Wachstumswunder Wilhelmshaven

Auf diesen Moment hat Jörg Albers seit April 2015 gewartet. "Zwei Jahre lang haben wir im JadeWeserPort (JWP) monatlich höchstens 200 TEU umgeschlagen", berichtet der geschäftsführende Gesellschafter der Albers Logistik in Varel. "Im zweiten Quartal 2017 haben sich die Volumina schlagartig auf bis zu 400 TEU verdoppelt." Als Konsequenz hat das Unternehmen, das über 100 Zugmaschinen hat, seine Hinterlandverkehre ausgeweitet. Bislang dominierten Nah- und Feederverkehre innerhalb Niedersachsens. Jetzt fahren manche Züge bis in die Rhein-Main-Region. Albers selbst rechnet mit einem anhaltenden Wachstum in der zweiten Jahreshälfte und baut daher einen dauerhaften Mitarbeiterstamm im JadeWeserPort auf. "Wir werden aus anderen Niederlassungen bis zu 15 Mitarbeiter abziehen und erwägen auch Neueinstellungen", bekräftigt er. Plötzlich neuer Schwung Von plötzlich erhöhten Umschlags- und Transportvolumina im JadeWeserPort schwärmen auch andere Speditionen. Für sie hat der plötzliche Wachstumsschub vor allem eine Ursache. Seit Mai 2017 fahren Container-Schiffe des neuen Reederei-Verbunds Ocean Alliance (OA), dem die vier Marktriesen CMA CGM, Cosco Shipping Lines, Evergreen Line und OOCL angehören, den 2012 eröffneten Containerhafen einmal in der Woche an. Wilhelmshaven ist eine von vier europäischen Stationen des neuen Liniendiensts LL1, der Shanghai und drei weitere chinesische Häfen über Singapur zudem mit Rotterdam, Felixstowe und Danzig verbindet. Und in Zukunft sollen auch die sechs neuen Großcontainerschiffe den JadeWeserPort ansteuern. Das Wilhelmshavener Wachstum setzte aber schon vor Mai 2017 ein. 2016 verzeichnete das Unternehmen Eurogate, das den kompletten Hafenbetrieb des JadeWeserPorts managt, einen Umschlag von 481.720 TEU. Für die um 12,9 Prozent gestiegenen Volumina hat im Wesentlichen die von Maersk und MSC gebildete Allianz 2M gesorgt, die bis Anfang 2017 allein Linienverkehre über Wilhelmshaven anbot. Im Februar 2017 haben auch die 2M-Partner Hamburg Süd und Hyundai Merchant Marine (HMM) den einzigen deutschen Tiefseehafen in ihre Netzwerke integriert. Jetzt wird er von acht Reedereien regelmäßig genutzt. Für Eurogate steht der jahrelang als "Milliardengrab" belächelte Hafen also vor dem Durchbruch zum intermodalen Hub. "Jetzt entstehen neue Bahnangebote und Logistikservices, die den Hafen für die verladende Wirtschaft Tag für Tag attraktiver machen", freut sich Eurogate-Chef Michael Blach. Außer der Intermodal-Tochter von Eurogate haben seit März Duisport Rail, Necoss, Roland Spedition, Roland Umschlag und TFG Transfracht den JadeWeserPort in ihre Schienenverkehre integriert und bieten bis zu drei Rundläufe in der Woche. Importverkehre sind Schwachstelle Die meisten Anbieter melden wenige Wochen nach dem Start eine gute Auslastung wenigstens für Exportverkehre. Vor allem die Shuttle-Verbindungen zu den Nachbarhäfen Bremen beziehungsweise Bremerhaven und Hamburg werden offenbar rege nachgefragt. So ist der wöchentliche Linienverkehr vom Hamburger Eurokombi-Terminal nach Wilhelmshaven laut Roland Umschlag oft vollständig ausgelastet. "Die Importverkehre in Gegenrichtung haben indes mit erheblichen Schwankungen zu kämpfen", berichtet