Verträge jetzt für den Brexit anpassen

Großbritannien wird nach derzeitigem Stand der Dinge Ende März aus der EU austreten. Ob die Trennung über das mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen erfolgt, ist wegen innenpolitischer Differenzen in London allerdings noch unklar. Die britische Premierministerin Theresa May hatte im Dezember eine Abstimmung im Parlament über das Abkommen wegen einer drohenden Niederlage auf Januar verschoben. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erwartet Chaos für den Fall eines Brexits ohne Vertrag. Der zollfreie Warenverkehr würde abrupt unterbrochen, sagte die Schwedin. Vor allem zu Beginn werde es "sehr, sehr kompliziert" werden. Transport- und Speditionsunternehmen sollten deshalb schleunigst ihre Verträge anpassen, um auf alle Eventualitäten und mögliche Mehrkosten vorbereitet zu sein. Was dabei zu beachten ist, erklären die beiden Experten Guido Belger vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und Axel Salzmann vom Kfz- und Transportversicherer Kravag. Bestandsverträge Nach deutschem Recht können Unternehmen die Abänderung eines Vertrages erzwingen, wenn sich die Rahmenbedingungen derart wesentlich ändern, dass sie für einen Geschäftspartner nicht mehr zumutbar sind. "Ob den genannten wirtschaftlichen Unsicherheiten im Zuge des Brexits über das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß Paragraf 313 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Rechnung getragen werden kann, ist fraglich", erklärt Guido Belger, Leiter der Abteilung Rechts- und Versicherungsfragen im BGL. Jedenfalls für Verträge, die nach dem Brexit-Referendum abgeschlossen wurden, greife diese Regelung vermutlich nicht. "Denn seit dem 23. Juni 2016 kennen alle Beteiligten das Risiko." Ein vorzeitiges Kündigungsrecht von bestehenden Rahmenverträgen, wie es laut Paragraf 314 BGB für Dauerschuldverhältnisse gilt, können laut Belger auch Spediteure und Frachtführer beanspruchen, wenn der Brexit die Geschäfte deutlich aufwendiger macht oder verteuert und eine Vertragsanpassung nicht möglich ist. Im Vertragsrecht komme es allerdings meist auf den Einzelfall an, betont er. "Pauschale Ratschläge für Vereinbarungen, die Transport- und Logistikunternehmen vor dem Brexit-Referendum geschlossen haben, sind kaum möglich." Brexit-Klauseln Axel Salzmann, Leiter des Kompetenzzentrums Straßenverkehrsgewerbe und Logistik bei Versicherer Kravag, empfiehlt eine einvernehmliche Lösung zu suchen, statt Geschäftsbeziehungen durch eine Konfrontation aufs Spiel zu setzen. "Über eine Anpassung des Vertrages zu streiten, ist das letzte Mittel", betont er. Wer England-Verkehre fährt, sollte aus Sicht des Experten in jedem Fall eine Brexit-Klausel aufnehmen, um sich gegen die Eventualitäten eines weichen oder harten Ausscheidens von Großbritannien aus der EU abzusichern. Transport- und Speditionsunternehmen sollten mit ihren Auftraggebern vereinbaren, dass durch den Brexit verursachte, derzeit noch nicht kalkulierbare Belastungen, Kosten und Aufwendungen etwa durch Standzeiten oder bei der Zollabwicklung zusätzlich vergütet werden müssen. Denken sollten sie auch an mögliche Mehrkosten für Alternativrouten, die sich bei der Zollabwicklung als zeitlich vorteilhaft erweisen könnten. "Das gilt besonders bei bestehenden Rahmenverträgen", betont der Rechtsanwalt. "Der Schlüssel lautet: Kommunikation", pflichtet BGL-Jurist Belger bei. Es sei wichtig, dem Vertragspartner frühzeitig die neuen wirtschaftlichen Unsicherheiten nachvollziehbar aufzuzeigen und dann miteinander zu verhandeln. Die mögliche Wiedereinführung von Zöllen, Störungen in der Lieferkette und das Währungsrisiko müssten auch verladende Industrie- und Handelsunternehmen interessieren. Wichtig sei, dass Brexit-Klauseln in Neuverträgen nicht einseitig zulasten einer Partei formuliert sein dürfen, weil diese sonst rechtlich anfechtbar sind. "Wenn ein Speditions- oder Frachtvertrag nach dem Brexit für die eine Seite nicht tragbar ist und sich bei Anpassungswünschen kein Kompromiss findet, sollte der Auftragnehmer hinterfragen, ob er die Geschäftsbeziehung aufrecht erhalten kann und will", so Belger. Niemand wisse aktuell, wie es nach dem 29. März 2019 weitergehe. Die EU-Kommission hat vor dem Jahreswechsel 14 Notmaßnahmen für den Fall vorgeschlagen, dass die Ratifizierung des ausgehandelten Austrittsvertrags in London scheitert. Darunter gibt es auch Übergangsregelungen für den Luft- und Straßenverkehr zwischen UK und den 