Logistik-Sonne droht im Bosporus zu versinken

Noch vor wenigen Jahren galt die Türkei als wirtschaftliches Eldorado für westliche Unternehmen. Die Öffnung nach Westen ging so weit, dass eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union vorstellbar war. Dann kam der 16. Juli und über Nacht drehte Präsident Recep Tayyip Erdogan das politische Rad um Jahrzehnte zurück. Der Ausnahmezustand, der seit dem Putschversuch gilt, verleiht dem Präsidenten viele Vollmachten. Die Ankündigung Erdogans, das politische System von einer Republik nun in eine Präsidialdemokratie umzubauen, zeigt, dass er nicht bereit ist, diese Macht wieder abzugeben. Dazu passt, dass Ende letzter Woche wegen Terrorvorwürfen Haftbefehl gegen mehrere Abgeordnete der zweitgrößten Oppositionspartei HDP erlassen wurde. Der ehemalige Chefredakteur der Oppositionszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, sagte auf der Frankfurter Buchmesse, das Land entwickle sich zu einer islamischen Diktatur. Sein Nachfolger bei der Zeitung wurde mittlerweile verhaftet. Wirtschaftlich scheinen sich die geänderten politischen Verhältnisse bei deutschen Unternehmen noch nicht niedergeschlagen zu haben. Die Deutsch-Türkische Handelskammer in Istanbul hatte im August ihre angeschlossenen Firmen zu den Auswirkungen des Putschversuchs befragt. Demnach halten drei Viertel der Unternehmen an ihren Jahreszielen fest. Der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Volker Treier hatte zuvor erwartet, deutsche Unternehmen würden Projekte einfrieren und Kapital abziehen. Diese Befürchtungen scheinen sich nicht zu bewahrheiten. Auch drei Monate später funktionieren zumindest die Lieferbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei weiter einwandfrei, bestätigt Jan Nöther, Chef der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul (AHK). Das ist für beide Seiten gut. Steht das Land doch in der Liste der wichtigsten Außenhandelspartner Deutschlands auf Platz 14. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von 22 Milliarden Euro von Deutschland in die Türkei exportiert. Die Importe betrugen 14 Milliarden Euro. Noch wächst die Türkei Einen regen Warenaustausch gibt es insbesondere in der Automobilbranche. In die Türkei wurden 2015 vor allem Autos, Kraftfahrzeugteile und -zubehör, Motoren und Motorteile exportiert. Außerdem Anlagen aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt. Zu den wichtigsten Importgütern gehören neben Motor- und Kraftfahrzeugteilen vor allem Kleidung, Pkw sowie zubereitete Früchte und Nüsse. Auch im ersten Halbjahr dieses Jahres wuchs die türkische Wirtschaft noch um stattliche vier Prozent. Die Außenhandelsagentur German Trade & Invest (Gtai) rechnet damit, dass die Zahlen in diesem Jahr insgesamt aber deutlich geringer ausfallen werden. Die anhaltende Investitionsschwäche werde die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Bei der Nachfrage nach Maschinen und Anlagen sei bereits eine Zurückhaltung spürbar. Wie sich die veränderten politischen Bedingungen tatsächlich auswirken werden, sei aber nicht abschätzbar. Ein Grund dafür dürften die massiv gestiegenen staatlichen Investitionen sein. Die türkische Regierung versucht derzeit mit Infrastrukturmaßnahmen die Wirtschaft zu stützen. Vor drei Jahren wurde der Marmaray-Tunnel unter dem Bosporus eröffnet. Da aber noch die Zulaufstrecken für den Eisenbahntunnel fehlen, wird er wohl erst 2018 in Betrieb gehen. Mit Autos ist der Tunnel seit Oktober befahrbar. Ebenso die dritte Brücke über den Bosporus. Nördlich von Istanbul soll 2018 zudem ein neuer Großflughafen in Betrieb gehen. Ein weiterer Kanal zwischen dem Marmara Meer und dem Schwarzen Meer ist ebenfalls geplant. Er soll ab 2023 die