Mercedes-Benz: Actros mit Update

Auch schon wieder zwölf Jahre her, seit Mercedes-Benz das Grundmodell seines "New Actros" präsentierte. Genauso lange bestehen auch die seitdem unzählige Male angesprochenen Kritikpunkte am Schwer-Lkw mit dem Stern an der Front, Stichworte: Geräuschdämmung, Kupplungssteuerung oder Getriebeabstimmung. Nach der jüngsten Modellpflege sollen die nun aber ein für alle Mal Geschichte sein, so zumindest das Versprechen der Verantwortlichen in Wörth am Rhein. Zur Beweisführung schicken wir diesen Actros L 1848 auf die VR-Testrunde. Ausstattungsseitig schöpft der schon mal aus dem Vollen. Außen zieren zahlreiche Chrom-Applikationen das große Giga-Space-Fahrerhaus, innen verspricht unter anderem die Sitzecke der Alleinfahrer-Ausstattung "Solo-Star" einen gemütlichen Feierabend. Bis der naht, haben wir noch einige Fakten zu checken. Den ersten liefert der Druck auf den Motorstartknopf: Das Verbrennungsgeräusch des OM 471 präsentiert sich nach dessen Überarbeitung leicht dumpfer, vor allem aber spürbar leiser als beim Vorgängermodell. Dieser Eindruck bestätigt sich auch während der Fahrt. Der Mercedes-Benz stellt sich zwar weiterhin nicht unbedingt an die Spitze der leisesten Lastwagen, der Geräuschpegel geht jetzt aber völlig in Ordnung. Test mit Referenz-Lkw Unser Volvo FH 460 I-Save mit Curtainsider von Schmitz Cargobull sorgt für vergleichbare Testergebnisse. Dafür wurde die VR-Testrunde unter guten Wetterbedingungen abgefahren. Liegen die Verbrauchswerte des Referenz-Lkw am Testtag über oder unter diesem Wert, ist klar, dass das Testfahrzeug schlechtere oder bessere Bedingungen hatte, was sich entsprechend zurückrechnen lässt. Feinfühligere Kupplungssteuerung Auch den nächsten Punkt auf unserer Liste meistert der Actros L mit Bravour. Vorbei die Zeiten, als die Actros-Kabine regelmäßig ins Schütteln geriet, wenn sich beim Anfahren die Kupplung schloss. Im neuen Modell gelingt dieser Vorgang butterweich - so wie es eben sein soll. Passend dazu bekam Daimler auch eine spürbar bessere Performance seines OM 471 hin. Der Reihensechszylinder hängt zumindest in der getesteten Einstellung mit 476 PS williger am Gas als früher. Auch der Drehzahlkeller ist kein rotes Tuch mehr. Wo früher an Bergen spätestens bei 1100/min eine Rückschaltung eingeleitet wurde, lässt die Steuerungselektronik jetzt regelmäßig 200 Touren weniger zu, was das Aggregat gut mitmacht. Eine umso wichtigere Tatsache, weil unser Testfahrzeug mit der längst möglichen Hinterachsübersetzung ausgerüstet ist, die bei Reisetempo 85 km/h niedrige 1100 Motorumdrehungen zur Folge hat. Diese neue Elastizität hätten wir im Vorfeld beim Blick auf die Papierwerte nicht unbedingt erwartet. Denn der OM 471 liefert sein maximales Drehmoment weiterhin erst bei 1100 Touren und damit deutlich später als alle vergleichbaren Dieselmotoren des Wettbewerbs. Zusätzlich hat der neue Actros eine weitere neue Waffe an Bord, die während unserer Testfahrt allerdings gar nicht zum Einsatz kommt. Die Rede ist von der Drehmomenterhöhung um 200 Newtonmeter - Top-Torque genannt -, die seit dem Motorenupdate nun schon von der siebten bis zur zwölften Fahrstufe zur Verfügung steht. Allerdings hinterlegt Mercedes-Benz besagte Erhöhung nur in den Fahrprogrammen "Standard" und "Power". Um dem Mercedes aber auch in Sachen Wirtschaftlichkeit Topwerte zu ermöglichen, wählen wir den Eco-Modus, in dem Top-Torque weiterhin nur im zwölften Gang hinterlegt ist. Unserer Meinung nach kein großes Manko, denn der 480er geht an Steigungen auch so mit viel Power zu Werke, die nah an den 510er oder gar die 530-PS-Einstellung der Vorgänger-Generation des OM 471 herankommt. Ein Kritikpunkt blieb erhalten Verbesserungen auch beim Getriebe. Das überarbeitete Powershift-Getriebe - erkennbar am neuen Namenszusatz "advanced" (englisch: "fortgeschritten"), wechselt die Fahrstufen jetzt spürbar schneller, was den Kraftschluss an Bergen entsprechend früher wiederherstellt. Ein Kritikpunkt bleibt allerdings weiter bestehen: Rollt der Actros im Ecoroll-Modus in eine Steigung hinein, leitet die Elektronik den Wechsel zurück in die Fahrstufe immer noch zu spät ein. Bis der Kraftschluss dann wieder gegeben ist, ist die Fuhre so schnell 3 km/h unter die eingestellte Tempomatgeschwindigkeit gefallen, die bergauf mühsam wieder zurückerobert werden muss. Eine umso überraschendere Tatsache, als alle anderen Systeme, wie beispielsweise der