Potenziale für Branchenkenner

Für jeden Landwirt dürfte der Ausfall von Traktor oder Mähdrescher mitten in der Erntezeit wohl das Worst-Case-Szenario sein. Bricht in dieser Zeit ein Unwetter aus, geht im schlimmsten Fall der Umsatz eines ganzen Jahres verloren. Und dann hilft nur noch eines: die Zustellung besonders eiliger Ersatzteile noch am selben Tag - Stichwort Same Day Delivery. Gefragt: Taggleiche Zustellung Namhafte Landmaschinenhersteller wie AGCO (Fendt) und Claas und auch andere große Unternehmen wissen das und haben deshalb in den vergangenen Jahren ihre Ersatzteillogistik kräftig umorganisiert und an den Standorten großer Handelsunternehmen lokale Lager aufgebaut. Alle schnell drehenden Teile, die für das Funktionieren der Maschinen lebenswichtig sind, werden hier gelagert. Und wenn ihre Kunden im Umkreis von 300 Kilometern diese am Vormittag bestellen, erhalten sie diese noch am selben Tag zugestellt. Allerdings sei "die Suche nach Transportnetzen, die taggleiche Zustellleistungen erbringen und unseren Anforderungen entsprechen, alles andere als einfach", räumt der Logistikmanager eines bekannten Herstellers ein: mit der Folge, dass sein Unternehmen die Zustellung häufig mit eigenen Fahrzeugen stemmen müsse. Diese Aussage überrascht. Denn an Sonderfahrten-Spezialisten, die Maschinenteile für schnelle Reparatureinsätze direkt auf das Erntefeld zustellen, mangelt es in Deutschland eigentlich nicht. Andererseits waren und sind die Anforderungen an Dienstleister in der Ersatzteillogistik seit jeher hoch. Anbieter, die in diesem Segment tätig sind, müssen vieles leisten: schnelle Reaktions- und Lieferzeiten, höchste Lieferzuverlässigkeit, Prozesstransparenz und selbst effiziente Retourenabwicklung - alles das rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche. Ohne motivierte Mitarbeiter, die auch nachts oder am Wochenende arbeiten, und einwandfreie Fahrzeuge mit unterschiedlichen Gewichtsklassen, die jederzeit einsatzbereit sind, läuft da nichts. Und wenn für besonders kritische Sendungen am selben Tag keine Zustellung mehr möglich ist, sollten diese zumindest innight (innerhalb der Nacht) bis morgens acht Uhr zugestellt werden. Selbst Lösungen, die die Artikel direkt in die Werkstatt oder in das Fahrzeug des Monteurs platzieren, werden immer stärker nachgefragt. Mindestens ebenso wichtig ist es mittlerweile, dass die Dienstleister über notwendige IT-Lösungen verfügen, die alle Liefervorgänge mit Auftragserfassungs-, Tourenplanungs-, Telematik- und anderen Prozessdaten in Echtzeit erfassen und übermitteln. Selbst Dienstleister, die reine Zustell-Leistungen übernehmen, müssen heute mit Track & Trace-Lösungen überzeugen, die die Daten über Schnittstellen in die ERP-Software des Auftraggebers einspeisen. Und an diese sind in der Regel auch die Servicetechniker angeschlossen, die die beschädigte Anlage diagnostizieren und reparieren sollen. Hintergrund dieser gestiegenen Anforderungen in der Ersatzteillogistik ist: Viele Hersteller haben ihre Reparatur- und Instandhaltungsservices ausgebaut und machen nun mit Ersatzteilen genau so viel oder sogar mehr Umsatz als mit Originalprodukten. Das Ersatzteilgeschäft an sich hat deutlich an Bedeutung zugenommen, mit der Folge, dass auch in diesem Segment der Druck steigt: "Jeder Hersteller steht vor der Herausforderung, die Verfügbarkeit von Teilen zu optimieren, die Kosten zu senken und die Netzwerke in den Vertriebsregionen weiterzuentwickeln", bringt Kay Schölermann, Logistikchef des Melktechnologieherstellers Delaval Deutschland, die Entwicklung auf den Punkt. In der Konsequenz heißt das: "Lagervolumina herunterfahren und Zustellwege beschleunigen". Vor allem für sogenannte Langsamdreher, die nur sporadisch für Reparaturen und Instandhaltungen nachgefragt werden, suchen viele Hersteller händeringend nach kostengünstigen Logistiklösungen. Wenn möglich, sollen solche Teile nur in überregionalen oder gar globalen Logistikzentren bereitgehalten werden. Mit der Auslieferung müssen dann nationale oder internationale Dienstleister-Netze beauftragt werden, die die Teile per Sonderfahrten oder kombinierten Straßen-/Luftfracht-Transporten zustellen. Genau hier sieht Schölermann auch für kleinere Anbieter Marktchancen. "Ist ein Dienstleister in einzelnen Zustellregionen wie Skandinavien oder Russland besonders gut aufgestellt, kann er schnellere Auslieferungen als mancher Integrator realisieren", sagt er. Genau auf solche Effekte setzen Direktkurier- und Sonderfahrten-Spezialisten wie die Kurier-Kooperation Cargomando, die aktuell zum 1. Juli 2015 offiziell in den Markt gestartet ist. 26 kleinere und mittlere KEP- und Transportdienstleister gehören der Kooperation Cargomando mittlerweile an, die sich im Juli vergangenen Jahres aus einigen ehemaligen Profex-Partnern wie der Fritz Gruppe, Heilbronn, und SKD Transporte, Lüdenscheid, gegründet hat. Selbst Unternehmen in der Schweiz, Slowakei, Tschechien und Ungarn haben sich Cargomando angeschlossen. Lagerhaltung überflüssig machen "Auf rund 40 Prozent unserer Touren werden Ersatzteile umgeschlagen", berichtet Geschäftsführer Hüseyin Tasyürek. "Wir wollen mit unseren Dienstleistungen Lagerhaltung überflüssig machen." Einige Partnerbetriebe von Cargomando befördern sogar Ersatzteile, die zum Beispiel unter das Gefahrgutrecht fallen, wegen ihres hohen Wertes besondere Sicherungsmaßnahmen erfordern, oder auch temperaturgekühlte Waren. Für diese Sonderfahrten werden die Fahrer sogar extra geschult. Denn wenn Störungen des Transports drohen, müssen sie mit vorgeschriebenen Verhaltensregeln gegensteuern können. Damit nicht genug: Auch die taggleiche Rückführung von Ersatzteilen biete der Verbund Cargomando an, versichert Tasyürek. Und genau in diesem Geschäftsfeld sehen Branchenkenner echtes Potenzial. Da viele Hersteller bei Bestelleingängen nicht genau ermitteln können, welches Ersatzteil das "richtige" ist, versenden sie oft nach wie vor mehrere Varianten. Die nicht benötigten Teile stehen aber während der Zustellung nicht zur Verfügung und müssen deshalb möglichst schnell zurückgeführt werden - dank einer effizienten Retourenlogistik, die den gesamten Rückführungsprozess dokumentiert. Mit einem solchen Service kann sogar die Nachfrage nach recycelten Ersatzteilen weiter Auftrieb erhalten. "Viele Kunden wünschen Reparaturen und Instandsetzungen mit aufbereiteten Komponenten, weil auch dies Kosten spart", sieht Andreas Baader, Managing Partner der Unternehmensberatung Barkawi Management Consultants, einen neuen Trend (siehe Kasten Seite 23). Wenn aber Maschinenteile nicht vor Ort repariert werden können, müssen sie zu stationären Werkstätten gebracht werden, was bei nicht zeitkritischen Projekten möglich ist. Ansonsten haben auch die Hersteller ein Interesse an solchen Lösungen, weil sie zurückgeführte Teile nach der Wiederaufbereitung bei anderen Kunden einsetzen können. Wie auch immer: Viele Hersteller können Rückführungsprozesse bislang nicht in ihrer Software abbilden. Eine Lösung dafür hat nun der Dienstleister Logistik Service International (LSI) in Kirchheim bei München entwickelt. Sobald der jeweilige Zusteller das Altteil übernommen hat, lädt er die Daten dieses Abholauftrags auf den Server von LSI. Auch die weiteren Rücktourdaten werden mittels eines sogenannten "Realtime-Scannings" (Geschäftsführer Reinhard Klausner) bis zur Übergabestation im LSI-System erfasst und an den Verlader weitergeleitet. Die Schlussstation ist dann häufig der Techniker oder die Werkstatt, die das Teil wieder instand setzt. "Der Kunde verfügt mit unserer Lösung über einen vollständig dokumentierten Retourenprozess und weiß, ob er das Altteil weiter verwenden kann oder endgültig entsorgen muss", sagt LSI-Geschäftsführer Reinhard Klausner. Bei internationalen Aufträgen könne er eine schnelle Rückführung auch deshalb garantieren, weil er in mehreren Ländern maßgeschneiderte Netze aufgebaut habe. Transporte von und nach Polen werden von LSI nämlich nicht über Warschau, sondern über ein Hub in Breslau umgeschlagen. Ein Vorteil, den Klausner gerne anführt: "Für deutsche Kunden kann ich auf diese Weise schnellere Touren anbieten als viele Branchenriesen, die Hub-and-Spoke-Verkehre über die polnische Hauptstadt organisieren." Recycling im Trend Rückführungsservices in der Ersatzteillogistik ausbauen Mit recycelten Produkten können Unternehmen jede Menge Geld sparen. Das bekommt jetzt auch die Ersatzteillogistik zu spüren. "Viele Anwender haben ein Interesse an aufbereiteten Altteilen vor allem dann, wenn sie teure Komponenten ordern müssen", registriert Andreas Baader, Geschäftsführer der Supply- Chain-Beratung Barkawi in München. Für Logistikdienstleister bedeutet dies, dass sie vor allem ihre Rückführungsservices für Ersatzteile weiter ausbauen müssen. Als Folge der verstärkten Kundennachfrage werden die Hersteller möglichst jeden defekten Artikel, der für ein Ersatzteil ausgetauscht worden ist, auf seine Wiederverwendbarkeit prüfen. "Auch für die Hersteller kann Wiederaufbereitung wegen der hohen Rohstoffpreise günstiger sein", weiß Baader.Zu diesem Trend tragen auch neue Technologien wie der 3D-Druck bei (siehe Seite 26). Mit dieser Fertigungstechnik erneuert zum Beispiel die Luftfahrtindustrie Turbinenteile, die durch Abrieb verbraucht sind. "Der Trend zu Recycling wird auch zum verstärkten Austausch von Baugruppen führen", prognostiziert Baader. Wenn die Kunden erneuerte Einzelteile akzeptieren, akzeptieren sie auch erneuerte Baugruppen. Da deren Austausch schneller erfolgt als der Austausch einzelner Komponenten, wird der Serviceprozess so weiter beschleunigt. Allerdings geht diese Rechnung nur mit effizienten Rückführungsprozessen in der Logistik auf, gibt Baader zu bedenken. bot Praxislösung Imperial betreibt Europa-Ersatzteillager für Ammann Knapp 70.000 Ersatzteile hat der Schweizer Baumaschinenhersteller Ammann mit Sitz in Langenthal/Schweiz. Alle Artikel werden im von Imperial Logistics International (vormals Panopa Logistik) geführten Europa-Ersatzteillager in Stockstadt am Rhein geführt.Auf Basis der Nachfrage- und Versandzahlen von drei Jahren hat der Logistikdienstleister jedes Ersatzteil als A-, B- oder C-Artikel klassifiziert. Die Schnelldreher der Kategorie A werden im automatischen Kleinteillager, die Langsamdreher der Kategorie B und C im Fachbodenregal gelagert. Allein schon mit dieser Kategorisierung konnten die Kosten kräftig gesenkt werden.Jeden Tag verlassen 400 bis 500 Sendungen Stockstadt. Alle Bestellungen, die bis 16 Uhr eintreffen, werden noch am selben Tag verschickt und treffen innerhalb des EU-Binnenmarkts binnen 24 Stunden ein. Fürs Kommissionieren und Verpacken haben die Logistiker zwei Stunden Zeit, dann werden die Sendungen abgeholt. Alle Bestellungen laufen aus dem ERP-System von Ammann auf dem Warenwirtschaftssystem von Imperial Logistics International ein. An diesem sind auch die Transportpartner angeschlossen. Der Logistikdienstleister arbeitet europaweit mit nahezu allen großen Sammelgutnetzwerken und Paketdiensten zusammen.Außer Ammann nutzen Autokonzerne, Maschinenbauer, Haustechnikhersteller und Lebensmitteltechnologieunternehmen die Ersatzteillogistiklösungen von Imperial Logistic International. "Dieser Markt wächst stark", freut sich Michael Brandes, Leiter der Geschäftseinheit Industrial von Imperial Logistics International. "Wir können hier unser gesamtes Dienstleistungsspektrum einsetzen." Für weitere Kunden sieht sich der Logistikdienstleister gut vorbereitet. Seit dem Jahr 2007 entwickelt das Unternehmen anhand von festen Programmiervorlagen Tools auf SAP-Basis, welche rund 80 Prozent Volumina in der Ersatzteillogistik standardisiert abbilden. "Zu diesen Tools gehören auch Schnittstellen an Kundensystemen und EDI-Anbindungen an Transportdienstleistern", ergänzt Brandes. "Weiter setzen wir besondere Planungstools ein, die Abläufe berechnen, abbilden und simulieren." Der Dienstleister könne so immer den jeweils besten Prozess ermitteln. bot

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