Istanbuler Meerenge entlasten. Außerdem sind im ganzen Land Investitionen in Flughäfen, Häfen, Eisenbahnstrecken und Straßen geplant. Ausländer investieren weniger Die Maßnahmen sind dringend notwendig, um einen wirtschaftlichen Einbruch zu vermeiden, der die Bevölkerung unruhig machen könnte. So ließ der türkische Vize-Premier Mehmet Simsek über den staatlichen Sender TRT verlautbaren, das Interesse globaler Investoren an der Türkei halte unvermindert an. Trotz aller Probleme sei die türkische Wirtschaft stabil und werde um 3,3 Prozent wachsen. Wie glaubwürdig diese Aussagen sind, ist eine andere Sache. Die offiziellen Zahlen des Wirtschaftsministeriums zeigen, dass die ausländischen Direktinvestitionen im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als die Hälfte eingebrochen sind. Für deutsche Unternehmen kann Nöther das nicht bestätigen. Zwar seien Mittelständler derzeit deutlich zurückhaltender, was ein Engagement in der Türkei angehe. Firmen, die langfristige Investitionspläne hätten, würden aber daran festhalten. Auf Nachfrage der VerkehrsRundschau bestätigte der Hafen Duisport, das im vergangenen Jahr zusammen mit dem türkischen Logistikunternehmen Arkas angestoßene Terminalprojekt in Gebze bei Istanpul sei im Plan. Die Eröffnung werde wie vorgesehen im kommenden Jahr stattfinden. Arkas und Duisport bauen dort ein multimodales Logistikzentrum auf mehr als 200.000 Quadratmetern Fläche. Die Investition umfasst einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Auf wirtschaftlicher Ebene laufe alles unverändert, teilt Duisport mit. Auch in der Zusammenarbeit mit den Behörden habe sich nicht viel verändert. Ganz anders sieht das ein Unternehmer, der lieber nicht genannt werden möchte. Er missbilligt die momentane politische Lage. "Wir können aber nicht alle Kontakte abbrechen", sagt er. Dazu habe das Land zu viel Potenzial. Insbesondere im Automobilbereich sei die Türkei interessant. Die Transportwege seien noch nicht wesentlich beeinträchtigt. Problematisch ist die Lage dagegen im Südosten des Landes. Der Krieg in Syrien zwingt Unternehmen, die Region zu meiden oder auf dem Transit in den Mittleren Osten Umwege in Kauf zu nehmen. Geschäftspartner verschwunden Einige Firmen spüren durchaus die politischen Folgen. "Es sind Leute von der Bildfläche verschwunden", sagt ein Spediteur, der ebenfalls ungenannt bleiben möchte. Einige Ansprechpartner gebe es einfach nicht mehr. Eine Folge der als Säuberungen bezeichneten Verfolgungen von politischen Gegnern, die Erdogan nach dem Putsch in großem Stil beim Militär, in der Verwaltung, aber auch in Unternehmen durchführen ließ. Einige Unternehmen trauen daher dem Rechtssystem der Türkei nicht mehr. Willkürliche Entscheidungen hätten das Vertrauen in staatliche Stellen und die Justiz erschüttert, analysiert die Gtai. Die AHK sieht dagegen für ausländische Firmen keine Probleme. Vor dem kammereigenen Schiedsgericht habe es nicht einen einzigen Fall gegeben, betont Nöther. Das Handelsrecht basiere auf den Normen des Schweizer und des deutschen Rechtssystems und sei seit Jahren stabil. Dennoch empfiehlt er Firmen, die in der Türkei Geschäfte machen, auf der sofortigen Zahlung zu bestehen. So könnten Zahlungsausfälle vermieden werden. Auch sollten Unternehmen Teile, die sie von Zulieferern aus der Türkei erhielten, möglichst bevorraten. Unternehmer sind skeptisch Nicht alle Logistikunternehmen schrecken die Entwicklungen in der Türkei ab. An der türkischen Transport- und Logistikmesse Logitrans, die im Istanbul Expo Center vom 16. bis 18. November stattfindet, haben sich 17 Aussteller aus Deutschland angemeldet. Darunter sind auch das Bundeswirtschaftsministerium, das Fraunhofer IML oder der Förderverein