Vorsicht, dicker Fisch!

Schon jetzt ist in der Logistik das Jahr 2018 das Jahr der Großaufträge: Fiege übernimmt die komplette Logistik des Spirituosenkonzerns Pernod Ricard Deutschland, Kühne + Nagel erhält den Zuschlag als Dienstleister im neuen Ersatzteillager von BMW in Bruckberg, das deutsche Team von Militzer & Münch gewinnt eine internationale Baumarktkette als Kunden.Und das sind nur die dicksten Fische, die es bis in die Schlagzeilen schaffen. Auch bei kleinen und mittleren Transport- und Speditionsbetrieben klopfen derzeit reihenweise neue Kunden an, und die stammen mitunter aus einer Größenkategorie, die diese nicht gewohnt sind. Wie sollten Dienstleister mit einem überraschenden Großauftrag umgehen? Und wie sorgt man dafür, dass sich der Deal mit dem Goliath am Schluss auch rechnet?Auf versteckte Kostentreiber achten"Die große Gefahr besteht darin, dass man vor lauter Freude nicht so genau hinschaut", sagt Jürgen Fedrowitz, früher selbst im Transportgewerbe tätig und heute Unternehmensberater in Gladbeck. Er erlebt immer wieder, dass Speditionen übereilt Verträge unterschreiben und dann in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Daher mahnt er angesichts eines Großauftrags vor allem zur Ruhe. "Schauen Sie sich genau an, was der Kunde von Ihnen erwartet und wie sein Geschäft läuft." Jedes Detail zählt: Wie kurzfristig wird der Kunde seinen Bedarf anmelden, auf welchem Weg wird er die einzelnen Aufträge erteilen, wo müssen später die Fahrzeuge des Dienstleisters stehen?Über alle diese Einzelheiten sollte sich der Spediteur vorab ein klares Bild machen. Es lohnt sich, nachzufragen, vor allem, wenn im Erstgespräch Floskeln wie "das Übliche" fallen. "Bei Wartezeiten zum Beispiel kann 'das Übliche' vieles bedeuten", warnt Fedrowitz. Das Problem: Wenn das Übliche eben nicht 45 Minuten an der Rampe bedeutet, sondern zwei Stunden, hat der Dienstleister den Fahrer- und Fahrzeugbedarf womöglich völlig falsch kalkuliert.Vorsicht ist auch geboten, wenn der Großauftrag etwas zu groß wird. "Begeben Sie sich nicht in Abhängigkeiten", warnt Sabine Winter von der Ecovis Unternehmensberatung, Glauchau. Sie hat schon erlebt, wie Transport- und Logistikbetriebe in die Pleite gerutscht sind, weil sie sich zu stark auf einen großen Kunden ausgerichtet haben. "Setzen Sie auf gesundes Wachstum", rät Winter. Die Umsatzanteile eines neuen Kunden sollten nicht zu groß werden. Zudem rät sie, das Angebot möglichst objektiv und ohne Ansehen der handelnden Personen zu prüfen. "Der Auftrag ist das eine - die persönliche Beziehung zum Kunden ist das andere." Sprich: Gerade, wenn man es mit Konzernen zu tun hat, kann es sein, dass die Person, der man bei Vertragsabschluss gegenübersaß und mit der man gut klarkam, nach ein paar Monaten weg ist. Und dann weht ein neuer Wind. Hat der Kunde gestern bei der Einhaltung von Zahlungszielen zum Beispiel noch großzügig gehandelt, pocht er heute womöglich auf vertragliche Klauseln. "Rechnen Sie damit, dass das 'Vitamin B' eines Tages auch nicht mehr da sein könnte", resümiert Winter.Wurde der Vertrag unterzeichnet, sollte der Dienstleister zügig in die Planung gehen. Punkt eins auf der Agenda: mit dem Team zusammensetzen und genau ermitteln, welche Ressourcen zur Durchführung des Auftrags gebraucht werden. Sowohl technisch als auch personell. Besonderes Augenmerk sollte auf die indirekten Wirkungen des Auftrags (Multiplikator-Effekte) gelegt werden. Wird zum Beispiel ein Fahrzeug neu angeschafft, braucht man eventuell nicht nur einen Fahrer, sondern auch entsprechende Verstärkung im Büro. Zwanzig neue Lkw zum Beispiel machen rund 1,5 neue Disponenten nötig, schätzen Profis. Hinzu kommen Mitarbeiter in der Lieferscheineingabe, in der Lohnbuchoder Lademittelverwaltung.Plan B für den Fall der Fälle erarbeitenPunkt