Von Jägern und Gejagten

Er ist eine der Legenden der Logistikbranche und hat mit Kühne + Nagel einen der größten Logistikkonzerne weltweit geschaffen: Klaus-Michael Kühne, heute Präsident der Kühne-Stiftung. Mit 80 Jahren stand er in Berlin auf der Bühne des 34. Deutschen Logistik-Kongresses der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und stahl allen die Show. Lässig, fast kokett wirkte Kühne, vor allem aber fit - und das, obwohl er am frühen Morgen aus Zürich nach Berlin angereist war -, auch um den emeritierten Professor Helmut Baumgarten für dessen Engagement in der humanitären Logistik auszuzeichnen (siehe Seite 22). Aufhorchen ließen aber auch Kühnes Worte in einem Interview auf dem Kongress: "Die Digitalisierung ist nicht mehr zu verdrängen. Sie hat uns alle erfasst. Sie wird sich weiter verstärken." Wobei für den erfahrenen Logistiker die Digitalisierung "nur ein anderes Wort für Informationstechnologie" ist, die in den letzten 50 Jahren entwickelt und immer weiter getriebenworden sei. Allerdings sei technologisch dadurch heute vieles möglich, und ebendies führe überall zu gewaltigen Veränderungen in den Prozessen, im gesamten Ablauf - auch in der Logistik. Besser hätte man den roten Faden, der sich durch den diesjährigen Logistikkongress zog, nicht auf den Punkt bringen können. Denn alle Vorträge, Sequenzen, Diskussionen, Foren standen unter diesem großen Motto "Neues denken - Digitales Leben", für den sich die BVL letztlich entschieden hat. Bewusst habe man den Begriff "Disruption" im Titel vermieden, betonte Raimund Klinkner, Vorsitzender des BVL-Vorstands, auf der Auftaktveranstaltung. Denn es gehe vielmehr darum, die Digitalisierung als intelligenten Treiber für Veränderungen zu sehen, sprich als Chance, die die Unternehmen nutzen. Und diese Botschaft ist sogar in der deutschen Politikspitze angekommen. So nahm sich gar Bundespräsident a. D. Joachim Gauck, Ehrengast der Gala, dem Thema Digitalisierung an. In seiner Rede machte er den Kongressteilnehmern und Mitarbeitern der Logistikbranche vor allem Mut, sich nicht von der Technik überwältigen zu lassen. "Wir werden nicht ohne Arbeit sein, aber wir müssen bereit für neue Formen der Arbeit sein", sagte Gauck und fuhr fort: "Wir brauchen den Mut, uns selber kompetent zu machen - auch gegen eigene innere Widerstände." Zerstörerische Wucht Widerstand ist allerdings auch zwecklos. Denn die Welle, die auf die Unternehmen zurollt, ist gewaltig. Und dass diese nicht nur Chancen bringt, sondern durchaus zerstörerische Wucht entwickeln kann - Stichwort "Disruption", zeigten die Ausführungen von Christopher Keese, Executive Vicepresident des Axel Springer Verlags: "Eine der ersten Fingerübungen des Silicon Valleys war es, uns (die Verlagsbranche - die Red.) zu disruptieren." Goldene Grundregel, die die Verlage aus der ersten Digitalisierungswelle gelernt haben: Die Leser-Reichweite stieg in ungeahnte Höhen, aber das Ergebnis war mies. Dazu Keeses lakonischer Kommentar: "Selbst wenn du dein Geschäft radikal digitalisierst, gehst du trotzdem pleite." Denn die Wertschöpfungsmechanismen seien anders, und Plattformen würden sich dazwischenschalten. Erst als der Axel Springer Verlag ab 2004 sukzessive in solche Plattformen investiert habe, führte Kesse aus, habe sich das Blatt gewendet: So liege die Ebita-Marge des Plattformgeschäftes (zum Beispiel Rubrik- und Stellenanzeigen) bei 40 Prozent. Und dies sei, betonte Keese, eine typische Ebita-Marge für Plattformen, manche würden sogar 50, 60 Prozent Marge haben. Seine Botschaft an die Logistikbranche aus alledem: "Diejenigen, die die Leistung vermitteln, verdienen heute deutlich mehr als diejenigen, die die Leistung erbringen." Neue Spieler in den Supply Chains Kein Wunder also, dass momentan Internetplattformen fast im Wochentakt neu entstehen - auch und gerade in der Logistikbranche, wie Lufthansa-Cargo-Chef Peter Gerber ausführte: "Durch die Digitalisierung treten neue Spieler in den Markt. Sie klinken sich in die Wertschöpfungsketten ein und übernehmen zum Beispiel Aufgaben traditioneller Speditionen", formulierte es der Manager. Frage für ihn sei, ob und wie sich solche Plattformen auch in der Luftfracht durchsetzen. In der Passage seien solche Lösungen - Stichwort Preise und Verfügbarkeit - jedenfalls seit vielen Jahren üblich, betonte Gerber und gab damit Anlass zu Spekulationen über mögliche Plattform-Pläne von Lufthansa Cargo. "Die neuen Plattformen sind Realität. Sie sind ein neuer Vertriebskanal und deshalb auch eine neue Chance", betonte auch DPD-Deutschland-Chef Boris Winkelmann. Man müsse nur aufpassen, dass man selbst von diesen Plattformen nicht kannibalisiert werde. Im Zweifel müsse man eben eine eigene Plattform gründen. Aus Sicht der Paketbranche gesprochen, führte Winkelmann aus, bedeute die Digitalisierung der Handelskanäle zunächst eines: "Eine Paketflut, die zu managen ist - mit enormen Wachstumschancen, aber auch Herausforderungen." So stellten heute schon die Paketdienste über drei Milliarden Pakete hierzulande zu, und bis 2025 werde sich diese Zahl Prognosen zufolge noch verdoppeln. Gleichzeitig rücke der Endverbraucher in den Fokus, und dieser habe durch die Digitalisierung einen neuen Anspruch, betonte Winkelmann. "Es geht nicht mehr darum, Pakete zuzustellen, sondern dann, wann und wohin es der Endkunde will. Nicht die Laufzeit ist das prägende Element, sondern die Customer Experience." Technologien sind die neuen Taktgeber Und noch etwas zeigten die Reden auf dem Kongress: Künftig werden digitale Prozesse vorgeben, wie Menschen zu arbeiten haben. Ganz nach dem Vorbild Technologie-getriebener Unternehmen wie Amazon und Zalando. Ihr Erfolgsrezept dabei: "Technologen und Datenanalysten geben den Ton an." Einkauf, gute Warenverfügbarkeit und schlaues Marketing müssten dagegen zurückstehen. Darauf verwies zum Beispiel Tarek Müller, Geschäftsführer des Mode-Onlineshops About you, den er in 2014 mit 25 Jahren gegründet hatte und der mit 135 Millionen Euro Jahresumsatz (2016) heute zum schnellstwachsenden E-Commerce-Unternehmen europaweit zählt. Alles das muss aber nicht zulasten der Arbeitsplätze gehen, betonte Frank Appel, Vorstandschef von Deutsche Post DHL Group: "Das Gerede, dass durch die Digitalisierung viele Stellen verloren gehen, ist nur Gerede." Digitalisierung sei kein Arbeitsplatz-Vernichter, sondern ein Wohlstandsbringer, führte Appel aus. Viele neue Arbeitsplätze würden entstehen. Natürlich werde es auch Verlierer geben, aber genau deshalb müsse man Veränderungen vorantreiben und die Mitarbeiter für die Neuerungen mitnehmen. Gerade weil sich die Logistik durch Transparenz und Plattformen gerade massiv verändere. Die Branche sei nun einmal, "unglaublich attraktiv" für Finanzinvestoren und junge Menschen, betonte Appel, auch weil die traditionellen Unternehmen als rückständig angesehen werden. "Das ist Bedrohung und Chance zugleich." Besser selbst kannibalisieren Die gute Nachricht aus Berlin ist: Zumindest die großen Logistikplayer haben die Zeichen der Zeit erkannt. So kooperieren viele mit Start-ups, um von diesen zu lernen und mit diesen zu wachsen. Beispiel Fiege, das im Zusammenspiel mit Magazino wahrnehmungsgesteuerte, mobile Roboter für die Intralogistik entwickelt. Deutsche Post DHL gründete vor einem Jahr mit Saloodo selbst eine Transportplattform. "Lieber kannibalisieren wir uns selbst, bevor uns ein anderer kannibalisiert" (Appel). Wohin das alles führt, ist offen. Zu beobachten ist, dass sich die Geschäftsfelder der Unternehmen durch die Digitalisierung zunehmend überlappen. "Die Wirtschaft wird derzeit neu durchmischt", formuliert es ein Branchenkenner am Rande des Kongresses. Nicht umsonst sprach Moderator Roland Tichy von "Jägern" und "Gejagten". Und Ex-Kühne-Topmanager Cornelius Geber, heute Finanzinvestor, glaubt sogar: "In fünf Jahren sieht die Logistikbranche ganz anders aus als heute." Zumal die Logistikbranche, völlig unabhängig von der Digitalisierung, nach wie vor mächtig in Bewegung ist: So wurde in Berlin viel über den anstehenden Verkauf von Logistikdienstleister Ceva Logistics spekuliert, an dem offenbar nicht nur Geodis, sondern angeblich auch der dänische Transport- und Logistikkonzern DSV Interesse haben soll. Auch Schenker war wieder einmal in aller Munde, nachdem die Nachricht publik wurde, dass das Bundesfinanzministerium der Deutschen Bahn den Verkauf ihrer Speditionstochter nahelegt. Und die chinesische Onlineplattform Alibaba soll ja auch gerade in Europa auf Einkaufstour sein. Sorgen bereiten vielen indes die Logistik-Ambitionen Amazons, das angeblich an einen 15-Minuten-Zustellservice in Städten arbeiten soll - möglicherweise im Zusammenspiel mit Uber und Privatleuten als Paketboten, wie ein Branchenkenner sagt. Offener Brief an die neue Regierung Der Logistikbranche geht es derzeit gut - die Branche wächst in diesem Jahr das siebte Jahr in Folge, führte der Vorsitzende des BVL-Vorstands Raimund Klinkner auf der Auftaktveranstaltung aus. So legte die Branche in 2017 um weitere 1,9 Prozent auf ein Umsatzvolumen von insgesamt 264 Milliarden Euro Umsatz zu und die Zahl der Beschäftigten stieg auf 3,1 Millionen. Und es sieht ganz danach aus, dass dieses Wachstum anhält: So rechnen Prognosen im kommenden Jahr mit weiteren 2,2 Prozent Wachstum in der Logistik. Bleibt der Wermutstropfen, dass die Verkehrs- und digitale Infrastruktur hierzulande mit dem Wachstum nicht Schritt hält. Deutschland sei in Sachen Glasfaserausbau nach wie vor Entwicklungsland, monierte Klinkner. Mit ihrem "Offenen Brief" an die Mitglieder des neu konstituierten Bundestags wolle BVL genau dies jetzt aber ändern. Klinkners Appell an die Politik: "Wir brauchen einen Reset beim Regierungsneustart", forderte er. Entrümpelt gehöre aber auch der Lehrplan. Und für die sich ändernden Berufsbilder brauche es andere Qualifikationen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Marshallplan für Afrika Afrika als große Chance für deutsche Logistiker Auf Veranstaltungen wie dem Logistik-Kongress, zu dem viele Manager zusammenkommen, geht es vor allem um finanzielle Themen, um neue Trends. Da war die Sequenz "Von der humanitären Logistik zum Marshallplan mit Afrika" im doppelten Sinne ein Exot. Denn humanitäre Logistik ist - immer noch - ein Randthema in der Logistik und Afrika ebenso. Dabei lohnt sich ein genauer Blick auf den Kontinent nach Ansicht der Referenten sehr wohl: "Afrika ist 83-mal größer als Deutschland. Und die Bevölkerung soll sich von 1,25 Milliarden auf 2,5 Milliarden im Jahr 2050 verdoppeln", machte Helmut Baumgarten, emeritierter Professor an der Technischen Universität Berlin und Ehrenmitglied der BVL, auf das gewaltige Potenzial des Kontinents aufmerksam.Stefan Oswald, Leiter der Unterabteilung Sub-Sahara Afrika im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin, verglich den Frachtkosten-Anteil am Warenwert in Mali mit dem in Westeuropa: In dem afrikanischen Land seien es 39 Prozent, hierzulande dagegen vier Prozent. "Dies zeigt, wie riesig das Potenzial für Effizienzsteigerungen ist." Er bezeichnete den Markt also als eine große Chance für deutsche Logistikfirmen.Einer, der in Afrika sowohl mit seinem Unternehmen wie auch mit seiner Stiftung tätig ist, ist Klaus-Michael Kühne, Präsident der Kühne-Stiftung und Mehrheitsaktionär von Kühne + Nagel International AG. Er wies darauf hin, dass es für Afrika kein Patentrezept gebe:"Man muss von Land zu Land sehr stark differenzieren und punktuell vorgehen, die jeweiligen Verhältnisse berücksichtigen."Kühne kündigte an, dass K+N und seine Stiftung die Investitionen in Afrika von Jahr zu Jahr erhöhen werden."Aber wir alleine können es natürlich nicht schaffen, dazu gehören Aktivitäten von Staaten und Unternehmen", sagte er. Und fügte mit einem Lächeln hinzu:"Ich habe nichts dagegen, wenn unser böser Feind - die Post - dort auch aktiv wird." Kühne verkündete, dass er ab jetzt alle zwei Jahre einen mit 20.000 Euro dotierten Preis für humanitäre Logistik vergeben werde. In diesem Jahr wurde Helmut Baumgarten für seine Verdienste um die Entwicklung der humanitären Logistik ausgezeichnet. Baumgarten stiftete das Preisgeld für ein Projekt in Afrika von SOS-Kinderdorf. cd

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