Neue Formeln in der Chemielogistik

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Auch nicht in der Chemieindustrie, die sich zwar mit Düngemitteln auskennt wie kaum eine andere Branche. Aber die Chemiekonjunktur dümpelt eher am Boden und ist derzeit ein zartes Pflänzchen, von dem man nicht so genau weiß, ob es noch mal in die Höhe schießt. 2016 war ein "durchwachsenes Jahr" "Ich will nicht lange drumherum reden: 2016 war ein durchwachsenes Jahr für unsere Branche", sagte Kurt Bock, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie auf der Jahrespressekonferenz seines Verbandes. Die Umsätze brachen in der Chemie- und Pharmabranche im laufenden Jahr um drei Prozent ein auf 183 Milliarden Euro. Doch die Alarmglocken läuten nicht so schrill, wie man sich es nach einem solchen Rückgang vielleicht vorstellen würde. Denn der Hauptgrund für die Entwicklung waren die gesunkenen Rohstoffpreise, die die Chemieindustrie an ihre Kunden weitergegeben hat. Aussagekräftiger und aus Sicht der Logistikdienstleister auch viel bedeutsamer als der Umsatz ist die Entwicklung der Produktion. Hier sieht es zwar besser aus, aber zufrieden zeigte sich Bock - im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Chemiekonzerns BASF - auch mit diesen Zahlen nicht: "Die Produktion steigt in diesem Jahr vermutlich nur um 0,5 Prozent. Ohne den Pharmaanteil stagniert die Produktionsmenge sogar." Damit wächst die Chemieindustrie etwas weniger als andere Industriebranchen (+ 1,0 Prozent) und liegt auch deutlich unter dem Wirtschaftswachstum in Deutschland (+ 1,7 Prozent). Als Grund nannte Bock eine verhaltene Nachfrage sowohl im Inland wie auch im Ausland. Angesichts dieser Zahlen mutet die Aussage von Thomas Krupp etwas seltsam an: "Die Chemielogistik ist ein wachsender Markt, auch zukünftig", sagt der Professor für Transport- und Verkehrslogistik an der Technische Hochschule Köln. Stagnierende Produktion und dennoch Wachstum in der Logistik: Wie passt das zusammen? Dass diese Formel aufgeht, wird deutlich, wenn Krupp Gründe für seine Einschätzung aufzählt: "In der Chemieindustrie vollzieht sich schon seit längerer Zeit ein Bedeutungswandel: Die Logistik wird vom Erfüllungsgehilfen zum Supply Chain Manager und bekommt damit einen höheren Stellenwert", lautet seine Begründung. Der Wettbewerb werde zunehmend über den Umfang der Logistik-Services entschieden. Gleichzeitig nehme die Bedeutung kleinteiliger und spezialisierter Transporte zu. Auch die Chemiespedition Hoyer registriert, dass die Chemieindustrie zunehmend Leistungen fremdvergibt. "Es ist nach wie vor ein Trend zur Konzentration auf das Kerngeschäft - die Produktion - zu beobachten", sagt Ulrich Grätz, Global Director Supply Chain Solutions bei Hoyer. Grätz betont, dass das zunehmende Outsourcing nicht nur den Transport betrifft, sondern auch vor- und nachgelagerte Dienstleistungen. "Mehr und mehr werden mit Kunden ganzheitliche Ansätze diskutiert, sogenannte One-Stop-Shopping- oder Integrator-Konzepte", stellt der Hoyer-Manager fest. Damit ändert sich auch die Rolle des Logistikdienstleisters. "Die Dienstleister decken immer größere Wertschöpfungsanteile ab bis hin zu leichteren Tätigkeiten in der Produktion, steuern diese kundenspezifisch und gestalten damit die Logistikkette kostengünstiger und mehr serviceorientiert", sagt Krupp. Damit ist auch für die Dienstleister eine Neuorientierung verbunden: "Sie entwickeln sich vom Erfüllungsgehilfen zum Wertschöpfungspartner", so der Chemielogistikexperte. Darin sieht er Chancen sowohl für die Speditionskonzerne als auch für den Mittelstand. "Große Speditionen haben den Vorteil, dass sie Logistikkonzepte besitzen, die sie für andere Branchen bereits entwickelt haben", sagt Krupp. Zudem besäßen sie entsprechendes Know-how in der Chemielogistik. "Aber auch mittelständische Dienstleister, die sich spezialisieren, haben in dem Segment eine gute Chance", so der Professor. Eine weitere neue Formel in der Chemie, die zu ganz neuen Verbindungen führen kann, kommt auf die Chemielogistik in Form der Digitalisierung zu. "In der Chemielogistik gibt es im Vergleich etwa zur Automobilindustrie noch einiges an Entwicklungspotenzial", sagt Krupp und führt Beispiele wie vorauseilende Sendungsinformationen, Transparenz in der Supply Chain, Bestandsdokumentation oder durchgehende Datenstandards an. Doch mit der Digitalisierung sind nicht nur Chancen verbunden. "Internetplattformen und Datenclouds, welche die bisher üblichen Informationsströme zwischen Verlader, Logistikunternehmen bis zum Empfänger der Waren abdecken, greifen schon heute nach den Geschäftsinhalten der Chemielogistiker und bedrohen insofern die noch üblichen Geschäftsmodelle", sagt Ulrich Maixner, Director Intermodal, Business Unit Chemilog bei Hoyer. Mit entsprechenden Folgen: Diese neuen Anbieter könnten dann auf Basis von Algorithmen den Waren oder Produkten den adäquaten Transportweg und das richtige Transportmittel zuordnen. "Damit wird ein Aufgabenteil der herkömmlichen Spedition übernommen und die Vermittlungstätigkeit obsolet", lautet die nüchterne Schlussfolgerung von Maixner. Deshalb gewinnt seiner Ansicht nach der Transport nicht an Bedeutung, sondern er würde als mögliches Betätigungsfeld eines Spediteurs, der dann wieder zum Frachtführer würde, die reine Vermittlung überdauern. Die Spediteure würden sich dann also stärker mit dem reinen Transportgeschäft befassen - sofern sie das nicht sowieso schon tun. Aber nicht nur das: Sie würden ihr Geschäftsmodell auf eine breitere Basis stellen, indem sie weitere Zusatzdienstleistungen anbieten - neue Formen der Zusammenarbeit, die von der Chemieindustrie ja gewünscht werden. Auch 2017 ein nur geringes Plus Die Chemielogistik steht also vor großen Veränderungen. Impulse in Form von steigenden Auftragsmengen sind zumindest im kommenden Jahr laut BASF-Chef Bock nicht oder nur bedingt zu erwarten: "Für 2017 rechnen wir für die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie mit einem Produktionsplus von 0,5 Prozent." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Chemielogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Lese-Tipp Trends in der Handelslogistik Jede Branche hat eigene Gesetze. Wie die Akteure in der Handelslogistik ticken, was Verlader von den Dienstleistern erwarten und was diese leisten können, lesen Sie in der VR 51-52/2016, die am 23.12.2016 erscheint.Interesse am Artikel zur Handelslogistik? Wenn Sie die VerkehrsRundschau über die BG Verkehr nur acht Mal im Jahr erhalten und nicht jede Woche im Abo beziehen, dann schicken wir Ihnen gerne einmalig ein kostenloses Heft mit dem gewünschten Artikel zu. Rufen Sie uns an (089/203043-2276) oder mailen Sie uns (teresa.hoeller@springer.com)! Die Serie Branchenporträts In den kommenden Ausgaben analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau

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