Wenn's zu lang dauert

Lange Warteschlangen sowie unzureichende Regelungen zu den Ladetätigkeiten, zur Vergütung von Standzeiten und zum Palettentausch: An den Problemen an deutschen Laderampen hat sich in den vergangenen sechs Jahren kaum etwas geändert. Das geht aus einer Befragung hervor, die das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) kürzlich zum zweiten Mal seit 2010 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums durchgeführt hat. Streit an der Schnittstelle zwischen Verlader, Spediteur und Transporteur entsteht meistens, weil keine oder unzureichende Vereinbarungen existieren - das betrifft vor allem Verzögerungen bei der Be- und Entladung. Fordert ein Dienstleister vom Absender oder Empfänger ein Standgeld, weil er zu lange ausharren muss, sind Meinungsverschiedenheiten häufig unausweichlich und es folgt mitunter ein ebenso unangenehmer wie umständlicher Schriftverkehr. Dabei ist die Laderampe kein rechtsfreier Raum. Hier sind Antworten auf die wichtigsten Fragen: 1 Wann besteht ein Anspruch? Kaum ein Dienstleister kann es sich leisten, seine Lkw länger als nötig an den Laderampen von Industrie und Handel herumstehen zu lassen. Doch nur wenige verlangen bisher von ihren Kunden Standgeld, wenn es wieder einmal zu lange dauert. Einen Anspruch darauf hat der Frachtführer gemäß Paragraf 412 des Handelsgesetzbuches (HGB) - sofern die Geschäftspartner nichts anderes vereinbart haben (siehe Kasten auf Seite 41). Die besondere Vergütung kann er im Fall einer fehlenden vertraglichen Vereinbarung aber nur unter gewissen Voraussetzungen verlangen. Nicht jede Verzögerung führt zu einem Standgeldanspruch. Laut HGB muss eine angemessene Frist überschritten worden sein. Übliche Wartezeiten sind dagegen bereits mit der vereinbarten Fracht abgegolten. Was angemessen ist und was nicht, dazu macht der Gesetzgeber keine Aussage. Gerichte gehen im Durchschnitt davon aus, dass ein Frachtführer jeweils etwa zwei bis vier Stunden auf eine Ent- oder Beladung warten muss, bevor er eine gesonderte Vergütung verlangen kann. 2 Wann besteht kein Anspruch? Das Standgeld steht dem Frachtführer nur dann nicht zu, wenn er selbst für die Verzögerung verantwortlich ist. Zum Beispiel hätte er keinen Anspruch darauf, wenn sein Fahrer die Verladeeinrichtungen des Absenders beschädigt und es dadurch unverhältnismäßig lang dauert. Umgekehrt kommt es dagegen nicht darauf an, ob der Absender oder Empfänger an der Verspätung schuld ist. Der Frachtführer kann also zum Beispiel auch dann Standgeld verlangen, wenn sich die Be- oder Entladung aufgrund eines Streiks des Rampenpersonals verzögert. Wer Standgeld verlangt, muss die überlange Wartezeit auch belegen können. Deswegen sollten Lkw-Fahrer sie vor Ort in jedem Fall dokumentieren - entweder durch ein entsprechendes Standzeiten-Protokoll, durch den CMR-Frachtbrief, die Tachografenoder Telematikdaten oder durch Zeugen. Nur so kann der betroffene Frachtführer im Zweifel hinterher Entschädigungsansprüche nachweisen und durchsetzen. Die Krux: Das Rampenpersonal verweigert manchmal Unterschriften auf Protokollen zum Nachweis der Standzeiten beziehungsweise des Abfahrtzeitpunkts. Falls es zum Zoff oder zur rechtlichen Auseinandersetzung über die Vergütung der Standzeit kommt, sollten sich Transporteure und Spediteure mit der Rechnungsstellung beziehungsweise - sofern anderweitig keine Einigung zustande kommt - mit einer Klage übrigens nicht zu viel Zeit lassen. Denn der Anspruch auf Standgeld verjährt gemäß deutschem Frachtrecht bereits nach einem Jahr. 3 Wer schuldet prinzipiell das Standgeld? In erster Linie schuldet der Auftraggeber bei einer überlangen Be- oder Entladung das Standgeld. Denn der Frachtführer steht nur in einer vertraglichen Beziehung zum Absender des Gutes. Wenn es wieder einmal zu lang dauert, kann der Frachtführer aber auch den Empfänger des Gutes in die Verantwortung nehmen. Der Gesetzgeber hat in Paragraf 421 Absatz 3 des HGB geregelt, dass der Frachtführer das Recht hat, bei Ablieferung das noch offene Entgelt für die Beförderung zu verlangen. Dies geht allerdings nur, wenn der Empfänger die Ablieferung des Gutes an der Ablieferungsstelle verlangt und das Gut annimmt, nachdem der Frachtführer ihm bei Ablieferung die Höhe des geschuldeten Betrages für die Beförderung mitgeteilt hat. Verlangt der Empfänger vom Frachtführer die Ablieferung des Gutes, entsteht zwischen beiden also ein Schuldverhältnis. Neben dem Empfänger ist der Absender dann verpflichtet, die vereinbarte Fracht zu zahlen. Diese gesetzliche Zahlungsverpflichtung umfasst auch Nebenforderungen wie ein Standgeld. Das bedeutet, der Frachtführer muss auf eine entsprechende Erklärung des Absenders bestehen, bevor er die Sendung herausgibt, um später einen entsprechenden Nachweis zu haben. Noch vor Ort bezahlen muss der Empfänger aber nicht. 