, als vielmehr die gegebenen Rahmenbedingungen auf der Strecke machten die Fahrt von München nach Berlin spannend. Schließlich gibt es auf den rund 600 Kilometern noch keine einzige lkw-spezifische Schnellladesäule. Eigentlich ist die Sache klar: Ein Volvo FH ist für die Langstrecke prädestiniert. Erst recht, wenn er, wie das Testfahrzeug, die große "Globetrotter XL"-Kabine mit Komplett-Ausstattung auf dem Rahmen trägt. Trotzdem stehen vor dieser Tour von München nach Berlin einige Fragezeichen, denn unser FH verbrennt weder Diesel noch Gas, sondern bewegt sich batterieelektrisch fort. Warum uns Volvo zu diesem Selbst-versuch einlädt? "Weil wir es können!", lautet die selbstbewusste Antwort des schwedischen Herstellers als kleiner Seitenhieb in Richtung Wettbewerb. Denn als einziger der großen Lkw-Produzenten bietet Volvo Trucks seine schweren elektrischen Modelle bereits in Serie für jedermann kaufbar an. Im Vorfeld der Tour ist sorgfältige Vorbereitung gefragt. Per App informieren wir uns über die zur Verfügung stehenden öffentlichen Schnellladesäulen entlang der Strecke. Schließlich genügen die 540 kWh-Batterien des Volvo FH Electric laut Herstelleraussage für knapp 300 Kilometer. Vor allem mit Blick auf unser Gesamtgewicht von knapp 39 Tonnen ist unterwegs also mindestens einmal Nachladen angesagt. Zumal der Wetterbericht Regen und starken Ostwind voraussagt - beides nicht hilfreich im Kampf um möglichst viele elektrische Kilometer. Fest steht ebenfalls: Egal welche Ladesäule wir unterwegs ansteuern, sie wird für Pkw ausgelegt sein und kaum Platz für einen ausgewachsenen Lastzug bieten. Es verspricht also eine im wahrsten Sinne spannende Fahrt zu werden. Start im München mit 99 Prozent Akku Die beginnt allerdings äußerst entspannt. Erstens weist die recht klein dargestellte Batteriestandsanzeige beim Start in der Volvo-Niederlassung in München-Aschheim beruhigende 99 Prozent Kapazität aus, und die rechts neben dem Tacho zu findende Reichweitenanzeige vermeldet 277 Kilometer. Vor allem aber herrscht in der Globetrotter-Kabine eine himmlische Ruhe, mit der kein Verbrennermodell mithalten kann. Selbst bei höheren Tempi sind lediglich das Abrollen der Reifen sowie sanfte Windgeräusche zu vernehmen. So hat man eher das Gefühl, über die Straße zu schweben, als zu rollen. Ansonsten erfordert der Umstieg vom Verbrenner-FH in den Electric kaum Umgewöhnung. Alle Bedienelemente finden sich an gewohnter Stelle. Das gilt ebenfalls für den Getriebewählhebel am Fahrersitz. Einfach auf "D" schieben und das Gas-, pardon, Fahrpedal, treten - schon setzt sich der Stromer kommod in Bewegung. Bei knapp 40 km/h erfolgt der erste, lediglich durch eine kurze Zugkraftunterbrechung spürbare Gangwechsel. Beim Getriebe handelt es sich um die vom Verbrenner übernommene I-Shift-Box mit zwölf Fahrstufen - auch wenn im Electric unter normalen Bedingungen nur die Gänge der oberen Getriebegruppe zum Einsatz kommen. Angefahren wird in der Ebene beispielsweise im siebten Gang. Auf diese Weise genießen wir das komfortable Dahingleiten und werfen erst nach 100 Kilometern wieder einen Blick auf die Batterieanzeige. Sie steht bei 68 Prozent und 188 Kilometer Restreichweite, der Durchschnittsverbrauch