Verschwindet der Transport ins Internet?

Der 3D-Druck ist auf dem Vormarsch. Die Technik steckt schon im BMW-MINI, in MTU-Flugzeugtriebwerken, in Lkw von Mercedes-Benz oder MAN - und gar im Rolls-Royce: Seit Jahren werden Halterungen für Warnblinker, Parkbremse und Steckdose in der Luxuslimousine im 3D-Drucker gefertigt und zwischen Wurzelholz und Ledersitzen verbaut. Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand Deutsche Unternehmen sind weltweit führend beim Einsatz von 3D-Druckern, heißt es auch in einer Studie, die das Beratungsunternehmen Ernst & Young gerade vorgelegt hat. Danach werden hierzulande schon fast eine Milliarde Euro Umsatz mit Produkten aus 3D-Druckern gemacht. Weltweit sind es schätzungsweise zehn Milliarden Euro - Tendenz steigend. Das hat Folgen für die Transport- und Logistikbranche: Die Welt der Logistiker werde sich durch die 3D-Drucktechnik entscheidend verändern, ist Steffen Wagner, Spezialist für den Transportsektor bei der Beratungsfirma KPMG, überzeugt. Die größte Veränderung ergibt sich mit dem Wegfall der kompletten "traditionellen" Supply Chain, heißt es bei der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Denn lange Transportwege entfallen durch die Produktion direkt vor der Haustür der Kunden. Aufwendige Lagerhaltung wird durch die Produktion "on demand" überflüssig. Umsatzausfälle drohen. Geschäftsmodelle werden infrage gestellt, insbesondere in der Ersatzteillogistik. Doch es gibt auch Chancen durch neue Geschäftsbereiche, zum Beispiel bei der Unterstützung von Kunden bei der Integration des 3D-Drucks in bestehende Wertschöpfungsnetzwerke oder die Spezialisierung auf das Thema "Digital Warehousing", so die BVL. Die Logistikbranche, allen voran die KEP-Dienstleister, haben die Signale vernommen. Sie prüfen gerade in verschiedenen Projekten, ob und wie die neue Technik ihre Geschäftsmodelle beeinflusst. Der 3D-Druck werde aber klassische Produktionsmethoden nicht ersetzen, insbesondere in der Massenproduktion, meint Markus Kückelhaus, Leiter der Forschungsabteilung von DHL Customer Solutions & Innovation: "Die Technologie ist dafür derzeit noch nicht ausgereift." Zu gering sei die Spannbreite an nutzbaren Rohmaterialien, zu eingeschränkt der Anteil produzierbarer Güter mit hinreichender Qualität und zu lang die Produktionszeit im Vergleich zu industriellen Herstellungstechniken. "Deshalb erkennen wir noch keine spürbaren Auswirkungen auf die Logistikbranche. Wir gehen davon aus, dass sich dies auch mittelfristig nicht grundsätzlich ändern wird", schätzt Kückelhaus - vor allem auch mit Blick auf die globalen Warenströme. Bleibt die Frage, wie sich der 3D-Druck auf die Entwicklung der Mengen im globalen Lieferverkehr auswirkt. Sprich: Brechen künftig Volumina weg, wenn Produkte nicht mehr aus Asien verschifft und stattdessen vor der Haustür gedruckt werden? Da gibt sich der DHL-Mann gelassen: "Wir haben unser derzeitiges Seefrachtvolumen von Fertigprodukten auf die Risiken untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass je nach Szenario ein Volumenrückgang zwischen zwei und vier Prozent in den nächsten fünf Jahren zu prognostizieren ist." Zudem stünden dem potenziellen Mengenrückgang neue logistische Ströme gegenüber, etwa der Transport von Material und Infrastruktur für 3D-Druck. Außerdem würden individualisierte Produkte auch einen höheren Individualisierungsgrad in der Logistik nach sich ziehen, betont Kückelhaus. "Für Logistikdienstleister werden sich neue Erlösmodelle im Bereich der sogenannten Postponement-Lösungen und innovativen Zustellkonzepte ergeben", ist er überzeugt. Dabei können zum Beispiel 3D-Druck-Center an logistische Drehscheiben angesiedelt werden. Auf diese Weise ermöglichen es "Postponement-Services", die Vorteile klassischer und additiver Fertigung (3D-Druck) zu verknüpfen, indem standardisierte Basismodule klassisch in Massen produziert und dann Produkte individuell über 3D-Druckverfahren nahe beim Kunden fertiggestellt werden. Vorteil: Die Gesamtzeit von Produktion und Transport lässt sich so optimieren. DHL prüft digitale Lagerhäuser Chancen für den 3D-Druck sieht DHL vor allem in der On-Demand-Ersatzteilproduktion, zum Beispiel in der Automobilindustrie. "Anstelle Ersatzteile in großen Lagerhallen unter Einsatz großer Ressourcen zu lagern, könnten künftig sogenannte "Digital Warehouses" treten, in denen 3D-Datenmodelle von Ersatzteilen gespeichert sind, die bei Bedarf mit der 3D-Drucktechnologie produziert werden", führt Kückelhaus aus. "Die günstige Massenproduktion mit klassischem Produktionsverfahren wird der 3D-Druck unserer Einschätzung nach aber nicht ersetzen können." Doch dies scheint angesichts immer schneller werdender Innovationszyklen nur eine Frage der Zeit: Gerade erst hat Daimler angekündigt, 3D-Druck nicht nur für Prototypenteile einzusetzen, sondern auch für Ersatzteile aus Kunststoff von Mercedes-Benz Lkw als Standard-Produktionsmethode einzuführen. Ab September können 30 Original-Ersatzteile aus dem 3D-Drucker "on demand" und in beliebiger Stückzahl "auf Knopfdruck" bestellt und kurzfristig geliefert werden (siehe Seite 52). Mit Folgen für die Logistik: Da Ersatz- und Nachrüstteile auch nach langer Zeit anhand gespeicherter Daten noch problemlos "nachgedruckt" und ohne teure Bevorratung geliefert werden könnten, sei keine Lagerhaltung erforderlich, so Daimler. "Wir werden die Fertigung von 3D-Druckteilen zügig weiter ausbauen", sagt Andreas Deuschle, Leiter Marketing & Operations im Geschäftsbereich Customer Services & Parts Mercedes-Benz Lkw. "Das macht Mercedes-Benz aber nicht selbst, sondern übernehmen ausgewählte Lieferanten", so eine Sprecherin der Daimler AG. UPS macht Nägel mit Köpfen Auch andere Hersteller wie BMW und Audi sind längst auf den Zug aufgesprungen: "Wir treiben den Einsatz der Technologie voran und haben seit Jahren 3D-Drucker im Einsatz, darunter Geräte für Kunststoff, Stahl und Aluminium", so eine Audi-Sprecherin. Ende des Jahres entstehe in Ingolstadt ein Kompetenzzentrum für metallischen 3D-Druck. "Zum Einsatz in der Serienfertigung von Karosseriebauteilen für Volumenmodelle ist die Technologie in puncto Zeitaufwand und Kosten noch nicht weit genug fortgeschritten", heißt es aber. "Für die Zukunft sehen wir ein großes Potenzial im Serieneinsatz sowie für neue Kundenangebote, etwa bei personalisierten Fahrzeugteilen und der Ersatzteilversorgung", sagt dagegen Udo Hänle, Bereichsleiter für Produktionsstrategie bei BMW. Ein 3D-gedrucktes Auto werde es aber auch in 20 Jahren nicht geben. Logistikgrößen wie DHL, UPS und Dachser bereiten sich dennoch auf die Entwicklung schon vor: "Wir haben Pilotversuche in unserem Innovation Center und gemeinsam mit unseren Geschäftsbereichen durchgeführt", erzählt Kückelhaus von DHL. Erstes Ergebnis: Für den Einsatz im B2C-Bereich sieht DHL eher geringes Potenzial. Denn dies würde noch nicht den Ansprüchen und Erwartungen der Kunden und der Endkonsumenten gerecht, sagt er. Anders sieht es im B2B-Bereich aus, insbesondere für die Herstellung von Ersatzteilen. "Mittelfristig sehen wir dies als sehr vielversprechend an", sagt er. Dazu will DHL den Markt aber zunächst weiter beobachten. UPS macht dagegen bereits Nägel mit Köpfen. Der US-Logistiker ist selbst in den 3D-Markt eingestiegen und