Logistikbranche im Umbruch: Kühne + Nagel sieht Wachstumspotenzial trotz DSV-Expansion

Der dänische Speditionsriese DSV will Schenker kaufen. Ist Kühne + Nagel jetzt im Zugzwang? Als Kühne + Nagel sind wir gut aufgestellt. Wir sind uns unserer Position und unserer Stärken bewusst. Wir lieben Wettbewerb. Der bevorstehende Wandel in der Logistikbranche ist eine sehr gute Gelegenheit für uns, neue Kunden und Mitarbeitende zu gewinnen. Bis die Übernahme final durch ist, wird es noch einige Monate dauern. Und viele Ausschreibungen finden zu festen Terminen statt, sprich Tender, die jetzt im Sommer abgeschlossen wurden, laufen in der Regel ein Jahr. Es kommen auch schon erste Unternehmen proaktiv auf uns zu, weil sie ein Klumpen-Risiko sehen. So gesehen eröffnet sich durch den Schenker-Kauf für Kühne + Nagel sogar eine Chance. Das klingt sehr gelassen. Fakt ist, dass sich DSV dank Schenker stark nach vorne schiebt. Im Stückgut- und Komplettladungs-Geschäft wird DSV in Deutschland wohl sogar die neue Nummer eins, während Kühne + Nagel hierzulande im Landverkehr eine offene Flanke hat. Einspruch! Kühne + Nagel hat keinerlei offene Flanke. Unsere 15 Standorte werden weiter im Netz der IDS bleiben. Gemeinsam mit unseren IDS-Partnern haben wir einen klaren Plan entwickelt, wie wir die durch den Austritt von DSV aus der IDS freien Franchisegebiete besetzen. Damit steht das IDS-Netz extrem stabil dar und wir sind alle auf Wachstum gepoolt. Fakt ist, dass durch den DSV-Ausstieg sieben große Stationen aus dem IDS-Netz wegbrechen. Wie werden Sie diese Lücken schließen? Wir haben einen klaren Plan mit den IDS-Partnern entwickelt, wie wir DSV in den Franchisegebieten ersetzen werden. K+N übernimmt die Verantwortung für Osnabrück und Stuttgart, wo wir bereits über einen eigenen Standort verfügen. Welche Standorte im IDS-Netz sind darüber hinaus für K+N attraktiv? Wie gesagt, wir möchten uns engagieren, weil IDS ein hochqualitatives Netz ist. Deshalb arbeiten wir mit den anderen IDS-Partnern gemeinschaftlich daran, die DSV-Standorte zügig nachzubesetzen, spätestens aber im Jahr 2026. Wird K+N dafür auch Stückgutspeditionen übernehmen? Grundsätzlich sind wir als Kühne + Nagel bereit zu investieren, wenn es Sinn macht - ob organisch oder anorganisch. Daten + Fakten: Kühne + Nagel Kühne + Nagel (K+N) wurde 1890 in Bremen gegründet und ist heute weltweit in 100 Ländern mit rund 1300 Niederlassungen vertreten. Im ersten Halbjahr 2024 lag der Nettoumsatz von K+N weltweit bei umgerechnet rund 11,9 Milliarden Euro und damit um neun Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. 140 Standorte in Deutschland In Deutschland ist Kühne + Nagel aktuell an 140 Standorten mit 14.000 Mitarbeitern tätig. Umsatzzahlen zu seinem Deutschland-Geschäft nennt das Unternehmen nicht. Seit August 2022 ist Tobias Jerschke Deutschland-Chef von K+N. Welche Art von Firmen wäre für Sie überhaupt zur Umsetzung Ihrer Strategie hilfreich? Kurzfristig ist das kein Thema. Ergibt sich aber eine Chance, schauen wir uns das an. Das Erfolgskonzept von K+N war und ist es, dass wir komplementär zukaufen. Dieses Prinzip gilt im Übrigen nicht nur für Firmen, sondern auch für Menschen oder Technologien. Und ganz oben stehen da auf unserer Agenda die beiden Wachstumsbereiche "Erneuerbare Energien" und "Semicon", in denen wir uns in den kommenden Jahren deutlich verstärken möchten. Kommen wir zu Ihrer Geschäftsentwicklung: Im ersten Halbjahr 2024 hat Kühne + Nagel beim Umsatz und Ergebnis deutlich Federn gelassen. So sank der Nettoumsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um neun Prozent, das EBIT brach um 32 Prozent ein und der Gewinn gar um 33 Prozent. Wie haben sich im ersten