Verkehrsgerichtstag

Verkehrsgerichtstag Die MPU im Visier, die OBU im Nacken Wie kann man den Idiotentest verbessern? Wem gehören die Daten, die Telematik-Systeme im Fahrzeug erfassen? Und was, wenn sie in die falschen Hände gelangen? Diese Fragen haben Rechtsexperten in Goslar beim Verkehrsgerichtstag diskutiert. Mehr als 1900 Experten, acht Themen, drei Tage: Beim Deutschen Verkehrsgerichtstag trafen sich Ende Januar wieder Juristen und Fachleute aus Ministerien, Verbänden und Behörden, um aktuelle Themen des Verkehrsrechts zu diskutieren und Empfehlungen für Gesetze und Verordnungen zu erarbeiten. Bei der 52. Ausgabe der Jahrestagung ging es auch um den Güterverkehr – sogar noch vor den Treffen der Arbeitskreise: Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung in Goslar rief Kay Nehm die Behörden nämlich auf, LKW stärker zu kontrollieren. Überladene LKW gehörten zu den Hauptverursachern von schweren Straßenschäden, erklärte der Präsident des Kongresses in der Kaiserpfalz. Der frühere Generalbundesanwalt kritisierte darüber hinaus den schlechten Zustand vieler Brücken. In Anbetracht dieser Situation seien „in naher Zukunft erhebliche finanzielle Anstrengungen“ erforderlich, sagte Nehm. Er appellierte daher an die verantwortlichen Politiker, das Verursacherprinzip nicht aus den Augen zu verlieren. Nehm fordert moderne Kontrolltechnik Schon ein normal beladener LKW verursache tausendfach mehr Verschleiß als ein PKW, sagte der 72-Jährige. Und überladene Lastwagen richteten an den vorgeschädigten Straßen ein vielfaches an Zerstörungen an. „Dies sollte der Politik auch bei Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Konsequenzen keineswegs gleichgültig sein.“ Um überladenen Lastern auf die Spur zu kommen, forderte Nehm flächendeckende Kontrollen mit moderner Technik. Man könne dies jedenfalls nicht „einem mit Anhaltekelle ausgestatteten Polizisten am Fahrbahnrand überlassen.“ Angesichts der beträchtlichen Schäden sei auch die PKW-Maut eine Option, sagte der Ex-Generalbundesanwalt. Der Plan, ausschließlich Ausländer zu belangen, erscheine aber in seiner „plakativen Europarechtsfeindlichkeit eher als frühes Eingeständnis des Scheiterns“. Rechtsweg gegen MPU-Anordnung fehlt Besonderes Augenmerk legten die Teilnehmer des 52. Verkehrsgerichtstags in Goslar auf die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU). Bereits zum siebten Mal seit 1992 befasste sich das Forum mit dem sogenannten Idiotentest. Mehr als 430 Experten diskutierten über das Thema. Die MPU habe keinen guten Ruf in der Bevölkerung, sagte Nehm im Vorfeld. Dabei sei sie vom Grundsatz her ein wichtiges Instrument der Verkehrssicherheit. „Man sollte die MPU nicht generell infrage stellen“, betonte er. Die jetzige Regelung sei aber „unglücklich“. Sie müsse deshalb an mehreren Stellen verbessert werden. Betroffene, die die Behörden zur Teilnahme an der MPU verpflichten, sollten diese Anordnung zum Beispiel gerichtlich überprüfen lassen können, forderten die Experten in Goslar. Bislang fehle diese Option, die Verpflichtung gerichtlich anzufechten. Der Automobilclub von Deutschland hatte im Vorfeld des Verkehrsgerichtstags bemängelt, dass der Test „teilweise leichtfertig“ angeordnet werde und es kein wirksames Rechtsmittel gebe, um sich gegen vorschnelles Behördenhandeln zu wehren. Auch Nehm räumte ein, dass ein Teil dieser Anordnungen „hanebüchen“ sei. Jedes Jahr werden bundesweit über 90.000 Personen getestet. Nur gut jeder Zweite besteht (siehe Kasten Seite 45). Viele möchten sich „nicht dem Risiko einer Fahrerlaubnisentziehung und anschließender gerichtlicher Rechtsprüfung aussetzen und beugen sich daher der behördlichen Anordnung“, heißt es dazu in einer Stellungnahme des Automobilclubs. Allein für die Begutachtung würden in der Folge zwischen 350 und 700 Euro fällig. Arbeitskreis will einheitliche Standards Weiterhin verlangten die Verkehrsanwälte im Arbeitskreis zur in 2014 vorgesehenen MPU-Reform, den Test, mit dem durch Alkohol oder Drogen aufgefallene Verkehrssünder ihre Fahreignung beweisen müssen, bundesweit zu vereinheitlichen und die Ausbildung der Gutachter zu verbessern. Denn es gebe keine einheitliche Beratung der Betroffenen vor der Untersuchung und auch keine unabhängige Stelle, die die Gutachten überprüfe. Der Arbeitskreis MPU des Verkehrsgerichtstags empfahl außerdem Tonbandaufzeichnungen des ärztlichen und psychologischen Untersuchungsgesprächs. Sie seien ein Mittel, um für mehr Transparenz zu sorgen. Derzeit müssen Gespräche während der Untersuchung nicht verbindlich aufgezeichnet werden. Der Arbeitskreis lehnte auch eine gesetzliche Regelung des Idiotentests nicht mehr ab. Die Experten empfahlen vielmehr, dass sich die Projektgruppe MPU, die das Bundesverkehrsministerium eingerichtet hat, nun mit dieser Frage befassen soll. Wenn einen das eigene Fahrzeug verrät In einem anderen Arbeitskreis sorgte die zunehmende Vernetzung des Fahrzeugs für Diskussionsstoff. Auslöser der Debatte in Goslar war die geplante E-Call-Einführung in der EU. Ab Oktober 2015 müssen neue Modelle von PKW und leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen serienmäßig mit diesem Notrufsystem ausgestattet sein. Im Güterkraftverkehr ist das vernetzte Fahrzeug längst Realität: Von der On-Board-Unit (OBU) zur Mautabrechnung über den Digitacho bis zur Telematiklösung: Heute erfassen Bordcomputer und Steuergeräte im LKW unzählige Daten. Nach Angaben von Nehm speichern im Auto bis zu 80 Steuergeräte Daten während des Fahrbetriebes – teilweise unerwünscht und unbemerkt. Dafür gebe es diverse Interessenten, unter anderem die KFZ-Branche und die IT-Industrie. Der Verkehrsgerichtstag beschäftigte sich mit der Frage, wie man den Datenschutz in diesem Bereich in den Griff bekommt. „Es gibt bisher keine gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz, die für das Kraftfahrzeug passen“, erklärte der Ex-Generalbundesanwalt. „Neben einem möglichen Datenmissbrauch droht der gläserne Autofahrer, dessen Verhalten, aber auch Fehlverhalten noch lange Zeit zurückverfolgbar ist“, erklärte Christian Funk vom Deutschen Anwaltverein. Auch die Verkehrsanwältin Daniela Mielchen sieht neue rechtliche Probleme: Unklar sei vor allem, wer nach Unfällen die gespeicherten Daten zu Fahrweise, Tempo und Bremsverhalten nutzen dürfe. Im Zweifelsfall könne das eigene Fahrzeug zum Zeugen gegen den Fahrer werden, erklärte sie. Zum Beispiel, wenn der Beschuldigte nicht sagen möchte, wie schnell er vor der Kollision gefahren ist, die Bordcomputer aber jederzeit ausgelesen werden können und das Gericht in einem Zivilprozess die Mitwirkung des Fahrzeugherstellers anordnet. „Dadurch würde das Recht, die Aussage zu verweigern, unterlaufen“, sagte die Fachfrau. Mitspracherecht für Halter und Fahrer Der Arbeitskreis zum Fahrzeugdatenschutz forderte deshalb, dass während der Fahrt automatisch erhobene Daten nicht mehr unkontrolliert abfließen können. Technische Innovationen würden künftig nur akzeptiert, wenn der Datenaustausch geregelt sei. Die informationelle Selbstbestimmung müsse auch im Fahrzeug gelten. Nach Ansicht des Expertengremiums müssen Hersteller und Dienstleister bereits beim Fahrzeugkauf darüber informieren, welche Daten erhoben und zu welchem Zweck sie übermittelt werden. Halter und Fahrer müssten bei der freiwilligen oder vertraglich vereinbarten Datenübermittlung an Dritte das Recht und die erforderlichen technischen Voraussetzungen bekommen, um den Datenfluss zu kontrollieren und bei Bedarf zu verhindern. Dabei solle das Prinzip der Datensparsamkeit gelten. Darüber hinaus forderten die Teilnehmer in Goslar, die Zugriffsrechte von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten unter Beachtung grundrechtlicher und strafprozessualer Schutzziele gesetzlich zu regeln. ❙❚■ André Gieße, dpa Exkurs: EU-Knöllchen Innerhalb der Europäischen Union (EU) können Verkehrsverstöße seit 2010 grenzüberschreitend verfolgt werden. Der Halterdatenaustausch zwischen dem Kraftfahrt-Bundesamt und den Stellen im EU-Ausland soll künftig dafür sorgen, dass die EU-Knöllchen mehr Durchschlagskraft bekommen. Der 52. Verkehrsgerichtstag kritisierte nun, dass nicht alle Staaten gleichermaßen beim Eintreiben von Geldstrafen zusammenarbeiten. ag MPU in Zahlen Jeder Zweite fällt durch Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen mussten sich allein 2012 mehr als 94.000 Verkehrssünder der MPU stellen. Knapp 56 Prozent der Prüflinge erhielten den Führerschein zurück, und weitere sieben Prozent wurden als nachschulungsfähig eingestuft. 37 Prozent mussten weiter auf den Führerschein verzichten. Viele empfänden die Begutachtung als Schikane und Willkür, sagt der Verkehrsjurist Christian Janeczek vom Deutschen Anwaltverein. Besonders schwer wiege, dass sich Betroffene gegen vermeintlich unrechtmäßige Tests nicht rechtlich wehren können, erklärt er. Bemängelt werde zudem, dass derjenige, der die MPU ablehnt, automatisch den Führerschein verliert. ag Präsident Nehm kritisierte überladene LKW und forderte eine effektivere Kontrollpraxis „Wenn es kracht, kann das eigene Fahrzeug im Zweifel zum Zeugen gegen den Fahrer werden“ Daniela Mielchen, Rechtsanwältin in der Kanzlei Mielchen und Coll

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