"Wir dulden keinen Missbrauch"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat soeben einen Gesetzentwurf vorgestellt, um die Paketzusteller vor Ausbeutung zu schützen. Damit sollen die Paketdienste verpflichtet werden, Sozialabgaben für ihre Subunternehmer nachzuzahlen, wenn diese nicht den Mindestlohn einhalten. Wie kommentieren Sie Heils Vorstoß? Wir sehen das als Diskurs zwischen den beiden Großkoaltionären - kurz vor der Europawahl im Mai 2019. Die beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD befürchten, dass sich viele Wähler von ihnen abwenden und suchen deshalb krampfhaft nach Themen. Das ist aus unserer Sicht ein klassisches Wahlkampfthema. Heil will damit Lohndumping und Sozialbetrug in der Kurier-, Express- und Paketbranche (KEP) beseitigen - auch auf Basis der Ergebnisse, die eine deutschlandweite Zollrazzia vor wenigen Monaten bei Hunderten von Subunternehmern erbrachte, die für Paketdienste tätig sind. Auf unsere Branche bezogen möchte ich mit aller Deutlichkeit betonen, dass für uns und unsere Mitgliedsunternehmen hohe Sozialstandards, ein gutes Arbeitsumfeld und faire Arbeitsbedingungen das A und O sind. Und dazu gehört selbstverständlich auch das faire Miteinander mit unseren Vertragspartnern. Was die besagte Zolluntersuchung angeht - der Begriff Razzia ist an dieser Stelle unzutreffend -, möchte ich gerne eines hervorheben: Im Anschluss dieser 12.860 Personenbefragungen ließen die fast 3000 Zollbeamten bislang 24 Strafverfahren einleiten, in denen es um die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen geht. Ein Verfahren leiteten sie wegen Leistungsmissbrauch ein und fünf Ordnungswidrigkeitsverfahren aufgrund von Mindestlohn-Unterschreitung. In aller Deutlichkeit: Natürlich ist jeder Verstoß einer zu viel. Bei einem Anteil von 0,2 Prozent sollte aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Das sagen Sie als Vorsitzender des Bundesverbandes Paket & Expresslogistik (BIEK). Verdi-Chef Frank Bsirske spricht indes von mafiösen Strukturen in der KEP-Branche. Bsirskes Gewerkschaft Verdi leidet unter einem enormen Mitgliederschwund. Und ein Prozent des Bruttoeinkommens geht an die Gewerkschaft. Seine Interessenlage ist damit klar. Heils Gesetzentwurf sieht eine Nachunternehmerhaftung für die Paketdienste vor. Derjenige, der die Aufträge vergibt, soll also künftig auch dafür haften, dass Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden. Wie praktikabel ist das für Paketdienste? Jegliche Gewalt geht vom Staate aus. Das ist in unserem Grundgesetz so verankert. Sprich: Der Staat beziehungsweise die zuständigen Behörden setzen geltendes Recht hierzulande durch. Durchsuchungen des Zolls sind also hoheitliches Handeln. Das halten wir für richtig und gut. Wir sind auch der Meinung, dass der Zoll seine Arbeit gut macht. Er unterstützt uns dabei, dass in unserer Branche faire Arbeitsbedingungen existieren. Dabei unterstützen unsere Mitgliedsbetriebe die Zollbehörden gerne. Denn auch wir dulden keinen Missbrauch - auch nicht bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Wenn sich Menschen an solche gesetzlichen Vorgaben nicht halten, muss das sanktioniert werden. Und das ist Aufgabe des Staates. Warum tut sich dann die Paketbranche so schwer mit der Nachunternehmerhaftung? In der Baubranche gibt es diese doch auch. Wir sind eine andere Branche und haben andere Strukturen. Da darf man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Wir tun uns aber mit dem Thema Nachunternehmerhaftung nicht schwer. Wir sind da klar aufgestellt: Wenn sich die Vertragspartner unserer Branche nicht an Regeln halten, muss da durchgegriffen werden. Aber das ist, wie ich schon sagte, ganz klar Aufgabe des