Wachstum mit Hürden

Viele Pharmahersteller haben die Bedeutung der Logistik erkannt und prüfen jetzt Outsourcing, Restrukturierungen und strategische Partnerschaften, beobachtet Martin Egger, Leiter von Pharmaserv Logstics. Wenn man Egger folgt, müssten also aktuell für Speditions- und Logistikdienstleister die Voraussetzungen für einen Einstieg in die Pharmalogistik so günstig sein wie nie. Transporte nach GDP-Regeln Unerlässlich für einen möglichen Erfolg ist indes die genaue Kenntnis der EU-Leitlinie Good Distribution Practice (GDP), die im Jahr 2013 veröffentlicht worden ist und das Ziel hat, die Qualität und Integrität von pharmazeutischen Produkten entlang der kompletten Wertschöpfungskette vom Hersteller bis hin zum Patienten aufrechtzuerhalten. Vor allem die Ausführungen über temperaturgeführte Transporte und Lagerungen haben für Aufsehen gesorgt. Inzwischen haben die Pharmakonzerne ihre Produkte aber umfangreichen Stresstests unterzogen und ermittelt, in welchen Temperaturzonen - außer dem Tiefkühlbereich gibt es zwei bis acht sowie 15 bis 25 Grad Celsius - ihre Produkte umgeschlagen werden sollen. "Fast alle Hersteller haben ihre Produkte klassifiziert und vorgeschrieben, zu welchen Temperaturen diese transportiert und gelagert werden müssen und welche Abweichungen toleriert werden", sagt Pharmalogistik-Expertin Nicola Spiggelkötter, Inhaberin der Beratungsfirma Knowledge & Support. Ihren Aussagen zufolge wollen die weitaus meisten Hersteller GDP zum verbindlichen Standard machen. Ausschließlich Dienstleister, die GDP-konforme Transport- und Lagerlösungen garantieren können und ihr Personal dafür auch qualifiziert haben, dürfen sich in der Pharmalogistik also eine Chance ausrechnen. Und für KEP-Dienste, die im Auftrag von Onlineapotheken Pharmaprodukte an Endkunden zustellen wollen, stellt sich die Frage, ob ihre Handelspartner auch Transporte nach GDP-Regeln vorschreiben werden. Wenn diese Produkte von Herstellern vertreiben, die sich für GDP entschieden haben, kommen auch sie um diesen Schritt nicht herum. Etliche Firmen werden allerdings mit der Entscheidung warten, bis der deutsche Gesetzgeber eine verbindliche Regelung für den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten geschaffen hat. So war als Folge des EuGH-Urteils vom Herbst 2016, das die deutsche Preisbindung von solchen Arzneimitteln für rechtswidrig erklärte, in der Öffentlichkeit sogar ein Verbot diskutiert worden. Wirklich Klarheit darüber wird aber wohl erst ein Gesetz in der kommenden Legislaturperiode nach der Bundestagswahl im September 2017 bringen können. Boommärkte außerhalb Europas Manches bekannte KEP-Netzwerk wie General Overnight (GO!) und Trans-o-flex, das auch an Endkunden zustellt, arbeitet bereits nach den GDP-Guidelines. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass vor allem Unternehmen mit Erfahrungen in der Kühllogistik der Einstieg in Pharmalogistik nach GDP-Regeln leichtfällt. Wer als Dienstleister außerdem dazu bereit ist, in globale Märkte aufzubrechen, kann sich Hoffnungen auf ein florierendes Wachstum mit Pharmalogistik machen. Die klassischen Märkte in Westeuropa stagnieren zwar seit Jahren, in Afrika, Asien und Südamerika ist die Nachfrage nach Pharmaartikeln aber in den letzten Jahren überdurchschnittlich schnell gewachsen. Von diesem Boom profitiert vor allem die deutsche Pharmaindustrie - und mit ihr die Speditions- und Logistikdienstleister in diesem Segment. So exportieren die Pharmahersteller jährlich Produkte im Wert von rund 46 Milliarden Euro (2015), was 15 Prozent der weltweiten Ausfuhren entspricht. Vor allem Brasilien, China, Indien, Südafrika und Südkorea gelten weiterhin als vielversprechende Märkte, auch wenn frühere Wachstumsprognosen von deutlich über zehn Prozent mittlerweile längst nach unten korrigiert worden sind. In den Kennzahlen, die über die Pharmalogistikbranche überhaupt vorliegen, sind diese Entwicklungen allerdings nur teilweise berücksichtigt. So hat die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (SCS) in Nürnberg auf Basis der Umsatz- und Beschäftigtenzahlen der Pharmaindustrie in 2014 ein Logistikvolumen von mindestens sieben Milliarden Euro ermittelt - aktuellere Zahlen zu diesem Markt gibt es bislang nach Recherchen der VerkehrsRundschau nicht. Diesen zufolge dominiert im Modal Split der Pharmabranche klar der Straßengüterverkehr (mindestens 63 Prozent), deutlich vor Eisenbahn-, See- und Binnenschifffahrts-Verkehren, die sich laut dem Fraunhofer SCS-Zahlen jeweils mit höchstens 14, 13 und 10 Prozent begnügen müssen. Allerdings weisen die SCS-Wissenschaftler darauf hin, dass pharmazeutische Produkte von chemischen Erzeugnissen nicht immer klar zu trennen seien und der tatsächliche