Wenn der Paketbote sonntags klingelt

Amazon tut es seit 2013. Seit drei Jahren erhalten in den USA Prime-Kunden des Onlinehändlers auch am Sonntag ihre Päckchen und Pakete ausgeliefert - mittlerweile im Übrigen auch in Großbritannien und anderen Ländern. In Deutschland ist Sonntagszustellung - von wenigen gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - dagegen noch gesetzlich verboten. Hier ist die Sonntagsruhe heilig. Doch mit dieser Ruhe könnte es bald vorbei sein. "Geschäfte sollten an Sonntagen öffnen dürfen", fordert zum Beispiel Peter Fog-Petersen, Geschäftsführer Road von DSV Deutschland, gegenüber der Verkehrs-Rundschau und begründet seinen Vorschlag damit, dass dies allen Beteiligten in der Wirtschaft helfen würde, bestimmte Prozesse besser zu glätten - auch in der Speditions- und Logistikbranche. Während die Deutschen noch über Vorund Nachteile der Sonntagsruhe diskutieren, preschen die Schweizer vor. Seit Anfang 2016 stellt die Schweizerische Post in Basel, Genf, Lausanne und Zürich jeden Sonntag zwischen 9 und 12 Uhr Sendungen von Online-Händlern an Endkunden zu. "Wir folgen mit diesem Angebot den Bedürfnissen unserer Kunden", begründet Post-Chefin Susanne Ruoff den Zustellservice. Denn viele Online-Shopper bestellen am Samstag und wünschen eine Zustellung am Sonntag, hat die Schweizerische Post beobachtet. Pilotprojekt mit Nespresso und Coop Wenn die Schweizer Händler die bestellten Waren am Samstagnachmittag kommissionieren, verpacken und der Post übergeben, liefern deren Depots die Pakete direkt an die Fahrzeuge aus. Bei der Zustellung müssen die Fahrer genaue Regeln beachten. Ist der Endkunde nicht anwesend, informieren sie diesen per SMS oder E-Mail über den Sendungseingang und stellen das Paket an einem "wettergeschützten" Platz unter. Voraussichtlich bis Juni 2016 will die Schweizerische Post das neue Angebot testen. Wenn die Resonanz gut ist, soll die Sonntagszustellung auf acht weitere Städte ausgeweitet werden. Der Pilotversuch startete mit der Handelskette Coop und dem Kaffeeshop Nespresso, weitere Händler können aber jederzeit hinzustoßen. Den Vorstoß der Schweizerischen Post dürften auch deutsche KEP-Dienste sowie Online-Händler aufmerksam beobachten. Denn am Sonntag halten sich erfahrungsgemäß weit mehr Verbraucher zu Hause auf als an den übrigen Wochentagen. Wer unter der Woche sich kaum in seinen vier Wänden aufhält und auch für Abholungen im Paketshop oder in der Packstation keine Zeit findet, kann sich seine Sendungen auch am Wochenende zukommen lassen, lautet also die naheliegende Überlegung. Die meisten KEP-Dienste haben daher schon eine Samstagszustellung während der letzten Jahre aufgebaut - zumindest in den großen Ballungszentren. Vor allem DPD investierte in diesen Service und kann seit August 2015 nach eigenen Angaben alle Privathaushalte in Deutschland an sechs Wochentagen erreichen. Beim Thema Sonntagszustellung gibt sich das Unternehmen, wie im Übrigen alle Marktteilnehmer in diesem Segment, hingegen derzeit zugeknöpft. Keine Rückendeckung von Verdi Noch aber sind in Deutschland die Hürden hoch, die der Gesetzgeber im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) für Sonntagsarbeit aufgestellt hat. Grundsätzlich erlaubt er diese für fest angestellte Mitarbeiter nur dann, wenn eine Erledigung an Wochentagen nicht möglich ist und schreibt behördliche Genehmigungen auf Länderebene vor. Außerdem nimmt der Gesetzgeber in Paragraf 10 weitere Einschränkungen vor (siehe Kasten Seite 22). Für Transport- und Logistikdienstleister ist da eine Passage besonders interessant, wonach auch "Transport