27 Mitgliedstaaten für zwölf beziehungsweise neun Monate. Wirksamkeit von Verträgen Sämtliche Regularien, die derzeit auf EU-Ebene festgelegt sind, gelten in UK mit dem Austritt aus der EU spätestens nach einer möglichen Übergangsphase nicht mehr. Das betrifft die Steuergesetze, die Beschäftigung von Mitarbeitern aus der EU, möglicherweise auch die Gültigkeit europäischer Führerscheine und Versicherungen. Insoweit könnte es zu einem Bruch in den gegenseitigen Rechtsbeziehungen kommen, falls die avisierten Übergangsfristen nicht verlängert werden sollten. Sorgen, dass Speditions- und Frachtverträge durch den Brexit plötzlich unwirksam werden, müssen sich Güterverkehrsunternehmen nach Meinung des Kravag-Experten Salzmann grundsätzlich nicht. Die Auslegung bestehender Verträge hänge stets vom Einzelfall ab. "Bei Zweifeln müssen Gerichte feststellen, ob die vereinbarten Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zulässig sind oder nicht, weil das EU-Recht keine Anwendung mehr findet", erläutert er. Beim Gesellschaftsrecht ist dies anders: Unternehmer mit einer Niederlassung in UK sollten allerdings jetzt klären, inwieweit der Standort noch betrieben werden kann, welche Rechtsform er künftig hat, wie sich die formalen Voraussetzungen verändern könnten, und sich um die Anpassung der Versicherungen dieses Betriebes kümmern, rät Salzmann. "Es ist noch nicht fünf vor zwölf, aber die Uhr tickt." Auch sollten Firmeninhaber, die derzeit bei einem britischen Versicherer versichert sind, prüfen, ob das künftig ohne Weiteres möglich ist. Versicherungsverträge Apropos: Für Speditions- und Transportunternehmen, die die Kravag-Logistic-Police gezeichnet haben, besteht laut Salzmann für ihre Flotten in der Verkehrshaftung unveränderter Versicherungsschutz. Das gelte auch für die Kfz-Versicherungen. "Wenn Verzollung bislang nicht versichert war, empfiehlt sich eine entsprechende Ergänzung des Versicherungsschutzes - Gleiches gilt für Kabotage von innerenglischem Verkehr", erklärt der Kravag-Vertreter. Mit vermehrten Schadenersatzansprüchen der Auftraggeber an die Auftragnehmer von Güterverkehren zum Beispiel aufgrund von verspäteten Lieferungen infolge des Brexits rechnet der Anwalt nicht. "Das Handelsgesetzbuch besagt, dass bei unabwendbaren Ereignissen wie sich plötzlich ändernden Rahmenbedingungen im Englandverkehr kein Verschulden des Frachtführers beziehungsweise Spediteurs im Selbsteintritt vorliegt, für den er haften muss." (siehe Kasten unten) Um auf Nummer sicher zu gehen, rät Salzmann, Weisungen des Verladers einzuholen, falls es künftig beim Transport über den Ärmelkanal zu Verspätungen kommt. Wahl des Gerichtsstands Auch bei der Wahl des Gerichtsstands ist künftig Aufmerksamkeit geboten. In der EU ist die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen per Verordnung geregelt. Werden keine neuen anderweitigen Vereinbarungen getroffen, werden Urteile von Gerichten der übrigen EU-Staaten im Vereinigten Königreich nach dem Brexit nicht mehr ohne Weiteres automatisch vollstreckbar sein. Gleiches gilt dann für die Urteile britischer Gerichte im EU-Gebiet. Um Risiken bei der Rechtsdurchsetzung und -verfolgung zu vermeiden, raten Juristen, in Verträgen künftig die Vereinbarung eines nicht-englischen Gerichtsstands zu erwägen. "Es ist von Vorteil, Gerichtsstand in Deutschland zu vereinbaren, weil das Planungssicherheit gibt", betont Belger. Zudem arbeiten die deutschen Gerichte nach der Erfahrung von Salzmann relativ schnell und die Prozesskosten seien niedriger als in Großbritannien. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Großbritannien www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Der Austritt und die FolgenIn unserer Brexit-Serie befassen wir uns mit den Folgen des Brexits und geben Tipps, wie sich die Unternehmen darauf vorbereiten können.- Teil 1: Die rechtlichen Grundlagen zum Brexit und die verschiedenen Brexit-Szenarien (VR 50)- Teil 2: Wie Unternehmen ihre Verträge an den Brexit anpassen sollten (VR 1/2)- Teil 3: Was sich bei der Zollabwicklung verändern könnte (VR 3/4)- Teil4: Praxishinweise für Unternehmen zum Umgang mit dem Brexit (VR 5) Handelsgesetzbuch Haftungsausschluss des Frachtführers nach §426 HGB"Der Frachtführer ist von der Haftung befreit, soweit der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist auf Umständen beruht, die der Frachtführer auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte." ag

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