Palettentausch mit Blockchain

Auf dem Höhepunkt des Blockchain-Hypes überschlugen sich die Erwartungen an die Potenziale dieser neuen Technologie. Euphorisch sprachen viele von einem Gamechanger. Besonders für die Logistik sagten begeisterte Stimmen eine Revolution voraus. Deshalb wurde der größte Teil von Blockchain-Pilotprojekten in der Logistikbranche in den vergangenen Jahren aufgesetzt. Das war der "Peak of inflated expectations" (Gipfel der überzogenen Erwartungen - Anmerkung der Redaktion) nach dem berühmten Gartner Hype Cycle. Auf den Höhenflug folgte kein Absturz, aber der Boden der Tatsachen. Diesen schuf GS1 Germany durch ein Pilotprojekt, das dem Hype einen konkreten Anwendungsfall zum Erproben gegenüberstellte. Und so startete ein bundesweit einzigartiges Pilotprojekt mit 35 Unternehmen zum Thema "Palettentausch mit Blockchain" - mit echten Daten, echten Mitarbeitern und echten Lieferketten (siehe Kasten S. 44). Im Fokus dieses Pilotprojekts stand der Palettentauschprozess zwischen Industrie, Handel und Logistik. Das gemeinsame Ziel: über Blockchain zu lernen und das Wissen zu teilen. Neben der grundsätzlichen Erprobung von Blockchain war eine Frage besonders wichtig: Kann die Technologie die Zettelwirtschaft im Palettentauschprozess beenden? Die Antwort lautet: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu zählen beispielsweise flächendeckend Wlan in Lägern sowie gute Datenverfügbarkeit und Datenqualität. Das volle Potenzial von Blockchain für das offene Palettentauschsystem kann sich indes nur unter bestimmten Bedingungen entfalten. Dazu zählen im Kern die Offenheit und die Transparenz für die sich ergebende Datensichtbarkeit: organisatorischdem Hype einen konkreten Anwendungs fall zum Erproben gegenüberstellte. Und so startete ein bundesweit einzigartiges Pilot projekt mit 35 Unternehmen zum Thema "Palettentausch mit Blockchain" - mit echten Daten, echten Mitarbeitern und echten Lieferketten (siehe Kasten S. 44). Im Fokus dieses Pilotprojekts stand der Palettentauschprozess zwischen Industrie, Handel und Logistik. Das gemeinsame Ziel: über Blockchain zu lernen und das Wissen zu teilen. Neben der grundsätzlichen Erprobung von Blockchain war eine Frage besonders wichtig: Kann die Technologie die Zettelwirt schaft im Palettentauschpro zess beenden? Die Antwort lautet: Ja, unter bestimmten Vor aussetzungen. Dazu zählen bei spielsweise flächendeckend Wlan in Lägern sowie gute Datenverfüg barkeit und Datenqualität. Das volle Potenzial von Blockchain für das offene Palettentauschsystem kann sich indes nur unter bestimmten Bedingungen entfalten. Dazu zählen im Kern die Offen heit und die Transparenz für die sich erge bende Datensichtbarkeit: organisatorischkulturell und technisch. Dann bildet Blockchain eine gute Basis, um über die reine Digitalisierung des Palettenscheins hinaus einen großen Mehrwert und echte Synergieeffekte für das offene Palettentauschsystem zu erzeugen - von Ringtausch über die Vermeidung von Leerfahrten bis hin zum minütlichen Saldenausgleich. Im umgesetzten Projekt hat Blockchain den Rahmen für einen gemeinsamen Datenaustausch geschaffen - ein Mehrwert an sich. Das volle Potenzial entfaltet sich aber nur im Zusammenspiel mit anderen Technologien, wie zum Beispiel der mobilen Anwendung im Pilotprojekt. Das Fazit der Teilnehmer: Der Palettentausch funktioniert auf technischer Ebene auch ohne Blockchain. Doch die Distributed-Ledger-Technologie, also dezentral verteilte Datenbanken wie Blockchain, hilft auf politischorganisatorischer Ebene (Stichwort: Dezentralität, Datenhoheit), Vorbehalte abzubauen und Daten unternehmensübergreifend auszutauschen, auch ohne sich zu kennen. Die meisten Teilnehmer würden deshalb die mobile Anwendung gerne weiterhin nutzen. Konkrete Vorteile sind: Effizienzgewinn, insbesondere im Backoffice (vereinfachte Kontenabstimmung, automatisierte