und Kommissionieren von leicht verderblichen Waren" am Sonntag erlaubt ist. Denn genau auf diesen Satz stützte sich Deutsche Post DHL Sommer 2015. Da infolge der Streiks zahlreiche Pakete und Briefe liegengeblieben waren, wollte der Konzern in einzelnen Bundesländern mit Sonntagszustellung gegensteuern. Mehrfach rief die Post Mitarbeiter auf, freiwillig am siebten Tag in der Woche Sendungen auszufahren. Prompt hagelte es Kritik seitens Verdi und diversen Landesämtern für Arbeitsschutz. Die Gewerkschaft hielt Sonntagszustellung für "ungesetzlich", die Behörden unter anderem von Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen untersagten die Zustellung und drohten mit Bußgeldern bei Zuwiderhandlung. Anders urteilte Bayern. Das Münchner Arbeitsministerium bescheinigte der Post, dass ihr Vorhaben rechtlich einwandfrei sei und sie keine behördliche Genehmigung benötige. Wohl auch wegen dieser Rückendeckung konnte die Post bundesweit über 10.000 Mitarbeiter für die Sonntagszustellung an zwei Wochenenden mobilisieren. Amazon spielt Schlüsselrolle Für viele wird Sonntagszustellung nichts Neues gewesen sein. Denn seit zehn Jahren stellen die Deutsche Post und weitere Paketdienste bei Bedarf am vierten Advent zu. Da im Jahr 2010 ein plötzlicher Wintereinbruch die pünktliche Auslieferung vieler Weihnachtspakete gefährdete, fuhren viele Fahrer diese auch am letzten Sonntag vor Heiligabend aus. Auch 2007, als der 24. Dezember auf einen Montag fiel, waren Zusteller am Sonntag zuvor unterwegs. Die Behörden genehmigten die Sonntagsarbeit, Proteste von Verdi sind nicht bekannt. "Für die Deutsche Post ist Sonntagszustellung weiterhin ein Thema", bestätigt Sprecherin Dunja Kuhlmann. Gegen die Unterlassungserklärungen einiger Landesbehörden vom Sommer 2015 hat der Konzern Klagen einreicht, die gerichtlichen Entscheidungen stehen noch aus. Andere Paketdienste äußern sich zurückhaltender. So plant Hermes über die üblichen Sonntagszustellungen in der Adventszeit hinaus keine weiteren Vorstöße. Auch UPS und GLS verlassen sich derzeit auf ihre vorhandenen Zustelllösungen und denken - zumindest offiziell - nicht über eine Ausweitung nach. Viel hängt wohl auch von den Geschäftskunden im Online-Handel ab. Viele experimentieren derzeit mit taggleichen Zustellungen - auch am Samstag. Wenn diese Lösungen aber nicht funktionieren, könnte die KEP-Branche an der Sonntagszustellung schnell Gefallen finden. "Der richtige Zeitpunkt der Zustellung wird immer wichtiger", sagt Marc Mahler, Logistikchef von Zalando. "Wenn die Kundennachfrage nach Sonntagszustellung steigt, werden auch wir uns mit dem Thema beschäftigen." Eine Schlüsselrolle spielt einmal mehr Amazon, das in etlichen Ländern längst Zustellungen am siebten Wochentag bietet. Auch in Deutschland wird der Händler vermutlich eine solche Lösung mit den neuen regionalen Verteilzentren testen, die bundesweit in den nächsten Jahren hochgezogen werden sollen. Den Startschuss hat Amazon mit dem unlängst eröffneten Standort Olching bei München gegeben. Von hier aus stellen schon heute sieben regionale KEP-Dienste Same-Day-Sendungen im Großraum München zu. "Ohne Subunternehmer ist eine Sonntagszustellung in Deutschland nicht möglich", sagt KEP-Experte Horst Manner-Romberg, Inhaber der Unternehmensberatung MRU, mit Blick auf die aktuelle Gesetzeslage. Die Blaupause dafür liefert die Schweizerische Post, die mindestens ebenso strenge Gesetzesauflagen beachten muss wie ihre deutschen Wettbewerber. Da fest angestellte Fahrer am Sonntag nicht zustellen dürfen, weichen die Schweizer auf selbstständige Taxifahrer aus. Auch der