Halbjahr Ihre Zahlen in Deutschland entwickelt? Was ich sagen kann: In Deutschland beschäftigen wir über 14.000 Mitarbeiter in 140 Niederlassungen und machen rund ein Fünftel des Umsatzes von Kühne + Nagel weltweit. Die Geschäftsentwicklung von Kühne + Nagel Deutschland ist nicht ganz unähnlich zum Gesamtunternehmen. Zu den Ergebnissen der Geschäftseinheiten auf Länderebene äußert sich unser Unternehmen traditionell nicht. In Deutschland sind unsere Geschäftseinheiten aber überdurchschnittlich ausgewogen, sprich milliardenschwer, und zählen jeweils zu den Top Five in deren Branche. Gleichwohl hat Kühne + Nagel in Deutschland im ersten Halbjahr etwa neun Prozent weniger Umsatz gemacht. Fällt Ihnen da der Umbau Ihrer Organisation auf die Füße? Sie haben ja dafür in diesem Jahr weitgehend die Regionalstruktur aufgelöst und im Jahr 2020 die Niederlassungsleiter abgeschafft. Stattdessen wurde alles auf die Business Units See- und Luftfracht, Landverkehr und Kontraktlogistik gedreht - mit entsprechenden Sparten-Verantwortlichen. Die divisionale Verantwortung, von der Sie sprechen, gab es schon immer bei Kühne + Nagel. In Deutschland und weltweit. Da hat sich nichts geändert. Richtig ist: Wir haben durch die Reorganisation die regionale Ebene herausgenommen. Für uns in Deutschland ist das von Vorteil: Dadurch rücken wir noch enger an die Kühne + Nagel-Zentrale in der Schweiz. Ich berichte jetzt also direkt an den Kühne + Nagel-CEO Stefan Paul. Unsere Organisation wurde deutlich schlanker; anstelle von drei Ebenen haben wir nur noch zwei. Auch die Ausrichtung auf die Geschäftseinheiten ist absolut sinnvoll, damit sind wir viel näher an den Kunden. Wie viele Stellen haben Sie dadurch eingespart? Angeblich waren das allein in Deutschland Hunderte von Mitarbeitern in den vergangenen zwei Jahren. Sie dürfen nicht alles in einen Topf werfen! Das eine war eine Reorganisation. Das andere waren frühere Maßnahmen. Die Reorganisation, von der wir gerade sprachen, traf im April 2024 ganz, ganz wenige. Unabhängig davon haben wir im vergangenen Jahr die Zahl unserer Mitarbeiter angepasst, weil nach Corona die Mengenvolumina und Margen stark zurückgegangen sind. Sprich: Wir haben 2023 einen kleinen Teil des Personals, das wir 2020 wegen der gestörten Lieferketten durch die Pandemie aufbauen mussten, wieder zurückgeführt. Auch das waren nur wenige Mitarbeiter. Viele haben bei uns einen neuen Job, weil sie den Standort oder die Geschäftseinheiten gewechselt haben. Apropos Profitabilität: Werden Sie jetzt auch an der Anzahl und den Preisen Ihrer Frachtführer, etwa im Landverkehr, drehen, um die Mengenrückgänge zu kompensieren? Natürlich schauen wir immer mit unseren externen Partnern, wie wir neue Standards schaffen können oder Skaleneffekte durch Synergien heben. Wettbewerb ist aber immer gut. Daher werden wir auch in Deutschland stets mit einer bestimmten Anzahl von Partnern arbeiten. Zumal die Anforderungen an die Frachtführer zum Teil sehr spezifisch sind, etwa in der temperaturgeführten Pharmalogistik. Kurz gesagt: Unser Ansatz ist es, Effizienzen über bessere IT-Strukturen und -Prozesse zu realisieren und nicht über den Abbau externer Partner oder Mitarbeiter. Und da erhoffen wir uns, so viel kann ich verraten, viel Potenzial durch die Künstliche Intelligenz. Dafür müssen wir aber erst mal unsere Daten, auch die Daten unserer Frachtführer, komplett in die Cloud transferieren. Auch beim Thema Klimaschutz hat sich Kühne + Nagel ambitionierte Ziele gesetzt. Für das Thema CO2-neutrale Transporte müssen Sie auch Ihre Transportpartner mitnehmen. Was planen Sie da? Bei Einsatz von HVO sehen wir heute schon eine sehr hohe Bereitschaft seitens unserer Transportpartner. Auch