KI am Arbeitsplatz: Ungewisse Zukunft oder ungeahntes Potenzial?

Mit der Einführung der Fließbandfertigung in seinem Detroiter Automobilwerk revolutionierte Henry Ford im Jahr 1914 die industrielle Produktion. Durch die Arbeitsteilung mussten die Arbeiter nur noch wenige Handgriffe tätigen, was den Produktionsprozess immens beschleunigte. Ford produzierte dadurch günstiger und schneller als die Konkurrenz; die Arbeiter profitierten von höheren Stundenlöhnen bei geringerer Arbeitszeit, und das Ford-Automobil - die sogenannte Tin Lizzy - wurde für die breite Masse erschwinglich. Ford war im Übrigen nicht der Erste, der auf das Prinzip der Fließbandfertigung setzte. Auf die Idee soll er bei der Besichtigung eines Chicagoer Schlachtbetriebs gekommen sein, in dem sich Fleischerhaken an einer Art Förderband unter der Decke bewegten. Auch andere Unternehmen hatten ihre Produktionsprozesse schon in unterschiedliche Arbeitsschritte unterteilt. Doch Henry Ford verfeinerte das Prinzip so sehr und bis ins kleinste Detail, dass er es konsequent in der Automobilfertigung einsetzen und so sein komplettes Werk in Fluss versetzen konnte. Erste Pflicht: Vertrauen schaffen Dieser kurze Exkurs in die jüngere Geschichte soll zeigen: Um das wahre Potenzial von Innovationen zu heben, kommt es nicht nur auf die Innovation allein an, sondern vor allem auch darauf, wie wir mit ihr umgehen. Im Rückblick zeigt sich zudem, dass technologischer Fortschritt in den seltensten Fällen so geradlinig wie Autobahnen verläuft und häufig angstbehaftet ist. Einfache Faustregel: Je revolutionärer die neue Technik, desto größer die Angst vor ihr. Das stimmt mit Sicherheit nicht immer, aber doch sehr oft. Und so verhält es sich auch beim Thema künstliche Intelligenz (KI). Denn schon heute übernehmen Maschinen viele repetitive Aufgaben von Menschen - und sind dabei mitunter deutlich erfolgreicher. Zudem lernen Maschinen mittlerweile schneller, wie Menschen funktionieren, als es andersherum möglich ist. Für uns als Unternehmen ist es die wichtigste Aufgabe und Pflicht, Vertrauen zu schaffen und die Mitarbeitenden dazu zu befähigen, ein Verständnis für Maschinen zu entwickeln. Niemand kann heute eine verlässliche Aussage darüber treffen, wie die Technologie in Zukunft aussehen wird, wie Menschen sie annehmen und wie darauf basierend ihre Tätigkeiten aussehen werden. Umso wichtiger ist es, dass die Mitarbeitenden lernen zu entscheiden, wofür sie überhaupt KI benötigen und einsetzen. Dass sie lernen zu fragen, welche Informationen sie für eine Entscheidung benötigen. Und dass sie lernen zu hinterfragen, wie sich die Ergebnisse der neuen Technologie bewerten und in einen Gesamtkontext einfügen lassen. Fiege-eigene Leitlinien für KI Um alles das zu erreichen, bedarf es zielgruppenspezifischer Kommunikation. Fiege unterscheidet in einem Pyramidenmodell zwischen der allgemeinen Mitarbeitenden-Ebene, Führungskräften, Professional Usern, Data Scientists und Entwicklern, die mit gezielten Maßnahmen unterstützt werden (siehe Grafik). Außerdem hat das Unternehmen durch eigene KI-Leitlinien einen institutionellen Rahmen geschaffen, der unternehmensweit den kontrollierten Umgang mit künstlicher Intelligenz sicherstellen soll. Diese Leitlinien umfassen bei Fiege die Prinzipien Erklärbarkeit, Transparenz, Gerechtigkeit, Datenschutz und Robustheit. Ziel ist es, KI-basierte Technologien nur nach allgemein geltenden ethischen Standards und ausschließlich im Einklang mit unseren Unternehmenswerten einzusetzen, damit sie den Mitarbeitenden auch wirklich bei ihrer täglichen Arbeit nützen. Sinnvolle KI-Anwendungen Ein erfolgreiches Beispiel sind die intelligenten Pick-Roboter der Firma Nomagic, die im Fiege-Logistikzentrum in Greven-Reckenfeld eingesetzt werden. "Fiona" und "Richard", wie sie unsere Mitarbeitenden getauft haben, unterstützen bei der Aufgabe von Kleidungsstücken in einen Taschensorter sowie bei der Kommissionierung von Werkzeug- und Verbrauchsmaterial an einem AutoStore-Port. Welcher Greifarm für die nächste Aufgabe der richtige ist, lernen die Roboterarme mithilfe von KI. Fiege hat die Mitarbeitenden in Reckenfeld von Anfang an in den Prozess involviert, um für die nötige Akzeptanz gegenüber den künstlich intelligenten Kollegen zu werben. Denn es ist nicht der Ansatz, die Ängste und Sorgen kleinzureden, die durch die Roboter unter Umständen bei den Mitarbeitenden entstehen. Vielmehr wurde die Erfahrung gemacht, dass ihnen durch Aufklärung die Angst vor der Veränderung genommen werden kann und sie dann eher froh über die zusätzliche Unterstützung sind. Denn am Ende geht es nicht um das Ersetzen von Menschen durch Technik - es geht um Entlastung durch Technik. Ein weiterer Anwendungsfall ist das Thema Routenplanung. Fiege testet aktuell in zwei Niederlassungen, die Prozesse zunächst mit erweiterten Daten und später mit KI dynamischer zu gestalten. Mit bereits ersten guten Ergebnissen: Durch die optimierte Auslastung wird weniger "Luft" befördert, und es müssen deshalb weniger Lkw fahren. Dadurch lassen sich Kosten und Emissionen einsparen. Dieses Pilotprojekt wird Fiege Logistik künftig auch auf weitere Niederlassungen ausrollen. Im Geschäftsfeld Digital hat Fiege sogar schon erste eigene KI-Produkte am Markt. Ein Beispiel kommt aus dem Bereich Risikomanagement. Das Tool "Risk AI" ist für den Paketversand ausgelegt und kombiniert auf Basis von künstlicher Intelligenz verschiedene Datenquellen wie Wettervorhersagen, Staumeldungen oder Streikankündigungen. Dadurch können Anwender etwaige Störungen automatisiert erkennen, rechtzeitig Korrekturen einleiten und ihre Endkunden frühzeitig über eine mögliche Lieferverzögerung informieren. Auch hier soll das Angebot für Kunden kontinuierlich ausgebaut werden. Mensch im Mittelpunkt Grundsätzliche Prämisse von Fiege ist und bleibt, dass alles einem übergeordneten Plan folgt. KI wird nicht wahllos eingesetzt, um einen Trend mitzugehen, sondern zielgerichtet und entsprechend den individuellen Anwendungsfällen und Herausforderungen der Logistikbranche. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Lösungen wirklich zum Einsatz kommen und KI dabei hilft, die Mitarbeitenden zu entlasten und wahrhaftige Mehrwerte für Kunden zu generieren. Deshalb hat Fiege einen internen AI-Demand-Prozess entwickelt. Die Fachabteilungen, die in der Regel zuerst wahrnehmen, wo Probleme liegen, können Anwendungsszenarien identifizieren und Vorschläge einreichen. Anschließend prüfen und priorisieren Datenexperten diese Fälle nach ihrer Mach- und Skalierbarkeit. Was bringt tatsächlich einen Mehrwert? Hilft eine Idee der ganzen Organisation, oder wird nur eine Insellösung geschaffen? Und vor allem: Entsprechen die Ansätze den unternehmensinternen KI-Richtlinien? Auf diesem Weg wurden schon viele Vorschläge für verschiedene Szenarien eingereicht - von der Personaleinsatzplanung über die Lagerverwaltung bis hin zu Anwendungen für Bürotätigkeiten, wie etwa ein Chat-Roboter. Bei administrativen Aufgaben sieht Fiege das größte unmittelbare Potenzial für KI, weil hier sehr viele Prozesse optimiert und automatisiert werden können und auf diesem Weg viele Kapazitäten frei werden. Am Ende hilft der AI-Demand-Prozess in doppelter Hinsicht: Die effektivsten Möglichkeiten für den täglichen Einsatz von KI werden herausgefiltert und die Mitarbeitenden gleichzeitig auf jeden Schritt der KI-Reise mitgenommen. Ein großes Zukunftsfeld sieht Fiege darüber hinaus in der Anwendung von humanoiden Robotern, also Robotern mit menschlicher Gestalt. Humanoide Roboter verfügen über immer mehr emotionale KI und somit über die Fähigkeit, menschliche Emotionen zu erkennen und sie nachzuahmen. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass Roboter ein Bewusstsein entwickeln können, wird die Wechselwirkung zwischen Mensch und Maschine zukünftig auf ein neues Level gehoben. Die Roboter können ihre menschlichen Kollegen im Logistikzentrum zum Beispiel freundlich grüßen, wenn sie ihnen begegnen. Die Akzeptanz für humanoide Roboter bleibt abzuwarten. Doch die ersten Experimente sehen positiv aus. Und Länder wie China oder die USA peilen schon die Massenproduktion von humanoiden Robotern an. Entscheidend wird schlussendlich sein, mit welchem Mindset wir alle dem Thema KI begegnen. Klare Empfehlung deshalb: Lasst uns die Chancen sehen, nicht nur die Risiken! Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass sich dieser Blickwinkel als der bessere und richtige erweisen würde. Autorin Kenza Ait Si Abbou, Fiege Gruppe Kenza Ait Si Abbou, Vorständin und CTO der Fiege Gruppe Kenza Ait Si Abbou wurde 1991 geboren und wuchs in Marokko auf. Nach ihrem Elektrotechnik-Studium in Spanien und Deutschland war sie über zehn Jahre bei der Deutschen Telekom tätig, unter anderem als Senior-Managerin für Robotik und künstliche Intelligenz (KI). Sie ist Spiegel-Bestseller-Autorin und hat bis heute drei Bücher zum Thema KI veröffentlicht. Seit September 2023 ist Kenza Ait Si Abbou Vorstandsmitglied des Logistikunternehmens Fiege Gruppe in Greven und verantwortet dort das Geschäftsfeld Digital, den Bereich IT sowie das Thema Data Driven Company.

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