Neue Chancen für Pioniere

Bis 2020 sollen eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht. Alle Unternehmen, die im Automotive After Sales (Service-Umsätze) sowie im Aftermarket (Einzelteile- und Zubehör-Umsätze) tätig sind, blicken diesen Zeiten aber mit gemischten Gefühlen entgegen. Rund 32 Milliarden Euro Umsatz machte der After-Sales-Markt 2016 in Deutschland laut dem Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe. Ein Markt, von dem die Automobilbranche bislang recht gut lebt. "Manche OEM und Händler machen allein mit ihrem Verkauf von Ersatzteilen und After Sales Services bis zu über 70 Prozent ihres Gewinns", weiß Thomas Mathives, Mitglied der Geschäftsleitung und leitender Direktor für das Marktsegment "After Sales, Spare Parts and Maintenance Solutions" von Miebach Consulting in München. Mittelfristig, spätestens in 10 bis 15 Jahren, wenn die Elektromobilität in Deutschland möglicherweise vor dem Durchbruch steht, könnte der Margenbringer After Sales jedoch wanken. Denn mit der Elektrifizierung fallen etliche traditionelle Ersatz- und Verschleißteile weg oder werden wie Bremsbeläge weniger beansprucht - besonders betroffene Teilegruppen sind entlang des Antriebsstranges Abgasanlage, Kraftstoffversorgung und Getriebe-Elemente. "Ein Verbrennungsmotor hat zum Beispiel über 1400 Einzelteile. Ein E-Motor umfasst nur etwa 210 Einzelteile", nennt Mathives Zahlen. Außerdem sind die E-Fahrzeuge weniger reparaturanfällig und müssen daher seltener in die Werkstatt. Auch etliche der bislang gesetzlich vorgeschriebenen Wartungs- und Verschleißreparaturen fallen durch die Elektromobilität weg. Je nachdem, wie schnell sie sich durchsetzt, könnte durch den Entfall oder die Reduzierung hochprofitabler Baugruppen für Wartung und Reparatur im Service sowie bei den Ersatzteilen der Umsatz allein in Deutschland um bis zu zwölf Prozent zurückgehen; der Deckungsbeitrag sogar um bis zu 30 Prozent, zitiert Mathives Zahlen diverser Studien zu diesem Thema. "Und damit wird natürlich auch die Zahl der Ersatzteile, die befördert, umgeschlagen und eingelagert werden müssen, deutlich sinken", warnt der Berater. Völlig neue Geschäftsfelder entstehen "Wer in diesem Markt als Dienstleister auch in Zukunft noch mitspielen will, sollte sich also frühzeitig mit dem anstehenden Wandel auseinandersetzen und neue Services entwickeln, um etwaige Umsatzeinbrüche aufzufangen", rät Mathives. Die gute Nachricht ist: "Die Elektromobilität in der Automobilbranche, gerade auch in der Intralogistik, bietet interessante Wachstumschancen - auch für mittelständische Speditions- und Logistikbetriebe", ist Thomas Mielke überzeugt. Er ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung Metroplan Process Management in Hamburg. So gewinnt laut Mielke mit der E-Mobilität das Thema "Austausch von Lithium-Ionen-Batterien" rasant an Fahrt. Ein schlüssiges Entsorgungskonzept dafür fehlt noch, obwohl hier riesiger Bedarf entsteht. Das ist ein völlig neues Geschäftsfeld für Spediteure. "Die Nachfrage dafür ist da", betont der Experte und nennt ein Beispiel von BMW: Lithium-Ionen-Batterien sind bei diesem Hersteller das einzige Ersatzteil, das nach dem Austausch nicht vernichtet werden muss, sondern in einem Zweitmarkt für eine sinnvolle Nachnutzung bereitsteht. Solche Verfahrensanweisungen müssten aber erst operativ umgesetzt werden, und ebenda sei das Knowhow von externen Dienstleistern gefragt. Nischenanbietern winken hohe Margen Potenzial sieht Mielke auch durch die Batteriespeicher-Kraftwerke, die im Zuge der E-Mobilität neu entstehen. Aktuelle Beispiele sind das Joint Venture in Lünen, in dem neben Daimler die Firmen The Mobility House, Getec und Remondis eingebunden sind. Die Partner wollen die gesamte Batterie-Wertschöpfungs- und Verwertungskette abdecken. Zudem haben die Kooperationspartner Daimler, die Tochter Accumotive und Enercity (Stadtwerke Hannover) mit dem Bau eines neuen Batteriespeichers begonnen: ein Ersatzteillager für elektromobile Batteriesysteme. Alle diese Ansätze haben bislang eines gemeinsam: Durch die Zusammenschaltung gebrauchter Lithium-Ionen-Batterien zu lokalen Kraftwerken kann die Stabilität des deutschen Stromnetzes verbessert werden, weil diese Speicher die ständigen Schwankungen im Stromnetz ausgleichen. Metroplan habe auf diesem Gebiet schon erste Projekte realisiert, deren Wirtschaftlichkeit nachgewiesen und hält dazu sogar eigene Patente. "Für Dienstleister, die sich auf die Entsorgung von kritischen Produkten spezialisiert haben, tut sich hier ein völlig neuer Markt auf", betont Mielke. "Einen Recycling-Kreislauf, wie man ihn aus der Abfallentsorgung kennt, gibt es im Lithium-Ionen-Batterie-Segment bislang noch nicht." Jeder Kunde, Hersteller und Zulieferer würde einen solchen sehr begrüßen, sagt er, denn keiner wolle sich mögliche Haftungsrisiken ins Haus holen. Natürlich sei dies für Dienstleister ein sensibles Segment, weil sehr hohe, teils zertifizierte Sicherheits-Anforderungen erfüllt werden müssen. "Darauf spezialisierte Nischenanbieter können mit einem solchen Service hohe Margen erzielen - allemal, wenn sie auf ausreichende Mengen kommen", schätzt Mielke. Sie sollten also nicht nur die Automobil-Industrie, sondern auch andere Branchen wie die Intralogistik und die Konsumgüterbranche im Blick haben, rät er. "Wenn ein Dienstleister es schafft, diese drei Segmente entsprechend mit Batterien zu ver- und entsorgen, kann dies sehr lukrativ für ihn werden." Das größte Potenzial in der Ersatzteillogistik sieht der Metroplan-Geschäftsführer klar in der Bündelung von Volumina. Noch optimiert fast jede Firma ihre Ersatzteillogistik für sich allein. Wenn sich hier mehrere Hersteller zusammenfinden und ihre Bedarfe gebündelt an einen Dienstleister vergeben, könnten sie deutlich Kosten sparen, ist er überzeugt. "Noch gibt es aber in der Wirtschaft dieses Silodenken - unternehmensübergreifend wird noch zu wenig gemacht, obwohl sich dadurch viel optimieren ließe." Mehr zum Thema im Dossier Ersatzteillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers