Langer Atem

Zwei von drei Maschinen exportiert Getränketechnologiekonzern Krones, Neutraubling, nach Übersee. Die weitaus meisten Anlagen werden über den Hamburger Hafen umgeschlagen. Seit 2016 transportiert das Unternehmen diese überwiegend auf der Schiene. Weil wegen des wachsenden Fahrermangels Lkw-Transporte immer schwerer zu organisieren waren und außerdem notorisch in Staus stecken blieben, reaktivierte Krones einen in den 50er-Jahren stillgelegten Gleisanschluss. Heute spart das Unternehmen über 2000 Lkw-Fahrten im Jahr ein. Bei einem Ausbau des Gleisanschlusses könnten sogar 4000 Lkw-Touren auf die Schiene verlagert werden. Der Fall Krones gilt als Paradebeispiel, wie Schieneninfrastruktur auch Jahre, ja Jahrzehnte nach ihrer Stilllegung erfolgreich wiederbelebt werden kann. Weil ein Global Player mit rund 16.500 Mitarbeitern regelmäßige Abfahrten garantierte, waren die Rahmenbedingungen allerdings auch günstig. Verbände machen mobil Genau dies trifft auf die weitaus meisten Schienentrassen nicht zu, welche jetzt mehrere Verbände in Positionspapieren für eine Reaktivierung oder Modernisierung vorgeschlagen haben. So machen sich die Allianz pro Schiene - ihr gehören 23 Verbände und 150 Unternehmen aus der Eisenbahnbranche an - sowie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in einer gemeinsamen Studie für die Wiederinbetriebnahme von 186 Streckenabschnitten mit 3072 Kilometern stark. Vor allem in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland Pfalz, Sachsen-Anhalt sowie im südlichen Niedersachsen haben beide Verbände Trassen aufgespürt, welche ihrer Einschätzung nach dauerhaft wieder in Betrieb genommen werden sollten. "Flaschenhälse" beseitigen Wenige Wochen zuvor hatten das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) und der Verband der Güterwagenhalter (VPI) in Deutschland ein Programm für die Beseitigung von "Flaschenhälsen" im Schienennetz vorgestellt. Knapp 70 Projekte schlägt eine Studie des Berliner Beratungsunternehmens KCW für Ausbau- und Modernisierungsmaßnahmen vor. Im Fokus stehen grenzüberschreitende Verkehre nach Frankreich, Polen und Tschechien sowie Ost-West-Verkehre in Süddeutschland im Wettbewerb zur A 6. Die weitaus meisten Maßnahmen können auf bestehenden oder reaktivierten Trassen realisiert werden. "Wirklich neu gebaut werden müssen gerade einmal 15 Kilometer", hat Peter Westenberger, Geschäftsführer des NEE, ausgerechnet. Solche Aussagen untermauert der Verband mit einer weiteren Arbeit, welche 2035 einen Marktanteil von 35 Prozent für die Schiene für möglich hält. Voraussetzung hierfür sind modernere Ladetechniken, 1800 zusätzliche Lokomotiven sowie mit Sensortechnik und Telematik ausgerüstete Güterwagen und Infrastruktur. Bei Schienenverkehrsexperten stoßen solche Arbeiten auf Skepsis. "Für die Steigerung von 18 auf 25 Prozent, welche der Masterplan Schienengüterverkehr als Ziel definiert, müssten riesige Logistikströme konsequent verlagert werden", gibt Tino Bauer, Vorsitzender des DSLV-Fachausschusses Schienengüterverkehr, zu bedenken. "Gleichzeitig ändern sich die Rahmenbedingungen ständig. Perspektivisch sinkt das schienenaffine Schüttgutaufkommen, außerdem werden die Sendungsvolumina immer kleinteiliger und zeitkritischer." Wenn allerdings Eisenbahnverkehrsunternehmen zusätzliche Trassen nutzen werden, könnte dieses Ziel leichter zu erreichen sein. Die Allianz pro Schiene sieht bei der Reaktivierung auch Verlader und Logistikdienstleister gefordert. "Bei vielen Strecken, die bislang für Güterverkehre reaktiviert wurden, war die Wiederinbetriebnahme der letzten Meile das Hauptmotiv", blickt Verkehrspolitikreferent Andreas Geißler zurück. Die neue Studie knüpft an diese Erfahrungen an. "Unsere Vorschläge zur Reaktivierung orientieren sich an überlasteten Straßen, Bau- und Planungsaufwand der Reaktivierung sowie dem betrieblichen Aufwand für neue