GPS-Tempomat, es mit der Regelgenauigkeit peinlichst genau nehmen. In diesem Zusammenhang sei noch eine Neuheit erwähnt, die den vorausschauenden Tempomaten für die Landstraße "Inter-Urban" betrifft: Setzt man vor Autobahnausfahrten den rechten Blinker und aktiviert die erste Stufe der Motorbremse, regelt die schlaue Elektronik ab hier die Geschwindigkeit automatisch passend für die kommende Ausfahrt, weshalb man sich dann nur noch ums Lenken kümmern muss. Oder man nutzt den Moment für Veränderungen an Heizung, Lüftung, Radiosender oder Abblendlicht. Diese Funktionen wollen nämlich im Touchscreen in der Mittelkonsole gefunden werden, das digitale Bedienkonzept des Mercedes ist nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ... Kommen wir zum Thema Wirtschaftlichkeit: Mit 80,02 km/h legt der 1848 ein schnelles Durchschnittstempo vor und stellt dafür 23,75 l/100 km für die Beförderung unseres teilbeladenen Krone-Curtainsiders in Rechnung. Hier inkludiert ist wie immer der AdBlue-Verbrauch, der sich auf niedrigen sieben Prozent vom Dieselverbrauch einpendelt. Für eine Sattelzugmaschine dieses Kalibers völlig in Ordnung gehen die 7590 Kilogramm Leergewicht, die das nahezu komplett ausgestattete Testfahrzeug auf die Waage bringt. Insgesamt also eine durchaus erfreuliche Vorstellung des überarbeiteten Actros. Die jüngste Modellpflege hat sich spürbar gelohnt, Zeit wurde es nach zwölf Jahren Bauzeit! Fazit: Tatsächlich besser! Jan Burgdorf, Test-Redakteur, jan.burgdorf@tecvia.com Wer seinen Fahrern/Fahrerinnen einen Actros im Format des Testfahrzeugs gönnt, der dürfte für einen gehörigen Motivationsschub beim Personal sorgen. Beste Ausstattung und viel Platz in der großen GigaSpace-Kabine. Auch die Vorzüge des Solo-Star-Alleinfahrerpakets lernt man schnell zu genießen (erstaunlich, dass weiterhin noch kein anderer Lkw-Hersteller Ähnliches anbietet). Ebenfalls zum Komfort bei trägt das jüngste Facelift, mit dem Mercedes-Benz tatsächlich (fast) alle langjährigen Actros-Kritikpunkte beseitigte. So wird der Stern wieder mehr Pluspunkte bei Unternehmern und gleichermaßen in der Fahrerschaft sammeln! Bewertung MB Actros 1848 GigaSpace Motor/Antrieb (max. 140) 124 Getriebe/Kupplung (max. 140) 122 Bremsen (max. 120) 106 Lenkung (max. 40) 34 Pedale (max. 20) 16 Fahrverhalten (max. 60) 53 Sicht (max. 50) 43 Klima/Lüftung (max. 50) 40 Sitze (max. 40) 32 Armaturen/Instrumente (max. 50) 40 Scheibenwischer (max. 30) 24 Fahrerhaus (max. 240) 211 Gesamtwertung (max. 980): 845 Testurteil + großzügiges Platz- und Stauraumangebot im GigaSpace, hoher Komfort, niedrige Geräuschkulisse, komfortable Alleinfahrerausstattung "Solo-Star", gute Verarbeitung und Materialgüte _ vergleichsweise hoher Einstieg über fünf Stufen, eher kompliziertes und wenig intuitives Bedienkonzept über Touchscreen, fummelige, weil berührungsempfindliche Lenkradtasten Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (OM 471), Common-Rail, Single-Turbolader, vier Ventile pro Zylinder, Euro 6e mit SCR-Kat, Abgasrückführung und DPF, Hubraum: 12.809 cm3, Leistung: 476 PS (350 kW) bei 1600/min, max. Drehmom.: 2300 Nm bei 1100/min in Gang 7 bis 12: 2500 Nm bei 1100/min (im Standard- und Power-Modus) Kraftübertragung "Powershift 3 Advanced", unsynchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe, 12 Vorwärtsgänge, 4 Rückwärtsgänge, Hinterachsübersetzung: i = 2,412; elektropneumatische Einscheiben-Trockenkupplung Fahrwerk HA: 13,0-t-Hypoidachse; Vierbalg-Luftfederung mit Stabilisator, Teleskopstoßdämpfer VA: 8,0-t-Lenkachse, gekröpfte Ausführung, Zweibalg-Luftfederung, Stabilisator Bremsen Scheibenbremsen; "High-Performance"- Motorbremse: 425 kW bei 2300/min, Option: Öl-Retarder (im Test-Lkw verbaut) Maße & Gewichte Radstand: 3700 mm; L x B x H: 5858 x 2548 x 3971 mm; Leergewicht: 7590 kg (ohne Fahrer), inkl. 400 l Diesel, 60 l AdBlue Verbräuche und Geschwindigkeiten: 342,8-km-Teststrecke l/100 km km/h Autobahn medium (40 t) A 9 Allershausen - A 93 Regensburg 24,51 84,62 Autobahn hügelig (40 t) A 3 Regensburg - Nürnberg 25,37 84,02 Autobahn Rolletappe (40 t) A 9 Nürnberg - Langenbruck 24,09 83,86 Landstraße (40 t) Langenbruck - Dasing 18,06 62,28 Autobahn leicht (40 t) A 8 Dasing - A 99 AS M-Ludwigsfeld 25,92 84,31 Durchschnitt (gewichtet): 23,75 80,02 Bergwertung Autobahn (Kindinger Berg, A 9) Zeit: 3,26 min, Vmin 79 km/h, Gang: 11 bei 1350/min

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