Berlin. Faire Arbeitsbedingungen und ein besserer Umwelt- und Klimaschutz bei Produktion und Handel von Gütern in aller Welt: Das sind die wichtigsten Ziele des deutschen und des geplanten europäischen Lieferkettengesetzes. Gut jedes zweite Unternehmen in Deutschland begrüßt das nationale Lieferkettengesetz (56 Prozent). Nur 29 Prozent lehnen das Gesetz ab und 15 Prozent haben noch keine Meinung. Das hat eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands unter 500 Unternehmen ab 25 Mitarbeitenden ergeben. "Die meisten Unternehmen begrüßen gesetzliche Regelungen für mehr Nachhaltigkeit in einer globalisierten Wirtschaftswelt", sagte Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, bei der Vorstellung der Studie.
Verantwortungsgefühl ist gegeben
"Die befragten Führungskräfte sind sich ihrer unternehmerischen Verantwortung bewusst und sprechen sich für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten wie gerechten Arbeitsbedingungen oder den Schutz von Umwelt und Klima entlang ihrer Lieferketten aus." Klar sei aber auch, dass das nicht einzelne Unternehmen alleine erreichen können. Daher sollten aus Sicht der Befragten gleiche Vorgaben für alle Wettbewerber gelten: Als wichtigste Vorteile des Lieferkettengesetzes sehen daher 83 Prozent der Unternehmen die Entwicklung allgemeingültiger Standards für Sorgfaltspflichten und 73 Prozent die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen. Ebenfalls 73 Prozent nennen Rechtssicherheit als wichtigen Nutzen einer gesetzlichen Regelung.
Kleinere Unternehmen haben Befürchtungen
Auf der anderen Seite befürchten die Befragten hohe Kosten für die Umsetzung (91 Prozent), eine Benachteiligung kleinerer Unternehmen mit geringeren Ressourcen (86 Prozent) und Nachteile im Vergleich zu Wettbewerbern aus Drittstaaten, die keine Sorgfaltspflichten einhalten müssen (86 Prozent). Fast vier von fünf Unternehmen geben an, dass die Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette von unabhängigen Stellen überprüft werden sollte (78 Prozent). Bühler: "Zertifizierungen und unabhängige Prüfungen vor Ort sind wichtige Instrumente, um Vertrauen in die einzelnen Glieder der Lieferkette zu schaffen."
Kleine und mittelständische Unternehmen haben es schwerer
Laut den Ergebnissen der Umfrage spielen nachhaltige Kriterien bei der Gestaltung ihrer Lieferbeziehungen erst für knapp die Hälfte der befragten Unternehmen eine große oder sehr große Rolle (49 Prozent). Große Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden sind hier mit einem Anteil von 62 Prozent Vorreiter. "Gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen fällt es oft schwer, die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards in der dritten, vierten oder fünften Stufe ihrer Lieferkette zu überprüfen. Dafür fehlen ihnen die personellen und finanziellen Ressourcen", sagte Bühler. Immerhin jedes dritte Unternehmen hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren seine Lieferketten neu ausgerichtet und dabei Aspekte der Nachhaltigkeit integriert (33 Prozent). Auslöser für diese Neuausrichtung war für zwei von drei Unternehmen die Corona-Pandemie (67 Prozent), gefolgt von Störungen in der Verkehrsinfrastruktur (51 Prozent) und den Folgen des Klimawandels (36 Prozent). Bühler: "Krisen wie die Corona-Pandemie und der Klimawandel sollten für Unternehmen Anlass sein, bestehende Lieferbeziehungen zu überprüfen und Aspekte der Nachhaltigkeit auch unabhängig von gesetzlichen Vorgaben bei ihrer Geschäftstätigkeit stärker zu berücksichtigen."
Unabhängige Prüfungen schaffen Vertrauen und erleichtern die Umsetzung in der Praxis
In Deutschland wird das "Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten" im Jahr 2023 in Kraft treten. Es gilt zunächst für Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden und ein Jahr später auch für Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden. Laut Umfrage ist erst 51 Prozent der Befragten bekannt, dass das Gesetz im kommenden Jahr in Kraft treten wird. Unter den großen Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden sind es immerhin 73 Prozent. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes fordern 86 Prozent der befragten Unternehmen eine Zertifizierung von Lieferanten, mit denen diese die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards nachweisen können. 83 Prozent sprechen sich für den Aufbau eines digitalen Lieferkettenregisters aus, in dem der Zertifizierungsstatus der Unternehmen verzeichnet wird. Und 77 Prozent wünschen sich kostenfreie Beratungsangebote, zum Beispiel von Kammern, Wirtschaftsverbänden oder öffentlichen Institutionen.
TÜV-Verband will einheitliche Regelungen für alle Unternehmen
Mit Blick auf eine europäische Regelung fordert der TÜV-Verband möglichst gleiche Vorgaben für alle Unternehmen in der EU, unabhängig von ihrer Branche und Größe. "Es geht darum, einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu erreichen und damit auch die Unternehmen zu schützen, die hohe soziale und ökologische Standards einhalten wollen", sagte Bühler. In bestimmten Risikosektoren sollten Kontrollen von unabhängigen Prüforganisationen gesetzlich verankert werden. Zu den Risikosektoren zählen beispielsweise die Textilindustrie oder die Gewinnung bestimmter Rohstoffe wie Kobalt oder Coltan. Auch die Tätigkeit in Konfliktregionen könnte eine Voraussetzung für Drittprüfungen sein.
"Unabhängige Prüfungen tragen dazu bei, die Stationen eines Produkts vom Rohstoff über die Verarbeitung bis zur Ladentheke in der gesamten Lieferkette verlässlich zu dokumentieren", sagte Bühler. Die Zertifizierungen sollten in einem Lieferkettenregister festgehalten werden und den Unternehmen bei der Bewertung und Auswahl von Lieferanten helfen.
Nachhaltigkeit macht’s einfacher
"Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen profitieren auf vielfältige Weise: Sie sind unabhängiger von knapper werdenden Ressourcen, genießen eine hohe Reputation bei Investor:innen und Verbraucher:innen und sind beliebte Arbeitgeber", betonte Bühler. Nicht zuletzt seien sie besser auf die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft vorbereitet. "Die Politik muss nachhaltiges Wirtschaften auch auf anderen Ebenen fördern und mit gutem Beispiel vorangehen", sagte Bühler. "Bei öffentlichen Aufträgen sollte beispielsweise der Preis nicht das alleinige Kriterium für eine Vergabe sein, sondern auch Nachhaltigkeitsaspekte wie die Produktionsbedingungen berücksichtigt werden."