Vom Flüchtling zum Azubi

Beim Logistikdienstleister Karl Dischinger geht es international zu: Der Betrieb aus Ehrenkirchen bei Freiburg beschäftigt Franzosen, eine Brasilianerin, Afrikaner - und mehrere Flüchtlinge. Im September beginnt ein afrikanischer Asylbewerber seine Ausbildung: Kodjo Sassou Adjivon, ein 29-jähriger ITler aus Togo, wird zum Kaufmann für Spedition und Logistik ausgebildet. Als Praktikant arbeitet Adjivon bereits in dem Betrieb. Dass aus Flüchtlingen Azubis werden, hat in der Logistikbranche Seltenheitswert - noch. Im Moment setzen die Dienstleister zugewanderte Kräfte vor allem im gewerblichen Bereich ein, als Lagermitarbeiter oder Umzugshelfer zum Beispiel. Doch das wird sich ändern. Denn Auszubildende zu finden, ist für die Unternehmen schwerer denn je: 41.000 Ausbildungsstellen sind im letzten Jahr unbesetzt geblieben, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr, sagt der offizielle "Berufsbildungsbericht 2016". Angesichts leerer Postkörbe werden die Personaler in der Logistikbranche zunehmend auch Migranten ansprechen. Grundsätzlich können alle Flüchtlinge, die sich drei Monate lang in Deutschland aufhalten, eine Berufsausbildung beginnen. Das gilt sowohl für Menschen, deren Asylverfahren noch läuft, als auch für solche, deren Antrag schon angenommen wurde (anerkannte Flüchtlinge). Sogar wenn der Asylantrag abgelehnt wurde, darf der sogenannte Geduldete in der Regel eine Ausbildung anfangen, allerdings nur, wenn er nicht aus einem "sicheren Herkunftsland" kommt (Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, Senegal, Serbien, demnächst auch Marokko, Algerien und Tunesien). Asylsuchende und Geduldete müssen in jedem Fall bei der Ausländerbehörde eine Beschäftigungserlaubnis einholen. Einstiegsqualifizierung vor der Lehre Ist das Papier da, kann theoretisch mit der Ausbildung begonnen werden. Erfahrungen zeigen jedoch, dass der Start in die Arbeitswelt von 0 auf 100 oft nicht klappt. Den Migranten mangelt es an Sprachkenntnissen oder sie müssen sich noch orientieren. Daher schalten viele Betriebe eine sogenannte Einstiegsqualifizierung (EQ) vor. Diese Art von Praktikum dauert zwischen sechs und zwölf Monate. Vorteil der EQ: Merkt der Arbeitgeber, dass der Neuzugang nicht passt, kann er sich von ihm unkomplizierter trennen als von einem Azubi. Auch Kodjo Sassou Adjivon absolviert bei Dischinger derzeit eine EQ. "Man probiert sich quasi ein Jahr aus", erklärt Kerstin Sacherer, Personalleiterin bei der Karl-Dischinger-Gruppe. Während der EQ besucht der Afrikaner die Berufsschule. Die Bundesagentur für Arbeit beteiligt sich in dieser Zeit mit 216 Euro am Gehalt, der Logistiker legt die Differenz zum vollen Ausbildungsgehalt drauf. Für Dischinger ist es nicht der erste Migrant. Personalleiterin Sacherer pflegt gute Kontakte zur örtlichen Flüchtlingshilfe und hat schon mehrere Asylbewerber an Bord geholt. Sie kennt sich mit den bürokratischen Hürden aus. Ihr Rat an interessierte Betriebe: "Nehmen Sie frühzeitig Kontakt zum Arbeitgeberservice Ihrer örtlichen Arbeitsagentur auf." Die Ansprechpartner dort helfen zum Beispiel dabei, für den Flüchtling bei der Ausländerbehörde eine Aufenthaltsgestattung zu beschaffen. Auch die finanzielle Förderung einer Einstiegsqualifizierung läuft über die Arbeitsagentur. In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Ohne Deutschkenntnisse geht nichts. Das betont auch Sacherer. Dischinger nimmt die Sache selbst in die Hand: Der Logistiker beschäftigt eine pensionierte Lehrerin, die einmal pro Woche einen Deutschkurs für ausländische Mitarbeitende durchführt (nicht nur für Flüchtlinge). "So bekommen wir genau die Kommunikations- und Schreibfähigkeiten, die wir brauchen", erklärt Sacherer. Wie lange es dauert, bis sich ein Ausländer verständlich machen kann, lässt sich pauschal nicht sagen. IHK-Kurse dauern etwa ein halbes Jahr, Praktiker haben die Erfahrung gemacht, dass sich Lernende, die das römische Alphabet kennen (Afrikaner etwa), leichter tun als Zuwanderer, die bisher nur Arabisch geschrieben haben (Syrer, Iraker). Integrationskurse in der Nähe findet man über die Suchmaschine des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: webgis.bamf.de. Viele Behördengänge sind notwendig Fest steht aber auch: Wer Flüchtlinge ausbilden will, braucht Geduld und Durchhaltevermögen. Viele Behördengänge sind nötig und zahllose Formulare auszufüllen. Und der Ausländerbehörde muss unter Umständen alle drei Monate aufs Neue bestätigt werden, dass sich ein Asylsuchender noch in der Ausbildung befindet. Unnötig kompliziert werden die Abläufe zudem durch den deutschen Datenschutz: So dürfen die öffentlichen Stellen nur mit dem Flüchtling selbst Informationen austauschen, niemals mit seinem Arbeitgeber. Außerdem schwebt über allem ein Risiko: Der Asylbewerber könnte vor dem Ende der Ausbildung abgeschoben werden. "Das ist schon ein Damoklesschwert", bestätigt Sacherer. Allerdings weisen andere Praktiker darauf hin, dass eine Abschiebung relativ unwahrscheinlich ist. Nur elf Prozent aller abgelehnten Asylbewerber werden abgeschoben. Erfahrungen mit Flüchtlingen als Azubis sind bisher rar, weil die Zuwanderungswelle noch nicht auf dem Arbeitsmarkt angekommen ist. Viele Migranten sind schlichtweg damit beschäftigt, die Sprache zu lernen. Von den wenigen Firmen, die Erfahrungen sammeln konnten, kommt überwiegend positives Feedback. "Hungrig und hochmotiviert" seien die neuen Kräfte, sagt zum Beispiel ein Berliner Fuhrunternehmer. Er hat mehrere Afrikaner zu Fahrern ausgebildet und ist begeistert von ihnen. Ausführlich äußern wollte er sich zu seiner Nachwuchsstrategie nicht. "Ich gebe der Konkurrenz doch keine Tipps!" Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Flüchtlinge www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Jobs für FlüchtlingeWas Transport- und Speditionsbetriebe tun, um Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren- VR 8/2016: Sind Flüchtlinge das neue Jobwunder?- VR 19/2016 Best Practice in der AusbildungIn einer der nächsten Hefte: Welche finanziellen Hilfen es für Unternehmer gibt Erster HR-Summit Logistik & Mobilität Personalprobleme im Fokus Erfolgreich Mitarbeiter finden, integrieren und binden - was Unternehmenschefs tun und Experten raten, zeigt der erste Human Resources-Summit Logistik & Mobilität am 2. Juni 2016 in Frankfurt/Main.Wo und wie findet man zuverlässige Berufskraftfahrer? Wie lassen sich Menschen für einen Beruf in der Logistik begeistern? Diese und viele andere Fragen treiben Personalverantwortliche und Führungskräfte in der Transport- und Logistikbranche um. Antworten darauf verspricht der erste HR-Summit. In verschiedenen Themenforen kommen Experten und Praktiker zu Wort. Zudem werden die Ergebnisse der Studie"Handlungsfelder der Personalarbeit" von Professor Kai-Oliver Schocke vom Zentrum für Logistik, Mobilität und Nachhaltigkeit (ZLMN) in Frankfurt präsentiert. Die Ergebnisse dieser Studie diskutiert VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa mit dem Studienautor sowie unter anderem mit Markus Bappert, Geschäftsführer Ludwig Meyer GmbH, Marcus Gersinske vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und Elke Wasser, Geschäftsführerin Logistic Training Center. Weitere Infos: www.hr-summit-logistik.de. eh

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