Saldenberechnung), Erleichterung der Tätigkeiten an der Laderampe und im Arbeitsalltag, Verbesserung und Intensivierung vieler Supply-Chain-Partnerschaften durch die enge Zusammenarbeit - Blockchain fungierte als Katalysator für Kooperation. Großes Ziel ist Produktlösung Block4Log Angespornt von den Ergebnissen der Pilotanwendung "Palettentausch mit Blockchain", strebt GS1 Germany nun das große Ziel einer Produktlösung an - Block4Log. Nicht nur für Paletten, sondern für den Ladungsträgertausch allgemein; nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Die Lösung sowie die am Projekt und Konzept beteiligten Unternehmen wollen ein kostenintensives, aufwendiges und aufreibendes Problem der aktuellen Logistik dauerhaft lösen. Sie wollen ein effizientes, digitales Ladungsträgermanagement für alle Beteiligten der Wertschöpfungskette. Die Blockchain-Technologie soll das erreichen. Sie ermöglicht die Schaffung einer dezentralen, fälschungssicheren Datenbank für die Tauschbewegungen von Ladungsträgern. Der Pilot 2018 hat gezeigt, welch komplexes Unterfangen es ist, eine neue Grundlagentechnologie mit einem etablierten Kernprozess in der Logistik zu verheiraten. Die Vision wuchs: vom Anwendungsfall Ladungsträgermanagement zu einem ganzheitlichen Öko-System. Das Ziel wurde eine Blockchainbasierte, digitale Infrastruktur als Herzstück eines Peer-2Peerorganisierten Netzwerks (dezentral organisierte Struktur - Anm. der Redaktion) für Supply Chain Management. Warum? Die Projektbeteiligten stellten fest, dass das Ladungsträgermanagement nur einer von vielen weiteren möglichen Anwendungsfällen - wie etwa Nachhaltigkeits-Tracking oder "Rückverfolgbarkeit"-Anwendungen - ist, die sich auf Basis der gemeinsamen digitalen Infrastruktur abbilden ließen. Die Lösung soll alle Player der Wertschöpfungskette umfassen und auf Basis einer Blockchainbasierten Infrastruktur unterschiedlichste Anwendungsfälle abbilden können. Es ist die Vision einer zukunftssicheren Infrastruktur für digitale Supply- Chain-Anwendungen, für eine ganz neue Form von unternehmensübergreifender Kooperation. Die Lösung soll abbilden: geschlossene Pools, unterschiedliche Ladungsträger, ganz Europa abdecken, Qualitätsaspekte, Handelbarkeit von Schuldscheinen. Die Konzepte stehen, die Papiere liegen auf dem Tisch. Diese umfassen: die Anforderungen aus der Logistik, das technische Konzept inklusive zweier technischer Prototypen und die Governance mit rechtlichem Setup, Geschäftsmodell und Business Case. Für das rechtliche Setup wurde ein Konstrukt aus zwei Gesellschaften gewählt: Eine Genossenschaft soll Eigentümer dieser Infrastruktur sein, das bedeutet, dass alle Genossenschaftsmitglieder als Gemeinschaft die Rechte an der Enterprise Blockchain halten. Sie bilden auch den Kern und garantieren darüber gelebte Neutralität und Dezentralität. Die Genossenschaft ist inklusiv, richtet sich an alle Marktteilnehmer, ist notforprofit und neutral. Ihr Ziel ist es, eine Community auszubilden, die langfristig gemeinsam Marktbedarfe aufnimmt, kanalisiert und diese technisch abbildet. Die technische Anwendung soll zudem in einer Service GmbH erfolgen, finanziert von einigen Mitgliedern der Genossenschaft, die dann auch die Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur und Block4Log-App erhalten. Auf dem Weg zur Konsortialgründung Drum prüfe, wer sich bindet - so lautet ein Sprichwort. Dies gilt auch für die Block-4Log-Gemeinschaft. Das Projekt ist an einem entscheidenden Punkt: Alle beteiligten Unternehmen müssen jetzt intern prüfen, ob sie den Absprung Richtung Konsortialgründung wagen. Acht Unternehmen haben sich bereits zusammengefunden, um die Genossenschaft zu gründen. Weitere sind jederzeit herzlich willkommen. Erkenntnisse aus dem Projekt Blockchain ist ein sehr umfassender Ansatz, weit mehr als eine Kette von Code-Schnipseln, die man isoliert