4 Was gilt für Subunternehmer? In der Regel schließt ein Absender mit einem Spediteur einen Fracht- oder Speditionsvertrag und der Auftrag wird an einen Subunternehmer weitervergeben, der dann den Transport ausführt. Rechtlich umstritten ist bei dieser Konstellation, ob ein Standgeld ausschließlich dem Hauptfrachtführer zusteht beziehungsweise dem Fixkostenspediteur, der dieselben Rechte und Pflichten hat. So sieht es immerhin der Gesetzeswortlaut vor. Der Bundesgerichtshof billigte 2005 bei unangemessenen Entladezeiten lediglich dem direkt vom Absender beauftragten Hauptfrachtführer einen Standgeldanspruch gegenüber dem Empfänger zu (Aktenzeichen: I ZR 201/04). Zwischen dem Unterfrachtführer und dem Empfänger bestehe kein Vertragsverhältnis, hieß es zur Begründung. Etwa zwei Jahre später revidierten die Karlsruher Richter ihr Urteil (Aktenzeichen: I ZR 50/05). Wenn dem Empfänger gegen den Unterfrachtführer ein Anspruch auf Schadenersatz bei Lieferfristüberschreitung, Beschädigung oder Verlust des Gutes zustehe, dann stehe dem Unterfrachtführer gegen den Empfänger umgekehrt ein ähnlicher Schadenersatzanspruch zu, sofern seine Primärrechte aus dem zwischen beiden geschlossenen Vertrag verletzt würden. Eindeutig geht aus dem aktuelleren BGH-Urteil allerdings nicht hervor, dass dieser Hinweis auch für Standgeldansprüche gilt. In der Praxis läuft es deshalb folgendermaßen: Will der Unterfrachtführer vom Empfänger, zu dem er keine vertragliche Beziehung hat, ein Standgeld, muss er sich an den von diesem Verlader engagierten Spediteur wenden. Er kann sich dessen Anspruch auf ein Standgeld gegen den Empfänger abtreten lassen. Das ist für beiden Seiten eine gute Variante. Der Spediteur muss das Verhältnis zu seinem Auftraggeber nicht belasten und der Transporteur kommt ohne Umweg idealerweise an die gesonderte Vergütung. 5 Was ist bei Vereinbarungen erlaubt? Bei der inhaltlichen Gestaltung von Standgeldvereinbarungen, die sich aus einem Transportauftrag, der Individualabrede oder den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben, gibt es gewisse Grenzen. So ist etwa eine Klausel, wonach der Frachtpreis alle Stand- und Wartezeiten umfasst, zu umfassend und zu unbestimmt. Sie verstößt gegen Paragraf 307 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), da sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und nicht mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zur Be- und Entladung (Paragraf 412 HGB) zu vereinbaren ist. Die Bestimmung ist somit unwirksam. Ein genereller Ausschluss von Standgeldern in Verträgen verstößt ebenfalls gegen den Paragrafen 307 des BGB. Das stellte 2010 der Bundesgerichtshof klar. 6 Ab welcher Zeitüberschreitung ist ein Standgeld erlaubt und wie hoch darf es sein? Eine Formulierung in den AGB, wonach der Frachtführer erst ab einer Wartezeit von vier Stunden eine gesonderte Vergütung verlangen kann, stellt hingegen keine unangemessene Benachteiligung dar, urteilte das Amtsgericht Hamburg. Es ist dem Auftraggeber also gestattet, den Anspruch auf Standgeld insoweit zu reduzieren, dass dieses erst nach Ablauf einer in den AGB bestimmten Wartezeit anfällt. Selbst ohne besondere Vereinbarung hielt das Amtsgericht Köln zwei Stunden Wartezeit vor der Be- oder Entladung für erträglich und erklärte diese Zeitspanne für nicht standgeldpflichtig. Sofern der Standgeldanspruch nicht gänzlich ausgeschlossen ist, gibt es also einen relativ großen Spielraum, was die vertragliche Beschränkung des Standgeldanspruchs des Frachtführers angeht. Einen Sonderfall stellt das Überschreiten von Zeitfenstern dar, auf die sich der Verlader mit dem Frachtführer geeinigt hat. Laut dem Amtsgericht Mannheim begründet bereits eine geringfügige Überschreitung des Intervalls einen Standgeldanspruch. Wie hoch das Standgeld sein darf, dass der Frachtführer für unangemessen lange Wartezeiten an der Laderampe verlangen darf, steht nicht im Gesetz. Die Gerichte bewegen sich zwischen 33 und 66 Euro pro Stunde. Bezüglich des Fälligkeitszeitpunktes und der Höhe spielen immer die Umstände des Einzelfalls eine Rolle. Je nach Güter- und Fahrzeugart sowie den örtlichen Gegebenheiten sind Abweichungen möglich. 