pegelt bei 115 kWh pro 100 Kilometer. Also alles gut, auch wenn der Regen mittlerweile stark gegen die Windschutzscheibe prasselt.Weitere 50 Kilometer später ist die Lage immer noch entspannt. Wir nähern uns Nürnberg, der zum Laden angepeilte Autohof auf knapp der Hälfte der Strecke scheint problemlos erreichbar. Kurz darauf allerdings der erste Dämpfer, als der FH die erste ernst zu nehmende Steigung der Strecke absolviert: Oha, über 5,5 Kilometer bergauf haben wir ganze sieben Prozent Akkukapazität verloren, plötzlich sind nur noch 40 Prozent übrig. Erste Unruhe macht sich beim Fahrer bemerkbar. Denn klar ist: Dieser Stich war erst der Anfang auf der bergigen A 9! Souveräne Fahrleistungen Was der E-FH aber ebenfalls offenbart: 666 PS (im Peak 810!) und 2400 Newtonmeter Drehmoment der Elektro-Maschine haben keinerlei Probleme, den Verbrenner-Kollegen die Stirn zu bieten. Von denen ist am Berg kaum einer schneller, und wenn doch, steht meist die Liftachse des Aufliegers oben. Konsequent abwärts geht es aber mit den Akkus, auch weil die anspruchsvolle Topografie den Durchschnittsverbrauch auf 125 kWh klettern ließ. 250 Kilometer liegen hinter uns und die Anzeige spricht von besorgniserregenden 17 Prozent. Bis zum angepeilten Lader sind es zwar nur noch etwa 30 Kilometer, doch die Reichweitenangst hat uns nun voll im Griff. Da kommen schließlich noch einige Steigungen, außerdem meldet das Navi nun auch noch einen Stau kurz vor dem Zwischenziel. Eine Entscheidung muss her. Wir beschließen auf Nummer sicher zu gehen und an einer leistungsschwächeren Säule in der Nähe einen kurzen "Booster" einzulegen. 81,4 Kilowatt-Stufen lassen die Anzeige wieder auf 41 Prozent klettern; den eigentlichen Ladepunkt am Autohof Selbitz auf Höhe des Autobahndreiecks Vogtland erreichen wir so problemlos. Dort müssen wir zunächst den Auflieger auf dem Parkplatz abstellen, bevor die Zugmaschine am 300-kW-Schnelllader für Pkw andocken kann. Zeit für eine wohlverdiente Mittagspause, während sich die Batterien mit durchschnittlich 220 kW füllen - 250 kW könnte der Bordlader des FH übrigens maximal verkraften. Nach gut eineinhalb Stunden sind 275,56 kWh durch das dicke Stromkabel des CCS-Laders geflossen, die Akkus stehen wieder bei 99 Prozent. Die restlichen 315 Kilometer Fahrstrecke sollten eigentlich möglich sein, denn ab Leipzig stehen schließlich kaum noch Berge im Weg ... Die Reichweitenangst ist zurück 50 Kilometer vor dem Endziel hat uns die Reichweitenangst allerdings wieder, Stark-regen und der kräftige Ostwind haben den Volvo Kräfte gekostet. 22 Prozent verbleiben noch bis zur Berliner Volvo-Niederlassung. Das wird ohne Frage eng, müsste aber eigentlich passen. Allerdings klärt mich der Volvo-Werksfahrer nun über den ab 15 Prozent Restbatterie automatisch eingeleiteten Energiesparmodus auf, in dem die Elektronik unter anderem das Höchsttempo auf 80 km/h begrenzt. Was soll's, auf den letzten zehn Kilometern ist das auch schon egal. Dass die sich trotzdem wie Kaugummi ziehen, liegt eher an der stetig weiter fallenden und längst bedrohlich dunkelgelb blinkenden Batterieanzeige. Sechs Prozent sind es am Ende, als wir das Volvo-Logo der Berliner-Niederlassung endlich erspähen. Überzeugende