Logistics Alliance Germany und Messeunternehmen (siehe Kasten Seite 18). Einigen Unternehmen ist die Teilnahme merklich unangenehm. Offiziell wollen sie keine Stellungnahme abgegeben. Nur hinter vorgehaltener Hand wird zugegeben, dass man Bedenken hinsichtlich der künftigen Entwicklungen in der Türkei habe. Andere Firmen stehen zu ihrem Engagement. "Wir sehen die Türkei nach wie vor als vielversprechendes Boomland", erklärt DB Schenker auf Nachfrage. Logistikleistungen würden nach wie vor benötigt und nachgefragt. Der Markt berge ein großes Potenzial und der Outsourcinggrad sei bei Logistikdienstleistungen derzeit noch relativ gering. Man beobachte die Lage, sehe aber derzeit keinen Anlass, die Strategie oder Planungen anzupassen, erklärt eine Unternehmenssprecherin. Allerdings könne die weitere Abwertung der türkischen Lira sich auf die Entwicklung der türkischen Wirtschaft auswirken und hätte somit natürlich auch Folgen für die Logistikbranche. Auch bei der Frankfurter Kombiverkehr sieht man "weiterhin großes Potenzial für den intermodalen Verkehr". Darum investiere das Unternehmen weiterhin in die Türkeiverkehre. Seit diesem Jahr gebe es mit dem Hafen Ambarli einen neuen Fähranschluss an die europäische Seite der Türkei. Das Transportvolumen der Kunden in der Türkei sei stabil. Auch an der Zusammenarbeit mit der Tochterfirma Europe Intermodal in Istanbul habe sich nichts geändert. Beim Förderverein Logistics Alliance Germany hat man sich ebenfalls entschieden, der Messe treu zu bleiben. Man wolle den Kontakt aufrechterhalten und den Mitgliedern einen Zugang zum türkischen Markt ermöglichen. "Die Ergebnisse der Messe werden zeigen, inwieweit die derzeitige und zukünftige Marktentwicklung für Logistik in und mit der Türkei einzuschätzen ist", schränkt Geschäftsführer Lars Günsel ein. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Türkei www.verkehrsrundschau.de/dossiers Logistikmesse Logitrans Jubiläum im unsicheren Umfeld Vom 16. bis 18. November 2016 findet die Internationale Fachmesse für Transport und Logistik (Logitrans) im Istanbul Expo Center statt. Trotz der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Situation feiert die Messe in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. In zwei Hallen mit je 5000 Quadratmetern Fläche werden Produkte und Lösungen aus den Bereichen Logistik, Telematik und Transport gezeigt. Die Logitrans halte sich trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gut, erklärte im Vorfeld Gerhard Gerritzen, Vorstandsmitglied der Messe München, die die Messe mitorganisiert. Und ja, man habe einige Absagen gehabt. Es sei eine gewisse Verunsicherung bei den Ausstellern zu spüren. Darum habe man das Sicherheitskonzept ausgeweitet, erklärt die Messe München. Ausstellerzahlen für 2016 nennt der Veranstalter im Vorfeld nicht. 2015 kamen noch mehr als 15.000 Teilnehmer aus 54 Ländern und 220 Aussteller aus 22 Ländern zu der Veranstaltung. Die nächste Logitrans findet vom 15. bis 17. November 2017 statt. ah Länderporträt* Republik Türkei - Fläche: 814.578 Quadratkilometer (Deutschland: 357.168)- Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP): 2013/2014/2015 in Prozent: 4,0 / 3,3 / 4,0- BIP/Kopf: 2015 in US-Dollar: 9290 (40.996)- Bruttosozialprodukt 2015 in Milliarden US-Dollar: 720 (3358)- Einwohner in Millionen: 78,7 (80,8)- Arbeitslosenquote 2015 in Prozent: 10,2 (6,4)- Bruttostaatsverschuldung in Prozent des BIP 2015: 32,6 (71,2)- Hauptstadt: Ankara, 5,3 Millionen Einwohner- Religion: Islam (überwiegend sunnitisch)- Landessprache: Türkisch; Geschäftssprache in der Regel Englisch, Deutsch*in Klammern: Zahlen für Deutschland Quelle: Auswärtiges Amt, Gtai

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