Zolls. Die Regierungskoalition muss sich hier nur entscheiden. Die Großkoalitionäre haben aber das Problem, dass sie aufgrund des Wahlkampfes Aktionismus betreiben und sich deshalb hier nicht einigen können. Nun wird der KEP-Branche seit Jahren vorgeworfen, dass sie Subunternehmer zu niedrig bezahlt. Können oder wollen die Paketdienste keine höheren Entgelte zahlen - Stichwort Null-Versandkosten-Mentalität. Zu Preisen darf ich mich aus kartellrechtlichen Gründen nicht äußern. Dafür bitte ich um Verständnis. Es ist aber richtig, dass die Zustellung an Privatkunden "B2C" seit Jahren besonders stark wächst und dass immer mehr Menschen online Waren bestellen - nahezu in jedem Produktsegment. Die Menschen nutzen also die hochwertige Dienstleistung unserer Branche mit Begeisterung, sind aber in der Tat nicht dazu bereit, für diesen hochwertigen Service anständige Konditionen zu bezahlen. Diese Null-Versandkosten-Mentalität ist uns durchaus ein Dorn im Auge - gerade vor dem Hintergrund des Fahrermangels. Wie stark spürt die KEP-Branche diesen? Wie viele Fahrer fehlen konkret? Unsere Branche leidet massiv unter dem Fahrermangel, auch weil sie seit Jahren stark wächst. So stieg das KEP-Sendungsvolumen auf über 3,5 Milliarden, gleichzeitig erwirtschaftete die KEP-Branche im vergangenen Jahr rund 20 Milliarden Euro Umsatz. Das zeigen unsere BIEK-Zahlen, die wir Ende Juni 2019 veröffentlichen werden. Im Schnitt benötigt unsere Branche also jedes Jahr 10.000 zusätzliche Fahrer. Und um diese anständig bezahlen zu können, muss die Leistung unserer Unternehmen entsprechend gewürdigt werden. Werden Pakete künftig überhaupt noch bis an die Haustür geliefert werden? Heute werden in der Tat noch deutlich über 80 Prozent der B2C-Pakete an die Haustür geliefert. Das wird sich aber wandeln. Der Endverbraucher wird immer mehr zum Regisseur seiner Zustellung. Er kann ja inzwischen aus vielen Optionen wählen. So kann er sich seine Pakete an Paketshops liefern lassen, an den Arbeitsplatz, in den Kofferraum seines Autos oder in Paketboxen oder aber -stationen. Wobei ich erwarte, dass in Zukunft gerade in urbanen Gebieten die Zustellung an nutzeroffene Paketboxen mit Kühl- und Wärmefunktionen, die zum Beispiel in Wohnhäusern und Mietimmobilien installiert sind, stark zunehmen wird. Was ist überhaupt der wichtigste Trend, auf den sich die KEP-Branche einstellt? Das ist das Internet der Dinge. Künftig werden Geräte, etwa der Kühlschrank oder ein sprachgesteuerter Assistent, Bestellungen auslösen. Die Waren werden dann dem Verbraucher nach Hause geliefert, ohne dass er sich darum kümmern muss. So wie der Strom aus der Steckdose kommt, wird auch die KEP-Sendung selbstverständlich zugestellt - trotz stark steigender Mengen: ob per Lastenfahrrad, E-Fahrzeug, über Kooperation mit dem ÖPNV, unterirdisch oder mit sauberen Dieselfahrzeugen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "KEP" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Hintergrund Heils umstrittener VorstoßBundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Arbeitsbedingungen von Paketzustellern verbessern. Dafür hat er Ende April einen Gesetzentwurf vorgestellt. Demnach sollen künftig Generalauftragnehmer, zum Beispiel Paketdienste, auch in Haftung genommen werden, wenn die Sozialversicherungsbeiträge bei den Subunternehmern nicht einzutreiben sind (siehe Artikel Seite 36). Sprich: Der Auftraggeber soll auch für korrekte Arbeitsbedingungen bei seinen Paketzustellern verantwortlich sein. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lehnt dies bislang ab. Von Grünen, Linken und Gewerkschaften erhält Heil dagegen Rückendeckung. eh

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