Wirtschaftskrise und Lösungen: VSL diskutiert mit Cem Özdemir und Lars Feld

Die Talfahrt der deutschen Wirtschaft hat sich im August beschleunigt, wie das Handelsblatt unlängst titelte, und die Zahl der Unternehmenspleiten und -insolvenzen steigt – auch im Speditions- und Logistikgewerbe. Kein Wunder, dass derzeit dringend nach Wegen gesucht wird, um die Misere zu überwinden, so auch auf der Jahresmitgliederversammlung des Verbandes Spedition und Logistik (VSL) in Stuttgart. Giftiger Cocktail für Unternehmen „Der Cocktail aus höheren Löhnen, Steuern, Lohnnebenkosten, Zinsen, einer erhöhten Inflation und Energiekosten sowie ein Höchststand bei den Bürokratiekosten ist nicht ungesund, sondern giftig“, machte VSL-Präsident und Wiedmann & Winz-Unternehmenschef Micha Lege klar. „Es ist genug, die Belastungsgrenze der Unternehmen ist überschritten“, warnte er. „Wir brauchen ein Belastungsmoratorium in Deutschland und der EU, keine weitere Bürokratie. Die Politik muss endlich wieder Möglichkeiten schaffen, und die Unternehmen ermutigen. Es fehlt ein großer Wurf.“ Außerdem brauche es mehr Mut zur Technologieoffenheit bei der Bewältigung der Antriebswende. „Spitzenreiter“ bei Kosten Zustimmung kam von Lars Feld, Wirtschaftspolitik-Professor der Universität Freiburg und Chef-Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der in seiner Rede pointiert herausarbeitete, was die deutsche Wirtschaft nicht vorankommen lässt. Deutschland sei in Europa in der Spitze, formulierte er es, leider aber in Kategorien, in denen man es sich nicht unbedingt wünsche: Bei den Arbeits- und Energiekosten, der Steuerlast und den Regulierungskosten sei die Republik auf den Plätzen ein bis vier. Die Folge: Seit drei Jahren befindet sich die deutsche Wirtschaft in der Stagflation. Und auch in diesem Jahr wird laut Feld die deutsche Wirtschaft „nur etwas über null Prozent“ wachsen (Stand der Redaktion 17. Juli 2024). „Je nach Prognose können das auch plus 0,2, 0,3 oder 0,5 Prozent sein. Das wird aber nicht der Game-Changer sein, den wir brauchen.“ Denn dass es zum Beispiel der private Konsum – trotz gestiegener Reallöhne und gesunkener Inflation - in der zweiten Jahreshälfte herausreißen werde, bezweifelte er. „Das wäre für mich eine Überraschung. Das hat viel mit Unsicherheit zu tun. Bis deutsche Konsumenten ihre Ersparnisse auflösen, dauert das.“ Professor Feld, Wirtschaftspolitik-Professor der Universität Freiburg und Chef-Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner Schwächere Produktivität Wenn die deutsche Wirtschaft also im kommenden Jahr tatsächlich um 1,0 Prozent (BIP-Prognose der Bundesregierung – die Redaktion) wachsen wolle, müsse das in Kombination mit der Außenwirtschaft und privaten Investitionen erfolgen, betonte Feld. Dafür braucht es Impulse. Stattdessen seien zum Beispiel die Arbeitskosten in Deutschland die höchsten in ganz Europa, der Arbeitsmarkt ist über-reguliert. So werden Themen wie Leiharbeit und Zeitarbeit immer stärker restringiert.“ Sprich: Die Lohnstückkosten sind seit 2015 wieder in Deutschland gestiegen. Und der Demographie-Wandel sei in Deutschland so stark, betonte der Ökonom, dass der Arbeitsmarkt auch in den kommenden Jahren ein von der Angebotsseite (Arbeitnehmer-Seite – die Redaktion) getriebener Markt bleiben werde. Gleichzeitig sei die Produktivität schwächer geworden. Auch die Industriestrompreise werden Feld zufolge wohl nicht mehr zurückgehen, wobei Deutschland heute schon den höchsten Industriestrompreis unter den G7-Staaten habe. „Wir steigen aus der Atomenergie aus und machen die Energie über mehr Abgaben immer noch teurer. Japan macht das zum Beispiel nicht“, formulierte er es. Hinzu komme, dass Deutschland trotz regenerativer Energie für die Stromerzeugung weiterhin fossile Energieträger in den sogenannten Dunkelzeiten brauchen werde, etwa teurere Gas-Kraftwerke. Zusätzlich wird der CO2-Preis seinen Aussagen zufolge steigen. Feld wörtlich: „Wir schaffen die Transformation nur über eine höhere CO2-Bepreisung.“ Anstatt Unternehmen steuerlich zu entlasten, passiert aber das Gegenteil: 2007 habe Deutschland unter den G7-Staaten noch die niedrigste Steuerbelastung gehabt, betonte der Ökonom. „Jetzt haben wir die zweit-höchsten tariflichen Steuerbelastungen.“ Alle Staaten hätten ihr Steuersystem reformiert – mit Ausnahme von UK. „UK kann sich das leisten. Wir nicht. „Wir sind da sogar schlechter als Frankreich.“ Überdies sind in Deutschland die Regulierungskosten zu hoch. So ist seit Amtsantritt der Ampelregierung der Bürokratiekostenindex, erhoben durch das Statistische Bundesamt, stetig gestiegen. „Wichtige Trends verschlafen“ Bange machen gilt aber nicht: Deutschland sei noch immer ein innovatives Land, betonte der Wirtschaftspolitik-Professor. „In einigen Bereichen sind wir noch vorne. Wir haben aber auch wichtige Trends verschlafen.“ Da müsse also dringend etwas passieren, appellierte er. Wenn Arbeitskräfte fehlen, müssten die Betriebe in den technischen Fortschritt gehen. „Da müssen wir mehr machen. Da waren wir früher viel, viel besser.“ Dafür seien aber auch Rahmenbedingungen nötig, adressierte er an die Politik, die Innovationen zulassen. „Wir müssen dringend wieder in die Deregulierung rein.“ Zusätzlich könne der Standort Deutschland von Handelsabkommen profitieren. „Sich nicht abschotten, sondern zusammenarbeiten, wo es geht.“ Freihandelsabkommen sind keine Bedrohung Auch Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sprach sich auf dem VSL-Event für grenzüberschreitende Zusammenarbeit aus. „Wir müssen eigene Bündnisse schmieden“, erklärte er. Er habe in seiner Partei schon frühzeitig die Auffassung vertreten, dass Freihandelsabkommen keine Bedrohung darstellen, sondern die Interessen Europas und die gemeinsamen Werte absichern. Auch vor Bauern bringe er diese Haltung zum Ausdruck und habe zum Beispiel das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten verteidigt. Und bezüglich Bürokratie und Genehmigungsverfahren äußerte sich Özdemir auch. Glücklicherweise dauere es keine sieben Jahre mehr, bis ein Windrad genehmigt werde, sondern im Schnitt nur noch drei Jahre, sagte der Bundesminister. Doch es gebe noch Luft nach oben – auch bei der Genehmigung von Photovoltaik-Anlagen.

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