Verkehrsgerichtstag: Zur Kasse bitte

In Kürze Die EU will eine Richtlinie zur Verfolgung von Verkehrsverstößen reformieren. Diskutiert wird auch das in vielen Mitgliedstaaten übliche Vorgehen, den Halter in Haftung für den Verstoß zu nehmen. In Deutschland geht dies nicht. Der Verkehrsgerichtstag beschäftigte sich mit diesen und weiteren Themen. In Deutschland kann bei Tempo- oder Rotlichtverstößen nur der Fahrer mit einem Bußgeld belangt werden. In vielen anderen EU-Ländern wird dagegen der Halter für entsprechende Verkehrsdelikte zur Verantwortung gezogen, haftet also dort für das Bußgeld. Auf dem 61. Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutierten Rechtsexperten, Versicherungsfachleute und Verbände aus dem Verkehrsbereich unter anderem darüber, ob eine derartige Halterhaftung auch in Deutschland möglich und sinnvoll ist. Ein Grund für die Diskussion: Die EU plant eine Reform der Richtlinie 2015/413. Diese beschäftigt sich mit der grenzüberschreitenden Verfolgung von Verkehrs-verstößen, die die Verkehrssicherheit gefährden. Nicht darunter fallen zum Beispiel Parkverstöße. Im Rahmen der Reform steht auch eine einheitliche Haftungsregelung als Möglichkeit im Raum - und damit die in vielen Mitgliedstaaten übliche strikte Halterhaftung als ein Modell. In diesem Fall geht nicht nur der Bußgeldbescheid direkt an den Halter des Fahrzeugs, sondern dieser muss für den Verstoß auch geradestehen. In Deutschland gelten dagegen andere Regeln: Nach einem Verstoß bekommt zunächst der Halter des Fahrzeugs einen Zeugenfragebogen. In diesem Bogen wird er darum gebeten, den Fahrer innerhalb einer definierten Frist zu benennen. Gibt der Halter den Fahrer nicht an, müssen die Behörden diesen ermitteln. Zum Beispiel bei Fahrzeugen von über 3,5 Tonnen fordern die Behörden in der Regel die Daten des digitalen Tachografen an oder des EG-Kontrollgeräte-Schaublatts an - soweit noch in Betrieb. Ausnahme Parken und Halten Kann der Fahrer nicht ermittelt werden, läuft das Bußgeld ins Leere. Anders als im fließenden Verkehr haftet der Halter bei einem Halt- oder Parkverstoß zumindest aber noch für die Verfahrenskosten, nicht für das Bußgeld (Paragraf 25 a Straßen-verkehrsgesetz, StVG). Der Halter muss die Kosten nicht tragen, wenn dies laut Gesetz "unbillig" ist. "Eine Unbilligkeit kann zum Beispiel vorliegen, wenn der Halter einen Anhörbogen erhalten hat, und im Verfahren nachweisen kann, dass er diesen an die Bußgeldstelle abgesendet hat, er aber dort nicht angekommen ist", erklärt Wolf-Henning Hammer, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Voigt in Dortmund. "Entsprechend urteilte das Amtsgericht Salzgitter 1988." Ein weiteres Beispiel: Die Behörde nennt dem Halter eine Frist, bis zu der er den Fahrzeugführer benennen soll, aber das Ende der Frist liegt nach Ende der Verfolgungsverjährung. Auch sei es unbillig, dem Halter die Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn das Kfz entwendet oder unbefugt in Gebrauch genommen wurde. "Es reicht aber nicht aus, wenn der Halter angibt, er wisse nicht, welcher der Familien- oder Betriebsangehörigen das Fahrzeug gefahren hat. In solchen Fällen kommt dann in Betracht, dass die Behörde eine Fahrtenbuchauflage als Sanktion verhängt." Dies sei einer der Klassiker, wenn sich jemand weigere, den Fahrer bekannt zu geben. Dabei ist allerdings zu unterscheiden, ob es sich um ein privat genutztes oder um ein Firmenfahrzeug handelt. Bei Unternehmen wird in der Regel ein Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt, in dessen Rahmen der Betrieb denjenigen benennen muss, dem das Fahrzeug überlassen worden ist. Anschließend bekommt dieser Fahrer seinerseits einen Zeugenfragebogen. Nicht immer sei klar ersichtlich, wer gefahren ist: Es gebe ja auch Fälle, in denen sich ein Lkw-Fahrer nicht ordnungsgemäß mit seiner Fahrerkarte eingeloggt hat, so der Anwalt. Theoretisch könne hier die Behörde nicht nur eine Fahrtenbuch-auflage, sondern auch eine Pflicht zur zwingenden Benutzung des Tachografen bei Lkw aussprechen. Dies gilt selbst dann, wenn das Fahrzeug normalerweise innerhalb einer Ausnahme (Out Of Scope) unterwegs sein darf. Keine Strafe ohne Schuld Wie bereits 2010 kam der Arbeitskreis auf dem Verkehrsgerichtstag auch diesmal zu dem Ergebnis, dass eine strikte Halterverantwortlichkeit in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Dagegen spreche unter anderem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, heißt es in den Empfehlungen. Man solle weiter darauf setzen, den Fahrer zu ermitteln, da dies "wesentlich der Verkehrssicherheit dient". "Es muss sichergestellt werden, dass niemand zu Unrecht für eine Tat bestraft werden kann, die ein Dritter begangen hat", so Thomas Noack von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des deutschen Anwaltvereins (DAV). Dies sei ein rechtsstaatlicher Grundsatz. Einem Fahrzeughalter könne allein aufgrund seiner Haltereigenschaft kein persönliches Fehlverhalten vorgeworfen werden. Ein weiterer Punkt: Würden Halter für Ordnungswidrigkeiten anderer haften, gäbe es keine pädagogische Wirkung, die Verkehrsvorschriften einzuhalten, wie der DAV betont. "Gegen eine strikte umfassende Halter-haftung spricht zudem auch Artikel 6 der europäischen Menschenrechtskonvention. Vereinfacht gesagt: Keine Strafe ohne Schuld", hebt Rechtsanwalt Hammer einen weiteren Aspekt hervor. Empfehlung: Unfall-Haftung bei autonomem Fahren Wer haftet bei einem Unfall mit autonom oder teilautonom fahrenden Fahrzeugen? Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, beschäftigte sich der 61. Verkehrsgerichtstag mit diesem Thema. Pilotprojekte zum teilautonomen Fahren gibt es schon. Der deutsche Gesetzgeber hat 2021 zumindest einen Rechtsrahmen geschaffen, wie ein „Fahrer“ sich in so einem Fahrzeug zu verhalten hat oder wo vollautonome Fahrzeuge eingesetzt werden dürfen. Jan Kemperdiek von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht fragt, ob es sachgerecht sei, den Fahrer für einen Unfall haften zu lassen, der auf einem „Verschulden der Software“ des Fahrzeugs beruht, während der Fahrer erlaubt vom Verkehrsgeschehen abgewandt ist. „Überlegt werden muss auch, ob die derzeitigen Haftungsobergrenzen und die Risikoverteilungsmaßstäbe zwischen Pflichtversicherern und Produkthaftung ausreichend sind.“ Der Arbeitskreis auf dem deutschen Verkehrsgerichtstag hat unter anderem festgestellt, dass die bei einem Unfall in Deutschland geltende Gefährdungshaftung des Halters (Paragraf 7 StVG) technikneutral ist und nicht geändert werden müsse. Je mehr sich autonome Fahrzeuge durchsetzen, und je mehr Einfluss der Hersteller auf die Steuerung des Fahrzeugs hat, desto stärker müsse eine Produkthaftung in den Fokus rücken und die Halterhaftung irgendwann in der Zukunft ablösen Entlastungsbeweis muss möglich sein So ist die Halterhaftung beim Vollstrecken von Bußgeldern, wie sie etwa die Niederlande praktizieren, nur möglich, weil eine sogenannte Exkulpationsmöglichkeit für den Halter besteht, wie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Dezember 2019 (Aktenzeichen C 671/18) verdeutlicht. Der Halter muss sich von der Beschuldigung entlasten (exkulpieren) können. Das Verfahren behandelte einen Verstoß in den Niederlanden, an dem ein in Polen zugelassenes Fahrzeug beteiligt war und bei dem der Bußgeldbescheid in Polen vollstreckt werden sollte. Der Gerichtshof urteilte, dass dies möglich ist. "Zum einen geht es um eine Geldbuße", so Hammer. Obwohl sie nur einen administrativen Charakter habe und keine strafrechtliche Verfolgung droht, sind die zuständigen Behörden im Vollstreckungsstaat verpflichtet, diese zu erheben. Zum anderen, und für den EuGH entscheidend, habe der Betreffende die Möglichkeit, sich von der Beschuldigung zu entlasten und vor Gericht zu gehen. Empfehlung: Fahrtenbuchauflage stimmiger regeln Wenn der Fahrzeughalter die Person, die gefahren ist, nicht benennen kann, dürfen Behörden bei erheblichen Verkehrsverstößen eine Fahrtenbuchpflicht auferlegen. Diese ist in Paragraf 31a StVZO geregelt. Auf dem Verkehrsgerichtstag diskutierten die verschiedenen Experten, ob diese Fahrtenbuchauflage in sich stimmig geregelt ist und die Behörden die Möglichkeit des Fahrtenbuchs angemessen nutzen.In der Regel wird eine Fahrtenbuchauflage nur bei Verkehrsverstößen angeordnet, die mindestens die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister nach sich ziehen, wie der Deutsche Anwaltverein hervorhebt. Das sind erhebliche Geschwindigkeits-, Abstands- oder Rotlichtverstöße. Durch Verschärfungen kann es aber auch bei Parkverstößen einen Punkt geben. „Durch die Hintertür könnte also hier auch ein Fahrtenbuch drohen“, warnt Rechtsanwalt Martin Diebold von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht.ür Parkverstöße gebe es bereits die Vorschrift, wonach der Halter die Kosten des Verfahrens zu tragen habe, wenn der Fahrzeugführer nicht ermittelt werden könne. Hier dürfte es nicht zu einer Doppelbestrafung der Halter kommen. Ein weiter Punkt, den der Anwalt hervorhebt: „Während sich der Halter eines Fahrzeuges im Straf- und Bußgeldverfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen darf, nutzt ihm dies im Zusammenhang mit einer Fahrtenbuchauflage nichts“. Der Arbeitskreis auf dem deutschen Verkehrsgerichtstag hat sich nun für eine Änderung des Paragrafen 31a Absatz 1 ausgesprochen. Er schlägt vor, bindend bei erstmaligem punkterelevanten Verstoß dem Halter die Führung eines Fahrtenbuchs anzudrohen, wenn Behörden den Fahrer trotz Ermittlungen nicht feststellen konnten. Im Wiederholungsfall könne die Fahrtenbuchauflage angeordnet werden. Dies solle zu einer einheitlichen bundesweiten Anwendung der Vorschrift führen. Längere Verjährungsfrist? Damit der verantwortliche Fahrer besser ermittelt werden kann, ist eine weitere Empfehlung des Arbeitskreises, die Verfolgungs-Verjährungsfrist bei Verstößen nach Paragraf 24 Straßenverkehrsgesetz von drei auf sechs Monate zu erhöhen. "Die aktuelle Verjährungsfrist stellt für Behörden tatsächlich eine Herausforderung dar", sagt Hammer. "Eine Verlängerung würde zu einem Anstieg der Bußgeldverfahren führen. Das würde bei den Verfahrenseinstellungen auf jeden Fall einen Rückgang im zweistelligen Bereich nach sich ziehen." Es müsste also öfter bezahlt werden, wenn der Gesetzgeber Entsprechendes umsetzt. Der Arbeitskreis fordert den Gesetzgeber außerdem auf, zu prüfen, ob ein Verwarngeld sinnvoll sein könnte, mit dem der Halter anstelle des Fahrers für den Verstoß zur Verantwortung gezogen werden kann. Dabei müsse der Halter die Möglichkeit haben, sich etwa durch ein Benennen des Fahrers zu entlasten. Eine weitere Möglichkeit ist eine bußgeldbewährte Verpflichtung, den Fahrer zu benennen. Außerdem solle der Gesetzgeber in Betracht ziehen, ähnlich wie bei Parkverstößen, den Halter zu verpflichten, zumindest die anfallenden Verfahrenskosten zu tragen. Diese Maßnahmen sollen Defizite minimieren für den Fall, dass der Fahrer nicht ermittelt werden kann. Ausland könnte Bußgeld einpreisen "Auch wenn der Arbeitskreis diese Aufforderung ausspricht, heißt es noch lange nicht, dass der Gesetzgeber etwas Entsprechendes umsetzt", ordnet Hammer die Empfehlungen ein. "Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das wirklich eine Verbesserung im Bereich von Rotlichtverstößen und Geschwindigkeitsübertretungen bringen würde. Bei ausländischen Unternehmen ist dies ohnehin schwierig. Diese könnten das Bußgeld einpreisen, und die Benennung der Fahrer oder die Bußgelder sind in deren Heimatland gegebenenfalls nicht vollstreckbar." In Deutschland sehe es etwas anders aus, "hier gibt es noch das Schwert der Fahrtenbuchauflage." Diese kommt aber eher bei Pkw und auch dort erst bei schweren oder wiederholten Verstößen zum Einsatz, wenn der Unternehmer oder Fuhrparkverantwortliche die Fahrer im Zeugenfragebogen nicht benennen kann oder will. Bei Lkw, für die eine Fahrerkarte vorgeschrieben ist, lässt sich der Fahrer in der Regel über die Dokumentation im Unternehmen ermitteln. "Sollte der Gesetzgeber nur einen Teil der Empfehlungen umsetzen, ändert sich für den Fahrer nicht tachografenpflichtiger Fahrzeuge also nichts, wenn der Transportunternehmer ihn nicht benennt oder benennen will. Wenn er ihn aber künftig benennen muss, dann hängt er drin und kassiert Bußgeld und gegebenenfalls auch Punkte." Sonderfall: Fahrer nicht feststellbar Wenn zwar der Lkw-Halter festgestellt werden konnte, aber der Fahrer - aus welchen Gründen auch immer - nicht, dann könne das bei einer möglichen Umsetzung dazu führen, dass auch im fließenden Verkehr künftig häufiger der Unternehmer zur Verantwortung gezogen wird. Bei Verstößen, für die der Unternehmer per Gesetz ohnehin mitverantwortlich ist - wie Überladung, Ladungssicherung, Erlöschen der Betriebserlaubnis/Lkw-Tuning - ist dies bereits jetzt schon der Fall. In diesen Fällen erhält der verantwortliche Fahrzeughalter keinen Zeugenfragen-, sondern gleich einen Anhörungsbogen, wie Hammer betont. Mehr zum Thema finden Sie unter #Verkehrsrecht www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag

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