Anteil der Straßentransporte daher sogar noch deutlich höher einzuschätzen sei. Die Luftfracht ist in dieser Statistik des Fraunhofer SCS nicht erfasst. Der Anteil von Luftfrachtsendungen in der Pharmalogistik soll zuletzt aber gesunken sein. Denn viele Verlader haben als Folge des verstärkten Wettbewerbsdrucks ihre internationalen Liefer- und Distributionsverkehre auf Seefracht umgestellt und befördern nun ihre Sendungen in TEU- und FEU-Containern. "Luftfracht wird meist noch für besonders eilige Sendungen genutzt, für die kein anderer Verkehrsträger infrage kommt", sagt Martin Krasinski, Transportchef von Frigo-Trans in Fußgönheim. Vielversprechender Markt Außer DHL, TNT und weiteren Global Playern mischen in der Pharmalogistik mittlerweile auch viele mittelständische Dienstleister mit, etwa Leschaco, Transco, Loxxess, Grieshaber Logistics und Frigo-Trans, um nur einige Namen zu nennen. Die weitaus meisten haben sich mittlerweile per Zertifikat bestätigen lassen, dass sie die Vorgaben der GDP erfüllen, ein Qualitätsmanagementsystem für alle Transport- und Logistikprozesse aufgebaut haben und die einzelnen Prozesse auch ausführlich dokumentieren, wenn dies die Auftraggeber fordern. Grundsätzlich sollten sie laut Spiggelkötter die GDP-Regeln nicht auf die Temperaturführung einengen. "Die Dienstleister müssen auch Vorschriften für die Sicherheit der Lagerräume und die Qualifizierung ihres Personals beachten", mahnt die Expertin. Auch bei der Temperaturführung könnte manches noch besser laufen: Während schwere Lkw mit Mehrkammersystemen die GDP-Vorgaben in der Regel mühelos erfüllen, haben der Beobachtung von Spiggelkötter zufolge leichte Lkw und Transporter noch Nachholbedarf. Meist können Tansportbetriebe, die solche Fahrzeuge fahren, temperaturkonforme Transporte nur mit Thermoboxen garantieren. Ob die immer vorhanden sind oder aber den GDP-Vorgaben entsprechen, bleibt offen. Auch bei Schnittstellen während der Übergabe vom Lagermitarbeiter zum Fahrer oder vom Fahrer zum Kundenmitarbeiter können die geforderten Temperaturvorgaben verfehlt werden. Ohne überzeugendes Qualitätsmanagement stehen Logistikdienstleister auf verlorenem Posten. Ist die GDP-Zertifizierung erst einmal geschafft, winkt ein vielversprechender Markt mit völlig neuen Dienstleistungen. So möchte mancher Pharmahersteller aus Kostengründen besonders hochpreisige und temperatursensible Medikamente wie Blutgerinnungspräparate - am Großhandel vorbei - direkt an den Patienten zustellen. Um solche B2C-Transporte zu gewinnen, muss ein Dienstleister aber auch Zusatzservices wie Zeitfenstermanagement und Mehrfachzustellungen anbieten, die beim Dauerbrenner Temperaturführung keine Wünsche offenlassen. Verbände fordern mehr Spielraum Und natürlich sollte ein Dienstleister die Kontrollen durch Aufsichtsbehörden mühelos bestehen, wenngleich vor einem Jahr fünf Verbände der Pharmaindustrie und des Pharmagroßhandels in einem Positionspapier vor einer allzu strengen Auslegung der EU-Leitlinie durch die Aufsichtsbehörden gewarnt haben. Wenn während des Transports und der Lagerung die Temperaturen die vorgeschriebenen Limits "kurzfristig" über- beziehungsweise unterschreiten, führt dies bei vielen nicht kühlpflichtigen Waren nicht unbedingt zu Qualitätsproblemen, heißt es zum Beispiel in dem besagten Papier der Verbände. Entscheidend sei vielmehr der Mittelwert während des gesamten Prozesses. Die Verbände haben mit ihren Forderungen offenkundig auf Behördenrestriktionen an heißen Sommertagen 2015 reagiert, an denen die Tagestemperatur auf über 25 Grad Celsius gestiegen war. Im deutlich kühleren Sommer 2016 sind solche Vorkommnisse nicht bekannt geworden. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass die Aufsichtsbehörden den Dienstleistern tatsächlich mehr Spielraum lassen ... Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Pharmalogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In der Serie analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipps für Dienstleister Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen Das erwarten Unternehmen von ihren Pharmatransport- und -logistikdienstleistern:- Ohne GDP geht nichts! Machen Sie Fuhrpark und Lagerräume fit für Temperaturführung inklusive Dokumentation und planen Sie Gelder für Mitarbeiterweiterbildung ein.- Bauen Sie Ihre IT so aus, dass Ihr Kunde jederzeit Zugang zu Produkt- und Temperaturdaten in Echtzeit hat.- Wichtig ist Präsenz in internationalen Märkten. Ihr Unternehmen nimmt so an florierenden Exportverkehren teil.- Auch die Pharmabranche sucht den direkten Versandweg zum Endkunden: Kleinteilige Sendungen sollten für Ihr Haus kein Problem sein.bot

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