Hendrik Klar, bei Roland Umschlag für Wilhelmshaven-Verkehre verantwortlich. Er führt dies auf den LL1-Fahrplan von Ocean Alliance zurück. Da der JadeWeserPort als letzter kontinentaleuropäischer Hafen angefahren werde, sei er für Ausfuhren attraktiver als für Einfuhren. Immerhin stellen manche Operateure fest, dass inzwischen auch Container aus Polen und Ungarn via Wilhelmshaven umgeschlagen werden. Vor überregionalen Linienverkehren ohne Anbindung der anderen deutschen Nordseehäfen scheuen aber mit Ausnahme von Duisport Rail die Marktteilnehmer noch zurück. Grund sind die Diskrepanzen zwischen Exporten und Importen. Eurogate-Chef Blach sieht hier vor allem die Reedereien gefordert. "Mit ausgeglichenen Export- und Importmengen sinken auch die Positionierungskosten für Container", gibt er zu bedenken. Vor allem die OA-Reedereien wollen dem Vernehmen nach Importverkehre für nicht zeitkritische Waren hochfahren. Ansonsten hängt für Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Bahnoperateure viel von der Schieneninfrastruktur ab. Voraussichtlich erst 2022 werden die letzten 56 Kilometer ab Varel durchgehend elektrifiziert sein. Anfang März 2017 hat die Deutsche Bahn die Bauarbeiten auf diesem Abschnitt, der bislang nur eingeschränkt von schweren Güterzügen genutzt werden kann, gestartet. "Die Infrastruktur erlaubt schon jetzt leistungsfähige Anbindungen zu wettbewerbsfähigen Preisen", sagt Blach. Gleiches gelte für Transhipment-Verkehre, die mit 70 Prozent den Großteil im Modal Split (Straße: 20 Prozent; Schiene: 10 Prozent) ausmachen. Da der JWP als einziger Nordseehafen östlich von Rotterdam für Schiffe mit einem Tiefgang bis 16,5 Meter durchgehend erreichbar ist, wird er gerne für Feederverkehre nach Skandinavien oder ins Baltikum genutzt. Jetzt will auch CMA CGM solche Angebote starten. Blach: "Die Wasser- und Landanbindungen entwickeln sich fast wöchentlich positiv weiter." Mehr zum Thema im Dossier "Hafen Wilhelmshaven" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung Nordfrost Tiefkühllogistiker Nordfrost baut am JadeWeserPort aus Bei Nordfrost ist die Freude über die Aufnahme des JadeWeserPorts in sechs neue Reederei-Fahrpläne besonders groß. Von einer "Initialzündung" schwärmt Geschäftsführerin Britta Heine."Der aufkommende Wettbewerb vor allem unter den Anbietern von Fernostverkehren wird das Geschäft weiter beleben", freut sich die Tiefkühllogistik-Managerin.Seit März 2017 zieht Nordfrost im GVZ des Hafens für 25 Millionen Euro ein Tiefkühllager mit 35.000 Paletten-Stellplätzen inklusive Weißbereich für die Fleischbearbeitung hoch. Außerdem erweitert das Unternehmen das 2012 eröffnete Seehafen-Terminal um Flächen für Tiefkühlware und baut ein eigenes Container-Trucking mit zunächst 50 Fahrgestellen auf. Heine rechnet mit weiteren Destinationen in Übersee sowie - als Folge der "bilderbuchmäßigen Hinterlandanbindungen" - zusätzlichen Bahnverkehren. Vergessen sind die Querelen von 2014, als Nordfrost wegen vermeintlicher Fehlinvestitionen gegen die Zahlung eines Erbpachtzinses geklagt hatte. Mit dem Land Niedersachsen als Eigentümer hat sich das Unternehmen zwischenzeitlich außergerichtlich geeinigt, über das Ergebnis wurde Stillschweigen vereinbart. bot