kooperiert dabei mit SAP. 60 Filialen in den USA wurden mit 3D-Druckern ausgestattet. Über eine Cloud erfolgt der Zugriff auf die Drucker. Die Modelle werden dann an dem für den Kunden am günstigsten gelegenen Drucker erstellt und von UPS zu ihm geliefert. Auch wenn es bislang nur um "Prototypen im Bereich Architektur, Medizinprodukte, Maschinenbauteile, Awards und Werbemittel" geht: "UPS betrachtet den 3D-Druck als wichtiges Entwicklungsfeld für die Zukunft", sagt UPS-Sprecher Holger Ostwald. Der 3D-Druck werde sich im Verhältnis zur herkömmlichen Fertigung ähnlich wie der Onlinehandel im Verhältnis zum Filialgeschäft entwickeln: als "Gamechanger", der auch UPS neue Möglichkeiten schaffe, sich als Lösungsanbieter zu positionieren. Dachser sieht neue Geschäftschancen Auch Dachser rüstet sich: "Der 3D-Druck hat das Potenzial, die logistische Servicepalette innerhalb der nächsten Jahre zu erweitern und Logistikdienstleistern mit innovativen Konzepten neue Geschäftschancen zu eröffnen", betont Stefan Hohm, Corporate Director in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Dachser. Er erwartet zwar keine radikalen Umwälzungen bei den Warenströmen, aber es gebe Chancen, "im Warehouse und auf der letzten Meile noch schneller und flexibler zu werden". Das gelte in erster Linie für Ersatzteile. Allerdings gibt sich Dachser angesichts der "noch längst nicht ausgereiften Technologie" zurückhaltend: "Wir verfolgen die gerade erst entstehenden Geschäftsmodelle in der Industrie, suchen den Dialog und erforschen selbst, wie wir als Logistikdienstleister Mehrwert für unsere Kunden aus der additiven Fertigung generieren können", verrät er. Mehr zum Thema im Dossier Ersatzteillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung Eine Transport-Drohne aus dem 3D-Drucker Mit der rollenden Transportdrohne "BinGo" hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund, in diesem Jahr eine Entwicklung vorgestellt, deren gesamtes Gehäuse aus dem 3D-Drucker stammt. Sie umgeht zwei Hemmnisse, die einem breiten Einsatz von Drohnen in der Logistik bislang im Wege stehen: dem hohen Energiebedarf und der Sicherheit des Menschen. Aufgrund ihrer Fortbewegung ist die Drohne laut IML deutlich energieeffizienter als reine Flugdrohnen - sie rollt, wenn sie kann und fliegt nur, wenn sie etwa Hindernisse überwinden muss.Ihre 3D-gedruckten umlaufenden Streben machen sie zum Ball und schützen Mitarbeiter und Rotoren gleichermaßen: Der gedruckte Kunststoff federt. Mensch und Drohne können so gefahrlos im gleichen Bereich zusammenarbeiten, heißt es beim IML. Die 1500 Gramm leichte Entwicklung diene zunächst dem innerbetrieblichen Transport von kleinen und leichten Gütern bis zu 700 Gramm. Bei einem Transportauftrag werde der rollende Helfer mit Zieldaten ausgestattet und finde so autonom seinen Weg."Bin:Go" kann vor allem unflexible Systeme wie Rohrpost oder vergleichbare Fördertechnik ersetzen, so das IML. Seine denkbaren Einsatzfelder seien vielfältig: Die Größe der Transportbox ermögliche etwa den Transport von Medikamenten, Verbrauchsmaterial, Proben oder Dokumenten - damit sei die Drohne ideal für die Krankenhauslogistik geeignet.Außerdem sei ein Einsatz im Ersatzteil-Management denkbar, wobei die Drohne Wartungstechniker flexibel mit Ersatzteilen versorgen könnte. Eine Anfrage hat das Dortmunder Forschungsinstitut nach eigenen Angaben bereits aus der Automobilindustrie erhalten. Die Idee: "BinGo" könnte dabei assistieren, defekte Teile in einer Prozesskette auszutauschen. Diese Aufgabe übernehmen Mitarbeiter bislang ohne technische Unterstützung. gr

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