Online-Handel hat Einschränkungen hinzunehmen und muss seine Sendungen schon samstags bis 17 Uhr der Schweizerischen Post übergeben. Jetzt stehen vor allem die Nachfrage der Endverbraucher und die Zustellqualität der Taxifahrer im Fokus des Schweizer Pilotprojekts. An deren Zustellqualität zweifelt aber offenbar mancher Online-Händler. So macht die Online-Tochter des Lebensmittelriesen Migros vorerst nicht mit. "Lebensmittel sind heikle Produkte", sagt Geschäftsführer Dominique Locher. Weit schwieriger zu beantworten sind Fragen nach dem Kundeninteresse. Marktkenner Manner-Romberg fürchtet, dass Sonntagszustellung das gleiche Schicksal wie Same-Day-Delivery droht. In Umfragen befürworten bis zu 58 Prozent die taggleiche Zustellung, in der Praxis nutzen aber nur zehn Prozent diese Option. "Ausschließlich für Lebensmittel und dringend benötigte Alltagsgegenstände wie ein verlorenes Handykabel sehe ich Bedarf", stapelt er die Erwartungen an Sonntagszustellungen schon jetzt tief. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Sonntagszustellung in Europa In welchen Ländern Europas sonntags geliefert wird Fast jedes Land in Europa hat, wie Deutschland auch, Sonntagsarbeit gesetzlich geregelt. Entsprechend restriktiv setzen Postunternehmen und Paketdienste Sonntagszustellung ein: In Frankreich, Spanien, Belgien und anderen Ländern liefern sie zum Beispiel nur in der Vorweihnachtszeit sonntags aus. Die Luxemburger Post stellt jedoch seit vergangenem Jahr auch an Sonntagen im September zu. Grund dafür: Zum Schuljahrbeginn schnellen die Online-Bestellungen für Schulartikel und Kinderkleidung in die Höhe, heißt es bei der Luxemburger Post.In Großbritannien ist Sonntagsarbeit sogar gar nicht gesetzlich geregelt und der Arbeitgeber kann mit jedem Arbeitnehmer individuelle Regelungen treffen. Auch mehrere private Paketdienste nutzen diese Möglichkeit und bieten mittlerweile ganzjährig und flächendeckend eine Sieben-Tage-Zustellung an. Auch die deutschen Paketdienstleister Hermes und DPD nutzen den Spielraum, Hermes beliefert nicht nur Privathaushalte, sondern auch die rund 5000 Paketshops sonntags.Interessant: Hermes befragte im vergangenen Jahr Verbraucher in Großbritannien und Deutschland zum Thema "Sonntagszustellung". Die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus. In Großbritannien befürworteten 63 Prozent der Befragten Sonntagszustellung. 13 Prozent lehnten ein solches Angebot ab. In Deutschland hingegen lag die Zustimmungsquote bei nur 36 Prozent und die Ablehnungsquote bei 51 Prozent. bot Das sagt der Gesetzgeber Paragraf 9 des deutschen Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden", heißt es dort. Paragraf 10 formuliert Ausnahmen, wenn die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. "Für Kurier-, Express- und Paketdienste eröffnet der Gesetzestext also nur wenig Spielräume", sagt der Münchner Rechtanwalt und Arbeitsrecht-Spezialist Martin Baur. Grundsätzlich zulässig ist demnach Sonntagszustellung nur, wenn "leicht verderbliche Ware" kommissioniert und transportiert werden muss. Allerdings lassen viele Aufsichtsbehörden eine solche Definition nicht pauschal für alle Sendungen gelten, wie Deutsche Post DHL im vergangenen Jahr erfahren musste.Auch Paragraf 12 nennt eine zusätzliche Option. In Tarifverträgen kann demnach Sonntagsarbeit vereinbart werden, wenn Arbeitnehmer mindestens zehn Sonntage im Jahr frei haben. Ob Verdi hier mitspielt, dürfte allerdings zweifelhaft sein. Die Gewerkschaft argumentiert, dass sechs Zustelltage in der Woche genügen müssen. bot

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