sieht. Es kann nur ganzheitlich betrachtet werden, weil es einen Paradigmenwechsel bedeutet: technisch und organisatorischkulturell. Es handelt sich zum einen um eine technische Innovation, es wird also eine zukunftsfähige technische Infrastruktur für Supply Chain Management für alle geschaffen werden. Zum anderen handelt es sich um eine kulturellorganisatorische Innovation, also um die nächste Stufe der firmenübergreifenden Kollaboration, eine zukunftsfähige Form der Zusammenarbeit in einer Branche. Denn ohne zentrale Instanz oder Intermediär zusammenzuarbeiten, gar in einem gemeinsam betriebenen Konsortium, hat Implikationen, etwa auf Arbeitsweise, Umgang mit Business-Partnerschaften. Unerlässlich: ein neutraler Intermediär Blockchain erzeugt nicht automatisch Vertrauen zwischen den Akteuren in Wertschöpfungsnetzwerken. Vielmehr muss das notwendige Vertrauen für eine erfolgreiche Kollaboration bereits auf der geschäftlichen Ebene vorhanden sein oder aber sich im Rahmen eines Projekts wie Block4Log entwickeln. Technik kann nicht dabei helfen, kommunikative Herausforderungen wie Hürden der Unternehmen beim Teilen von Daten oder heterogene Interessen zu lösen. In der Phase des Aufbaus eines Konsortiums ist deshalb ein zentraler und vor allem neutraler Intermediär erforderlich. Seine Aufgabe ist es, Mitbewerber vertrauensvoll zu vernetzen und eventuelle Berührungsängste vor Technologien abzubauen. Denn: Ein Konsortium zum gemeinsamen Betrieb einer Blockchain-Plattform ins Leben zu rufen, gehört nicht zu Routinen von Firmen, und es gibt dafür auch keine Blaupausen. Umso wichtiger sind etablierte, anerkannte Instanzen, um in Richtung der Verwirklichung gemeinsamer Interessen zu wirken. Interoperabilität Weitere wichtige Voraussetzung sind die unternehmens- und systemübergreifende Kompatibilität und Interoperabilität. So wird es nicht "die eine" Blockchain geben, sondern verschiedene Anwendungen, die über gegenseitige Vernetzung entsprechende Ökosysteme im logistischen Umfeld bilden können. Für eine Skalierung ist die Nutzung offener und global gültiger Standards, etwa der GS1 Standards, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Sie bilden die gemeinsame Sprache, die es ermöglicht, einfach und unmissverständlich über Inhalte und Lösungen zu sprechen. Für eine marktfähige Lösung ist das eine zwingende Voraussetzung. Im Pilot 2018 stand sie aus Komplexitätsgründen nicht im Fokus. Für eine Produktivlösung ist es aber unerlässlich, dass die zu erarbeitende Lösung mit bestehenden Systemen kompatibel ist. Die Technologie-Experten müssen offene Schnittstellen entwickeln. Denn die zu entwickelnde Blockchain soll im späteren Schritt an andere Systeme angebunden werden und umgekehrt. Bezogen auf die Priorisierung der mitwirkenden Unternehmen gilt das für folgende Systeme: WMS: Warehouse Management System, TMS: Transport Management System, Pooling Service Provider Systems, ERP: Enterprise Resource Planning, SCM-Plattform. Kooperation ermöglicht Standardisierung Die meisten Zukunftstechnologien erfordern ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft, nicht nur intern, sondern auch extern. Denn letztlich geht es Unternehmen darum, Prozesse und auch informatorische Inhalte durch Standardisierung effizienter zu gestalten. Standards können aber nur implementiert werden, wenn sich große Player aus einer Industrie zusammenschließen, um gemeinschaftlich eine neue Technologie zu adaptieren. Breiten Einzug in die Praxis hat Blockchain trotz aller Chancen noch nicht gehalten. Die meisten Projekte finden im Hintergrund statt, mit einer kleinen Zahl an Beteiligten und vielen im wissenschaftlichen Rahmen der Grundlagenforschung. Vergessen wir nicht, dass die Blockchain-Technologie sich ständig weiterentwickelt, Stichwort Ethereum. Das ist eine stille Revolution, die in der Gesellschaft wenig wahrgenommen wird. Eines der spannendsten Cyber-Projekte aller Zeiten. Vorboten einer dezentralisierten Welt Die Blockchain-Technologie, auf der Bitcoin basiert, hat eine Grundlage für dezentrale Systeme geschaffen, die künftig stark an Bedeutung gewinnen wird, auch über den virtuellen Raum hinaus. Erst mit zunehmender Vernetzung und dem sukzessiven Zusammenwachsen von digitaler und physischer Welt, werden Distributed-Ledger-Technologien ihre Wirkung vollständig entfalten. Auch wird die Technik immer weiter in den IT-Landschaften der Firmen ankommen und bestehende IT-Konzepte und -systeme werden übernommen. Wird aus dem vorgestellten Konzept Realität? Das hängt vom Willen vieler ab, etwas ganz Neuartiges gemeinsam zu schaffen - für die langfristige Verbesserung logistischer Prozesse. Das hängt davon ab, dass die zentralen Akteure einer Supply Chain eine Gemeinschaft bilden, eine Keimzelle für Kollaborationsansätze - für zentrale ebenso wie für dezentrale. Ohne diesen Willen zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit gibt es keine Enterprise Blockchain. Thomas Fell, Geschäftsführer GS1 Germany; Regina Haas-Hamannt, Lead Innovation GS1 Germany Warum Blockchain-Technologie? Die Blockchain-Technologie hat im Supply Chain Management und in der Logistik aus mehreren Gründen besondere Relevanz. Zum einen sind logistische Prozesse heute prinzipiell stark zahlen- und KPI-getrieben und bieten so großes Potenzial für datengestützte Entscheidungen auf technologischer Basis. Zum anderen stehen Firmen insbesondere innerhalb logistischer Ketten vor der Herausforderung, nicht mehr nur Material- und Informationsflüsse zusammenführen zu müssen, sondern auch Zahlungsflüsse zu integrieren. Gleichzeitig entwickeln sich lineare Lieferketten zu Netzen aus gleichrangigen Partnern zur Abbildung von Supply Chains. Konkret bietet sich die Erprobung von Blockchain-basierten Lösungen dort an, wo manuelle Prozesse mit Papierdokumenten angesiedelt sind und in denen mehrere Beteiligte die Daten möglichst zeitgleich, zeitnah und manipulationssicher weiterverarbeiten müssen - etwa Fracht- und Lieferpapiere, Palettenscheine, Zeugnisse und Zollpapiere. Als dezentrale Technologie hat Blockchain den Vorteil, dass es dynamische Ökosysteme mit den bekannten Netzwerkeffekten ermöglicht - also ein völlig anderes Level an Einbindung aller Akteure. So können auch im Projekt "Block4Log" von GS1 Germany durch Blockchain nicht nur die Konsortialmitglieder von der Lösung profitieren, sondern auch Spediteure und viele andere Beteiligte. Autoren Thomas Fell, Geschäftsführer GS1 Germany Thomas Fell ist seit 2017 Geschäftsführer von GS1 Germany in Köln, bekannt für den EAN-Barcode und die Kooperation zwischen Industrie und Handel. Als anerkannter Retail-Experte treibt Fell die Standardisierung im E-Commerce und weiteren Industrien voran unter Berücksichtigung innovativer Technologien wie Blockchain oder Internet of Things. Zuvor war Fell unter anderem Bereichsvorstand Retail bei Diebold beziehungsweise Wincor Nixdorf sowie Geschäftsführer bei IBM. Regina Haas-Hamannt, Lead Innovation GS1 Germany Regina Haas-Hamannt ist seit 2017 Lead Innovation von GS1 Germany in Köln. Im Rahmen der Trend-Forschung arbeitet sie dort seit Jahren an Blockchain. 2018 startete sie das bundesweit größte Pilotprojekt "Erprobung der Blockchain-Technologie am Beispiel des Palettentauschprozesses mit standardisiertem Palettenschein". Aktuell arbeitet sie gemeinsam mit 20 Unternehmen an einer operativen Lösung für digitalen Ladungsträgertausch mit Blockchain. Zuvor war die studierte Politologin (Köln und Prag) fünf Jahre lang als persönliche Referentin des Geschäftsführers von GS1 Germany tätig. Zuvor war Haas-Harmannt fünf Jahre lang bei der IHK Nord Referentin Maritime Logistik in Brüssel. des Geschäftsführers von GS1 Germany tätig.

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