Energiebilanz Kräftiges Aufatmen und Zeit für die Endabrechnung: Auf den 598 Kilometern wurden 748 kWh Strom fällig, das ergibt einen Durchschnittsverbrauch von 125,08 kWh/100 km. Zum Vergleich: Umgerechnet auf einen Verbrenner-Lkw würde das einem Dieselverbrauch von unschaffbaren 12,8 l/100 km entsprechen! Was einmal mehr die unschlagbare Effizienz des batterieelektrischen Antriebs beweist. Auch weil 121 kWh auf der Strecke unentgeltlich durch Rekuperation beim Rollen oder Bremsen erzeugt wurden. Hier schaltet der E-Motor auf Generatorbetrieb um und erzeugt so Strom, der zurück in die Batterien geleitet wird. Alternativ kann die Rekuperation auch per Zug am rechten Lenkstockhebel eingeleitet werden und übernimmt dann ähnlich wirkungsvoll die Funktion der Motorbremse. Was wir auf dieser Tour gelernt haben? E-Lkw fahren macht riesigen Spaß - sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Und zu denen gehört die Langstrecke (noch) nicht. Den hohen Zeitverlust durch das Nach-laden kann sich kein Transportunternehmen leisten, außerdem ist die Reich-weitenangst und das umständliche Ab- und Aufsatteln für den Ladevorgang dem Fahrpersonal kaum zuzumuten. In einigen Jahren, in denen erste Lkw-Ladeparks an den Autobahnen entstehen dürften, wird die Sache allerdings anders aussehen - die Zeit läuft also klar für die Batterieelektrik. Bis dahin lässt sich der FH Electric trotzdem bereits problemlos einsetzen. Nämlich so, wie es Volvo Trucks ausdrücklich empfiehlt: auf kürzeren Strecken, beispielsweise von Depot zu Depot, in denen eine entsprechende Lademöglichkeit gegeben ist. Dann kommt Strom in den FH, während gleichzeitig die Fracht rauskommt und der Electric wäre ohne Zeitverlust nahezu lautlos und lokal emissionsfrei zurück auf der Straße. Motor Drei ETP-Synchron-Elektromotoren mit je 163 kW (222 PS) Leistung, Wasserkühlung, Leistung: 490 kW (666 PS), Peak-Leistung: 596 kW (810 PS),max. Drehmoment 2400 Nm ab 0/min Kraftübertragung automatisiertes, unsynchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe (Volvo Group "I-Shift AT2612"), Range- und Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 4 Rückwärtsgänge; für den Elektroeinsatz wird vorrangig nur die obere Rangegruppe mit den Gängen 7 bis 12 genutzt, Übersetzung Hinterachse: i = 2,64 Fahrwerk & Bremsen Vorn: 9,0-t-Achse, Zweibalg-Luftfederung mit aktiver Absenkung um 35 mm oberhalb von 60 km/h, Stabilisator Hinten: 12,0-t-Antriebsachse (Volvo Group RSS 1244); Vierbalg-Luftfeder mit Stabilisator,Dauerbremse: Verzögerung über dreistufigenRekuperationsmodus Maße & Gewichte Radstand 3800 mm, L x B x H 6080 x 2495 x 3948 mm, Leergewicht 10.500 kg (fahrfertig, mit Fahrer, inkl. 540 kWh-Batterien) Batterien und Ladezeiten Lithium-Ionen-Akkus, modular aufgebaut Kapazität pro Stack: 90 kWhKapazität Testfahrzeug: 540 kWhbestehend aus 6 Batteriestacks a 90 kWh(wahlweise auch 2 oder 4 Stacks lieferbar) Ladezeiten (Wechselstrom): Wallbox max. 43 kW, 0-100 % in ca. 10 StundenLadezeiten (Gleichstrom): bei 500 bis 750 V mit CCS2 und max. 250 kW: 0-80 % in 1,4 Std. bzw. 0-100 % in 1,9 Std. (Werksangaben) Mehr zum Thema finden Sie unter #VolvoTrucks www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag