Papierstapel adé

"Wenn unsere Verteilzentren mit Produkten von Konsumgüter-Herstellern beliefert werden, läuft noch vieles sehr papierbasiert ab, was an den Warenbegleitpapieren liegt", sagt Michael Sternbeck, Bereichsverantwortlicher Logistikmanagement Filiale von DM-Drogerie-Markt in Karlsruhe (siehe Seite 23). Vision könnte in 2022 Realität werden "Jeden Abend kommt ein dicker Stapel Lieferscheine aus unserem Wareneingang ins Büro, und unsere Mitarbeiter scannen jeden einzelnen davon ein", nennt Sternbeck ein Beispiel. Das Verrückte daran sei, dass die Konsumgüterhersteller in ihrem Warenausgang die Lieferscheine ausdrucken, dem Lkw-Fahrer mitgeben, und DM diese Papiere teilweise am identischen Tag nach dem Scannen wieder vernichte. "Der Lieferschein mag an einigen Stellen trotz elektronischem Lieferavis für die Prozesse wichtig sein. Aus unserer Sicht hat er aber nur für sehr kurze Zeit die Identifikations-Funktion der Lieferung und könnte daher möglicherweise komplett digital abgebildet werden", erklärt er. Was nach ferner Vision klingt, könnte schon im kommenden Jahr in der Logistik Realität werden. Denn unter der Leitung von GS1 Germany in Köln wurde nun das Projekt "Digitaler Lieferschein" aufgesetzt, initiiert vom Arbeitskreis "Digitalisierung in der Transportlogistik" der Bundesvereinigung Logistik (BVL), in der zum Beispiel auch Michael Sternbeck vertreten ist. Geleitet wird das Projekt von Oliver Püthe, der bei GS1 Germany den Bereich "Industry Engagement" verantwortet (siehe S. 24) - im Zusammenspiel mit T-Systems und Firmen aus der Konsumgüterindustrie wie Beiersdorf, Henkel, Mondelez und Nestlé, dem Handel wie DM-Drogerie-Markt, Lidl, Penny und Rewe sowie der Logistikbranche wie Dachser, DHL, Fiege und Nagel Group, um nur einige Namen zu nennen. Sie arbeiten mit Hochdruck daran, dass der digitale Lieferschein bald Realität wird. Eine Cloudlösung für die Lieferkette Möglich werden soll dies durch eine Cloud-Lösung von T-Systems, in der die digitalen Lieferscheine der jeweiligen Firmen hinterlegt sind. Über klar definierte Regeln könnte dann jeder Partner in der Lieferkette - der Hersteller, Logistikdienstleister und der Handelsbetrieb - auf den für ihn erforderlichen Lieferschein zugreifen, bei Bedarf kommentieren und sogar mit Unterschrift quittieren. Warum, erklärt Püthe so: "Jede Lieferung wird nach wie vor von einem Lieferschein begleitet. Dieses Stück Papier nimmt maßgeblich auf den Fakturierungsprozess und etwaige Gutschriften Einfluss." So fakturieren bestimmte Hersteller erst, wenn im Wareneingang des Handels reine Quittung auf den Lieferscheinen vermerkt wurde. Und bei Gutschriften an den Handel, etwa bei Qualitätsmängeln, verhalte es sich ebenso. Kurzum: "Das gesamte Prozedere ist nicht nur aufwendig, sondern auch stark prüfbehaftet - sowohl für den Hersteller, den Spediteur als auch den Händler." Ziel sei deshalb der digitale Lieferschein, der mit der Ablieferung der Ware sofort für jeden Prozessbeteiligten verfügbar ist. "Das könnte, wie wir ermittelt haben, den gesamten Prozess um sieben bis zehn Tage beschleunigen", betont Püthe. Besonders interessant werde das Ganze für Firmen, die den Lieferschein bereits gemäß dem Güterkraftverkehrsgesetz auch als Frachtbrief nutzen. "In diesem Fall bekommt der Fahrer bei Abholung der Waren beim Hersteller überhaupt kein Papier mehr ausgehändigt - weder Lieferschein noch Frachtbrief. Das läuft dann alles ausschließlich digital ab." Der Teufel steckt wie so oft im Detail Wie überhaupt das künftige Prozedere ablaufen könnte, schildert Püthe so: "Dem Fahrer wird beim Hersteller zum Zeitpunkt der Verladung der Sendung ein QR-Code angezeigt, den er dann mit der Kamera seines Smartphones scannt." Er erhält so einen sicheren Link zum digitalen Lieferschein, der in der Cloud gespeichert wurde und so für ihn einsehbar wird. Den Zugangslink kann er auf seinem Smartphone in einer sogenannten Wallet-App ablegen. "Das funktioniert im Grunde so, wie es jeder von privaten Flugreisen kennt." Immer wenn der Fahrer den elektronischen Lieferschein vorweisen müsse, etwa bei der Warenzustellung im Handelszentrallager, müsse er dafür dann nur den Link anklicken und der Lieferschein werde im Browser seines Smartphones angezeigt. Im Wareneingang des Handels müsste der Mitarbeiter den QR-Code des Fahrers nur noch scannen, erläutert Püthe, um ihm die Auslieferung elektronisch zu quittieren. Damit sei der Prozess für den digitalen Lieferschein beendet. Und alle nachgelagerten Prozesse wie Ablieferbeleg-Generierung, Fakturierung an den Händler und Spediteur, um wenige Beispiele zu nennen, ließen sich dadurch umgehend anstoßen und umsetzen. So einfach das Handling klingen mag, das Thema digitaler Lieferschein ist nicht trivial. Denn letztlich sollte der digitale Lieferschein keinerlei rechtlichen Nachteil gegenüber dem Lieferschein aus Papier haben. Und wie so oft steckt der Teufel da im Detail. Besonders heikel waren bestimmte rechtliche Fragen, etwa rund um die elektronische Unterschrift - da gibt es unterschiedliche Qualitäten und Abstufungen. Und je nachdem haben die einen unterschiedlichen Bestand vor Gericht, erklärt Püthe. Dies aber habe GS1 Germany mit Juristen schon abgeklärt - mithilfe von entsprechenden Gutachten. Und damit das Ganze nicht als Anwendungsempfehlung versandet, haben die Projektbeteiligten einen Pilottest beschlossen. Insgesamt 21 Unternehmen aus Industrie, Handel und Logistik, unter anderem die eingangs genannten Firmen, nehmen daran teil. Sie werden im September 2021, kündigt Püthe an, dann vier Wochen in drei konkreten Fallkonstellationen den digitalen Lieferschein in der Praxis erproben. "Spätestens dann wissen wir, wie bestimmte Dinge in der Praxis funktionieren, wie die Mitarbeiter damit zurechtkommen, wo es vielleicht noch hakt, und an welcher Stelle wir noch nachbessern müssen." Er sei aber zuversichtlich. "Wenn es die FMCG-Community will und das Projekt weiter so tatkräftig unterstützt, gibt es im kommenden Jahr den digitalen Lieferschein in Deutschland." Mehr zum Thema unter #LogistikIT www.verkehrsrundschau-plus.de In Kürze Würde der Lieferschein schon bei der Ablieferung der Ware allen Beteiligten in der Lieferkette sofort vorliegen, könnte dies den gesamten Prozess um sieben bis zehn Tage beschleunigen. Um das umzusetzen, arbeitet GS1 Germany gemeinsam mit der Konsumgüterindustrie, dem Handel und der Logistik am digitalen Lieferschein. "Der digitale Lieferschein bringt deutliche Effizienzvorteile" GS1 Germany hat das Projekt Digitaler Lieferschein aufgesetzt, das die Drogeriemarktkette DM unterstützt. Sie sind Bereichsverantwortlicher in der DM-Logistik. Welche Vorteile versprechen Sie sich von dem digitalen Lieferschein? Der digitale Lieferschein bringt deutliche Effizienzvorteile. Noch müssen die Partner in der Konsumgüterindustrie relativ lange auf die Rückmeldungen aus den Handelslagern warten, ob die Ware vollständig und in der gewünschten Qualität angeliefert wurde oder auch nicht. Mit dem digitalen Lieferschein ließe sich das deutlich beschleunigen. Zudem lässt sich die Arbeit an der Rampe der Handelslager effizienter gestalten, weil die Fahrer anstelle von Lieferscheinen den Mitarbeitern an der Rampe nurmehr einen QR-Code zeigen müssten, und die weitere Bearbeitung dann digital ablaufen könnte. Wie konkret, hängt von den Prozessen in den einzelnen Firmen ab. Für Lkw-Fahrer bedeutet dies aber, dass sie bei Touren dann möglicherweise mehrere unterschiedliche QR-Codes händeln müssen. Das könnte eine Herausforderung sein - wohl aber eher im Stückgut- als im Komplettladungsgeschäft. Der Aufwand für die Fahrer dürfte aber überschaubar sein. Das Handling mit den QR-Cordes wird ja ähnlich ablaufen, wie man dies von Flugreisen her kennt.Zudem lassen sich die QR-Codes über das Datum sortieren, was zusätzlich hilft. Um aber genau solche Fragen zu klären, legt GS1 Germany ab September einen Praxistest (Proof of Concept) auf. Dann wissen wir mehr. Und wie wollen Sie Spediteuren den digitalen Lieferschein schmackhaft machen? Wir stehen mit dem Projekt digitaler Lieferschein noch am Anfang. Wie gesagt, der Praxistest läuft im September an. Wir sind noch voll in der Lernphase, die Praxis wird weisen, wie gut die Idee wirklich ist. Was ich sagen kann, es sind sehr viele Unternehmen, auch aus der Speditionsbranche, an dem Projekt interessiert. Wann rechnen Sie mit der Einführung eines "standardisierten" digitalen Lieferscheins? Ich rechne damit, dass wir schon im Jahr 2022 mit ersten konkreten Anwendungen hier rechnen können. eh Michael Sternbeck, Bereichsverantwortlicher Logistikmanagement Filiale von DM-Drogerie-Markt in Karlsruhe „Für Teil- und Komplettladungen läuft das Ganze schon gut“ Sie leiten das Projekt „Digitaler Lieferschein“ von GS1 Germany. Was bringt der digitale Lieferschein für Spediteure? Spediteure sparen sich vor allem den gesamten Archivierungsaufwand von Lieferscheinen. Sie müssen keine mehr einscannen, archivieren und darüber den Prozessbeteiligten Auskunft geben. Er spart sich so Arbeit. Wie soll das Ganze technisch ablaufen? Alle Firmen, die im Lieferprozess miteinander arbeiten, arbeiten mit einer CloudLösung von T-Systems. Auf dieser Cloud ist eine Web-App installiert, die entsprechend konfiguriert wurde und über die der gesamte Prozess gesteuert wird. Jeder Projekt-Beteilige hat darauf Zugriff – mit sehr genau definierten Rechten. Er muss sich dafür über eine bestimmte Internetadresse einwählen und kann in bestimmten Mappen, die für bestimmte Touren gelten, dort etwa seine Lieferscheine hochladen und so für seine Geschäftspartner verfügbar machen. Was läuft schon gut, und wo hakt es noch? Im Moment funktioniert das Ganze für Teilund Komplettladungen gut. Im Stückgutprozess gestaltet sich das noch schwieriger. Zum einen, weil Abholer und Zusteller nicht dieselbe Person sind; zum anderen, weil Stückgutsendungen oft über ein Hub gehen und mehrfach umgeschlagen werden müssen. Was sind die nächsten Schritte? Noch haben wir uns mit der Lösung auf Deutschland fokussiert. Grenzüberschreitend könnte ein nächster Schritt sein. Klar ist auch, wenn man mal den Lieferschein digitalisiert hat, lässt sich der Frachtbrief auch digitalisieren. Auch im Bereich Lademittel-Tausch wäre das Thema interessant. eh GS1 Germany Oliver Püthe, Leiter des Projekts „Digitaler Lieferschein“ sowie bei GS1 Germany für den Bereich Leiter „Industry Engagement“ verantwortlich

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