7 Was sagen die VBGL und ADSp 2016 eigentlich zu Standzeiten? Einen Anhaltspunkt, was zulässig ist und was nicht, geben die von den Transport- und Speditionsverbänden ausgearbeiteten und zur Anwendung empfohlenen AGB. Viele Amtsgerichte orientieren sich daran. In Paragraf 5 der Vertragsbedingungen für den Güterkraftverkehrs-, Speditions- und Logistikunternehmer (VGBL) wird für einen 40-Tonner vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher Absprachen eine Frist von zwei Stunden zum Be- und zwei Stunden zum Abladen veranschlagt. Bei Fahrzeugen mit niedrigerem Gesamtgewicht reduzieren sich diese Zeiten entsprechend. Die Beladezeit beginnt demnach mit dem Zeitpunkt der vereinbarten Bereitstellung des Fahrzeugs, die Entladezeit in dem Moment, in dem der Empfänger die Verfügungsgewalt über das Gut erhält. Die neuesten Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp 2016) regeln in Ziffer 11 ebenfalls, dass die Be- und Entladezeit in Fällen, bei denen es keine Vereinbarung gibt, maximal zwei Stunden betragen darf und anderenfalls Standgeld geschuldet ist. Dieses Klauselwerk enthält darüber hinaus eine Staffelung des geschuldeten Standgeldes nach Anzahl der Europaletten-Stellplätze und Höhe des umzuschlagenden Gewichts. Die Ver- oder Entladezeit beginnt laut den ADSp 2016 mit der Ankunft des Fahrzeugs an der Ver- oder Entladestelle (etwa mit Meldung beim Pförtner) und endet, wenn der Auftraggeber seinen Pflichten zum Be- und Entladen vollständig nachgekommen ist und er die Abfahrt des Fahrzeugs freigegeben hat. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Transportrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Das sagt das Gesetz § 412 des Handelsgesetzbuchs (1) Soweit sich aus den Umständen oder der Verkehrssitte nicht etwas anderes ergibt, hat der Absender das Gut beförderungssicher zu laden, zu stauen und zu befestigen (verladen) sowie zu entladen. Der Frachtführer hat für die betriebssichere Verladung zu sorgen. (2) Für die Lade- und Entladezeit, die sich mangels abweichender Vereinbarung nach einer den Umständen des Falles angemessenen Frist bemisst, kann keine besondere Vergütung verlangt werden.(3) Wartet der Frachtführer aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder aus Gründen, die nicht seinem Risikobereich zuzurechnen sind, über die Lade- oder Entladezeit hinaus, so hat er Anspruch auf eine angemessene Vergütung (Standgeld). (4) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, für die Binnenschifffahrt unter Berücksichtigung der Art der zur Beförderung bestimmten Fahrzeuge, der Art und Menge der umzuschlagenden Güter, der beim Güterumschlag zur Verfügung stehenden technischen Mittel und der Erfordernisse eines beschleunigten Verkehrsablaufs die Voraussetzungen für den Beginn der Lade- und Entladezeit deren Dauer sowie die Höhe des Standgeldes zu bestimmen. ag Tipps für Frachtführer So lassen sich Standgeld-Streitigkeiten häufig vermeiden - Vereinbaren Sie vorab die genaue Dauer der vergütungsfreien Standzeit und den Beginn der Pflicht zur Standgeldzahlung.- Regeln Sie mit ihrem Geschäftspartner, wie hoch das Standgeld sein darf (zum Beispiel 10 Euro pro angebrochene 15 Minuten).- Legen Sie die Art des Standgeldnachweises fest (etwa Standgeldprotokoll mit Angaben zu Anfang und Ende der Wartezeit sowie Unterschrift des Rampenbetreibers).- Protokollieren Sie stets genau Ankunft und Abfahrt beim Verlader sowie Anfang und Ende der Be- beziehungsweise Entladung (neben der Schriftform eignen sich Fotos).- Informieren Sie, sobald unangemessene Wartezeiten vor der Be- oder Entladung absehbar sind, unverzüglich den Geschäftspartner, der dafür verantwortlich ist, über den Standgeldanspruch (vor allem wichtig, falls es keine Vereinbarungen gibt) - sicherheitshalber nicht nur mündlich, sondern schriftlich etwa über die Disposition.- Holen Sie eine Weisung beim Auftraggeber ein, um etwa die voraussichtliche Dauer der Wartezeit zu erfahren und über das weitere Vorgehen entscheiden zu können.- Setzen Sie ihre Standgeldansprüche zügig durch, sie verjähren nach einem Jahr. ag

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