Schienenverkehrsangebote", sagt Martin Henke, Geschäftsführer des VDV. Auch der mögliche Widerstand der Bevölkerung wurde berücksichtigt. Ausdrücklich betont er, dass an nahezu allen Strecken, von deren Reaktivierung der Güterverkehr profitiert, Industriegebiete und Logistikstandorte liegen. "Derzeit können deren Verkehrsbedürfnisse nicht durch die Schiene befriedigt werden", bekräftigt der VDV-Geschäftsführer. Fördergelder werden nicht ausgeschöpft Auch Bundesverkehrsministerium und Deutsche Bahn sehen die Verkehrswirtschaft in der Pflicht. Beide erinnern daran, dass in der Vergangenheit Strecken immer dann stillgelegt wurden, wenn die Nachfrage versiegt sei und kein privater Betreiber diese übernehmen wollte. "Wenn jedoch Leistungen bestellt werden, die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen, kann eine Reaktivierung in Erwägung gezogen werden", heißt es bei der Bahn vorsichtig. Die Nachfrage der Verlader und Dienstleister ist jedoch mehr als verhalten. Gerade mal fünf Prozent der 300 Objekte, welche die Entwickler 2018 hochgezogen haben, weisen der Münchner Beratung Logivest zufolge Gleisanschlüsse auf - also lediglich ein Dutzend. Bei den vor 2018 realisierten Objekten dürfte der Anteil kaum größer sein. Dabei können bis zu 50 Prozent der Kosten für Gleisanschlüsse mit Fördergeldern finanziert werden. Von rund 14 Millionen Euro, die hierfür bereitstehen, werden allerdings höchstens neun Millionen Euro abgerufen. Der bürokratische Aufwand für die Antragstellung gilt als hoch. Die Kosten für reaktivierte Gleise und Gleisanschlüsse sind einfach zu kalkulieren. "Pro Meter müssen mindestens 1000 bis 1100 Euro veranschlagt werden", weiß Michael Zellner, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Anschlussbahnprofis in Pfaffenhofen/Ilm. Hinzu kommen Ausgaben für Bodenaustausch und Leitungsschutz. Wenn der Untergrund instabil ist und Infrastruktur für Wasser oder Strom neu verlegt werden muss, fallen hohe Zusatzkosten an. Am schwierigsten sind erfahrungsgemäß Wiederinbetriebnahmen von Strecken, welche mit Radwegen oder Straßen überbaut wurden. "Wir müssen dann neue Trassen suchen und finanzieren", sagt Henke. Weil jedoch eine klare Finanzierungsgrundlage fehlt, ziehen sich auch einfache Projekte für Reaktivierungen hin. Wenn Bund und Länder sich über die Geldvergabe streiten, kann dies sogar Jahrzehnte dauern (siehe Kasten). Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Schiene www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Ohne gezielte Infrastrukturmaßnahmen wird der Anteil der Schiene am Güterverkehr schwerlich zu steigern sein. Über die Frage, wie eine Modernisierung der Infrastruktur vonstattengehen soll und welche Rolle Reaktivierung dabei spielen muss, sind sich Bahn- und Logistikexperten allerdings uneins. Eigener Etat gefordert Ein "Bundesprogramm Reaktivierung" fordert die Allianz pro Schiene. Gerne verweist sie auf die demontierte Trasse Blankenstein - Marxgrün von Thüringen nach Bayern. Obwohl die ortsansässige Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal ein starkes Interesse an der Reaktivierung dieser Strecke äußert, tritt die Wiederinbetriebnahme 30 Jahre nach dem Mauerfall auf der Stelle. Grund sind Finanzierungsstreitigkeiten: Der Bund erklärt die Länder Thüringen und Bayern für zuständig; die Länder wiederum verweisen darauf, dass es hier um einen Lückenschluss im Bundesschienennetz geht."Hier muss eine klare Grundlage geschaffen werden", wünscht die Allianz. Anderswo profitieren Verkehrsunternehmen von der Rivalität. Ein Beispiel sind die reaktivierten Gleise für den Railport Limburg, welche Obel Logistik - heute ein Tochterunternehmen von Rail & Sea Logistics - mit Fördermitteln des Bundes und des Landes Hessen realisierte. Heute werden hier Fliesen, Holz und intermodale Transporte aller Art umgeschlagen. bot

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