Riege für morgen

Nach und nach ist Künstliche Intelligenz, (KI) in unseren Alltag eingezogen und mittlerweile nicht mehr wegzudenken: Intelligente Verkehrssteuerung, automatische Einparkhilfen oder Sprachbefehle und Sprachassistenten sind nur einige Anwendungen, die durch KI erst möglich werden. Auch vor Hörsälen macht das Thema nicht halt: Neue KI-Studiengänge schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. "Ihr Nutzen liegt in der Kombination verschiedener Disziplinen, wie Informatik, Mathematik und Unternehmenspraxis. Für Logistikunternehmen mit ihrer existenziellen IT-Infrastruktur, komplexen Planungsprozessen, aber auch sehr branchenspezifischen Themen wie Umweltauflagen, grenzüberschreitenden Transporten oder der Gefahrstofflagerung sind Absolventen dieser neuen Form interdisziplinärer Studiengänge Gold wert", urteilt Jens Flemming, Mathematikprofessor an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ), die selbst seit einem Jahr einen KI-Studiengang anbietet. Um sich frühzeitig KI-Kompetenz zu sichern, rät Flemming Firmen eine gezielte Ansprache der Studierenden und Absolventen. "Das erleichtert auch die Suche nach Ansprechpartnern für Kooperationsprojekte an Hochschulen", ergänzt Professorin Alice Kirchheim, die an der Hochschule Aalen Prozessmanagement lehrt und die Transferplattform Baden-Württemberg Industrie 4.0/Künstliche Intelligenz leitet. "Derzeit beteiligen sich etwa 50 Unternehmen. In unseren letzten Projekten ist je ein Student in den Firmen für die Abschlussarbeit geblieben", berichtet die Logistikexpertin. Reale Daten für die Lehre bereitstellen Zweckdienlich für einen frühen Kontakt zwischen Studierenden und Unternehmen ist aus Sicht von Flemming darüber hinaus die Bereitstellung realer Datensätze für die Lehre. "Das KI-Studium lebt vom Umgang mit großen Datenmengen. Diese liegen zwar in Unternehmen vor, unterliegen aber häufig der Geheimhaltung", bedauert der Mathematiker. Die praxisnahe Ausbildung der Studierenden sei aber nur mit Realdaten möglich. Wer hier Unterstützung biete, könne die künftigen Absolventen schon während des Studiums für die Aufgabenstellungen des eigenen Unternehmens sensibilisieren. Flemming nennt ein Beispiel: "Es gibt keine frei zugänglichen Floating-Car-Daten, obwohl diese in nahezu allen Transportunternehmen anfallen und Stauvorhersagen sowie adaptive Routenoptimierung zentrale Themen in der Branche sind." Um eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit selbst zu initiieren, könnten sich Unternehmen aktiv bei Professoren melden, sagen beide Hochschulvertreter. Aus Sicht von Kirchheim ist gerade die mittelständisch geprägte Logistikbranche interessant für einen solchen Austausch. "Ich empfehle Studenten häufig, mal zu einem Mittelständler zu gehen, denn diese Firmen zeichnen sich durch viele Generalisten aus und bieten so einen Blick über den Tellerrand", erklärt die Wissenschaftlerin. Und auch beim Nachwuchs selbst stellt sie fest: "Bis Corona wollten viele Studierende noch in die Automobilindustrie, das hat sich jetzt geändert." Gute Indikatoren für "logistiktaugliche" Absolventen sind nach Ansicht von Flemming Hochschulen mit entsprechenden Forschungsschwerpunkten oder Fakultäten. Um die Absolventen für eine Karriere in der Logistik zu begeistern, sollten Unternehmer laut Kirchheim vor allem aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien auftreten, ein attraktives Arbeitsumfeld bieten und damit werben. Das beginne bei der Arbeitsplatzausstattung mit modernen Werkzeugen und reiche hin bis zum Gestaltungsspielraum, der dem einzelnen Mitarbeiter eingeräumt wird. "Junge Menschen haben individuelle Wünsche an ihre Arbeitsausstattung und -mittel, also an Endgeräte und Software-Tools. Das sollten Unternehmen berücksichtigen", konkretisiert sie. KI-Kompetenz beginnt im eigenen Haus Beim Aufbau von KI-Kompetenzen sei aber immer auch eine hohe Fachkompetenz erforderlich - und die müsse aus den eigenen Reihen kommen. "Die Firmen kennen auch ihre Daten am besten", betont Kirchheim. Erfolgskritisch sei daher auch, wie sich altgediente Logistikmitarbeiter für KI begeistern lassen. "Wenn Künstliche Intelligenz nicht das Damoklesschwert über dem Arbeitsplatz ist, sondern auf der operativen Ebene Mitarbeiter mitgenommen werden, lassen sich Ängste nehmen", glaubt die Expertin. Dafür seien etwa das Herunterbrechen des großen Themenkomplexes auf konkrete Anwendungen, eine zielgruppenorientierte Weiterbildung sowie Gespräche mit den Fachkräften vor Ort nötig. "Vor allem ältere Mitarbeiter ab 50 Jahren gilt es, behutsam an das Thema heranzuführen. Da wird viel zu oft Tabula rasa gemacht", sagt die Expertin. Solides Grundwissen als Basis Studienanfängern mit Interesse an der Logistik rät sie zunächst zu einem Bachelorstudium. Technisch versierte Studierende brauchen der Professorin zufolge vor allem Programmierkenntnisse, die sich über ein Informatikstudium erwerben lassen. Betriebswirtschaftlich Studierende sollten sich eher auf Datenauswertung und Statistik (Data Science) konzentrieren. Neben vielfältigen, teils berufsbegleitenden Weiterbildungsangeboten gebe es auch zahlreiche Angebote für das Selbststudium, von YouTube-Lehrveranstaltungen über Plattformen mit kostenlosen Kursen renommierter Universitäten bis hin zu Bezahlkursen. In einem ist sich Kirchheim sicher: "Die Digitalisierung hat durch die Corona-Pandemie einen phänomenalen Sprung gemacht. Die Digital Natives drängen aus den Hochschulen in die Berufswelt. In den nächsten Jahren werden wir ungeahnte Möglichkeiten erfahren." Einem mittelständischen Logistiker würde sie empfehlen, zunächst eine eigene Idee zu entwickeln, was künstliche Intelligenz überhaupt ist, und das Management entsprechend einzuordnen. "Weg vom Buzz-Word KI hin zum Verständnis, indem ich aufzeige, was gibt es, was nutzen wir schon", erklärt Kirchheim. Assistenzsysteme beispielsweise finden ihr zufolge bereits hohen Anklang. "Auf der operativen Ebene sind die Fragezeichen dennoch am größten. Um die Menschen hier mitzunehmen, muss ich erst einmal zuhören und verstehen, was sie bewegt, und anschließend auf ihre Fragen eingehen, konkret in Bezug auf Arbeitsfelder. Gespräche können Bedenken abbauen", sagt Kirchheim. Auch Flemming betont: "Die Einführung von KI im Unternehmen sollte immer mit Aufklärungsarbeit einhergehen: KI ist nicht der in den Massenmedien stilisierte Supercomputer, der alle Menschen überwacht und überflüssig macht, sondern eines von vielen Werkzeugen, die das Arbeiten effizienter gestalten kann. Die Dampfmaschine hat den Mensch nicht verdrängt, auch der Computer und das Internet nicht. Und KI wird das auch nicht tun." Denn KI sei nicht wirklich intelligent, so der WHZ-Professor, sondern könne nur leisten, was aus vorhandenen Daten ableitbar sei. "Ein langjähriger Mitarbeiter kann dagegen auch neue, bisher unbekannte Probleme lösen", sagt er. Ein weiterer Nachteil von KI-Lösungen sei, dass sich kaum nachvollziehen lasse, warum die Technik so entscheidet, wie sie entscheidet. Damit sei ein korrigierendes Nachsteuern nur schwer möglich. "Hier sind Erfahrung und Gespür von Spezialisten gefragt", betont Flemming. Dennoch ist für ihn klar: "So wie Lokomotiven heute ohne Heizer fahren, wird es auch in Zukunft Lager ohne Lagerarbeiter geben. Vielleicht auch Lkw ohne Lkw-Fahrer. KI wird ganz sicher einfache Jobs verdrängen. Der einzige Ausweg hier ist (Weiter-)Bildung." Künftig könnten etwa erfahrene Lagerarbeiter bei der Implementierung von KI mitarbeiten. Zudem müsse jemand die neue Technik warten und bedienen. Flemming ist überzeugt: "Die Jobs gehen nicht verloren, sondern verlagern sich von körperlicher zu geistiger Arbeit. Dieser gesamtgesellschaftliche Wandel wird vor der Logistik nicht haltmachen." Mehr zum Thema unter #Logistikstudium www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Was für viele noch abgehoben klingt, hat längst Einzug in deutsche Hörsäle gehalten: KI macht auch vor den Hochschulen nicht halt, die mit neuen Studiengängen um die Talente von morgen werben.

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