Vorsicht geboten auf dem Transportmarkt

Was für ein Auf und Ab: Die Achterbahn-Fahrt der deutschen Wirtschaft hält die Unternehmen in Atem. "Die Anzahl und Intensität der Ausschläge im Ladungsverkehr nehmen immer stärker zu. Das ist zumindest mein Eindruck", schildert Nikolja Grabowski die Lage. So habe sich im Mai und Juni das Geschäft endlich nach monatelanger Krise wieder belebt - mit der Folge, dass Fahrzeug-Kapazitäten knapp wurden, erläutert der Vorstand des Europäischen Ladungsverbunds Internationaler Spediteure (Elvis). Und nur wenige Wochen später, also Anfang Juli, sei bereits auf bestimmten Relationen das Sommerloch spürbar. "Saisonale Schwankungen sind üblich. Aber was wir derzeit erleben, ist schon extrem. Die Transportpreise geben deutlich nach", beschreibt er die Marktlage. "Der eigene Fuhrpark wird für deutsche Transportbetriebe auf der mittleren und langen Strecke deshalb zunehmend zur Belastung", befürchtet Grabowski. Nicht ohne Grund hätten in den vergangenen Monaten etliche Kraftwagenspediteure und Transporteure ihren Eigenfuhrpark verkleinert oder Teile davon stillgelegt. "Die Folge ist, dass wir jetzt in Deutschland sehr schnell Laderaum-Engpässe haben, wenn die Wirtschaft wieder nach oben fährt." Zumal auch in Polen offenbar vermehrt Transportunternehmen wirtschaftliche Probleme haben und ihren Betrieb abmelden, die sonst in Engpass-Zeiten Fuhren übernommen hätten. Betriebswirtschaftlich gefährlich "Gerade für kleinere und mittlere Transportbetriebe sind diese massiven Schwankungen betriebswirtschaftlich sehr riskant, weil ihnen jegliche Planungssicherheit zur Planung ihrer Lkw- und Fahrer-Kapazitäten fehlt", warnt auch Stephan Doppelhammer, Hauptgeschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT) in München. Denn sie könnten nicht einmal abschätzen, welche Einnahmen sie am Monatsende haben, weil die Auftragslage so stark schwanke. Und noch schlimmer: "Bricht bei ihnen plötzlich wichtiges Volumen weg, sind es die kleineren Transportfirmen, die auf den Fixkosten sitzenbleiben." Denn im Gegensatz zu größeren Speditionen und Paketdiensten setzen sie nicht oder nur sehr wenig auf Subunternehmer, um wirtschaftli che Schwankungen abzupuffern. "Der größte Fehler ist es aber, in wirtschaftlichen Flaute-Zeiten Transportaufträge anzunehmen, die unter dem Deckungsbeitrag liegen", betont Doppelhammer. Das würden zwar manche Firmen machen, weil sie ihre Lkw am Laufen halten wollen. Am Ende aber haben sie noch größere Probleme, weil sie bei dem Auftrag draufzahlen. So gesehen könne er nur davon abraten, permanent zu Rückladungs-Preisen zu fahren, die unterhalb des Deckungsbeitrags liegen. Stattdessen sei es wichtig, dass ein Unternehmer vollumfänglich alle seine laufenden Kosten kenne, die sein Fahrzeug verursache, aber auch, wie viel Euro er mit diesem am Tag erwirtschaften müsse, um seine Kosten abzudecken. Kurz gesagt: "Man muss einfach seine Einnahmen und Ausgaben kennen. Denn wenn die Schere zwischen beidem zu weit auseinandergeht, wird es für die Firma betriebswirtschaftlich gefährlich." Neomatch: passgenaue Transportvorschläge dank KI Als Transport- und Speditionsbetrieb auch in Zeiten großer Mengenschwankungen profitabel zu arbeiten, ist herausfordernd. Hilfestellung verspricht hier die Lösung "Neomatch" des LogTech-Start-ups NeoCargo, eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das digitale Lösungen für den Mittelstand entwickelt. Besonderheit ist die Eigner-Struktur, die laut dem Anbieter Unabhängigkeit und Mittelstandsnähe garantiert: An der NeoCargo AG sind mittlerweile über 40 mittelständische Transport- und Speditionsbetriebe beteiligt wie etwa BTK und Craiss Logistik. Zugriff auf Riesenpool "Mit Neomatch haben wir ein intelligentes Matching-System entwickelt, das Anbieter und Nachfrager von Teil- und Komplettladungen automatisiert zusammenführt - sowohl deutschland- als auch europaweit", erklärt Felix Brandt, Mitgründer und Technikvorstand der NeoCargo AG. Vereinfacht formuliert, scanne das System alle von den Partnern geteilten Aufträge und geplante Lkw-Touren und schlage den Nutzern die für sie besten Lösungen vor. "Das entlastet Disponenten im Tagesgeschäft ungemein", ist sich Brandt sicher, "weil sie Zugriff auf einen Riesenpool haben und nicht mehr aktiv suchen müssen. Sprich: Wir picken auf Basis aller verfügbaren Informationen permanent die Rosinen vor und der Disponent hat mehr Zeit, sich um den Abschluss des Auftrags zu kümmern." Wichtig: Neomatch macht nur Vorschläge, die Entscheidungshoheit bleibt weiterhin bei den Partnern. Dazu ermögliche das Software-as-a-Service-Modell allen Partnern den schnellen Einstieg, betont er. eh Ob Unternehmer in wirtschaftlich volatilen Zeiten eher in Lkw investieren oder diese leasen sollten, sei indes Ansichtssache, sagt Doppelhammer. So gebe es gute Gründe für Leasing, aber auch gute Gründe für den Kauf von Lkw. Sicher sei nur, dass auch ein gekaufter Lkw Kosten verursache, etwa über den Wertverlust im Lauf der Zeit. Es sei also ein Irrglaube, dass man mit eigenen Lkw weniger monatliche Fixkosten habe als mit geleasten. Überdies koste auch das Stilllegen von Lkw Geld. So gesehen wäre seine persönliche Präferenz in volatilen Zeiten die Finanzierungslösung "Pay-per-Use" ein interessantes Modell. Denn die Rate (Leasing oder Miete) ergebe sich da rein aus der tatsächlichen Nutzung des Objekts. Sprich: Ein Unternehmer zahlt nur für die Kilometer, die er fährt. Und wenn der Lkw steht, kostet er eben nichts. Absichern durch Diversifizierung Und was rät Elvis-Vorstand Grabowski angesichts dieser Gemengelage in puncto Kapazitäten-Management? "Um das Risiko für den einzelnen Unternehmer zu reduzieren, muss er alles dafür tun, es zu diversifizieren. Dafür hilft die berühmte Drittel-Faustregel." Sprich: Der Unternehmer verfüge über ein Drittel eigene Lkw, ein Drittel feste Subunternehmer und nutze zu einem Drittel den Spotmarkt. "Diese Faustregel hat sich in den meisten Fällen bewährt - auch in kleineren Transportfirmen mit wenigen Lkw." Vorteil dieses Mix sei, dass der Unternehmer wichtiges Spezial-Geschäft selbst abwickeln könne, das meist die höheren Erlöse bringe. Zudem ermögliche die Faustregel Transporteuren, ein gutes Stück mit dem Markt zu atmen. "Das Ganze funktioniert aber nur, wenn der Unternehmer die Umsetzung konsequent steuert und kontinuierlich der Marktlage anpasst. Zudem ist dafür ein hohes Maß an Transparenz in den Prozessen erforderlich", betont er. Die Elvis AG entwickelte dafür eigens die Business-Intelligence-Lösung "ELVIS BI-Transport", mit der Lkw-Speditionen Leistungskennzahlen quasi in Echtzeit verfolgen können. Entscheidend sei aber: "Wir alle in der Branche müssen noch viel schneller in der Anpassung werden, um mit dem Markt zu atmen." Zudem müssten auch Transportbetriebe mit nur wenigen Lkw noch stärker ihren Kundenkreis erweitern, auch neue Kundenbranchen erschließen, um ihr Geschäft breiter abzusichern. "Krisen werden wir immer haben. Um so wichtiger ist es dann als Firma, breit aufgestellt zu sein." Kann lohnen: die Fahrer- und Fahrzeug-Entkopplung Was können kleinere Transportbetriebe tun, um Auftrags-Schwankungen so zu händeln, dass sie in Flaute-Zeiten nicht auf hohen Fixkosten für Lkw und Fahrer sitzen bleiben? Wichtiger Hebel ist da im Ladungsverkehr die Fahrzeugauslastung. Die ist noch immer viel zu niedrig. Nach wie vor liegt diese, höre ich immer wieder, bei unter 50 Prozent und teilweise sogar deutlich darunter. Da müssen die Transportunternehmer endlich ran, etwa über die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Transportpartnern in einem Ladungsverbund. Und natürlich muss ein Unternehmer alles dafür tun, um die Produktivität seiner Fahrzeuge zu steigern. Und wie gelingt ihm dieses Mehr an Produktivität? Noch denken Transportbetriebe Fahrer und Fahrzeug meist zusammen. Könnte man dies auflösen, also die Fahrer von den Lkw entkoppeln und voneinander unabhängig planen, könnten die Lkw rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb fahren. Das steigert die Produktivität enorm. Denn nichts ist unökonomischer, als den Lkw mindestens ein Drittel des Tages ungenutzt herumstehen zu lassen. Das ist im Übrigen auch für Fahrer attraktiv. Denn sie müssten dann zum Beispiel nicht von München nach Hamburg fahren und retour. Stattdessen ließe sich der Transport über einen Begegnungsverkehr organisieren, also mit einem Lkw von München nach Frankfurt und zurück sowie einem Lkw von Hamburg nach Frankfurt und zurück. Sprich: Ladungsverkehre lassen sich deutlich industrialisierter und effizienter abwickeln, und die Fahrer hätten deutlich geregeltere Arbeitszeiten.

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