weil sich da mit einem sehr begrenzten Preisaufschlag über 90 Prozent der CO2-Emissionen reduzieren lassen. So gesehen werden wir künftig deutlich mehr HVO einsetzen. Klar wollen wir auch den Anteil von E-Lkw ausweiten. Das gelingt aber nur, wenn Kunden bereit sind, einen Preisaufschlag zu akzeptieren, weil die E-Lkw in der Anschaffung noch sehr teuer sind. Es gibt aber vermehrt Kunden, die bereit sind, sich das zu leisten. Plädieren Sie dafür, dass Unternehmer, die HVO tanken, von der Lkw-Maut befreit werden? Zumindest ein Rabatt auf die Lkw-Maut wäre beim HVO-Einsatz sinnvoll. Zusätzlich könnte man HVO auch von der Mineralölsteuer befreien. Beides befürworten wir. Dafür werden wir uns als Kühne + Nagel auf politischer Ebene einsetzen. Noch mal zurück zu Ihrer Entwicklung in diesem Jahr. In der ersten Jahreshälfte entwickelte sich Kühne + Nagel schwach. Wie wird die zweite Jahreshälfte? Wir sind solide aufgestellt. Aber Sie wissen, dass Kühne + Nagel nie eine Prognose abgibt. Klar ist, dass die Konjunktur in Deutschland uns aktuell keinen Rückenwind gibt. Immerhin sind Zinsen und Inflation wieder zurückgegangen. Was unsere Mengenentwicklung betrifft, bewegen wir uns als großer Player mit dem Markt, in Teilbereichen entwickeln wir uns sogar entschieden besser. Beispielsweise bei der Seefracht wachsen wir in Deutschland, vor allem auf der Importseite. Wie wollen Sie in Deutschland die Wende hinbekommen? Unser Anspruch ist es, dass Kühne + Nagel die starke Marktführerschaft in Deutschland verteidigt. Und das schaffen wir vor allem mit unserer Cross-Selling-Strategie, mit der wir insbesondere im Mittelstandsegment punkten. Das stimmt mich absolut optimistisch. Profitables Wachstum bleibt also unsere Strategie. Welche Umsatz-Wachstumsziele hat Ihnen der Kühne + Nagel-CEO Stefan Paul für 2025 in Deutschland vorgegeben? Der Umsatz ist in der Logistikindustrie, wie Sie wissen, sowohl vom Ratenniveau als auch vom Mengenvolumen getrieben - das spiegelt jedoch nicht unsere eigene Wertschöpfung. Somit hat der Umsatz begrenzt Aussagekraft. Uns interessiert vor allem der Rohertrag. Die Roadmap als strategische Leitlinie, die sich unser Unternehmen weltweit gegeben hat, gibt da die Ziellinie vor. Demnach soll die Konver-sionsrate von Kühne + Nagel (Rohertrag geteilt durch Umsatz; die Redaktion) bis 2026 zwischen 25 und 30 Prozent liegen. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Wissen Sie schon, wie Sie das schaffen wollen? Die Industriestruktur unserer deutschen Wirtschaft ist vor allem vom Mittelstand getrieben. Es gibt viele interessante Hidden Champions. Mit diesen Mittelständlern wollen wir vermehrt ins Geschäft kommen. Noch wickeln viele ihre Kontraktlogistik selbst ab. Angesichts der wirtschaftlichen Lage stellen sich große Mittelständler aber vermehrt die Make-or-Buy-Frage, gerade bei der Logistik. Die Outsourcing-Bereitschaft im Mittelstand nimmt zu. Das ist auffällig. Wir können den Firmen dabei helfen. Da sehen wir sehr viel Wachstumspotenzial, das wir erschließen wollen. In welchen Branchen sehen Sie da die größten Wachstumspotenziale? Die Hidden Champions im deutschen Maschinenbau sind sehr exportorientiert und benötigen komplexe Lösungen. Interessante Wachstumsmöglichkeiten sehen wir auch im Pharma- und Healthcare-Segment, etwa durch die Ausweitung unserer Kompetenzen im Lagerbereich. Darüber hinaus in den Segmenten "Erneuerbare Energien" und "Halbleiter", im Verzollungsgeschäft und der integrierten Logistik. So gesehen starten wir alles in allem mit sanftem Optimismus ins nächste Jahr, falls die Geopolitik sich nicht negativ auf den Welthandel auswirkt. (lacht)

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