zwei: einen Zeitplan machen und strukturiert abarbeiten. "Dazu gehört auch immer, über einen Plan B nachzudenken", fügt Fedrowitz hinzu. Er gibt ein Beispiel: Werden zusätzliche Zugmaschinen bei einem Hersteller geordert, sollte der Transportbetrieb auch für den Fall vorsorgen, dass der vereinbarte Liefertermin nicht eingehalten wird. Wer sich im Vorfeld über alternative Miet- oder Leasing-Angebote informiert hat, vermeidet in einer solchen Situation überstürzte und teure Entscheidungen.Gerade für Kleinbetriebe bedeutet der Großauftrag bisweilen den Abschied von eingespielten und lieb gewonnenen Praktiken. Stehen zum Beispiel nur zehn Fahrzeuge auf dem Hof, ist es nichts Ungewöhnliches, dass der Chef auf dem Bock sitzt oder die Dispo übernimmt. Kommen plötzlich noch einmal so viele Lkw hinzu, geht das nicht mehr. "Dann wird Delegieren ein Thema", betont Berater Fedrowitz. Genau damit tun sich viele Inhaber allerdings schwer. Unter Umständen ist zudem ein völlig neuer Umgang mit den Kunden gefragt. Fand das Gespräch früher direkt an der Rampe statt, trifft man sich nun mit Anzug und Schlips in einem Konferenzraum."Viele scheuen sich zudem vor externer Hilfe", klagt Berater Fedrowitz. Das mag auf den ersten Blick nach Werbung für seine eigene Zunft klingen. Doch Tatsache ist, dass viele Betriebe ohne Unterstützung von außen einen Großauftrag nicht bewältigen können. Nur ein Beispiel: Wer 25 neue Fahrer einstellen will, muss mindestens 150 bis 200 Bewerbungen lesen und 50 Gespräche führen. Allein zeitlich können das viele Inhaber nicht stemmen. Hinzu kommt, dass der Umgang mit Großkunden viel mehr betriebswirtschaftliches Wissen erfordert. Das können Unternehmer natürlich nachrüsten, indem sie Kurse besuchen, etwa bei der örtlichen IHK oder bei Verbänden, doch im Ernstfall fehlt dafür oft die Zeit. Dann ist es unerlässlich, neues Wissen an Bord zu holen, entweder über einen Berater oder über neu eingestellte Mitarbeiter.Ein Großauftrag kommt in der Regel von einem großen Unternehmen - und mit dem Geschäfte zu machen, kostet Zeit und Geld. Das unterschätzen Dienstleister, die zum ersten Mal in dieser Liga spielen, manchmal. Wer für DAX-Konzerne fahren will, muss seine Lkw etwa mit Bordcomputern ausstatten (falls das noch nicht der Fall ist). Die Technik bezahlt zwar bestenfalls der Kunde, doch die Fahrer müssen im Umgang mit den Geräten geschult werden, was viel Zeit kostet, in der sie nicht hinterm Steuer sitzen. Und so geht es in vielen Bereichen: Umweltschutz, Zertifizierungen, Compliance-Richtlinien. Großkunden legen umfangreiche Lastenhefte vor, und sie zu erfüllen, bindet viele personellen Ressourcen. Daran sollte der Unternehmer denken, bevor er sich in das vermeintlich lukrative Geschäft stürzt. "Wer zum Beispiel 30 Fahrzeuge neu zweischichtig besetzen will, sollte mindestens ein halbes Jahr Vorlauf einkalkulieren", gibt Fedrowitz als Beispiel.Entscheidend bei allen Planungen ist, wie nachhaltig der Großauftrag ist. Bleibt der Kunde langfristig an Bord, oder besteht die Gefahr, dass er nach einem Jahr abspringt? In letzterem Fall wäre es falsch, die ganze Firma an der Spitzenlast auszurichten. Dann sollten Lkw angemietet und möglichst Outsourcing-Dienstleistungen (Personalverwaltung, Buchhaltung) genutzt werden. In nicht wenigen Betrieben stehen ungenutzte Zugmaschinen, die für einen Großauftrag gekauft wurden und die Bilanz belasten. Um das zu verhindern, empfiehlt es sich, nach folgender Daumenregel zu handeln: Die Kapazitäten sollten sich an der Mitte der Auslastung orientieren - und nicht am punktuellen Mega-Auftrag.Ansonsten droht ein bitteres Ende: gescheitert an einem zu großen Geschäft. Berater Fedrowitz kennt reihenweise solche Fälle. Einen einzigen Auslöser gibt es meist nicht. "Es können an jeder Stelle Probleme auftreten." So bekommt man nicht genug Fahrer, um das Frachtaufkommen zu bewältigen, der Krankenstand schießt nach oben, weil die Dispo ungeschickt die Touren zuweist, oder Fahrer springen ab, weil die Buchhaltung mit den Zahlungen hinterher ist. "Besonders oft gibt es Schwierigkeiten, wenn im Zuge des Großauftrags ein neuer Satellitenstandort eröffnet werden muss", weiß er. In diesem Fall kann es sein, dass die Fahrer am neuen Ort keine Betreuung haben und sich so eine negative Stimmung entwickelt, die man in der Zentrale nicht erkennt.Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiersExperten-TippsKunde "droht" mit Auftrag: So sollten Sie reagierenKontaktieren: Nehmen Sie schnellstmöglich persönlichen Kontakt auf und verabreden Sie ein Meeting. Nur so können Sie vermitteln, was das Alleinstellungsmerkmal Ihres Angebots ist.Prüfen: Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Schauen Sie sich genau an, worum es bei dem Auftrag geht, was der Kunde erwartet, wie die Situation an seinen Rampen aussieht et cetera. Lassen Sie besondere Vorsicht walten, wenn Sie den jeweiligen Markt noch nicht gut kennen.Einschätzen: Bleiben Sie realistisch. Wenn Sie das Gefühl haben, der Kunden könnte eine Kragenweite zu groß sein, sollten Sie den Auftrag lieber sausen lassen. Begeben Sie sich nicht in Abhängigkeiten.Planen: Erarbeiten Sie einen Plan. Berechnen Sie die nötigen Kapazitäten, nicht nur bei Fuhrpark und Infrastruktur, sondern auch bei Bürotätigkeiten (Buchhaltung, Dispo). Stellen Sie einen Zeitplan auf und treffen Sie Vorkehrungen für den Fall, dass eine geplante Maßnahme nicht funktioniert.Reagieren: Handelt es sich um einen einmaligen Großauftrag, sollten Sie möglichst wenig eigene Kapazitäten aufbauen und auf Miete, Leasing oder Outsourcing zurückgreifen. Bei langfristiger Kundenbindung empfiehlt es sich, mehr betriebswirtschaftliches Know-how an Bord zu holen, durch zusätzliche Fachleute oder Weiterbildung. cgPraxislösung Alpensped"Bei Großaufträgen besonnen kalkulieren"Die Anfrage, die über das Kontaktformular auf der Website reinkommt, hat es in sich: Etliche Maschinen, zum Teil mit Sonderabmessungen, sollen aus verschiedenen Ländern zum Hamburger Hafen transportiert werden."Wir haben sofort am Absender gesehen, dass das was Größeres ist", sagt Christian Faggin, Geschäftsführer der Alpensped, Mannheim.Der Vertrieb des mittelständischen Transport- und Speditionsunternehmens hängt sich unverzüglich rein: Man nimmt telefonischen Kontakt zum potenziellen Auftraggeber auf und macht ein erstes persönliches Treffen aus. Es verläuft erfolgreich, nach nur zehn Tagen sagt der Kunde, ein großer Automobilzulieferer, zu. Einfach wird der Job allerdings nicht, das weiß man auch bei der Spedition."Es ist kein Nachteil, dass er ins Sommerloch fällt", schmunzelt Faggin,"der Auftrag ist personalintensiv und bedeutet - auch mit unseren Erfahrungen - eine Herausforderung."Er rät bei Aufträgen dieser Dimension zu einer besonders besonnenen Kalkulation."Man sollte in der Ausschreibungsphase immer Lade- und Voravis-Zeiten klären", so Faggin. Es gelte, sich nicht von der Hektik anstecken zu lassen, die im Umfeld solcher Großaufträge mitunter ausbricht. "Tragen Sie klar und selbstbewusst Ihre Konditionen vor, und erklären Sie genau, wie sich alles umsetzen lässt."Und schließlich wäre da noch der Risikofaktor Preis. Im Eifer des Gefechts und angesichts möglicher Rekordumsätze sowie drängelnder Einkäufer wird so optimistisch kalkuliert, dass am Schluss die Marge nicht stimmt."Wir haben auch schon mal daneben gelegen", räumt Geschäftsführer Faggin ein. Gerade wenn es um Leistungen oder Länder gehe, mit denen man keine Erfahrungen hat, müsse man bei der Kalkulation besonders aufpassen. cg

Vorsicht, dicker Fisch!

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